Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Siebente Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Siebente Predigt.

Ich weiß, an wen mein Herz sich hält,
Kein Feind soll mir ihn rauben;
Als Bürger einer bessern Welt,
Leb' ich hier nur im Glauben.
Dort schau' ich, was mein Herz hier glaubt.
Wer ist, der mir mein Erbtheil raubt?
Es ruht in Jesu Händen.

Wir gehören zweien Welten an, der irdischen und der himmlischen Welt; wir sind nicht nur Erdenbürger, wir sind auch Himmelsbürger, wie die Schrift sagt: Unser Bürgerrecht ist im Himmel. Versäumt denn nicht die eine dieser beiden Welten über der andern; seid nicht Erdenbürger, als wäret ihr keine Himmelsbürger, wie Viele thun, die Herz, Sinn und Werk nur auf das Irdische und Vergängliche richten, die, so lange sie auf der Erde leben, auch nur für die Erde leben. Aber seid auch nicht Himmelsbürger, als wäret ihr nicht zugleich Erdenbürger, wie Viele thun, die Herz und Hand gänzlich dieser irdischen Welt entziehen, mögen sie nun ihr Haus zu einem Kloster, oder ein Kloster zu ihrem Hause machen. - Aber kann man zugleich Bürger zweier Welten sein, und doch in beiden zugleich seine Bürgerpflicht erfüllen? Etliche, die bloß von einem Diesseits wissen wollen, sagen: „die für den Himmel leben, die sind für diese Welt verloren.“ - Ja! wenn ihr die Ungeduldigen meint, denen bei ihrer Sehnsucht nach der endlichen Erlösung das irdische Leben zu lange währt, und die mit weltverachtendem Herzen die Erde für nichts anderes ansehen, als für ein Jammerthal und eine Mördergrube, von der sie sich zurückziehen, soweit es irgend möglich ist! Aber dann läßt sich auch mit Wahrheit sagen: die für die Welt leben, die sind für den Himmel verloren. Gott hat beide Welten, die irdische und die himmlische, so in einander gebaut, daß man für keine dieser beiden auf die rechte Weise leben kann, wenn man nicht zugleich für beide lebt. Seid himmlisch gesinnt, sonst ist Alles, was ihr thut, ein in sich nichtiges und verlorenes Werk; aber wirket auch mit allem Fleiß die Werke, die euch Gott in diesem Leben zugewiesen hat, sonst ist euer himmlischer Sinn ein Stern, der keinen Boden hat, den er erleuchten, erwärmen und fruchtbar machen kann. Wollt ihr ein Beispiel sehen von einem Manne, der beiden Welten gerecht wird, dieser und der zukünftigen, so blickt auf den Apostel Paulus hin. Hört, wie seine Worte in unserm heutigen Texte lauten:

Phil. 1. V. 21 - 26:
Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. Sintemal aber im Fleisch leben dienet mehr Frucht zu schaffen, so weiß ich nicht, welches ich erwählen soll. Denn es lieget mir beides hart an. Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, welches auch viel besser wäre: Aber es ist nöthiger, im Fleisch bleiben um euretwillen. Und in guter Zuversicht weiß ich, daß ich bleiben, und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude des Glaubens, auf daß ihr euch sehr rühmen möget in Christo Jesu an mir, durch meine Zukunft wieder zu euch.

Der Apostel gibt den Grund an, weshalb er so freudig sei, beides, nach Gottes Willen zu leben und zu sterben, und warum er so gewiß und zuversichtlich hoffe, daß er in keinerlei Stücke werde zu Schanden werden, sondern daß beides, Leben und Tod, wie Gott zur Ehre, so ihm selbst zum Besten dienen werde. Lebt er, so muß es ja zur Verherrlichung Gottes und zu seiner eigenen Freude dienen, weil Christus seines Lebens Leben ist; stirbt er, so kann es ihm selbst nicht zum Schaden gereichen, weil Sterben ihm Gewinn bringt. Es ist also seiner Feinde Bemühen, zu seinen Banden neue Trübsal hinzuzubringen, ganz umsonst. Laßt uns nun aus unserm Texte das schöne Band kennen lernen, welches die christliche Hoffnung zwischen Erd' und Himmel knüpft.

Des Christen Hoffnung, wir betrachten sie

  1. nach der Bereitwilligkeit, zu sterben, und
  2. nach der Bereitwilligkeit zu leben, womit sie uns erfüllt.

O pflanze in unser Herz diese schöne Hoffnung, die uns nicht nur mit einer himmlischen Sehnsucht erfüllt, wonach wir den Tod, wenn er kommt, willkommen heißen, sondern die uns auch den Muth und die Bereitwilligkeit gibt, mit Freuden unser Werk auf Erden fortzusetzen, so lange es dir, lieber himmlischer Vater, wohlgefällt.

1.

Die christliche Hoffnung erfüllt uns, für's Erste, mit der Bereitwilligkeit, ja mit der Sehnsucht, zu sterben. Wir hören's ja aus dem Munde des Apostels, wie sehr er sich auf seinen Abschied freut und wie sehr er sich darnach sehnt. Betrachten wir nun diese in der christlichen Hoffnung liegende Sehnsucht, beides, nach ihrem Grund und nach ihrem Ziel. Niemand kann von Herzen sprechen: Sterben ist mein Gewinn, der nicht sagen kann: Christus ist mein Leben. Das eben ist der Grund, worauf die Sehnsucht der christlichen Hoffnung ruht. Es heißt eigentlich nach dem Grundtext: Mir ist das Leben Christus. Alles was ich lebe, das lebe ich nicht nur Christo, als wäre er noch irgendwie von mir geschieden, sondern ich lebe ihn, ihn selbst, so daß Christus meines Lebens Leben ist, wie auch der Apostel anderswo sagt (Gal. 2,20): Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebet hat und sich selbst für mich dargegeben. So kann denn also mein Leben weder Gott Unehre, noch mir Schaden bringen, was auch die Welt wider mich thun oder im Sinne haben mag. Ich für meine Person bin gesichert, mir ist das Leben Christus. - Wollte denn nur Gott, daß es so um unser Aller Leben stände! Was ist doch unser Leben im Fleische, wenn es von Christo geschieden ist! Da ist's eine Schale ohne Kern, eine Wolke ohne Wasser, ein Acker ohne Frucht, ein Leib ohne Leben. Dahin soll es mit uns kommen, daß unser Leben ganz Christo angehört, so daß er unsers Lebens Wurzel, Kraft, Trieb, Wachsthum, Freude, Schmuck und Frucht ist. Was Jemanden innerlich treibt, woran er seine Freude und Lust hat, worauf sein Streben und Thun gerichtet ist, davon sagt man wohl: das ist mein Leben. Der Ehrgeizige lebt der Ehre, der Wollüstige dem Bauch, der Geizige dem Mammon: diese Dinge erfüllen ihr Herz, denn wo des Menschen Schatz ist, da ist auch sein Herz; diese Dinge regieren ihren Sinn, ihre Zunge, ihren Wandel, denn all ihr Sinnen, Reden und Thun ist auf Nichts gerichtet, als auf der Welt Ehre, Genuß und Gut. Ist die Saat Fleischessaat, so ist auch die Frucht Fleischesfrucht: Wie ganz anders aber steht es, wenn dein Leben Christus ist! Siehe, dann wohnt er in deinem Herzen und durchdringt all dein Fühlen, Denken und Thun. Dann ist nicht mehr die Welt deines Herzens Lust und deines Strebens Ziel, sondern wie jener Kaufmann Alles verkaufte, was er hatte, um eine köstliche Perle zu bekommen (Matth. 13), so hast du den Sinn für die Welt aufgeopfert, um nur Christum zu gewinnen. Die Welt ist dir gekreuziget, und du der Welt. Und diese Gemeinschaft mit Christo prägt sich nun in allen Bewegungen deines Innern und in allen deinen äußern Bewegungen ab. Du redest nicht anders, als ob Christus aus dir redete, du wirkst nicht anders, als ob Christus durch dich wirkte, wie er denn auch wirklich thut. Wie Er bist du sanftmüthig und von Herzen demüthig. Wie Er bist du die Liebe, die Freundlichkeit und Gütigkeit gegen alle Menschen. Wie Er gehst du umher in dieser Welt und thust wohl. Wie Er wirkst du die Werke des Vaters im Himmel, so lange es Tag ist, ehe die Nacht kommt, da Niemand wirken kann. Wie Er gibst du Andern ein Beispiel und lässest dein Licht vor ihnen leuchten, daß sie deine guten Werke sehen und deinen Vater im Himmel preisen. In Summa, dein ganzes Leben in der Welt, innerlich und äußerlich, ist Er, und ist so von ihm erfüllt, wie wenn Eisen vom Feuer durchglüht und durchdrungen ist.

Das ist nun der Boden, worauf die christliche Hoffnung steht. Kannst du mit Paulus anfangen: Mir ist das Leben Christus, so kannst du auch mit Paulus fortfahren: und das Sterben ist mir Gewinn. Für ein Weltohr mag das sonderbar klingen. Sollte man nicht eher sagen: Sterben ist Verlust? Der Tod führt ja den Namen „König der Schrecken,“ und wer hat ihn nicht gesehen unter dem Bilde eines Schnitters ohne Fleisch und Blut, der die Sense in der Hand hat, womit er kommt, um von dem Acker des Lebens Alles, was an Lust, Ehre und Gut darauf steht, abzuschneiden! Muß denn nicht der Todestag eines Menschen ein bitterer, herber Tag heißen, wo die Feinde um ihn sind wie um ein belagertes Jerusalem, eine Wagenburg schlagen, ihn belagern, ängstigen, schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen? Ja! der Tod, mit den Augen des natürlichen Menschen angesehen, ist nichts als Verlust; aber sieh ihn an als ein Mensch, dessen Leben Christus ist, sieh ihn also mit den Augen des Glaubens an, so verliert er die Gestalt, die er von Natur hat, und wird herrlich und schön; so hört er auf, Verlust zu sein, und wird Gewinn. Es ist mit dem Tode wie mit einer Wolke, die zwar an sich dunkel ist und den verderblichen Strahl in sich birgt; aber fällt der Sonnenstrahl auf sie, so wird aus ihr ein goldenes Abendgewölk, und ist's gar die Himmelfahrtswolke, in der Christus ist, so wird sie eine Lichtwolke, die den, welchen sie aufnimmt, gen Himmel führt. Was kann dir der Tod nehmen, wenn du Christi Eigenthum bist? Das Leben? Nimmermehr! Der Tod ist dann nicht das Ende, sondern der Anfang deines Lebens. Denn weil Christus dein Leben ist in der Zeit, so muß er auch dein Leben sein in der Ewigkeit. „Ihn rühret der Tod nicht mehr an: wie kann er denn dich anrühren, da Christus in dir lebt? Er war todt, und siehe, nun ist er lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit, und hat die Schlüssel der Hölle und des Todes, ist Quelle, Fürst und Herzog des Lebens. Wie nun ein Zweig seines Lebens Kraft und Saft einzig und allein aus dem Stamme nimmt, woran er wächst, und daher, so lange der Stamm gut und gesund ist, leben und grünen muß: siehe, mein Christ, so bist du in Christum als in den ewigen Lebensbaum gepflanzt, und wie sollte denn der Tod dir das Leben nehmen können? Er kann nicht einmal deinen Leib zerstören, sondern derselbige wird gesät wie ein Samenkorn, und was verweslich ist, daraus wird ein Unverwesliches, und was Schwachheit ist, das wird Kraft, und was natürlich ist, das wird geistlich (1 Cor. 15). Kann man doch Stroh so zurichten, daß es im Feuer nicht verbrennt, und Glas so zurichten, daß es nicht zerbricht, ob es gleich auf die Erde fällt: wie sollte denn Christus, der in dir lebt, nicht aus dem Verweslichen an dir ein Unverwesliches, und aus dem Sterblichen ein Unsterbliches, und aus dem Natürlichen ein Geistliches und Himmlisches machen können? Sei dein Leben nur Christus, so ist dein Sterben auch Gewinn. Und das gilt ebenfalls von allem Andern, was du außer deinem Leibe hier auf Erden hast. Ist's denn Alles so köstlich, daß du den Tod zu fürchten hättest? Ich meine doch, daß unser Leben, selbst wenn es köstlich ist, Mühe und Arbeit ist. Wenn David ansiehet alle seine Noth, die er auf Erden hat, so wünscht er sich Flügel und spricht: Ach, hätte ich Flügel wie Tauben, daß ich flöge: siehe, so wollt ich mich ferne weg machen, ich wollte eilen, daß ich entrönne dem Sturmwind und Wetter (Psalm 55). Es ist ja immer Kampf in unserm Leben, davon freilich tausend Weltkinder nichts wissen, weil sie mit dem Weltstrome schwimmen; aber ein Christ, der gegen diesen Strom schwimmen soll, der lernt den Kampf kennen, den heißen Kampf, den er mit der Welt außer sich und mit der Welt in sich zu kämpfen hat.

Daher kein Wunder, daß er solche Bereitwilligkeit und Lust zu sterben hat! Wonach verlangt ihn denn? wonach sehnt er sich? Paulus sagt: Ich hege das Verlangen aufs Abscheiden und bei Christo sein, denn das ist um Vieles besser. Also der Apostel wünscht zu sterben? Ja, wenn er für sich alleine stände, und es bloß auf ihn ankäme, so möchte er lieber „die Anker lichten“ und abfahren, als noch länger hier gehalten werden. Das Abscheiden im Grundtexte bedeutet eben die Anker lichten und abfahren. Daß er diese Sehnsucht hat, davon gibt er den Grund an: „es ist um Vieles besser.“ Das ist nicht geredet in der Ungeduld und in dem Mißmuth vieler Menschen, die, wenn es in ihrem Leben stürmt, sich den Tod wünschen und wohl gar den Tag ihrer Geburt verfluchen. Nein, Christen, aus Paulus redet die stille, Gott ergebene Hoffnung, die nicht klagt, nicht weint, nicht stöhnt, nicht die Hände ringt, nicht mit bittern Klagen den Himmel bestürmt; sondern ihre Wege getrost dem Herrn befiehlt, nur daß sie mit herzlichem, freudigen Verlangen hinblickt auf ihr schönes Ziel. Es ist ihr nicht bloß um das Abscheiden zu thun, sondern um das Bei Christo sein. Steht denn Beides so nahe an einander? Ja, dem Apostel ist das Abscheiden die Schwelle; tritt er über diese Schwelle, so weiß er, daß er sofort bei Christus ist. Es ist dieselbe Hoffnung, die auch ein Stephanus hatte, da er sterbend rief und sprach: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf! Auch anderswo redet der Apostel wie in unserm Text (2 Cor. 5): Wir sind getrost und haben vielmehr Lust außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn. Den Leib siehet er an als eine Wand, die ihn von Christo, wenn auch nicht innerlich, doch äußerlich scheidet, und als den Vorhang, der das Heilige seines innern Lebens von dem Allerheiligsten der ewigen seligen Gemeinschaft mit Christo trennt. Wessen Leben Christus ist, der kann nicht anders glauben, als daß der Tod ihn sofort zu Christo führt. Ist Christi Abscheiden ein Gehen zum Vater gewesen, wie sollte dann unser Abscheiden nicht ein Gehen zu Christo sein? Es liegen nicht Jahre oder gar Jahrtausende zwischen des Christen Tod und seinem Kommen zu dem Herrn, sondern alsbald, wenn er abscheidet, ist er auch bei dem Herrn. Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben, von nun an, das heißt, gleich von der Stunde ihres Abscheidens an, sagt Johannes (Offenb. 14, 13), daher auch der Heiland zu dem, der neben ihm am Kreuze hing, sprach: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. O, muß das nicht alle Bitterkeit des Todes vertreiben für alle, die mit Christo durch das Band des Glaubens verbunden sind? Du könntest dich noch vor dem Sterben fürchten, ja könntest selbst nur zweifelhaft sein, was besser sei, leben oder sterben, wenn du weißt, daß dich der Tod zu dem bringt, der dein Leben, dein Friede, deine Freude, dein Alles ist? Lieber Heiland, präge doch diesen Trost tief in unser Aller Herzen, daß Sterben ein Kommen zu dir ist, so muß uns ja wohl sein bei dem Gedanken an den Abschied von der Welt, und immer größer muß unsere innere Freude werden, je näher die Stunde rückt, wo die Scheidewand abgebrochen wird, die uns äußerlich noch von dir scheidet. Bei dir sein, wie wir einst bei dir sein werden, wenn alle Thränen aus unsern Augen getrocknet sind, und nun unser Lebensbaum in der vollen Pracht seiner ewigen Herrlichkeit auch äußerlich dasteht; bei dir sein, um nimmer wieder von dir geschieden zu werden, wie du ja auch selber sagst: Ich will euch zu mir nehmen, und ihr werdet euch freuen, und eure Freude wird Niemand von euch nehmen: - das ist ja ein so schönes Ziel unserer Hoffnung, daß alle Herrlichkeit der Welt dagegen verschwindet, wie die Sterne ihren Glanz verlieren im Sonnenlicht.

Das ist die schöne Christenhoffnung in ihrer stillen, heiligen Sehnsucht nach dem Herrn. Was sollen wir nun sagen von allen denen, welchen diese Sehnsucht fehlt? Es gibt ja so Viele, die kaum eine Ahnung haben von der Herrlichkeit dieser Hoffnung. Am tiefsten unter diesen allen stehen die, welche mit ihres Herzens Lust und Verlangen in den Genüssen der Welt sich wälzen wie Säue im Koth. Die ihr das Lied singet: Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt; die ihr in der Wollust und in guten Tagen euren Himmel habt; die ihr eure Kniee vor dem Mammon beuget und zu ihm sprechet: du bist mein Trost; Summa, alle ihr, die ihr keine besseren Freuden und Güter kennt, als die Freuden und Güter dieser Welt: o wie arm seid ihr, wie unendlich arm! Setze man doch ja nicht auf euren Leichenstein die Worte: Sterben ist mein Gewinn, oder: Ich habe Lust abzuscheiden, denn weil euer Leben nicht Christus ist, so kann ja auch euer Sterben nicht Gewinn und Freude sein. - Aber es gibt Andere, die nicht wie ihr fleischlich gesinnet sind, und denen gleichwohl die schöne Sehnsucht der christlichen Hoffnung fehlt. Das sind die, welche bei einem ehrbaren Leben ihrem irdischen Berufe nachgehen, aber auch mit allem Fühlen, Denken, Streben völlig aufgehen in den Werken ihres irdischen Berufs. Ihnen ist das irdische Leben nichts als Arbeit und Thätigkeit; sie lassen sich's sauer, zum Theil blutsauer werden und wirken für die Ihrigen und für Andere Werke, die, wenn man sie äußerlich ansieht, Keiner tadeln kann. Aber sie leben im Diesseits, als wenn es kein Jenseits, leben in der Welt, als wenn es keinen Christus im Himmel gäbe. Sie leben nicht als Fremdlinge und Gäste hienieden, sondern ihr Empfinden, Denken, Reden, Thun gehört ganz der Welt und dem Diesseits an. Begreift ihr nicht aber, wie arm auch diese Leute bei allem Reichthum ihrer Werke sind? Es fehlet ihrem Leben die rechte Würze, das rechte himmlische Salz, welches die Christenhoffnung ist, die so viel Ruhe, Heiterkeit, Freude, Trost in das irdische Leben bringt. Fürwahr, mein Leben ist erst schön, nun es den leuchtenden Stern der Hoffnung über sich hat, der so viel mildes Trost- und Freudenlicht auf dasselbe fallen läßt. Wie wollt ihr, die ihr nur arbeitet, aber nicht hofft, wie wollt ihr Ruhe und Trost hineinbringen in den Gedanken an eure Vergänglichkeit? woran wollt ihr euch halten, wenn der Sturm der Trübsal eure Arbeit unterbricht und euer Schiff mit Wellen bedeckt? wie wollt ihr es anfangen, fröhlich und getrost zu sein, wenn der Tod herantritt, der euch lehrt, daß euer irdisches Thun Stückwerk und euer irdisches Leben ein Schatten ist? Werde doch euer Leben Christus, so wird es verklärt in der Hoffnung, die nimmer zu Schanden werden läßt.

2.

Aber wie ist's nun mit dieser Christenhoffnung? Ist's wirklich wahr, was Etliche sagen, daß, wer diese Hoffnung hat, für die Welt verloren ist? Nein, Christen, sie gibt wohl eine Bereitwilligkeit und Freudigkeit, zu sterben, aber sie gibt auch eine freudige Bereitwilligkeit, zu leben, wenn Gott es will. Das lehrt uns ja das Beispiel des Apostels Paulus. Neben jener Verirrung, da nämlich ein Mensch sein volles Genüge hat an dieser Welt, und daher auch von keiner Sehnsucht nach dem zukünftigen Leben weiß, geht eine andere ganz entgegengesetzte Verirrung her, da nämlich Jemand in seiner sehnsuchtsvollen Hoffnung alle Freude an der diesseitigen Welt verliert, und entweder ganz von ihr sich zurückzieht, oder doch mit Ungeduld auf die Stunde des Abscheidens wartet. Er klagt über dies Leben als über ein Jammerthal, er seufzt über die Sünde und Bosheit der Welt; es ist ihm eine Last, noch länger unter den Menschen zu leben und zu wirken, daher er sich sehnt, daß lieber heute als morgen die Stunde seines Abscheidens schlagen möge. Glücklich schätzt er den Greis, der seinen Wanderstab niederlegt, glücklicher noch das Kind, welches abscheidet, ehe es noch in die Gefahren und Kämpfe dieses Lebens hineingezogen ist. Finden wir nun auch in dem Apostel Paulus einen von Welthaß erfüllten, auf der Weltflucht begriffenen Mann? Nichts weniger als das! Hört ihn selber reden: Sterben, spricht er, ist mein Gewinn. Wenn aber das Leben im Fleische, wenn dieses Frucht des Werkes ist, dann weiß ich nicht, was ich wählen soll.“ Das herrliche, ewige Leben im Geiste ist der Gewinn des Sterbens, den die Hoffnung ihm vorhält. Er sehnt sich darnach, aber ist er nun darum des irdischen Lebens im Fleische satt und wünscht, daß der Herr diese Last von ihm nehme? Nein, es steht ihm sein apostolisches „Werk“, sein apostolischer Beruf vor Augen, dazu ihn der Herr erwählet hat. Das Evangelium sollte er verkündigen, Christi Namen sollte er unter die Menschen tragen, und so „Frucht“ schaffen sonderlich unter den Heiden (Röm. 1,13). Könnte nun ein längeres Leben solche Werkfrucht werden oder schaffen, so weiß er nicht, was er wählen soll. Auf beiderlei Weise wird ja Christus verherrlicht, sowohl wenn er am Leben bleibt und durch sein Wirken in der Welt Früchte schafft, als auch wenn er mit einem christlichen Märtyrertod sein Leben beschließt. Wofür soll ich mich also entscheiden? fragt er. Ich weiß es nicht. Festgehalten werd' ich vielmehr von Beidem her, sowohl von dem Gewinn, den mir das Sterben verheißt, als auch von der Frucht, die ein längeres Leben in Aussicht stellt. Ich will das Eine so gern als das Andere. Gerne will ich sterben, sollte es auch durch das Schwert der Römer sein, da es Christo eine Ehre ist und mir Gewinn. Gerne aber will ich auch leben, wenn gleich unter viel Kampf und Trübsal, da ich ja dann fortfahren kann, das köstliche Amt zu treiben, welches die Versöhnung predigt. Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, denn es ist - bloß auf mich gesehen - viel besser. Das Bleiben im Fleische aber ist nothwendiger um euretwillen, wie auch um der übrigen Gemeinden willen. Eines muß ja sein; bleib' ich nicht unter euch, so muß ich den Weg des Sterbens gehn; sterbe ich nicht, so muß ich den Weg meines irdischen Berufes gehn. Aber diese letztere Nothwendigkeit ist nach Gottes Rath die stärkere. Ich könnte mich ja darin irren, denn welcher Mensch weiß Gottes Rath? aber nach dem Stand meiner Sache in Rom, wie nach meiner reichen Erfahrung in den Wegen Gottes, und wenn ich die Liebe des Herrn erwäge, die auf die Noth der Kinder sieht, muß ich glauben, daß Gott mein Bleiben beschlossen hat und dies, zuversichtlich annehmend, weiß ich, daß ich am Leben bleiben und mit euch allen zusammen bleiben werde zu eurer Förderung im Glauben und zu eurer Freude im Glauben. Die schöne Gemeinschaft, worin ihr mit dem Herrn steht, soll noch gestärkt werden durch mich, und so eure Freude darüber wachsen, daß ihr fest im Glauben steht. Euer Glaube soll zunehmen und mit dem Glauben eure Glaubensfreudigkeit, damit in Folge dessen euer Ruhm reichlich werde in Christo Jesu an mir durch meine Hinkunft wieder zu euch. Ich sage „an mir“, nicht als wollte oder sollte ich der Grund und Gegenstand eures Rühmens werden; nein, das Wort soll bloß bedeuten, daß ich mittelst meiner Rückkehr zu euch die Veranlassung eures Ruhmes werden soll. Euer Ruhm ist Christus und beruhet „auf der Gemeinschaft“ mit ihm. Wird nun diese durch mich gestärkt, so muß ja auch euer Rühmen und Preisen der Gnade Christi zunehmen an Innigkeit und Wärme. Und darum werde ich bleiben und wieder zu euch kommen.

Christen, da habt ihr nun das Wort des Apostels gehört. Ob seine Erwartung in Erfüllung gegangen ist? Man kann wohl nach unserm Text, zumal wenn man ihn mit den beiden Schlußversen in der Apostelgeschichte vergleicht, mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß er wieder befreit worden ist aus seinen Banden und erst in einer spätern, zweiten Gefangenschaft den Herrn durch seinen Märtyrertod verherrlicht hat. Er schwankte in der Wahl zwischen Leben und Sterben, und Gott hat Beides gegeben. Aber was viel wichtiger noch für unsere Betrachtung ist: seht hier den Mann, der, wie groß auch die Last seiner Trübsal und wie groß seine Sehnsucht ist, bei Christo zu sein, doch mit all seinem Hoffen und Sehnen sich freudig unter den Rath und Willen Gottes stellt. Lernt von Paulus, wie es um die wahre christliche Hoffnung steht. Sie ist eben so bereitwillig zu bleiben, als sie bereitwillig ist zu gehen. Sie blickt mit Sehnsucht auf die höhere, himmlische Gemeinschaft mit dem Herrn, aber mit derselben Wärme umfaßt sie den irdischen Beruf. Sie spricht: Mich verlangt abzuscheiden, aber wiederum spricht sie: Mich verlangt zu bleiben um euretwillen. Es kann ja einem Kämpfer, wie Paulus war, nicht zweifelhaft sein, was für ihn das Beste wäre. Gefesselt, wie er war, angefeindet von Menschen, die zu seinen Banden neue Trübsal zu bringen suchten, nach hundert Gefahren und Leiden, die er bestanden und noch fortwährend zu bestehen hatte: konnte er da noch zweifelhaft sein, ob Abscheiden oder Bleiben für ihn das Beste sei? Aber dennoch ist er still in Gott, dennoch fern von aller Ungeduld, dennoch opfert er die heißesten Wünsche seines Herzens der Liebe zu seinen Brüdern und zu seinem Beruf. Es ist nichts irdisches, das ihn noch an die Welt fesselt, kein sinnlicher Genuß, kein vergängliches Gut; nur allein das Verlangen, noch etwas zur Förderung des Reiches Gottes zu wirken, hält ihn hier in der Fremde, und mit Freuden will er auch ferner arbeiten, kämpfen, leiden für Andere. Christen, lernt von Paulus, wie ihr hoffen sollt. Christus soll euer Leben, euer Schatz, und euer Herz bei diesem Schatze sein. O, daß kein Tag in eurem Leben wäre, wo nicht euer Herz spräche: Ich wünsche bei Christo zu sein! Und diese Hoffnung soll euch erfüllen mit Geduld und Ergebung in den Willen Gottes unter allen Trübsalen und Kämpfen dieser Welt. Diese Hoffnung soll euer Leben verklären und euch mit einer heiligen Liebe zu eurem Beruf erfüllen. Euer Heil ist euch gewiß, wenn ihr fest im Glauben bleibet, und es ist ein unaussprechlich schönes Heil. Nun aber sei eure einzige Sorge die, wie ihr, ein Jeglicher in seinem Beruf, noch Gutes thun und in der Welt Segen stiften möget zur Ehre Gottes.

Herr, du hast nach deinem Streit
Dich zu Gott emporgeschwungen.
Mein ist deine Herrlichkeit,
Durch dein Kreuz auch mir errungen.
Wer, wie du, mein Jesu, hier
Kämpft, der erbet dort mit dir.

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