Kapff, Sixtus Carl von - Am fünften Trinitatis-Sonntag.
Mit der Epistel des fünften Trinitatis-Sonntags (1 Petri 3.8-15.) ist die des seltener vorkommenden fünften Epiphanien-Sonntags ähnlich und kann die Predigt darüber gelesen werden in den Jahren, wo das Reformationsfest nicht auf den fünften Sonntag nach Trinitatis fällt.
(Zugleich Reformationsfest.)
Zuerst wurden die 15 ersten Artikel des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses vorgelesen. 1)
Die verlesenen Artikel des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses sind Text genug, uns zum Nachdenken über die Segnungen der Reformation, zum innigsten Dank und zu neuen Vorsätzen zu ermuntern. Das Gelesene zeigt uns, dass wir durch die Reformation frei geworden sind von aller menschlichen Satzung und Gewalt in Glaubens- und Gewissenssachen, frei von dem verkehrten Wahn, als ob wir durch eigenes Verdienst die Seligkeit erwerben müssten, frei von allen den Irrlehren, die dem Worte GOttes widerstreiten und Heere von Mittelspersonen und Berge von äußeren Werken zwischen Christum und uns stellen. Der Hauptinhalt unserer teuren Konfession ist mit den Worten des Apostels (Eph. 2.) der: „aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben, und dasselbige nicht aus euch, GOttes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf dass sich nicht Jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo JEsu zu guten Werken.“ Selig in JEsu, vereinigt mit Ihm, erleuchtet durch sein Wort, versöhnt durch sein Blut, geheiligt durch seinen Geist - das werden wir durch den Glauben an Ihn, und solcher Glaube bringt neues Leben und ewige Seligkeit.
Dazu bedürfen wir aller der mühsamen Um- und Abwege nicht, auf denen die katholische, aber auch die falsche protestantische Lehre zum Frieden führen will und doch nicht führen kann, da sie die Gewissen viel mehr belastet, als beruhigt, weil die Mittel, die sie vorschreibt, nicht zur wahren Versöhnung und nicht zur Wiedergeburt führen. Denn was hat ein Herz, wenn es auch alle Zeremonien erfüllt, allen Ablass bezahlt, alle Heiligen angerufen und alle Tugenden versucht hat? Nur JEsus ist der Weg, und die Wahrheit und das Leben, nur in Ihm erlangen wir Vergebung der Sünden und ewiges Heil. Und zu Ihm dürfen wir kommen ohne alle Mittelsperson; das Kämmerlein, in dem wir vor Ihm knieen, ist sein liebster Tempel, unser Lob seine schönste Musik, unsere Bußtränen das Weihwasser, unser Gebet das Räucherwerk, lebendiger Glaube und seine Früchte in Heiligung und Liebe, das ist der reine GOttesdienst, der in seinen Augen mehr gilt, als alle äußerlichen Gebräuche und Übungen. Und wie Er unmittelbar uns die Vergebung der Sünde erteilt durch die innere Stimme seines Geistes, so dürfen auch wir unmittelbar mit Ihm umgehen, unser ganzes Elend auf Ihn allein werfen und seiner allgenugsamen Gnade und unmittelbaren Gegenwart allezeit uns getrosten. Diese Gewissheit ist der Gegenstand unserer heutigen Festfreude und unserer Dankbarkeit gegen den HErrn, aber auch gegen die teuren Glaubenshelden, die das große Werk der Reformation ausgeführt haben. Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin, und in unserem Vaterland besonders Brenz und der teure Herzog Christoph, dann die späteren Zeugen, in deren Schule unsere Väter die lautere Wahrheit lernten und wir noch lernen, ein Arndt und Spener und bei uns ein Bengel, Ötinger, Steinhofer, Storr, Roos, Rieger, Hiller, Hahn und Andere; sie sollen heute unserem Geiste gegenwärtig sein und ihr Vorbild soll uns anfeuern, dass wir ihrem Glauben nachfolgen. In dankbarem Andenken an diese Männer, besonders die Reformatoren, wollen wir unsere Andacht heute mit der Frage beschäftigen:
Warum und wie wir das Reformationsfest als ein hohes Freuden- und Dankfest feiern sollen?
- Die Reformation hat das wahre Licht und Leben wiedergebracht,
- daher wollen wir beständig im wahren Licht und Leben wandeln.
JEsus Christus! Du ewiges Licht und einziges Leben der Welt, gib uns heute tief zu erkennen, wie vielen Dank wir Dir schuldig sind, dass Du aus der Finsternis uns geführt hast zu Deinem wunderbaren Licht. In diesem Licht des Lebens lass uns immer mehr wachsen und, verklärt werden in Dein heiliges Bild von einer Klarheit in die andere. Amen.
I. Die Reformation hat das wahre Licht und Leben wiedergebracht,
das wahre Licht, in dem sie das Wort GOttes als Quelle und Richtschnur aller geistlichen Wahrheit zu Grunde legte und in Glaubenssachen nichts gelten ließ, als was mit dem lauteren Wort GOttes in der heiligen Schrift übereinstimmt. Davon hörten wir das Zeugnis vorhin in der Augsburgischen Konfession. Sie leitet alle Artikel der christlichen Lehre bloß aus der Bibel ab und verwirft, was die Tradition, d. h. die Überlieferung von Lehren der Päpste und Kirchenlehrer festgesetzt hatte, außer wenn sie mit der Bibel übereinstimmte. Mochte eine Lehre oder Einrichtung Jahrhunderte lang gegolten haben, wenn sie gegen die Schrift war, so wurde sie verworfen. So oft die Reformatoren zur Verantwortung gezogen wurden, so beriefen sie sich immer auf GOttes Wort. In dem feierlichen Augenblick, wo auf dem Reichstag zu Worms in der glänzenden Versammlung des Kaisers und so vieler Fürsten, Bischöfe und Herren, Aller Augen auf Luther gerichtet waren und man von ihm verlangte, er solle seine bisherigen Lehren widerrufen, da erklärte er ohne Furcht vor Feuer und Schwert: „Es sei denn, dass ich mit klaren Zeugnissen der heiligen Schrift überwiesen und überwunden werde, so kann und will ich nichts widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, GOtt helfe mir. Amen.“ - Dabei erklärte er, er glaube weder dem Papst, noch den Konzilien, d. h. Kirchenversammlungen, weil, es am Tage sei, dass sie oft geirrt und sogar ihnen selbst widersprochen haben.
Alle die Irrlehren, die wir vorgestern besprochen haben, rührten bloß daher, dass Menschenwort so hoch oder höher als durch die Sünde verdorben und daher dem Irrtum unterworfen seien, daher wir uns bloß auf das Wort verlassen können, das von JEsu, dem wahrhaftigen Sohne GOttes, und von seinen durch GOttes Geist ganz besonders erleuchteten Aposteln herrühre. Dieses heilige Wort GOttes war in der katholischen Kirche ganz verborgen und das Lesen desselben sogar verboten, damit ja Niemand die lautere Wahrheit erfahren sollte. Luther übersetzte die Bibel und zündete dadurch ein Licht an, das in tausend Häuser und Herzen hineinleuchtete und die Finsternisse des Papsttums zerstreute. Unter allen Stürmen, die über die evangelische Kirche ergingen, ist doch dieser höchste Schatz ihr geblieben und wir freuen uns heute mit innigstem Dank gegen GOtt, dass wir Alle das teure Bibelbuch in Händen haben und aus demselben Licht schöpfen über die wichtigsten Angelegenheiten unseres Herzens und Lebens in Zeit und Ewigkeit.
Ach, Geliebte! was wären wir, wenn wir die Bibel nicht hätten! Das zeigt uns der hundertjährige Gang der katholischen Kirche und es zeigen's uns alle die Protestanten, die nicht zugleich Evangelische sind, sondern GOttes Wort gering achten. Die katholische Kirche war durch ihre eitlen Menschensatzungen so ausgeartet, dass sie gewiss sich in allgemeinem Sittenverderben vollends aufgelöst haben würde, wenn nicht die Reformation sie genötigt hätte, wieder mehr auf biblischen Boden sich zu stellen, wodurch so manchem Sumpfe wieder neue Lebenswasser zugeführt wurden. Katholische Schriftsteller selbst bekennen, dass ihre Kirche durch die Reformation auch teilweise reformiert oder verbessert worden sei. Aber freilich, so lange das Wort GOttes nicht ihr Fundament ist, wird sie nie die wahre Kirche sein können.
Ist dann aber die protestantische Kirche die wahre? Wenn wir sie einem sehr großen Teil ihrer Bekenner nach beurteilen, nicht. Tausende sind auf verkehrtem Weg, weil sie die Vernunft und ihr Fleisch mehr gelten lassen, als die Bibel. Aber seht doch, ob irgend etwas Festes, Übereinstimmendes bei ihnen ist? Was der eine Vernunftlehrer baut, reißt der andere ein; alle zehn oder fünf Jahre herrscht ein anderes philosophisches. System, und in ihren Angriffen gegen die Bibel, wie in ihren eigenen Lehren ist so viel Widerspruch, dass kein wahrhaft Vernünftiger den übermächtigen Einfällen einer von der Weisheit und vom Leben GOttes losgetrennten Vernunft sich anvertrauen kann. Auch ist durch allgemeine Erfahrung bekannt, dass überall, wo das Wort GOttes gering geachtet wird, die wahre Frömmigkeit aufhört, und Selbstsucht, Hochmut und Lust auf gröbere oder feinere Weise regieren. Ohne GOttes Wort ist in den Finsternissen der Zweifel kein Licht, in Versuchungsstunden keine Kraft, in Gewissensangst keine Ruhe, in Leidensnächten kein Trost und im Tod keine Hoffnung. Nur wenn wir durch das Wort des HErrn den kennen, der um unserer Sünden willen dahin gegeben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt ist, nur dann haben wir Licht in der Finsternis. Daher sagt JEsus: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Dieses Licht der reinen Erkenntnis aller göttlichen Dinge und des wahren Heilsweges verdanken wir dem großen Wert der Reformation, die durch die Herrschaft des Wortes GOttes das wahre Licht wiedergebracht hat, und ebenso das wahre Leben.
Das Leben liegt in dem Hauptgrundsatz der Augsburgischen Konfession, dass wir Vergebung der Sünden bekommen und vor GOtt gerecht werden aus Gnaden um JEsu Christi willen durch den Glauben. Das war der zweite Hauptgrundsatz der Reformation, wie die Alleingültigkeit des göttlichen Wortes der erste war. Die tiefste Wurzel des Verderbens in der katholischen Kirche war die Irrlehre, dass der Mensch Vergebung von Christo erlange nur für die Sünden, die er vor der Taufe begehe, dagegen für die Sünden, die er nach der Taufe begehe, müsse er selbst genugtun, und das geschehe durch die Straf- und Buß-Übungen, die ihm die Kirche auflege, durch Wallfahrten, Klostergelübde, Bezahlung von Geld an die Kirche, Gebete, Besuch der Messe, Werke der Barmherzigkeit und dergleichen. Bei solchen äußerlichen Werk konnte das Herz ganz unbekehrt bleiben und daher unmöglich ein Zeugnis des Geistes von der Vergebung der Sünden empfangen.
Die Folge war, dass die einen sich wirklich beredeten, sie haben die Gnade GOttes durch das Verdienst ihrer Werke erworben; solche wurden dann selbstgerecht, hochmütig, und kamen in den Sündenschlaf fleischlicher Sicherheit immer tiefer hinein. Andere dagegen konnten in ihrem Außenwerk kein Verdienst sehen und hatten so für ihre erschrockenen Gewissen keine Beruhigung, sondern mussten Jahre lang in innerer Seelenangst dahin gehen und endlich ohne Friede und ohne Hoffnung sterben. Auch Luther selbst hatte diesen inneren Jammer einer über ihre Sünden betrübten Seele erfahren und sich allerlei Büßungen und Kasteiungen auferlegt und das ganze katholische Gesetz aufs Strengste erfüllt: aber Ruhe fand er nicht für sein Herz und selbst sein Leib litt unter der Not schwerer Anfechtung. Nur eine Arznei half ihm, das war der Trost der Vergebung der Sünden durch GOttes freie Gnade. Diesen Trost brachte ihm ein frommer Klosterbruder und noch mehr das teure Wort GOttes, und erst mit diesem Glaubenstrost ging ihm ein neues Licht und ein neues Leben auf. Was so sein Heilmittel gewesen war, das hätte er allen Menschen geben mögen, und deswegen machte er zum A und O aller seiner Predigt die Rechtfertigung allein durch den Glaub en ohne des Gesetzes Werke und ohne der Kirche Gebräuche.
Das ist auch bis auf diesen Tag das Fundament der alleinseligmachenden Heilslehre. Wenn wir auch allen Glauben haben an das ganze Wort GOttes, und wenn wir auch vieler und großer Tugenden uns rühmen können, so ist das noch kein Anspruch auf Seligkeit. Denn es gilt, was wir vorhin im sechsten Artikel der Konfession gehört haben, dass man zwar gute Werke tun müsse, allerlei, so GOtt geboten hat, um GOttes willen, doch nicht auf solche Werke zu vertrauen, dadurch Gnade vor GOtt zu verdienen, denn wir empfahen Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit allein durch den Glauben an Christum, wie Er selbst spricht Luk. 17.: „wenn ihr Alles getan habt, was euch befohlen ist, sollt ihr sprechen: wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, das wir zu tun schuldig waren.“
Wir können vor GOtt nichts verdienen. Er will zwar nach vielen Aussprüchen seines Wortes nichts unbelohnt lassen, was wir Ihm tun, aber wir können gar nichts wahrhaft Ihm tun, ehe wir Vergebung der Sünde und dadurch ein neues Herz haben, und nie, nie können wir auch mit den besten Werken unsere Sünden abverdienen oder gut machen; Sünde bleibt Sünde und bleibt ein Fluch, so lange wir nicht Vergebung in JEsu gefunden haben. Alles, was wir von einem Gnadenlohn in der Schrift finden, das gilt bloß denen, die durch JEsu Blut versöhnt und vor GOtt gerecht geworden sind. Nur wer so in der Rechtfertigung durch den Glauben der Seligkeit gewiss geworden ist, nur der kann in einem neuen Leben wandeln und kann in der Heiligung und sodann auch in der Herrlichkeit höhere Stufen in der durch JEsum allein erworbenen Seligkeit erlangen. Deswegen bleibt ewig die Rechtfertigung durch den Glauben der Anfang und Grund aller unserer Hoffnung. Dadurch, dass die Reformation diesen Grundartikel in seiner Reinheit hergestellt hat, dadurch hat sie neues Leben gebracht in die Welt, und darüber sind wir heute voll Lobens und Dankens für die unaussprechliche Barmherzigkeit unseres GOttes, der aus der Trostlosigkeit selbstgemachter Heilswege auf den einzig sichern Lebensweg uns zurückgeführt hat.
Das wissen freilich nur die recht zu schätzen, die an sich und anderen es erfahren haben, was eine Seele ist ohne Vergebung der Sünde, wie sie Tage und Nächte durchringen kann in stummem Schmerz oder in lauten Klagen, wie oft wahre Höllenangst sie ergreift und sie den ganzen Himmel mit den schwärzesten Gewitterwolken bedeckt sieht, dass, sie nicht beten, nichts glauben, nichts hoffen kann. Wenn nun einer solchen Seele gesagt würde: bessere dich, dann wirst du begnadigt, tue gute Werke und fange ein neues Leben an, dann wird dir vergeben, so wäre das, als wenn man zu einem in finsterem Kerker Gefesselten hineinriefe: spring heraus! Nur das Wort von Kreuze zersprengt die Fesseln, und Friede kommt in das Herz durch das Evangelium von dem, der die Gottlosen gerecht macht, weil sein Blut alle bußfertigen Sünder rein macht von aller Sünde. Von solchen durch den Glauben Gerechtfertigten sagt Paulus und David: „Selig sind die, welchen ihre Übertretungen vergeben und ihre Sünden bedecket sind, selig ist der Mann welchem GOtt keine Sünde zurechnet!“
Diese Seligkeit der Rechtfertigung bringt Leben, sie erfüllt das Herz mit Liebe zu dem, der bis in den Tod geliebt und so viel vergeben hat, und die Liebe tut, was dem Geliebten gefällt, und so fließt die Heiligung aus der Rechtfertigung, wie der Bach aus der Quelle, und wie die Frucht wächst auf dem Baum. So sehen wir, wie die Reformation durch die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben und durch die Herrschaft des Wortes GOttes das wahre Licht und Leben wiedergebracht hat. Deswegen ist es aber auch
II. unsere Pflicht, dass wir beständig in diesem wahren Licht und Leben wandeln.
Wenn es uns heute mit höchster Freude und innigstem Danke erfüllte, dass wir das teure Wort GOttes bis auf diesen Tag in Händen haben, so ergeht doch auch die ernstliche Frage an uns, wie wir dieses Wort gebrauchen und ob auch bei uns die Reformation durch dasselbe vorgehe, die Luther im Großen herbeigeführt hat und die nicht eine äußere bleiben darf, sondern eine innerliche werden soll in jedem einzelnen Herzen. Wie lassen wir das Licht des Wortes GOttes leuchten in unseren Häusern, in unseren Herzen, im ganzen Wandel und in allen Verhältnissen unseres Lebens? Ist da Alles wahrhaft evangelisch, dem Sinne JEsu und den Aussprüchen seines Wortes gemäß? Ach, liebe Seelen, wie Vieles wird der Geist GOttes uns aufdecken, das unevangelisch, unbiblisch, unchristlich ist in unseren Gedanken und Ansichten, in unseren Wünschen und Bestrebungen, in unserem Tun und Lassen! Ach, wie manche dunkle Punkte zeigen sich da, die noch durch das Wort GOttes durchleuchtet werden müssen, dass mehr lebendiger Glaube, mehr hingebende Liebe, mehr Sanftmut und Geduld, mehr Reinheit des Herzens und Wandels, mehr Eifer für GOttes Sache und mehr himmlischer Sinn unter uns herrsche.
Gar Viele haben ja sogar äußerlich sich vorzuwerfen, dass sie das Wort GOttes nicht recht hochachten und nicht fleißig gebrauchen. In manchen Häusern der protestantischen Christenheit liegt die Bibel im Staube; man liest alles Mögliche, nur das Wort des Lebens nicht; aber auch ernstlichere Christen halten sich zu viel an menschliche Quellen, lesen eine Menge Bücher und Blätter und versäumen darüber das Buch der Bücher. Und wenn es gelesen wird, wie geschieht es oft so gedankenlos, ohne Nachdenken, ohne Anwendung auf das eigene Herz und Leben und so ohne rechtschaffene Früchte der Buße und des neuen Lebens. Solche Versündigung an GOttes Wort, solchen Undank gegen diese teuerste Gabe müssen wir heute mit tiefer Scham und Reue erkennen und den Vorsatz in uns befestigen lassen, der höchsten Wohltat der Reformation, der teuren Bibel uns würdiger zu machen durch innige Dankbarkeit, fleißigen Gebrauch und treue Übung dessen, was sie uns als Weg zum Himmel vorzeichnet.
So nur wandeln wir im vollen Licht der Reformation, und so wird auch das Leben, das sie gebracht hat, sich in uns verklären, das Leben einer Seele, die durch lebendigen Glauben gerechtfertigt ist von allen Sünden und vereinigt mit GOtt. Auch dieses zweite Fundament der evangelischen Lehre, die Rechtfertigung durch den Glauben, steht bei uns nicht immer so fest, wie wir heute am Reformations-Dankfest es als notwendig erkennen. So gerne schleicht sich wieder die Selbstgerechtigkeit ein, da unser natürlicher Sinn sich auf sein Eigenwert etwas einbildet und so auf seine guten Werke einen Anspruch auf Seligkeit gründet. Viele suchen gar die Gerechtigkeit darin, dass sie nicht seien wie andere Leute, wie der und der, die und die, die noch mehr sündigen, oder darin, dass sie ihren Beruf treu erfüllen, .und besonders, dass Niemand ihnen etwas nachsagen könne. Ist das wahr? Werden deine Hausgenossen das auch bezeugen? und wenn auch, wird auch der HErr dir nichts zum Vorwurf zu sagen haben? O wie schwindet vor seinem Richterstuhl alle eigene Gerechtigkeit und erscheint, wie Jesajas sagt, als ein unflätiges Gewand. Wer sich selbst kennt, der muss wissen, dass in seinem ganzen Leben nichts ist, das ihn der Seligkeit wert machte, dass vielmehr Hiob mit Recht sagt: „ich weiß wohl, dass ein Mensch nicht rechtfertig bestehen mag vor GOtt; hat Er Lust mit ihm zu rechten, so kann er Ihm auf tausend nicht Eins antworten.“
Ich bin nichts wert, o das bekenn' ich frei.
Weg Eigenwerk, dein Schimmer reicht nicht weit.
Mein Element ist nur Barmherzigkeit,
Daraus entspringt der Trost: GOtt ist getreu.
Aber auch Gläubige haben oft mit einem gesetzlichen Wesen zu kämpfen, da sie zwar bußfertig in JEsu das Heil suchen, aber doch selbst auch dazu beitragen und vorher als ordentliche, brave Leute erscheinen möchten, ehe sie der Gnade sich getrosten. Aber was sagt die Schrift? „Dem, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.“ Viele meinen, wenn sie einmal in der Bekehrung zu der großen Hauptvergebung der Sünden gelangt seien, so sollten dann keine Sünden mehr vorkommen, und wenn dann doch wieder das Fleisch eine Macht bekommt über den Geist, so glauben sie, jetzt dürfen sie nicht wieder kommen und um Gnade bitten; da geht es dann an ein eigenmächtiges Ringen nach Besserung, nach Kreuzigung des Fleisches und nach einer Heiligung, die GOtt gefallen könne. Aber die innere Unruhe wird nur größer und nur dann kommt Friede in das Herz, wenn es nach jeder Versündigung aufs Neue sich wieder gründet auf den Felsgrund der Rechtfertigung allein durch den Glauben, ohne des Gesetzes Werke. Daher sagt Luther vom heiligen Geist, dass er allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergebe, daher wir auch in jedem Vaterunser beten: „vergib uns unsere Schulden.“ Freilich ist dazu der Vorsatz nötig, keine Sünde mehr zu tun: aber nicht ist Besserung das erste und dann Vergebung, sondern zuerst immer Vergebung und dann Besserung, zuerst Rechtfertigung, dann aus ihr fließen die Heiligung. Wäre Besserung das erste, so brauchten wir Christum bloß als Lehrer und folglich nicht absolut notwendig; aber weil wir ohne Vergebung nichts wahrhaft Göttliches vermögen, deswegen ist die Gottheit Christi und die Versöhnung in Ihm das höchste Bedürfnis unseres verlorenen Geschlechtes und es bleibt dabei:
Der Grund, auf den ich gründe, Ist Christus und sein Blut;
Das macht, dass ich finde Das ewig wahre Gut.
An mir und meinem Leben Ist nichts auf dieser Erd',
Was Christus mir gegeben, Das ist der Liebe wert.
Das ist der echt evangelische Sinn, den wir durch keine Einrede der Vernunft und durch keine Regung des Hochmuts und Eigenwillens uns rauben lassen dürfen. Und nur wenn wir so täglich als arme, unwürdige Sünder in bußfertigem Glauben vor dem Gnadenthron GOttes erscheinen und dann in JEsu gerechtfertigt, der Kindschaft GOttes neu versichert, mit dem heiligen Geiste erfüllt, mit göttlicher Liebe und so mit Kräften der Heiligung durchdrungen und in das himmlische Wesen versetzt werden, nur dann ist unser geistliches Leben gesund, nur dann stehen wir auf dem Boden, in dem alle göttlichen Lebenspflanzen gedeihen, nur dann können wir im Kleinen, wie im Großen uns so betragen, wie es evangelischen Christen geziemt. Denn dann sind wir Priester; wo wir auch äußerlich seien, als wahrhaft Gläubige sind wir geistliche Priester, deren Leben ein Gottesdienst ist, die nicht bloß sich selbst dem opfern, der sich für sie geopfert hat, sondern die auch die Welt auf ihrem Herzen tragen, auf einem weiten, Alle in Liebe umfassenden Herzen. Da fragt man nicht steif und abstoßend nach der Konfession, so sehr man sich der eigenen freut.
In allen Konfessionen gehen die verloren, die GOttes Wort verachten, und in allen Konfessionen werden die selig, die GOtt und sein Wort lieben. Daher muss ein wahrer Priester GOttes das Gute an allen Konfessionen lieben und das Ungöttliche in allen, wie in seinem eigenen Herzen, fliehen und dagegen kämpfen, aber mit Waffen des Geistes, nicht mit Schmähen und Höhnen, sondern mit Gebet und Fürbitte, mit heiligem Wandel und dann erst mit Zeugen im Geist.
Aber über Alles teuer sei uns die Gemeinschaft der Heiligen, die nicht an diese oder jene Kirche oder Sekte gebunden ist, sondern als unsichtbare Kirche Alle befasst, die Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten, in JEsu versöhnt, durch seinen Geist geheiligt, in seinen Fußstapfen dem Himmel, als ihrer einzig wahren Heimat, zustreben. Diese Gemeinschaft der Heiligen ist Ein Leib und Ein Geist, zuerst mit JEsu, ihrem Haupt und König, und dann mit allen seinen Gliedern. Dasteht man gerne auch über einzelne Lehr- und Brauch-Verschiedenheiten weg und freut sich der Einheit auf den Grund der Haupt- und Lebens-Artikel unserer alleinseligmachenden Heilslehre, wie sie sich gründet auf GOttes Wort und seinen Hauptinhalt: die Lehre von der GOttheit und Versöhnung Christi und von der Rechtfertigung durch den Glauben an Ihn. Wer das lebendig glaubt und dadurch in neuem Leben zu wandeln trachtet, der ist unser Bruder, er sei in welcher Kirche und Partei er wolle. Und mit Allen solchen gemeinschaftlich beten wir um eine immer reichere Ausgießung des heiligen Geistes über die evangelische, über die katholische und über die ganze Christenheit. Das bedarf unsere Zeit, wie die Zeit Luthers. Denn so dankbar wir sind für das herrliche Werk der Reformation, das wissen wir doch alle, dass noch viel fehlt, dass auch in der evangelischen Kirche großes Verderben eingerissen ist durch Unglauben und Fleischlichkeit der Menschen. Da kann allein der rechte Reformator helfen, nämlich der heilige Geist. Er gründe und vollende die Kirche, der das Wort gilt: „ihr seid der Tempel des lebendigen GOttes“, wie denn GOtt spricht: „Ich will in ihnen wohnen und in ihnen wandeln, und will ihr GOtt sein und sie sollen mein Volk sein.“ Amen.