Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Neunzehnte Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Neunzehnte Predigt.

Dir, Herr, zu folgen, wünschen wir.
Gewähre, Heiland, Allen
Standhaftigkeit und Kraft von dir,
Wie du uns führst, zu wallen;
Weil, wer nicht bis zum Ziele dringt,
Auch, Herr, dein Kleinod nicht erringt.

Folgt mir nach, spricht der Heiland, und heute spricht einer seiner Apostel zu uns: Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die also wandeln, wie ihr denn an uns ein Vorbild habt. Aber ist der Abstand zwischen einem Apostel und uns nicht zu groß, und vollends, wenn der Herr selber spricht, Folgt mir: ist sein Vorbild nicht eine Höhe, die wir nimmer ersteigen können? Wer kann sein, wie Paulus, wer kann sein, wie Christus war? Christus, das Ebenbild und der Abglanz des unsichtbaren Gottes: wer könnte das werden? - Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, dessen Blut uns von Sünde, Tod, Teufel erlöst hat: wer könnte das tun? Aber, Christen, wir sollen daran denken, dass Er, obwohl er in göttlicher Gestalt war, aus großer Liebe unser Bruder, ja unser aller Knecht geworden ist, allenthalben versucht wie wir, aber ohne Sünde. So gesinnt sein, wie Er gesinnt war, so kämpfen, wie er kämpfte, so leben und wandeln, wie Er lebte und wandelte, das ist gemeint, wenn er spricht: Tut wie ich getan! Die Frühlingssonne erwärmt die Erde und befruchtet sie, dass sie Gräser, Blumen, Saaten hervorbringt; die Erde wird nimmer zur Sonne, aber sie folgt ihr nach und lässt sich ergreifen und durchdringen von ihrem Strahl: also sollen auch wir Christo nachfolgen, und uns ergreifen und umwandeln lassen von seinem göttlichen Vorbild. Ihr wisst, Christen, dass Beispiele mehr wirken, als Unterricht. Wäre es möglich, in unserer Seele den Ursprung von Allem, was in ihr ist, aufzusuchen: wir würden finden, dass vielleicht drei Vierteile von dem, was wir Gutes und Böses an uns haben, durch das Beispiel Anderer gewirkt worden sei. Eben darum warnt uns heute der Apostel Paulus vor dem bösen Beispiel der Menschen, und ermuntert uns: Folgt mir, und seht auf die, die also wandeln wie wir. Unser heutiger Text lautet so:

Phil. 3, V. 17 bis 19:
Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die also wandeln, wie ihr uns habt zum Vorbild. Denn viele wandeln, von welchen ich euch oft gesagt habe, nun aber sage ich auch mit Weinen, die Feinde des Kreuzes Christi, welcher Ende ist die Verdammnis, welchen der Bauch ihr Gott ist, und ihre Ehre zuschanden wird, derer, die irdisch gesinnt sind.

Der Apostel hatte gesagt: „Was wir erreicht haben, danach lasst uns wandeln.“ Das Licht haben wir, und sollten nicht in dem Licht wandeln? Da nun aber gleichwohl Viele sind, die einen Wandel führen, der nicht mit der Erkenntnis übereinstimmt, die wir als Christen haben, so warnt uns der Apostel vor dem verderblichen Beispiel dieser Menschen. „Werdet auch ihr meine Nachahmer, liebe Brüder, und blickt hin auf die, die also wandeln, wie ihr denn habt ein Vorbild an uns.“ Oder wolltet ihr Nachahmer derer werden, die Gottlose heißen müssen, weil sie in der Finsternis wandeln? Nein, der Blick auf sie muss uns mit Grauen erfüllen, so dass wir ihr Beispiel meiden, wie die Pest, und uns zu Paulus und seinen Gesinnungsgenossen halten. Möge das unsere Betrachtung sein:

Wie sehr das Beispiel der Gottlosen uns treiben muss, dem Vorbild der Frommen zu folgen.

Ihre Zahl ist groß. - ihr Sinn irdisch - ihr Wandel schändlich - ihr Ende schmählich. - Das ist es, was uns der Apostel zu bedenken gibt, und nun bitt' ich dich, mein Gott, dass du diese Lehre deines Apostels in uns wollest lebendig machen, damit wir nicht die Nachfolger jener Gottlosen werden, und mit ihnen ins Verderben stürzen.

1. „Viele sind“ - hört ihr?

Die Zahl derer, vor denen Paulus uns warnt, ist also groß. Aber wer sind die Vielen, von denen er redet? Er bezeichnet sie als „Feinde des Kreuzes Christi.“ Ein Feind des Kreuzes Christi kann man auf zwiefache Weise sein: entweder wenn man an Christum nicht glaubt, der für uns gestorben ist und sein teures Blut für uns vergossen hat, oder wenn man zwar an ihn glaubt, aber der Glaube ein toter Glaube ist, indem man ihn durch einen schlechten Wandel schändet. Diese letztere Art der Feindschaft ist von dem Apostel gemeint; er redet von solchen, die zwar die rechte Erkenntnis haben, aber so leben, als hätten sie sie nicht. Dass er diese meint, wie deutlich geht das aus der Schilderung hervor, die er uns von ihnen macht! Er bezeichnet sie ja als Irdischgesinnte, denen das, was zur Pflege und Wollust des Leibes dient, das Höchste ist, daher ihr Wandel entehrend ist und es mit ihnen immer ärger wird, so arg, dass der Apostel über sie weinen muss. - Und deren nun sind Viele, sagt er. Darin irrt er ja so wenig, dass er nur dasselbe sagt, was längst vor ihm der Herr selbst gesagt hatte. Ihr kennt das Wort des Herrn: „Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln.“ So war es in jener Zeit, so ist es noch jetzt. Die Welt, die arge, die dem Leben aus Gott abgewandte Welt, ist eine Mutter, die viele Kinder hat. Wenn nun bloß die, welche von Christo nichts wissen oder wissen wollen, wenn bloß diese es wären, die einen schlechten Wandel führen, so sollt es mich nicht Wunder nehmen; denn wie sollten die den rechten Weg finden, die noch im Finstern gehen? Aber von denen, die sich zu Christo dem Gekreuzigten bekennen, sollte man doch denken, dass sie auch nach ihrem Glauben lebten! Ist das Evangelium, woran sie glauben oder doch zu glauben vorgeben, nicht eine Kraft, seine Bekenner selig, also auch heilig zu machen? Ist Christus nicht das Licht der Welt, das im Himmelreich dieselbe Wirkung tut, wie das Sonnenlicht auf dem Erdreich, auf das es seine hellen, warmen Strahlen fallen lässt, so dass es gesegnete Früchte trägt? Kurz, ist der Glaube nicht etwas so Lebendiges und Mächtiges, dass er uns aus alten Menschen zu neuen Menschen macht? Wenn nun dennoch Viele sind, die bei ihrem Glauben einen schlechten Wandel führen, so leuchtet ein, dass ihr Glaube bloß ein äußerliches Bekenntnis, bloß ein totes Ding in ihrem Kopf ist, das eben darum auf ihr Herz und von dem Herzen aus auf ihren Wandel keine Wirkung tut. Sie sagen wohl: Ich glaube, aber sie täuschen sich selbst; sie sprechen wohl: Herr, Herr, aber sie lügen, weil sie nicht den Willen ihres Vaters im Himmel tun. -

Nun bedenkt, wie gefährlich ihr Beispiel auf uns wirken kann, wenn wir nicht immer dies lebendig vor Augen haben, dass ein Glaube, der nicht Früchte hat, tot in ihm selber ist. Vergiss das, so wird bald das Beispiel der vielen Totgläubigen dich zu der Meinung führen, dass man Christi Jünger sein könne, wenn man ihn auch nicht durch einen guten Wandel bekenne, und je näher sie dir stehen und je zahlreicher sie sind, desto gefährlicher sind sie dir. Der große Strom reißt uns mit sich fort, zumal wenn das Kind den Vater, der Knecht den Herrn, der Untertan den König, das Weib den Mann, der Schüler den Lehrer vorantreiben sieht. Christen, lasst euch nicht mit fortziehen, folgt der großen Menge nicht. Es gibt noch eine Pforte außer der weiten, und einen Weg außer dem breiten Weg; es gibt einen engen Weg, und auf diesem findest du vor Allen deinen Erlöser, der dir darauf vorangegangen ist, und findest einen Paulus, einen Johannes darauf. Auch unter den in deiner Nähe Lebenden sind Etliche, die darauf wandeln; es sind die, welche nicht nur glauben, sondern auch in ihrem Glauben einen guten Wandel führen.

2. Denen folge nach, so wirst du nicht irdisch gesinnt sein.

Denn das ist's, woran wir jene Vielen erkennen können: ihr Sinn ist irdisch. Der Apostel hebt das kräftig hervor, indem er am Schluss unsers Textes wie in einem Ausruf sagt: „sie, die irdisch gesinnt sind!“ Damit gibt er zu erkennen, woher der schlechte Wandel jener Vielen stammt; die Wurzel desselben ist der irdische Sinn. Was ist irdisch? Alles, was der Erde angehört, bloß ihr, und daher auch, wenn wir sterben, von uns auf der Erde zurückgelassen wird. Es ist dies Alles vergänglicher Natur, als Essen, Trinken, Geld, Gut, Kleider, Gewalt, Ehre, Wollust. Die nun mit ihrem Herzen, mit ihrem Begehren, ihrem Wünschen und Hoffen, ihrem Dichten und Trachten auf dergleichen Dinge sich werfen und dabei stehen bleiben, die alle sind irdisch gesinnt. Was hat es nun zu bedeuten, dass sie sagen: Wir glauben? Der Glaube führt uns ja über die Welt hinaus zu Gott, der durch ihn unser eigen wird. Aber haben die Irdischgesinnten einen Gott, den sie lieben, den sie fürchten, dem sie vertrauen, dem sie gehorsam sind? Nein, der lebendige Gott ist für sie geworden zu Erz, wonach sie begierig sind, zu Seide, worin sie prangen, zu einem Stück Fleisch, woran sie die Glut ihrer Wollust fühlen, zu einem Tisch mit Speisen und Getränken, worin sie ihren Genuss suchen, zu einem hohlen Namen vor der Welt, der ihre Wonne ist. Sie sind gesinnt, sie wandeln, als ob kein Gott im Himmel wäre. Der Glaube führt uns zu Christo und lehrt uns ihn lieb gewinnen und die ewigen Güter, die er uns erworben hat: Aber die Irdischgesinnten - können sie sagen, dass Christus in ihnen lebe? können sie sagen: wir haben in Christo unsere Gerechtigkeit, unseren Frieden, unsere Freude? Nein, das ganze Himmelreich ist ihnen ein fernes, unbekanntes Land, und alle Güter des Himmelreichs sind ihrem irdischen Sinn verschlossen. Für sie gibt es in Wahrheit keine andere Welt als diese Welt, worin sie ihre 60, 70, 80 Jahre leben, unter Freuden und Genüssen, die so vergänglich sind wie der Rauch, der aus dem Schornstein steigt. - Wollt denn nun auch ihr in diesen irdischen Sinn euch hineinziehen lassen? Paulus, euer guter, wohlmeinender Apostel Paulus warnt euch, dass ihr auf eurer Hut sein, dass ihr den Irdischgesinnten nicht nachfolgen mögt. Wem denn folgen? „Mir, sagt er, folgt, liebe Brüder.“ Und in der Tat, bei ihm finden wir nichts weniger als den weltlichen Sinn. Wäre seine Liebe, sein Dichten und Trachten auf die Welt gerichtet gewesen und auf das, was in der Welt ist: fürwahr, er hätte für das Evangelium nicht die Ruhe seines Lebens aufgegeben, um seine Tage unter Mühe und Arbeit zuzubringen; er hätte nicht die Freundschaft der Welt aufgeopfert, um ein Fegopfer aller Leute zu werden; er hätte für Christum nicht auf seine Freiheit verzichtet, um in Banden und Kerker zu schmachten; er hätte nicht seine frühere glückliche Lage verlassen, um misshandelt, gegeißelt und zuletzt hingerichtet zu werden. Er war nicht irdisch gesinnt. Er kannte etwas Besseres, Höheres, das er liebte. Seine Liebe war Gott, sein Leben war Christus, sein Reichtum die Gnade, sein Ziel die Seligkeit. Mit der Welt hat er gebrochen; die Welt ist ihm gekreuzigt und er der Welt. Nun. denn, Christen, lasst uns einem solchen Mann gleich werden an himmlischem Sinn. Der Weg dahin führt durch die Pforte der Wiedergeburt. Tut Buße, legt ab den alten Menschen, habt nicht lieb die Welt und was in der Welt ist.

3. Wollt ihr nicht?

Nun, dann verharrt in eurem irdischen Sinn und offenbart diesen in einem entehrenden Wandel. Denn das wird von den Vielen gesagt, vor denen Paulus uns warnt: ihr Wandel ist schändlich. „Deren Gott der Bauch“, sagt unser Text, ähnlich wie es anderswo heißt (Röm. 16): solche dienen nicht dem Herrn Jesu Christo, sondern ihrem Bauch. Kann nun aber wohl ein Mensch durch etwas mehr sich entehren und schänden, als wenn er den Bauch zu seinem Gott macht? Ihr wisst doch, was der Name Gott bedeutet. Er bezeichnet unser höchstes Gut, das, dem wir alles Übrige nachsetzen, an dem wir unsere größte Freude haben, auf das all unser Streben gerichtet ist. Wie? der Mensch wäre fähig, den Bauch zu seinem höchsten Gut, zu seinem alleinigen Herrn zu machen, dem er diente sein Leben lang? Aber was tut denn der Wollüstling anders, als dass er das Fleisch zu seinem Gott macht, indem er den Lüsten seines Fleisches dient? Was tut der in Üppigkeit Lebende anders, als dass er dem Fleisch opfert, indem er alle Tage herrlich und in Freuden zu leben trachtet? Und wer nichts mehr liebt, als durch seine Kleider, die er trägt, durch seinen Aufwand, den er macht, durch Rosse und Wagen und dergleichen herrlich vor der Welt zu erscheinen: gibt er nicht zu erkennen, dass ihm an dem Schmuck seiner Seele nichts, desto mehr aber an der Verherrlichung seines Fleisches gelegen ist? Wer es zu seiner Losung macht: Mehr! Mehr! und nichts Besseres kennt, als das Geld, welches er bei sich zu mehren und anzuhäufen trachtet: für wen rafft und häuft er zusammen? Doch wohl nicht für den inwendigen Menschen, der nicht davon lebt, dass er viele Güter hat? Nein! Er will sich unabhängig machen, er will sich Mittel erwerben, um gut und nach seinem Gefallen leben zu können, kurz, sein sterblicher Teil ist es, sein Fleisch, sein Bauch, für die er sammelte. Und so Alle, die nichts Höheres kennen, als irdisches Gut, irdische Freude, irdischen Genuss, sie haben ihren Gott nicht im Himmel, sondern auf der Erde. Deren Gott der Bauch; deren Ehre in ihrer Schande, fährt der Apostel fort; mit andern Worten: sie suchen ihre Ehre in dem, dessen sie sich zu schämen haben. Ständen sie nämlich mit Christo in gar keiner Verbindung, so wäre ihre Schande minder groß. Aber sie bekennen sich ja zu ihm und wollen für seine Angehörigen gelten. Nun, ihr Irdischgesinnten, ihr Bauchdiener, ich frage euch: könnt ihr mit eurem niedrigen Sinn vor Christum hintreten, ohne euch zu schämen? O, in einer wie ganz anderen Gestalt steht Er vor dir, als worin Du vor Ihm stehst! Er, der Sohn Gottes, durch den alle Dinge sind, und der, da er in die Welt kam, wohl hätte reich sein, wohl hätte Freude haben können, ward arm um deinetwillen, damit du durch ihn reich würdest, und trat in sein Leiden, damit er die Hölle von deinem Herzen nähme. Sieh ihn doch in der einfachen Gestalt, worin er einhergeht und bis an seinen Tod des Tages Last und Hitze trägt; sieh ihn in seiner täglichen Mühe und Arbeit, die keinen andern Zweck hat, als Seelen zu suchen und selig zu machen; sieh ihn in seiner Armut, die so groß ist, dass er spricht: die Vögel haben ihre Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, wohin er sein Haupt lege; sieh ihn auf seinem Gang nach Jerusalem, nach Golgatha, wo er verraten, verlassen, gefesselt, verurteilt, misshandelt, an's Kreuz der Missetäter geschlagen wird; wo seine Seele betrübt ist bis in den Tod und sich von Gott verlassen fühlt. Das alles für dich, um deinetwillen, damit, wenn es möglich wäre, du durch seine Liebe für ihn gewonnen würdest. Und du Irdischgesinnter, du, dessen Gott der Bauch ist; solltest dich nicht schämen vor seinem Angesicht, und in dich schlagen, und dem gemeinen Sinn und Dienst entsagen, womit du vor ihm stehst? O, lass es dir leid tun, dass du bisher so gesinnt gewesen bist, bisher so gewandelt hast, kehre um und folge mir, spricht Paulus. Tust du es jetzt nicht, wer weiß, ob du es morgen noch vermagst, und wehe dir, wenn es so bleibt; denn das sollst du wissen, es nimmt mit den Irdischgesinnten keinen guten Ausgang.

4. Ihr Ende ist schmählich.

Schon jetzt geht es gar übel um sie, denn das Kreuz Christi verklagt sie Tag und Nacht. Sie könnten reich sein in Gott und sind doch arm; sie könnten er: rettet werden, und geben doch durch ihre eigene Schuld verloren. In ihnen ist nicht das Himmelreich, sondern ihr Herz ist wüst und leer. „Ich nannte sie euch oft, sagt der Apostel, nun aber nenne ich sie euch weinend.“ Weinend? Ja! er weint nicht nur um der bösen Saat willen, die sie durch ihr Beispiel säen, sondern auch um ihrer selbst willen, weil es immer ärger mit ihnen wird, wie er das auch anderswo ausdrücklich sagt (2 Tim. 3): Mit den bösen Menschen und verführerischen wird es je länger je ärger. Sie sind ein kalter Nordwind, der im Wachsen ist; heftiger wird er und immer heftiger, und je länger und je stärker er tobt, desto mehr Blätter und Blüten zerstört er in den Gärten. Wie einst der Herr weinend vor Jerusalem stand und sprach: Wenn du es wüsstest, so würdest du zu dieser deiner Zeit bedenken, was zu deinem Frieden dient: so auch kann der Apostel sich der Tränen nicht erwehren, wenn er an die Vielen denkt, deren Sinn irdisch, deren Wandel schändlich ist. Er weiß nicht, ob er mehr traurig sein soll über das Verderben, in das sie Andere, als über das Verderben, in das sie sich selber stürzen. Sie stehen nah am Abgrund des Todes und sehen ihn doch nicht. Wie wenn du in den Wintertagen einen Menschen aufs Eis geben sähest, davon du wüsstest, dass es unter seinen Füßen zerbrechen werde - du sagtest ihm das, du warntest ihn, du bätest, flehtest, dass er doch nicht in sein Verderben gehen möchte - umsonst! er ließe sich nicht warnen, er ginge dennoch und lachte über die Gefahr - die dünne Eisrinde beugt sich unter seinem Tritt, ein dumpfer, schauerlicher Ton verkündet dir seinen nahen Untergang - du rufst ihm zu: Kehre um! aber er hört nicht auf deine Stimme, er geht weiter fort, je weiter er geht, desto mehr wächst deine Betrübnis und deine Angst um ihn - endlich - ha! nun brichts unter seinen Füßen, nun sinkt er hinab, nun breitet er seine Arme aus und schreit um Hülfe, die ihm Niemand gewähren kann, verloren ist er, ist ein Kind des Todes: - sagt doch, Christen, erkennt ihr in diesem Verblendeten nicht das Bild jener Unglücklichen, über die der Apostel weint? Deren Ende Verderben - spricht er - und anderswo schreibt er: Welcher Ende sein wird nach ihren Werken1). Verderben bedeutet verlorengehen. Ach! sie wären noch zu retten, wenn sie in sich schlagen, wenn sie Buße tun, wenn sie von Herzen an Christum glauben, wenn sie aufhören wollten, zu sein, was sie sind, und anfangen wollten, zu sein, was sie nicht sind. Nun aber, verblendet und töricht, wie sie sind, gehen sie den Weg des Verderbens. Wo das Heil ist, da suchen sie es nicht; wo sie es suchen, da ist es nicht. Wo bleibt das, was in dieser Welt ihre Freude ist und ihr höchstes Gut? Es altert mit ihnen, es wird mit ihnen eingesargt. Ihr Leib verwest in der Gruft; ihr Kleid fressen die Motten; ihr Gut teilen sich die Erben; ihre Gesinnungsgenossen, ihre Freunde treten vor ihnen zurück, kaum Einer davon steht an ihrem Sterbebett, und ob er dort stände, ach! er kann ihnen wohl einen Trost vorlügen, aber er kann mit seiner Lüge ihrem Herzen keine Ruhe, keinen Frieden schaffen. Die Stille ihrer Sterbekammer, die letzte Nacht, die für sie anbricht, ist schauerlich. Das Sonnenlicht ist für sie erloschen auf immer, nur der Mond, der wie ein roter Kessel im Horizont steht, wirft noch einmal seine blassen Strahlen in ihre Kammer. Die Uhr des Todes schlägt - mach deine Rechnung mit dem Himmel, Mensch, fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen. Die Seele geht hinüber in die andere Welt; ihres sterblichen Leibes, aller ihrer weltlichen Lust und Herrlichkeit entkleidet, tritt sie hinein in die Totenwelt, wo nichts ihr bleibt als der Durst, der nicht gelöscht werden kann. Denn ihr Erden-Himmel ist untergegangen und mit ihm Alles, was ihre Lust stillen könnte. O, dass Jemand auch nur das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauchte und ihre Zunge kühlte, denn sie leiden Pein in dieser Flamme! Ist keine Rettung für sie? Eine große unausfüllbare Kluft ist befestigt zwischen ihnen und den Seligen, und diese Kluft haben sie sich selbst gegraben. Ach, ein Elend, wie groß es sei und wie lange es dauere, es ist noch zu ertragen, solange Hoffnung da ist auf Erlösung. Aber erlischt auch der letzte Strahl der Hoffnung, dann bleibt nichts übrig als der Angstruf der Verzweiflung: Ihr Berge, fallt über uns! ihr Hügel, bedeckt uns!

Das ist es, Christen, was euch der Apostel zu bedenken gibt. Er möchte, wenn es möglich wäre, euch von dem Verderben retten. Folgt mir! ruft er. Auf welchem Weg? Auf dem Weg, der zum ewigen Leben führt. Es ist noch Zeit. Über ein Kleines - dann ist's zu spät. Tretet denn aus der großen Zahl der Sünder über zu der kleinen Zahl der Gerechten. Legt ab den irdischen, legt an den himmlischen Sinn. Schändet nicht mehr das Kreuz Christi durch euren Wandel, sondern ehrt es. Das ist der Weg zum Leben.

Himmelan geht unsre Bahn,
Wir sind Gäste nur auf Erden,
Bis wir dort in Kanaan
Durch die Wüste kommen werden.
Hier ist unser Pilgrimsstand,
Droben unser Vaterland.
Himmelan! ruft Gott uns zu,
Wenn wir ihn im Worte hören,
Das weist uns den Ort der Ruh,
Wo wir einmal hingehören.
Selig, wer dies Wort bewahrt:
Er hält eine Himmelfahrt!

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2. Kor. 11,13-15
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