Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Zwanzigste Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Zwanzigste Predigt.

Der Sünde Bahn ist anfangs zwar
Ein breiter Weg durch Auen:
Jedoch ihr Fortgang wird Gefahr,
Ihr Ende Nacht und Grauen.

Wenn uns der Apostel zu einem christlichen Sinn und Wandel ermuntern will, so hält er uns zunächst das Beispiel der Irdischgesinnten vor, und warnt uns, dass wir diesem Beispiel, wie lockend es auch sei, nicht folgen mögen. „Welcher Ende, spricht er, ist Verderben und Verdammnis.“ Ja, lasst es euch gesagt sein, Christen: wie hell und leuchtend auch der Glückstern der Irdischgesinnten sei, so sinkt er doch zuletzt und geht unter, und auf den heiteren Tag folgt eine finstere Nacht. Ihr kennt das Wort des Psalmisten (Psalm 37): Ich habe gesehen einen Gottlosen, der war trotzig und breitete sich, aus, und grünte wie ein Lorbeerbaum; da man vorüberging, da war er dahin, man fragte nach ihm, da ward er nirgends gefunden. - Malt euch einen Himmel auf Erden aus, der voll ist aller irdischen Güter, Freuden und Genüsse; und die darin wohnen, leben wie der reiche Mann im Evangelium alle Tage herrlich und in Freuden, sie sind umgeben von lockeren Freunden, sie essen, trinken, spielen, lachen und treiben Kurzweil, und das nicht bloß fünfzig oder siebzig Jahre hindurch, sondern das Reich, darin sie leben, sei ein tausendjähriges Reich. Aber was hilft ihnen nun diese tausendjährige Herrlichkeit, wenn es endlich hieße: Bis hierher und nicht weiter! und sie hinausgetrieben würden in die äußerste Finsternis! So traut denn nicht dem Glück der Irdischgesinnten, welcher Ende ist Verderben.

Den Irdischgesinnten stellt sodann der Apostel die Himmlischgesinnten gegenüber, und weist uns auf ihren Himmel und auf ihre Hoffnung hin. Die Worte lauten, wie folgt.

Phil. 3, V. 20 bis Kap. 4 V. 1:
Denn unser Wandel ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi, des Herrn, welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, dass er ähnlich werde seine in verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge ihm untertänig machen. Also, meine lieben und gewünschten Brüder1), meine Freude und Krone, besteht also in dem Herrn, ihr Lieben.

Mit einem zwiefachen „Denn“ unterstützt der Apostel seine Ermunterung zu einem himmlischen Sinn und Wandel. Für's Erste weist er uns hin auf den schändlichen Wandel der Irdischgesinnten, deren Ende Nacht und Grauen ist. In unserm heutigen Text aber erinnert er an die Gemeinschaft, worin wir als Christen mit unserem in den Himmel erhöhten Erlöser stehen. Wo Christus ist, unser Haupt, da müssen ja auch wir, seines Leibes Glieder, sein. Er aber ist im Himmel: nun, so sind ja auch wir samt ihm im Himmel und haben dort unser Bürgerrecht, unsere Bürgerschaft. Nicht aber allein dies, sondern, ob wir gleich jetzt noch mit unserm Leib auf Erden wandeln, so wissen wir doch und haben die tröstliche Hoffnung, dass wir auch nach unserer äußerlichen Erscheinung verklärt zu ihm eingehen werden in den Himmel. Muss das nicht ein kräftiger Antrieb für uns sein, einem Paulus und den ihm gleich Gesinnten nachzufolgen? Lasst uns denn näher betrachten: Wie sehr unsere Gemeinschaft mit dem erhöhten Christus uns zu einem himmlischen Sinn und Wandel ermuntert. indem wir nämlich durch ihn

  1. Bürger und
  2. Erben des Himmels sind.

O lehre uns doch bedenken, lieber Heiland, wie hoch wir durch dich erhoben sind und wie viel höher wir noch erhoben werden sollen, damit wir einen Wandel führen, der mit unserm Stand und unserer Hoffnung übereinstimmend ist!

1. Unsere Bürgerschaft ist im Himmel.

Viele gibt es, die mit ihrem Herzen, Sinn, Leben und Streben nicht über diese irdische, sichtbare Welt hinauskommen. Es sind die Irdischgesinnten, denen man's nicht ansieht, dass es ein Himmelreich, einen Himmel gibt. Sie suchen sich, so gut es gehen will, einen Himmel auf Erden zu gründen, der aber nicht den Namen „Himmel“ verdient, sondern eher Hölle heißen müsste. Denn wer herrscht dort? Der Fürst der Finsternis. Nach welchem Gesetz herrscht er? Nach dem Gesetz, das in den Gliedern ist. Was gewinnen sie durch ihn? Güter und Freuden, die vergänglich sind, wie des Grases Blume. Wer sind ihre Mitbürger und Mitgenossen? Die Ungläubigen, die Gottentfremdeten, die samt ihnen auf dem breiten Weg gehen, der zur Verdammnis abführt. - O wie ganz anders steht es doch um uns, die wir mit Christo verbunden sind, wie Reben mit dem Weinstock! Wir sind nicht bloß Bürger dieser irdischen, sichtbaren Welt; nein, wir gehören noch einer andern, höheren Welt an, in unserm Text „Himmel“ genannt. Wäre nicht Christus, so wüssten wir von diesem Ort nichts; nun Er aber auferstanden ist von den Toten und eingegangen in die Herrlichkeit, wissen wir, dass unsere Heimat nicht die Erde, sondern der Himmel ist. Alles, was irgend christlich und evangelisch heißen mag, weist darauf hin. Was wäre die Taufe, in der wir Christi Eigentum werden? was der Altar, wo wir unsern Bund mit ihm erneuern und stärken; was das teure Gotteswort, welches uns den Gekreuzigten und Auferstandenen predigt; was unser Glaube, der ja ein inneres Band ist zwischen ihm und uns; was unser inneres Leben, dieser Bach von himmlischen Kräften, der täglich von ihm auf uns niederrinnt; was unsere Liebe, die ja ihren Schatz nicht unten, sondern oben hat; was unsere Hoffnung, die mit unserm Herzen weit hinweggeht über Alles, was irdisch und vergänglich ist: - was wäre dies Alles, wenn wir dennoch kein anderes Vaterland hätten, als diese Erde, und kein anderes Bürgerrecht, als das irdische! Nun aber müssen wir sagen: wir gehören einer andern, einer höheren Welt an, die unser Text den Himmel nennt, und ob wir gleich mit unseren Füßen auf Erden wandeln, so wohnen wir doch mit unserem Herzen im Himmel. Wenn das aber ist - folgt nicht daraus, dass Alles in und an uns davon zeugen muss, dass wir wirklich Bürger des Himmels sind? Wer noch irdisch gesinnt, wessen Gott noch der Bauch, wessen Wandel noch schändlich wäre, strafte der sich nicht selbst Lügen, wenn er sagen wollte: Mein Bürgerrecht ist im Himmel? -

Aber lasst uns nicht bei diesem Allgemeinen stehen bleiben, sondern den Gedanken „unser Bürgerrecht im Himmel“ nach seinem ganzen Inhalt betrachten. Sind wir Himmelsbürger, wer ist dann unser Herr? Ich meine doch: Er, Jesus Christus, in dessen Namen sich beugen sollen alle Knie derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Wäre Christus nicht unser Herr, so könnte von keinem Himmel und von keinem Bürgerrecht im Himmel die Rede sein; denn Er eben ist es, Er allein, der vom Himmel zu uns auf die Erde gekommen ist, der ihn uns geöffnet hat durch sein Leiden und Sterben, und der, nachdem er das getan, wieder heimgekehrt ist in den Himmel und sich gesetzt hat zur Rechten seines Vaters, damit er uns regiere. Nennst du dich nun einen Himmelsbürger; so erklärst du dich damit für einen Untertan Jesu Christi, und das bist du in Wahrheit nur, wenn du ihm gehorsam bist. Dieser Gehorsam schließt den irdischen Sinn und den fleischlichen Wandel aus, oder kannst du zweien Herren zugleich dienen, Christo und deinem Fleisch, Christo und Belial? Du kannst es schlechterdings nicht, und daraus folgt, dass du als Himmelsbürger gesinnt sein musst, leben und wandeln, wie Er es fordert.

Und hat er dich nun etwa über seinen Willen in Ungewissheit gelassen, so dass du nicht mit Sicherheit wüsstest, wie du dich eigentlich zu verhalten hättest? Mit Nichten! Jedes Reich hat sein Gesetz, worin den Bürgern desselben ihr Verhalten vorgeschrieben ist., Uns als Bürgern des Himmelreiche ist auch ein Gesetz gegeben, wenn ich es so nennen darf: es ist das Evangelium, welches nicht nur von Menschenhand, auf Papier, sondern auch vom Heiligen Geist in unser Herz geschrieben ist.

Was sagt nun dies himmlische Reichsgesetz? Sagt es: sei irdisch gesinnt? mache den Bauch zu deinem Gott? lebe, als ob kein Gott über dir, wandle, als ob kein Gericht vor dir wäre? Das sei ferne! Vielmehr fordert es dich auf und dringt in dich mit aller Macht, dass, falls du noch irdisch gesinnt bist, du sofort Buße tun, glauben, dich bekehren und ein neues Leben in Gott führen mögest. Es zieht dich von der Bahn der Sünde ab und führt dich auf einen Weg, auf dem du Gott vor Augen und im Herzen hast und kein eifrigeres Verlangen kennst, als wie du immer reicher an Erkenntnis, an Liebe, an Tugend werden mögest. Dies Verlangen gestattet dir keinen Stilstand, sondern du vergisst, was dahinten ist, und streckst dich nach dem, das vorne ist, auf dass du es ergreifen mögest. -

So erst kannst du sagen: Mein Bürgerrecht ist im Himmel, und was ist nun der Gewinn, den du davon hast? Ein jedes Reich hat seine Güter, um die sich die Reichsgenossen bemühen; auch der Himmel, dessen Bürger wir sind, muss uns Güter gewähren, und er gewährt sie uns. Was sind das für Güter? Ist es das, wonach die Irdischgesinnten trachten? Ist es Gold und Silber? ist es Essen und Trinken? ist es Spiel und Tanz? sind es Wagen und Rosse? sind es Orden und Titel? ist es Gesundheit, langes Leben, ist es überhaupt das irdische Glück? Nein, als Bürger des Himmels sollst du dich nach andern Gütern umsehen und sie dir zu erwerben trachten. Da ist es Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist; da ist es Vergebung, Leben und Seligkeit; da ist es Liebe, Tugend, Heiligkeit; kurz, da ist es Alles, was einen unschätzbaren Wert und eine ewige Dauer hat. Und das wolltest du für Nichts halten und nur trachten nach dem, das auf Erden ist? O, dann sage nicht: Meine Bürgerschaft ist im Himmel, denn in Wahrheit hast du dann deine Bürgerschaft nur in dieser vergänglichen Welt. Du verdienst es dann nicht, dass die, welche im Himmel unter Christo beisammen leben, dich ihren Mitbürger nennen. Wer sind diese? Soweit der Himmel schon auf Erden ist, sind es die Christen, die im Glauben des Sohnes Gottes leben und einen Heiligen Wandel führen. Man könnte sie die Engel auf Erden nennen, wie man ja nicht selten einen unschuldigen, reinen, liebevollen Menschen einen Engel nennt. Aber es gibt noch andere Engel, die in dem eigentlichen Himmel leben, das sind die, welche Gott und Christo dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Kannst du nun, wenn du ein Irdischgesinnter bist, diese alle, mögen sie auf Erden oder im Himmel sein, deine Mitbürger, deine Mitbrüder nennen? Nein! du stehst ihnen nach deinem Herzen, nach deiner Gesinnung, nach deinem Wandel so fern, wie die Nacht dem Tag steht. Und so siehst du denn, wie sehr dies, dass wir Bürger des Himmels sind, uns zu einem himmlischen Sinn und Wandel ermuntert.

2. Erben des Himmels

Nur durch, einen solchen Sinn und Wandel werden wir fähig, einst auch Erben des Himmels zu werden. Denn, obgleich jetzt schon Bürger des Himmels, sind wir gleichwohl noch nicht, was wir sein werden. Unsere Herrlichkeit, die wir als Christen haben, ist jetzt noch größtenteils verborgen, verdeckt unter der Schwachheit unsers Fleisches und der Eitelkeit dieser Welt, gleich einer köstlichen Perle, die in einer rauen Muschel tief im Meer verborgen ist. Was unsere Herrlichkeit verdeckt und trübt, ist teils der Kampf, worin wir mit Fleisch, Welt, Sünde und Teufel stehen, und wer stände schon so siegreich da, dass nicht noch manche Feinde zu überwinden wären? Sage doch Jeder: Nicht dass ich's schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, dass ich's ergreifen möge. Teils ist, was uns noch vom Himmel trennt, das uns umgebende Äußere, wovon Paulus in unserm Text nur Eines nennt: den Leib unserer Erniedrigung. Warum nennt er ihn so? Weil er, wie alle irdische Kreatur, der Eitelkeit unterworfen ist. Bald nennt ihn daher die Schrift den natürlichen Leib, bald den Leib des Fleisches, bald den Leib des Todes. Können wir, solange wir in diesem Leib wallen, uns schon der Vollendung rühmen? Nein, wir haben, ja eben um dieses Leibes willen noch mit so mancher Schwachheit, mit so mancher Sorge, mit so manchem Schmerz zu kämpfen, und unterliegen mit dem Leibe zuletzt gar dem Tod. Wie nun? diesen Leib der Erniedrigung machen die Irdischgesinnten zu ihrem Gott? kennen keine höhere Aufgabe, als wie sie dies Stück Fleisch schmücken, hegen und pflegen mögen?' O welche Selbsterniedrigung! Und ist ihr Sinnengenuss nicht zugleich das Grab der Sehnsucht, die bei denen sich findet, welche reines Herzens sind? Der Apostel erinnert uns an diese Sehnsucht, wenn er spricht: wir erwarten der Herrn Jesum Christum vom Himmel. Je enger das Band ist zwischen ihm und uns, und je drückender die Last der Leiblichkeit, desto mehr muss sich ja unser Verlangen auf Ihn hinrichten, der uns verheißen hat, dass er wiederkommen und uns erlösen wolle von allem Übel. Obgleich wir hier auf Erden schon selig sind und gleichsam im Himmel leben, so haben wir doch jetzt nur den Vorschmack dessen, was uns verheißen ist, und die Freude über das, was wir haben, macht nur um so lebendiger in uns die Sehnsucht nach dem, was wir haben werden, wie der Apostel anderswo spricht (Röm. 8,23): Wir, die wir haben des Geistes Erstlinge; sehnen uns bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung. Und nun hört, worauf uns in unserem Text die Aussicht eröffnet wird. Auf die Offenbarung des großen Gottes und unsers Heilandes. Jesu Christi. Noch ist er der Verborgene, ist verborgen den Augen der Welt und auch unsern Augen. Wir glauben an ihn, wir haben ihn von Herzen lieb, wir gehen auch täglich im Geist mit ihm um, aber wir sehen ihn doch nicht. Unsere jetzige Leiblichkeit ist wie ein Vorhang, der erst weggenommen werden muss, damit wir ihn sehen, wie er ist. Und wenn nun dies geschieht, werden wir uns dann nicht freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude? Wie sehr muss uns das zu einem himmlischen Sinn und Wandel ermuntern! Denn ich habe schon daran erinnert, dass mit einem fleischlichen Sinn und Wandel die Sehnsucht nach der Offenbarung Christi schlechterdings unverträglich ist. Nur reine Herzen können ihn erwarten, und je reiner in ihnen das Herz ist, desto sehnsuchtsvoller und fröhlicher blicken sie nach ihm aus. Ihr Irdischgesinnten aber erwartet ihn in Wahrheit nicht; der Gedanke an seine Zukunft lässt euch kalt und muss, wenn er eures Innern sich bemächtigt, end sogar mit Furcht erfüllen. Denn was habt ihr wohl von dem zu erwarten, der es euch bestimmt vorhergesagt hat, dass, die auf das Fleisch säen, vom Fleisch das Verderben ernten werden? was von dem zu erwarten, der als Richter der Lebendigen und der Toten kommen wird? Nur die Himmlischgesinnten freuen sich seiner Zukunft, und sie haben Grund dazu. Denn was wird er tun, wenn er kommt? Paulus sagt: er wird umwandeln den Leib unserer Erniedrigung, dass er gestaltet werde gleich dem Leibe seiner Herrlichkeit. Also an seiner Herrlichkeit sollen wir teilnehmen, sollen ihm gleich werden, nicht bloß innerlich, indem nun auch der letzte Funken der Schwachheit, der Sünde in uns erlöscht, sondern auch äußerlich, indem das Verwesliche anziehen soll das Unverwesliche, das Sterbliche anziehen soll die Unsterblichkeit. Die Schrift weiß von keiner Unsterblichkeit, in der bloß die Seele fortdauerte ohne Leib. Wie Gott hier auf Erden der Seele einen Leib gegeben hat, ohne den sie nicht bestehen könnte, so wird sie auch in der zukünftigen Welt ein Werkzeug ihrer Tätigkeit haben. Nicht aber ist es dieser Leib der Erniedrigung, den sie mit sich hinübernimmt, sondern wie der Herr selbst, da er von hinnen ging, mit einem verklärten Leib sich zu seinem Vater erhob, so will er auch unsern Leib umgestalten, dass er eine Herrlichkeit annehme gleich der seinigen. Das ist die Erlösung am Ende der Tage, um derentwillen Christus in unserm Text „Retter“ oder Heiland heißt. Er hat uns errettet, indem er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit, und wird uns zuletzt vollends retten und erlösen von allem Übel und aushelfen zu seinem himmlischen Reich. - Steht diese Hoffnung fest?. Wie sollte sie nicht! Der Apostel beruft sich auf unser Bürgertum im Himmel, von dannen wir „auch“ warten - auch, das heißt, dem gemäß, dass wir Himmelsbürger sind. Sollte er uns den Bürgerbrief gegeben haben, um ihn wieder an sich zu nehmen und zu zerreißen, wenn wir sterben? Das ist nicht seine Sache. Was wir sind, ist eine Bürgschaft für das, was wir sein werden. Nun ist's wahr, was wir hoffen, ist viel und groß; wir hoffen nicht nur auf das ewige Leben unserer Seele, sondern da das selige Leben ohne eine Leiblichkeit nicht denkbar ist, so hoffen wir auch auf die Umgestaltung unseres Leibes, so dass das Äußere dem Innern völlig entsprechen werde. Sollte denn Christus dies große Werk an uns vollbringen können?

Dafür zeugt sein Name „Herr“ - wir erwarten den Herrn Jesum Christum. So heißt er nicht nur als unser jetziges Haupt, sondern auch als unser künftiger Retter, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. Als solcher hat er eine Wirksamkeit, womit er nicht nur unsern Leib umwandeln, sondern auch Alles sich unterwerfen kann und wird. Die Erlösung des Leibes ist nur eine Tat neben vielen andern und sogar viel größeren, die er vollbringen wird. Er hat schon Großes getan, aber das Größte liegt am Ende der Tage. Alle seine Feinde werden ihm unterworfen, alle vor seinen Richterstuhl gestellt werden, Himmel und Erde werden durch ihn eine neue Gestalt bekommen. Sollte denn nun dieser Gewaltige nicht auch unsern Leib verklären können, dass er ähnlich werde seinem verklärten Leib? -

Aber, Christen, wenn nun das Alles sich so verhält, wie der Apostel sagt: liegt darin nicht die kräftigste Ermunterung zu einem himmlischen Sinn und Wandel? Was wird doch werden aus den Irdischgesinnten, die durch ihr inneres und äußeres Tun ihre Seele so ganz und gar zerrütten? Wird auch ihr Leib gestaltet werden gleich dem Leib der Herrlichkeit Christi? Ich glaube, schwerlich. Zwar wird auch mit ihrem Leib eine Veränderung vorgehen, denn dies Sterbliche, das sie jetzt tragen, fällt der Verwesung anheim und kann nicht immer bleiben; aber wiederum müssen wir doch sagen, dass ihre Seele, zerrüttet, wie sie ist, unmöglich mit einer Herrlichkeit umkleidet werden könne, die ganz ihrem inneren Wesen widerspricht. Immer und überall ist ja das Äußere dem Innern angemessen, und so haben sich denn die Vielen, deren Gott der Bauch ist, darauf gefasst zu machen, dass ihr künftiges Dasein, auch was den Leib betrifft, eine höchst traurige Gestalt annehmen wird. Welche Gestalt, das kann ich ihnen nicht sagen, und auch Paulus sagt es ihnen nicht, es gehört das zu den Geheimnissen, die uns der Tod verdeckt; aber was brauchen wir auch viel zu grübeln, um diese Dunkel zu lichten, da wir, was die Sache selbst betrifft, gar keinen Zweifel haben können. Es ist, so gewiss es für Alle ein Leben nach dem Tod gibt, zweifellos, dass die Irdischgesinnten nach Seele und Leib verlorene Menschen sind. Lasst euch nun aber doch warnen, solange noch eine Umkehr möglich ist. Könnt ihr auch die Zerrüttung ertragen, in die ihr durch euren Sinn und Wandel euch für dieses Erdenleben stürzt - seid ihr doch jetzt schon höchst bedauernswerte Menschen! - wie werdet ihr es ertragen, wenn der Tod euch in einen Kreis des Daseins hineinzieht, innerhalb dessen das größte Elend liegt, das man sich nur denken kann?

Aber auch mit euch Himmlischgesinnten hat der Apostel noch ein Wort zu reden. Nachdem er euch nämlich die schöne Hoffnung vorgehalten hat, von der wir geredet haben, fügt er hinzu: „Daher steht also fest in dem Herrn“ - also, das heißt, wie seine Ermahnung lautet, nicht nur in den zuletzt gesagten Worten, sondern von Anfang des dritten Kapitels an. Steht fest wie eine gewaffnete, mutige Schar, nicht nur gegen die Irrlehrer, die euch von der Gerechtigkeit des Glaubens abziehen könnten, sondern auch gegen die Irdischgesinnten, deren Beispiel euch anstecken und verderben könnte. Zu dieser Standhaftigkeit ermuntere euch besonders der Gedanke daran, dass ihr Bürger und Erben des Himmels seid. Wie vertrüge sich mit diesem himmlischen Bürgertum die Befleckung des Fleisches und Geistes? Dieweil wir solche Verheißung haben, so lasst uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen, und fortfahren mit der Heiligung in der Furcht Gottes2). Wisst, je reiner nach Seele und Leib ihr aus der Welt geht, desto weniger werdet ihr zu leiden haben von dem Reinigungsfeuer, durch das die Abgeschiedenen gehen müssen3), bevor sie völlig vollendet werden; desto kürzer und ebener wird die Bahn sein, auf der ihr nach dem Tod eingeht in den Himmel. Möchtet ihr nicht zu den Himmelsbürgern gehören, die, nachdem sie am Mittag gestorben sind, schon am Abend bei Christo im Paradies sind? Wer Ohren hat, zu hören, der höre. Steht fest in dem Herrn, in der Gemeinschaft mit ihm. Unglauben und irdischer Sinn und Wandel würden euch trennen von ihm, und damit zerrisset ihr euren himmlischen Bürgerbrief und verlöret eure Hoffnung. Stehet fest. So ermahnt uns Paulus nach seiner großen Liebe, womit er uns so gerne festhalten möchte. Seine Anrede an uns zeugt von seiner herzlichen Liebe. - „Geliebte und ersehnte Brüder“ nennt er uns, wie er denn schon zu Anfang gesagt hat: Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund. Dann nennt er uns weiter seine Freude und Krone. Ebenso nennt er die Thessalonicher, weil sie ihm zu Ehre und Ruhm gereichen werden am Tage des Herrn4); aber bei den Philippern, die ihm waren, was Johannes unserm Erlöser war, denkt er mehr an die Gegenwart. Wie ein tugendsam Weib des Mannes Krone heißt (Spr. 12) und ein frommes Kind der Eltern Krone (Spr. 17), so ist eine gläubige und standhafte Gemeinde ihrer Lehrer Krone, ihre Ehre und Zierde. Am Schluss wiederholt der Apostel im Drang seines Herzens noch einmal die Anrede „Geliebte“. Wie eine Angel wirft er solche Anreden nach uns aus, dass er uns damit fange und uns daran festhalte. Dann, treuer Paulus, wir wollen denn auch feststehen, und so Deine Geliebten, deine Freude und Krone bleiben.

Seid getreu bis an das Ende,
Haltet treu im Kampfe aus,
Leidet ihr gleich harte Stände,
Geht es gleich durch Schmerz und Graus.
Ist das Leiden dieser Zeit
Doch nicht wert der Herrlichkeit,
Das der Heiland euch wird geben
Dort in jenem bessern Leben.

1)
Luther 2017: Brüder, nach denen ich mich sehne
2)
2. Kor. 7,1
3)
gemeint ist hier nicht das katholische Fegefeuer, sondern der Tag des Gerichts nach 1. Kor. 3,13
4)
1. Thess. 2,19
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/kaehler_c/kaehler_philipperbrief_20_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain