Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Vierte Predigt
Erleucht' uns, Herr, mit deinem Licht,
Und laß das Fleisch, die Welt, uns nicht
Von deiner Gnade trennen.
Vollführ' in uns dein Gnadenwerk,
Erkenntniß gib und Glaubensstärk',
Lehr' uns dich recht erkennen,
Und uns stetig
Hier bestreben,
Dir zu leben,
Bis wir sterben
Und mit dir das Reich erwerben.
Viele stellen die Frage: Was soll ich thun? weit zurück hinter die Frage: Was soll ich glauben? als ob, wenn nur Jemand den rechten Glauben hat, dann die Unterscheidung zwischen dem, was gut und schlecht, was zu thun und zu lassen sei, nicht die mindeste Schwierigkeit mehr habe. Der Glaube, meint man, trage jene Unterscheidung in sich und leite den Christen so sicher, daß er vom Glauben aus unmittelbar und in allen Vorkommenheiten des Lebens auch wisse, wie er sich zu verhalten habe und darin kaum einem Irrthum unterworfen sei. Nun ist es freilich wahr, daß, wer nur den lebendigen Glauben an Jesum Christum in sich trägt, an diesem Glauben gleichsam den himmlischen Compaß hat, der ihn vor Klippen des Irrthums vorüberführen, und sein Schifflein wohlbehalten in den Hafen des seligen Lebens bringen wird. Denn er ist ja eine neue Creatur, ist errettet von der Obrigkeit der Finsterniß, ist erfüllet mit Liebe zu Gott und Christo, und wie sollte er nun nicht den Unterschied kennen zwischen Licht und Finsterniß, zwischen Werken des Tages und Werken der Nacht? Aber dennoch wird die Frage: was gut und was schlecht, was zu thun und was zu lassen sei, auch für ihn der sorgfältigsten Untersuchung und Prüfung bedürfen, und er wird oft genug in seinem Urtheil und in seiner Wahl irren. Es ist ja, so lange wir in der Welt leben, ein beständiger Kampf zwischen Geist und Fleisch in uns, und zwischen Himmelreich und Welt außer uns. Mit beiden, Welt und Fleisch, stehen wir immer in Verkehr, und wie vorsichtig und bedächtig wir auch sind, so täuschen sie uns gleichwohl so oft und haben auf unser Urtheil und unsere Wahl einen solchen Einfluß, daß wir nicht selten für recht halten, was doch unrecht ist, und daß wir meinen, wir gehen den rechten Weg, da wir doch auf einem Abwege sind. Jemand stellt seinem Freunde vor, wie verwerflich der Fleischliche Zorn und wie viel verwerflicher noch die Rache sei. Er holt alle Beweise herbei aus dem Evangelium, um den Freund zu überzeugen. Kaum hat er sich entfernt, so trifft er mit einem Manne zusammen, der ihn unfreundlich anredet und ihn durch bittere Rede kränkt. Da fängt in dem Gekränkten das Blut an zu wallen, er geräth in Zorn, schilt und tobt. Wird er nun nicht bald bereuen, was er gethan, und sich anklagen wegen seines fleischlichen Eifers? Nein! er behauptet, er habe recht gehandelt, und bringt dasselbe vor zu seiner Entschuldigung, was er erst vor einer halben Stunde mit so großem Nachdruck bei seinem Freunde widerlegt hat. - Wie Mancher meint für die Sache Gottes zu eifern, da doch sein Eifer Unverstand und zum großen Theil die Eingebung seines Fleisches ist! Unvermerkt verwechselt er seine Ehre mit Gottes Ehre und seine Sache mit Gottes Sache! Das ist aber nur Ein Fall von hundert Fällen, wo wir von unsers Fleisches Willen betrogen werden. Darum muß nun das Wachsthum des Christen nicht zum geringsten Theile eben darin bestehen, daß wir suchen den Willen Gottes immer genauer kennen zu lernen, damit wir in der Wahl zwischen dem, was zu thun und was zu lassen ist, nicht irren, und solche Erkenntniß uns sicher leite auf der Bahn der Heiligung. Das ist es, was uns heute der Apostel Paulus an's Herz legt.
Phil. 1, V. 9-11. Und um das bete ich, daß eure Liebe je mehr und mehr reich werde an Erkenntniß und aller Erfahrung, daß ihr prüfen möget, was das Beste sei, auf daß ihr seiet lauter und unanstößig bis auf den Tag Jesu Christi, erfüllet mit der Gerechtigkeit Frucht, die durch Jesum Christum gewirket wird, zu Ehre und Lobe Gottes.
Versetzt euch, um diese Worte zu verstehen, in die Lage der Philipper. Sie waren eine junge christliche Gemeinde, zum Theil aus Juden-, zum Theil aus Heidenchristen bestehend. Da ging es nun, wie es noch immer mit Neubekehrten zu gehen pflegt, die, wenn auch von Neuem geboren, damit den alten Menschen und die Welt noch nicht überwunden haben. Die Wiedergeburt ist ja nicht das Ende, sondern nur der Anfang des Kampfes. Die erste Liebe war da bei den Philippern, also der von Gott gelegte Grund eines christlichen Lebens. Aber der Jude wie der Heide hatte seine alten Vorurtheile, Sitten und Gebräuche mit sich herübergenommen, die, soweit sie dem Christenthum widersprachen, überwunden und abgethan werden mußten. Die alten Verbindungen dauerten fort, der bekehrten mit den unbekehrten Juden, der bekehrten mit den unbekehrten Heiden, ja Mancher hatte die alten Genossen und Freunde nicht nur in der Nachbarschaft, sondern sogar in seinem eigenen Hause und in seiner eigenen Familie. Wie haben sich denn nun die bekehrten Juden und Griechen gegen einander, wie haben sie sich beide gegen die zu verhalten, die noch Heiden sind? Wie soll der Verkehr und Umgang sein? Was von dem Alten darf beibehalten, was muß abgethan werden? Wie hat sich der junge Christ in jedem besondern Falle zu verhalten, wie zu reden, wie zu handeln, was zu lassen, was zu thun? In der That, jemehr man sich in die Lage der Philipper versetzt, desto mehr sieht man ein, wie sehr es bei ihnen eben auf die Erkenntniß des Willens Gottes ankam, und zugleich auf die Kraft, nach dieser Erkenntniß einen lautern und tadellosen Wandel zu führen und reich zu sein an Frucht der Gerechtigkeit. Kein Wunder, daß der Apostel darum, darum ganz besonders für sie betete. Wachsen sollten sie von ihrem innern Leben aus in der Erkenntniß, und von der Erkenntniß aus wieder in der Reinheit und Fruchtbarkeit des Lebens. Laßt uns dies Wachsthum etwas näher betrachten,
das Wachsthum wiedergeborener Christen,
welches sein soll 1. ein Wachsthum der Erkenntniß aus dem Leben, und 2. ein Wachsthum des Lebens aus der Erkenntniß.
Ach, Herr, wir rühmen uns nicht, schon alt und reif zu. sein in unserm Christenthum, und bedürfen's daher, daß du bei uns Allen die Erkenntniß mehrest, damit dein Wille überall auf unserm Wege unsere göttliche Leuchte sei und wir in diesem Lichte wandeln nach deinem Wohlgefallen. Mehre sie denn, diese Erkenntniß, und durch sie die Reinheit des Wandels und die Frucht der Gerechtigkeit.
1.
Paulus nennt uns in unserm Texte den Grund und Boden der Erkenntniß, nämlich das innere Leben oder die Liebe. Denn wo Liebe ist, da ist Leben, wie wir es an dem Beispiele der Philipper sehen. Woher ihre brüderliche Gemeinschaft und ihr Eifer für das Evangelium? woher ihre Willigkeit, Trübsal zu dulden um der Gerechtigkeit willen und die Wahrheit zu vertheidigen und zu bekräftigen mit Wort und That? Alles ging aus der christlichen Liebe hervor. Es war das durch das Evangelium geknüpfte Band des Herzens, das sie mit Gott und unter sich vereinigte, Dank gegen ihren Erlöser, Freude an dem, durch dessen Gnade sie neue Menschen geworden waren, Eifer für seine Sache, Lust an seinem Werk. Von dieser Liebe aus sollten sie nun auch wachsen in der Erkenntniß Gottes und seines heiligen Willens. Beide, Liebe und Erkenntniß, müssen beisammen sein. Fehlt der Erkenntniß die Liebe, so verfehlt sie des rechten Weges. Wie Viele, die voll sind von Wissensdunst und der Wahrheit mit Eifer nachspüren auf allen Wegen, gerathen gleichwohl in die Sümpfe des Unglaubens und verwüsten den Acker des Evangeliums, statt ihn zu bauen, weil ihnen die Liebe zu dem Erlöser fehlt! Wäre ihr Herz so voll Anhänglichkeit an den Herrn, als ihr Kopf voll Wissens ist, wie reich wären sie dann an Wahrheit! Aber das Maß des Wissens ist nicht immer auch das Maß der Wahrheit. Die Wahrheit hat ihren Mittelpunkt in Christo, welcher spricht: Ich bin die Wahrheit; Christum aber muß man lieben, wenn man ihn recht erkennen will. Doch gesetzt auch, Jemand hätte bei seinem Wissen den Glauben, aber dem Glauben fehlte die rechte Lebendigkeit und Wärme der Liebe: was wäre seine Erkenntniß? Eine eitle, unfruchtbare Speculation, die nicht zur Demuth, sondern zum Hochmuth führt. Das Wissen blähet auf, aber die Liebe bessert (1 Cor. 8,1). Wenn ich alle Geheimnisse wüßte und alle Erkenntniß und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts (1 Cor. 13). Darum muß die Liebe der Acker sein, worauf die Erkenntniß in himmlischen Dingen wächst. Aber die Liebe soll auch nicht bleiben ohne die Erkenntniß. Das Herz allein, wenn es auch warm für Gott und den Heiland schlägt, führt uns ohne die Leuchte der Erkenntniß nicht sicher auf unserm Lebenswege. Es ist wahr was Jemand sagt: „Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth;“ aber es muß die Einfalt sein, die zugleich offene Augen für die Wahrheit hat und einen lebendigen Trieb, sich ihres innern Reichthums klar bewußt zu werden. Mit bloßem Gefühl und dunkelm Trieb, auch wenn er die Wärme der christlichen Liebe hätte, reicht man nicht aus, zumal wenn es gilt, das Evangelium zu vertheidigen und zu bekräftigen, und nicht selten geräth man damit sogar auf Abwege. Mancher, in dessen Herzen das Feuer der ersten Liebe brannte, ging munter an das Werk; er wollte für seinen Heiland Viel, er wollte Alles thun; aber weil es ihm an Klarheit der Erkenntniß, und an Reife der Ueberlegung fehlte, so wußte er den Wagen seines Wandels nicht richtig zu leiten, und oft erlosch sein Eifer eben so schnell, als er aufgelodert war. Da trat denn Kälte an die Stelle der Wärme, und er bereute nicht selten mit Thränen, was er im Sturm des innern Drangs begonnen hatte.
Die Liebe darf also nicht bleiben ohne die Erkenntniß, die ihr den Weg weisen soll. Ich bete, spricht der Apostel, daß eure Liebe mehr und mehr noch reich werde an Erkenntniß. Sie war schon reich, denn: ohne alle Erkenntniß ist die Liebe Christi nicht einmal denkbar; wie kann man lieben, was man gar nicht kennt? Niemand wird ein Christ, dem nicht die Augen aufgethan werden über seine Armuth und über den Reichthum Gottes, und wenn er anfängt den zu lieben, der ihn zuerst geliebet hat, so fängt er damit auch an, den zu erkennen, der ihn zuerst erkannt. Zudem waren: ja die Philipper schon an die zehn Jahre und darüber in die Schule Christi gegangen: sollten sie in allen diesen Jahren nicht schon zugenommen haben an Erkenntniß? Aber doch war es nur ein guter Anfang, den der Apostel einen gesegneten Fortgang wünscht. Sage nicht: ich kenne Gott und sein Wort. Kennst du es, so mußt du wissen, daß es nicht nur ein Bach ist, worin ein Lamm waten, sondern auch ein Strom, worin ein Elephant schwimmen kann. Selbst wenn es nur darauf ankommt, zu erkennen, wie du zu wandeln und dich nach Gottes Willen überall im Leben zu halten hast, so hat diese Erkenntniß eine Tiefe, die du nie völlig ergründen wirst. Es gehört dazu nicht bloß dies, daß du Gottes Wort fleißig hörest und lernest; nein, spricht Paulus, es gehört dazu auch das Zunehmen an allerlei Erfahrung. Im Grundtexte steht ein Wort, welches eigentlich „Wahrnehmungssinn“ bedeutet. Der Apostel versteht darunter die durch viel Uebung gewonnene Fertigkeit, in allen Vorkommenheiten des Lebens sicher und unmittelbar zu wissen, was recht und was unrecht ist, was man thun und was man lassen soll. Je erfahrener ein Hausvater, desto sicherer ist er in der Beurtheilung und Wahl dessen, was er thun und lassen soll, und sind schwierige Fragen zu lösen, so mögen Andere rathlos sein oder verkehrte Wege geben: er weiß sofort und hat einen sichern Takt für das, was anzufangen ist. O daß wir auch in unserm. Christenleben immer ein so sicheres Urtheil und einen so richtigen Takt hätten! Beides gewinnen wir durch Erfahrung, wenn sie mit dem Hunger und Durst nach Erkenntniß verbunden ist. Wir gelangen dann dahin, daß wir im Stande sind in allen Fällen die Unterschiede zu prüfen, wie es im Grundtexte lautet, das heißt, zu unterscheiden, was recht und unrecht ist. Solches wissen und dafür den rechten Sinn haben und das rechte Auge, o das ist ein großes Ding! Wie oft irrt darin auch der erkenntnißreiche und erfahrene Christ! Wie oft greift er fehl in der Wahl dessen, was er thun und was er reden soll! Erst durch viel Erfahrung wird er klug. Denn es ist wahrlich nicht genug, daß man die zehn Gebote auswendig weiß! Gottes heiliger Wille, der all unser Denken, Reden und Thun regieren soll, ist kein äußerlicher Buchstabe, der, an die Tafel des Gedächtnisses geschrieben, unser Urtheil und Thun richtig leiten könnte; nein, er ist Geist und Leben, und muß uns innerlich durchdringen und ein innerliches Licht in uns werden, um uns über die oft so schwierigen und feinen Unterschiede aufzuklären. Wie ich mich äußerlich in meinem Beruf zu halten habe, dazu reicht das bürgerliche Gesetz aus und eine äußerliche Instruction, die man mir gibt. Aber Gottes Wille ist kein solches äußerliches Gesetz und Instruction. Wie wäre es auch möglich, uns Alle auf solche Weise zu instruieren, da unser Beruf und Weg in dieser Welt so gar verschieden ist! Es sind ja nicht zwei Christen in der ganzen Welt, die selbst nur an zwei Tagen unter ganz gleichen Umständen lebten und ganz auf dieselbe Weise zu reden und zu handeln hätten. Gehst du nun überall sicher auf deinem Wege und bist in jedem Falle, der dir vorkommt, gewiß, daß du das Beste wählst, und in deinem Reden und Schweigen, in deinem Thun und lassen nicht irre gehst? Lieber, werde nicht müde, die Tiefen des Willens Gottes zu erforschen und zu bitten, daß dir Gott wolle durch Erfahrung geübte Sinne geben zum Unterschied des Guten und Bösen (Hebr. 5,14). Wir Alle sind darin noch mehr oder weniger Kinder, und müssen lernen unser ganzes Leben hindurch, daß wir in dieser Erkenntniß reif und vollkommen werden. Ach, lieber himmlischer Vater, was hälfe mir alle Kunst und Wissenschaft, was hälfe es mir, ob ich auch zu reden wüßte von der Ceder an zu Libanon, bis an den Ysop, der aus der Wand wächst, wenn mir die Liebe fehlte, und in der Liebe die Erkenntniß, und in der Erkenntniß die Unterscheidungsgabe, und die Sicherheit in meinem Urtheil über das, was dein heiliger Wille von mir verlangt? Hundert Irrthümer und Fehltritte finde ich in meiner Vergangenheit, weil ich mich habe blenden und irre leiten lassen von der Welt und meinem Fleisch. Mancher Tag, ja manches Jahr ist verloren gegangen, weil ich für deinen Willen hielt, was doch nur mein eigener Wille war, und wie sehr auch mein Vornehmen und Thun äußerlich gleißen und scheinen möchte, so mußte ich mir doch zulegt bekennen, daß ich auf Irrwege gerathen sei. So ist's im Großen gegangen und im Kleinen ebenso. Denn wie oft urtheilte ich verkehrt über dies und jenes, das mir aufstieß auf meinem Wege, und so sagte ich denn auch und that, was nicht richtig war. Darum bitte ich dich von ganzem Herzen, daß du mich und uns Alle wollest die göttliche Kunst des Unterscheidens lehren zwischen dem, was recht und unrecht, was gut und böse ist.
2.
Wozu aber soll das dienen? Wir treten mit dieser Frage in den zweiten Theil der Predigt. Vom Leben aus soll unsere Erkenntniß wachsen, damit von der Erkenntniß aus wieder unser Leben an Reichthum gewinne. Was hälfe auch eine Erkenntniß, die nicht dazu dienete, Herz, Sinn und Leben zu reinigen und zu bessern? Das Wissen, wenn es nicht solche Frucht schaffte, wäre ja ein todtes Capital. Es ist tausendmal besser, wenig zu wissen, wenn dies Wissen bessert, als Viel zu wissen, wenn dies Wissen ungebessert läßt. Das Christenthum will uns zu einer Erkenntniß führen, die durch und durch praktisch ist. Das aber ist nun die rechte Praxis, wenn euch eure Erkenntniß dazu verhilft, daß ihr seiet lauter und tadellos. Damit wird die eine Seite des christlichen Lebens bezeichnet. Warum hat uns Christus erlöset von der Sünde? Doch nicht, daß wir damit nach wie vor unsern Wandel beflecken sollen! Nein, alles was Sünde oder böse heißt, soll mehr und mehr, wie aus unserm Sinn, so aus unserm Leben heraus. Empfangen wir nun das Licht der Erkenntniß von dem Herrn, so heißt es: lasset das Licht leuchten vor den Leuten! Die Philipper lebten unter Heiden. Da mußten sie vor Allem eine klare Erkenntniß davon haben, wie sie leben sollten, aber geleitet von dieser Erkenntniß dann auch Alles meiden, was ihnen zum Vorwurf gereichen und zur Lästerung des Namens Christi bei den Heiden führen konnte. Es mochten wohl noch oft Verirrungen vorkommen, daß sie unterließen, was sie thun, oder thaten, was sie unterlassen sollten in ihrem Umgang, in ihrem Geschäftsleben und sonstigen Verkehr mit den Heiden. Nun wurde besonders hingeblickt auf sie, wie denn überhaupt die Welt ein scharfes Auge richtet auf diejenigen, die sich „die Heiligen“ nennen. Wehe uns, liebe Christen, wenn wir diesen Namen durch unsern Wandel verunehren wollten! Ich weiß zwar wohl, daß ich dem Tadel der Welt nicht entgehe, wenn ich auch noch so sehr bemüht bin, nach meiner Erkenntniß des Willens Gottes allen Anstoß zu vermeiden; aber tadelt und schilt man mich ohne meine Schuld, so hab ich meinen Trost in dem Worte des Herrn (Mat. 5): Selig seid ihr; wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen; und reden allerlei Uebels wider euch, so sie daran lügen. Aber wie, wenn sie nun nicht daran lögen, sondern das Böse, das sie von mir sagten, wäre wahr? Dann hörte die Seligkeit auf, und ich stände unter der Anklage meines Gewissens, welches zu mir spräche: Wer da weiß Gutes zu thun und thut es nicht, der ist doppelter Streiche werth. Darum, mein Christ, sei vorsichtig bei alle dem, das du thust.„ Meide Alles, was dir zum gerechten Vorwurf gereichen könnte. Du magst Gatte sein oder Vater, Herr oder Knecht oder was du seist, so halte dein Leben und deinen Wandel rein von Sünden, und zwar, spricht Paulus, bis auf den Tag Jesu Christi, bis auf die Zeit der großen letzten Entscheidung, wo der Herr an's Licht bringen wird Alles was im Finstern verborgen ist. Mit den Worten „bis auf“ will dich der Apostel ermahnen zu aller Treue und Beharrlichkeit, daß du einen Tag wie den andern bis an's Ende dich lauter und tadellos halten sollst. Das Wort im Grundtexte kann auch heißen: für - für den Tag des Herrn. Mit diesem „Für“ würden wir dann hingewiesen auf jenen Tag und ermahnt, daß wir doch seiner stets möchten eingedenk sein und so leben, daß wir Freudigkeit haben an jenem Tage.
Aber das Christenleben ist nicht bloß ein Meiden. Von einem guten Acker fordert man nicht nur, daß er rein von Steinen und Unkraut sei, sondern ganz besonders kommt es darauf an, daß er eine reiche Frucht trage. Das ist nun das Andere, was der Apostel von uns fordert: wir sollen wie ein Acker oder Baum erfüllet sein mit der Frucht der Gerechtigkeit zu Ehre und Lobe Gottes. So gehe denn einmal umher auf dem Acker deines Lebens und betrachte die Frucht, die darauf wächst. Ist dein Acker so voll, wie der der Philipper war? Und doch war auch ihr Acker dem Apostel noch nicht voll genug, wie auch sein eigener nicht. Du könntest etwa, wenn du die einzelnen Halme zählen wolltest, eine recht große Zahl zusammen bringen. Wer wäre selbst unter den Sündern und bösen Leuten, der nicht manche gute Werke aufzuweisen hätte, die er gethan? Ja, die Weltkinder pochen eben auf ihre guten Werke, wie der Pharisäer that, da er im Tempel zu beten stand. Aber hüte dich wohl, daß du den Werth deiner Werke nicht zu hoch anschlagest. Es ist auf Zweierlei dabei zu sehen, wie uns Paulus lehrt, auf die Quelle und auf die Fülle. Deine Werke sollen die Frucht sein, die durch Jesum Christum gewirket wird. Das eben unterscheidet ja uns von den Kindern der Welt, daß all unser Thun das Thun Christi ist, der in uns lebt. Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Ist Er nicht der Weinstock, woran wir wie Reben hangen, so sind unsere Werke nur eine gemalte Frucht, worin kein göttliches Leben ist. Sie wachsen aus Eigennutz und andern unlautern Beweggründen hervor, sie sind in Eitelkeit und Hochmuth gehüllt, sie sind Naturprodukte und ein Spiel der Laune und des Zufalls. Setzt dich Gott mit solchen Werken auf seine Waagschale, so bekommst du das Urtheil: Ich habe dich gewogen, aber zu leicht erfunden. Aber wenn Christus in dir lebendig ist mit seiner Gerechtigkeit, die dich nicht bloß rein macht von aller Schuld, sondern dich auch mit seiner Liebe und Tugend erfüllt, dann ist in dir ein lebendiger, göttlicher Trieb, der dich nicht ruhen läßt, du mußt gute Werke thun. Was du dann thust, das ist sein Werk, das er durch dich thut, und ist nicht anders, als ob du sein Fleisch und Blut wärest, dein Herz sein Herz, dein Denken sein Denken, dein Reden sein Reden, dein Thun sein Thun. So muß denn freilich alles, was du thust, zur Ehre und zum Lobe Gottes gereichen, denn Christus kann nichts thun, darin sich nicht Gottes Liebe und Freundlichkeit und Wahrhaftigkeit und Treue, und was sonst göttlich ist, offenbarete. Aber dann sind's auch nicht einzelne gute Werke mehr, die du thust. - Paulus redet im Grundtexte nicht von Früchten, sondern von einer Frucht: - dein ganzes Leben ist, daß ich so sage, wie aus Einem Guß, und das göttliche Leben aus Christo oder die Gerechtigkeit dringet in alle Theile und Punkte deines Wandels bin. Nicht hier ein Weizenkorn und dort eine Distel; nicht hier eine volle Stelle und dort wieder eine leere: nein, der ganze Acker ist allenthalben Ein Grün, das ein fröhliches Wachsthum hat und einer gesegneten Ernte entgegenreift. Da ist die Frucht, die genannt wird Gal. 5: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit, und findet sich in allen Tagen deines Lebens und in allen Stunden jedes deiner Tage. - Nun prüfe dich, ob es so um dein Leben steht, ob es das Leben Christi in dir ist und diese schöne Einheit und Harmonie in allen seinen Bestandtheilen an sich trägt. - Das aber nun ist es, wozu uns die Erkenntniß führen soll, von der oben geredet ist. Unser Leben ein reicher, grüner Acker im hellen Sonnenscheine der Erkenntniß. Wir fühlen wohl Alle, wie sehr es uns noch an Beidem fehlt, sowohl an der Erkenntniß, als auch an dem tadellosen, fruchtbaren Leben, das mit dieser Erkenntniß zusammenstimmt. Aber lasset uns nach diesem Kleinod ringen, und du, alliebender Gott, nimm uns täglich in deine Schule und mache uns reich und immer reicher an Erkenntniß und Frucht der Gerechtigkeit.
Ich irr' in dunkeln Finsternissen,
O Geist der Wahrheit, ohne dich;
Ich, von den Lüsten fortgerissen,
Verlier' in Sünd' und Elend mich,
Doch leuchtet mir dein göttlich Licht:
Verfehl ich deine Wege nicht.
Hilf du mir, Geist der Stärke, siegen!
Gib du mir Weisheit und Verstand!
Laß nicht den Schwachen unterliegen,
Der schon mit dir oft überwand.
Erleichtre, fördre meinen Streit,
Für meiner Seele Seligkeit!