Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Elfte Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Elfte Predigt.

Schaffet, schaffet, Menschenkinder,
Schaffet eure Seligkeit.
Säumet nicht, wie sichre Sünder;
Schnell entfleucht der Gnade Zeit.
Unverweilt bekehret euch;
Ringet nach dem Himmelreich,
Und seid heilig schon auf Erden,
Selig einst bei Gott zu werden.

Wenn Feuer ausbricht in einem Hause, sucht da nicht der Hausvater mit dem größten Eifer zu retten, was zu retten ist? Säumte er, so würde seine Habe ein Raub der Flammen. - Oder wenn die Fenster des Himmels sich aufthun und Tag für Tag Regen niederströmet auf das Kornfeld: benutzt da nicht der Landmann eifrig den günstigen Augenblick, um seine Garben aus der Gefahr des Verderbens zu erretten? Säumt er, so kann ihm die Hoffnung der Ernte verloren gehen. - Oder wenn die Sturmfluth den Deich durchbricht: rafft da nicht alles sich auf und sucht, wenn sonst Nichts, doch wenigstens das Leben zu retten? Säumt man, so ist vielleicht die nächste Stunde schon die Stunde des Todes. So eifrig ist der Mensch in der Stunde der Gefahr bedacht auf die Rettung des Seinigen. Aber wie? wollt ihr bloß das Eurige retten, euch selbst aber verlieren? Michi wundert, daß so viele sind, die wegen des Ihrigen große Sorge, ihrer selbst wegen aber gar keine Sorge haben. Stehen denn wir nach unserm inwendigen Menschen in gar keiner Gefahr? Christen, es gibt ein Element, das uns mit viel mehr Gefahr bedroht, als Feuer und Wasser - das ist die Sünde; und es gibt ein Gut, das viel köstlicher ist, als Korn und Leben das ist die Seele. Sucht ihr denn Haus, Korn und Leben zu retten: vielmehr trachtet darnach, daß ihr die Seele rettet. Die Gefahr, in der sie schwebt, ist groß, denn die Welt, in der wir leben, heißt eine arge Welt, und die Sünde, mit der wir zu kämpfen haben, ist ein Löwe, welcher umhergehet und suchet, welchen er verschlinge. Jedermann nun kann, wenn er will, die Seele retten; aber säumt er, so kann die nächste Stunde schon die Stunde des Todes und des Verderbens sein. Nehmt daher zu Herzen, was euch heute an's Herz gelegt wird von dem Apostel Paulus,

Phil. 2, v. 12 bis 16:
Also, meine Liebsten, wie ihr allezeit seid gehorsam gewesen, nicht allein in meiner Gegenwärtigkeit, sondern auch nun vielmehr in meinem Abwesen, schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist es, der in euch wirket beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. Thut alles ohne Murren, und ohne Zweifel, auf daß ihr seid ohne Tadel und lauter, und Gottes Kinder, unsträflich mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht, unter welchem ihr scheinet, als Lichter in der Welt, damit, daß ihr haltet ob dem Wort des Lebens, mir zu einem Ruhm an dem Tage Christi, als der ich nicht vergeblich gelaufen, noch vergeblich gearbeitet habe.

Was ist der Kern und Stern dieses Textes? Das Wort: „Schaffet, daß ihr selig werdet“, oder, wie es genau im Grundtexte lautet: Bewirket eure Rettung, euer Heil. Bleibt nicht in dem Anfang oder in der Mitte dieses Werkes stehen, sondern führet es zu Ende aus. - Also zur Sorge, und zwar zur gewissenhaftesten Sorge für unser Seelenheil werden wir ermahnt. Wende sich denn darauf auch unsere fernere Betrachtung hin.

Schaffet, daß ihr selig werdet! Uns wird gezeigt 1. die Art und Weise, wie wir das thun, und 2. das Ziel, welches wir dabei verfolgen sollen.

Nun, so hilf denn, alliebender Gott, nicht nur, daß wir dein Wort verstehen lernen, sondern noch vielmehr, daß wir's auch zu Herzen nehmen und darnach thun.

1.

Auf unsere Rettung, unser Heil sollen wir bedacht sein - wie? auf welche Art? In der Nachfolge Jesu, in standhaftem Gehorsam, in Lauterkeit des Herzens, in gewissenhafter Gottesfurcht, in freudiger Zuversicht.

Ueberhört nicht das erste Wort, womit unser Text beginnt, das Wort „Also“. Paulus schließt damit nicht nur die Thür zu, indem er aus seiner bisherigen Betrachtung tritt, sondern er weiset damit zugleich, bevor er abschließt, noch einmal auf das Gesagte zurück. Christum sollen wir anblicken, unsern großen Vorgänger, der in Demuth und Selbstverläugnung Gott gehorsam gewesen ist bis zum schmählichen Kreuzestod, und ihm nachfolgend abthun alles hochmüthige, eitle, sichere Wesen, und mit allem Ernst und Eifer bedacht sein auf die Rettung unserer Seele. Soll er vergebens für unser Heil in den Tod gegangen sein? Soll alle seine Entsagung, alle seine Arbeit, Angst, Thränen- und Blutvergießen verloren sein? Waren nicht wir es und unsere Seelen, um deretwillen er sich seiner Gottesgestalt begeben und die Knechtsgestalt eines bis zum Tode Gehorsamen angenommen hat? um deretwillen er auch jetzt noch wirket immerdar, daß er uns alle in sein Reich bringe und ein schöner Tag komme, wo wir als seine Bekenner Gott den Vater preisen, der uns in ihm das ewige Leben gegeben hat? Wie könnt ihr denn nun noch gesinnet sein, als ob Christus sich nicht für euch erniedrigt hätte? wie könnt ihr nun noch leben, als ob Christus nicht für euch gestorben wäre? wie könnt ihr nun noch in falscher Ruhe hingehen, als ob nicht der große Tag der Entscheidung bevorstände? Habt Ihn vor Augen, und im Hinblick auf ihn, der beides euer Erlöser und euer Vorbild ist, schaffet mit allem Ernste eure Seligkeit.

Habt ihr das bisher gethan? Den Philippern wird das Zeugniß gegeben, daß sie bisher dem Apostel und seinem Worte gehorsam gewesen seien. Ebendarum standen sie seinem Herzen so nahe; er redet sie an „meine Geliebten“, und sagt: „sowie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, schaffet, nicht bloß wie in meiner Zukunft, sondern noch viel mehr jetzt in meiner Abwesenheit, mit Furcht und Zittern euer Heil.“ Hier zieht er Zweierlei in Eins zusammen. Das Erste ist: Wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, so seid es auch jetzt und künftig; das Zweite: Seid es nicht bloß wie in meiner Zukunft, sondern noch vielmehr in meiner Abwesenheit. Es kamen wohl Verirrungen und Uebertretungen vor unter den Philippern, aber die Gemeinde im Ganzen war doch gehorsam dem Worte des Apostels. O, ließe sich das von jeder Gemeinde sagen! Ist ein Apostel nicht ein Bote Gottes an die Menschen? ist er nicht ausgerüstet mit Geist und Kraft aus der Höhe? ist sein Wort nicht ein Licht, das uns den Weg zum ewigen Leben zeigt? Lies, höre, befolge des Apostels Wort, so sorgst du für dein Heil. Aber der Gehorsam soll beständig sein, er soll uns aus der Vergangenheit begleiten in die Gegenwart und aus der Gegenwart in die Zukunft bis ans Ende. Sei getreu bis in den Tod.

Nicht als wären wir dem Worte des Apostels Gehorsam schuldig um des Apostels willen; nein, Paulus weiset die Philipper von sich auf Christum. Sie konnten sich bei ihrem Gehorsam leiten lassen von dem Gedanken: „der Apostel kommt! Wie, wenn er käme und fände uns dann ungehorsam und untreu!“ So sollt ihr nicht denken, spricht der Apostel. Seid gehorsam nicht bloß wie in meiner Zukunft. Er braucht hier ein Wort von sich, das er sonst immer nur von Christo braucht. Die Zukunft Christi - das ist der Tag, da Christus kommen wird zu richten die Lebendigen und die Todten. Sollen wir nun an die Stelle der Zukunft Christi die Zukunft irgend eines Menschen setzen, selbst wenn es die eines Apostels wäre? Dann wären wir ja Knechte dieses Menschen, nicht aber Knechte Christi, und unser Dienst wäre ein Dienst allein vor Augen, als den Menschen zu gefallen. Wir sollen uns aber dünken lassen, daß wir dem Herrn dienen, und nicht den Menschen (Eph. 6). Paulus sagt: Ihr mögt immerhin bei eurem Gehorsam auch den Gedanken hegen: Der Apostel kommt! aber viel mehr denket, ich mag kommen oder nicht, ich mag an- oder abwesend sein, an die Zukunft Christi; ja, mehr noch in meiner Abwesenheit als in meiner Anwesenheit denkt daran. Denn das ist der rechte lautere Gehorsam, wenn wir also denken und sagen: Lieber Herr und Heiland, sollten wir dir bloß dienen, wenn Paulus oder sonst ein Mensch da ist, der uns sieht? O nein! Auf daß du sehest, wie treu wir dir ergeben sind, so wollen wir jetzt, da kein Mensch uns sieht, und so allezeit, wenn wir alleine sind, mit noch viel mehr Scheu das Böse meiden und das Gute thun.

Und das führt nun den Apostel auf die zarte, gewissenhafte Gottesfurcht, womit ein Christ sorgen soll für sein Seelenheil. Schaffet mit Furcht und Zittern, daß ihr selig werdet! Die Furcht ist zunächst im Herzen, aber wenn sie groß ist, so durchdringt sie auch den Leib in dem Maße, daß Hände und Füße und alle Glieder zittern. Wie? will denn der Apostel, daß wir in knechtischer Gottesfurcht sorgen sollen für unser Seelenheil? Mit nichten! Wer preiset mehr, als eben dieser Apostel, den kindlichen Geist, womit wir Christen erfüllet sind? Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater (Röm. 8,15). Aus dem „mit Furcht und Zittern“ haben Etliche geschlossen, daß ein Christ der Gnade Gottes und seiner Seligkeit nimmer gewiß sein könne, sondern immer daran zweifeln müsse. Aber wie stimmt das zu der Glaubensfreudigkeit, die wir bei dem Apostel finden und die er an allen wahrhaftigen Christen rühmt! Sagt er nicht: Nun wir gerecht worden sind durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum (Röm. 5)? Sagt er nicht: Es ist nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist (Röm. 8)? Sagt er nicht: Ich bin gewiß, daß Nichts mich scheiden kann von der Liebe Gottes (Röm. 8)? Und doch sollen wir mit Furcht und Zittern schaffen, daß wir selig werden? Ja, darunter verstehet er jene Gewissenhaftigkeit und Gottesfurcht, wonach ein Christ immer seine gänzliche Abhängigkeit von Gott vor Augen hat und auf's sorgfältigste sich hütet, durch Ungehorsam und Untreue die ihm geschenkte theure Gnade Gottes zu verlieren und in Ungnade zu verwandeln. Du magst wohl fröhlich sein in deinem Glauben und mit großer Zuversicht der Gnade Gottes dich rühmen, aber fasse diesen Edelstein in das Gold der Demuth, der Wachsamkeit, der zartesten Gewissenhaftigkeit, die, wenn es auf den Gehorsam gegen Gott ankommt, nie sich dünken lässet, sie habe genug gethan und habe nichts zu fürchten. Denn wolltest du sicher sein und einschlafen oder gar die Gnade Gottes muthwillig von dir stoßen, so wisse: es kommt der Tag des Herrn, wo Gottes Zorn wider dich umso größer sein würde, je größer zuvor seine Gnade gewesen ist. „Sage doch: bist du nicht alles was du bist, und kannst du nicht alles was du kannst, bloß durch Gott?“ Der Apostel weist uns auf die Gnade Gottes hin, der wir all unser Vermögen zu danken haben. Gott ist es - nicht ihr seid es, noch sonst irgend ein Mensch, er heiße Paulus oder Petrus - der in euch wirket beides, das Wollen und das zum Wollen hinzukommende thatkräftige Wirken nach seinem gnädigen Willen. Es ist nicht die Rede von einem Wollen und Wirken, wie man es auch wohl findet bei den Kindern der Welt, da ein Mensch will was gut ist, und auch Kraft und Energie genug in sich spürt, um es auszuführen. Hat nicht selbst ein Sperling den Willen, seine Jungen zu ernähren und die Kraft es zu vollbringen, trotz Wetter und Wind? Vor der Welt nun magst du mit deiner natürlichen Kraft und That prangen; aber je mehr du von Gott geschieden bist, und je weniger du das, was du thust, in Gott vollbringst, desto mehr ist's bloßes Werk der Natur und hat kein Gewicht, wenn Gott es in seiner Waagschale wiegt. Darum läßt sich hier nicht streiten mit Pelagius und seinen Genossen, welche des Menschen Vernunft und Kraft herausstreichen und sagen, der Mensch habe in sich selbst die zureichende Kraft, das Gute zu wollen und zu vollbringen. Denn sie reden vom Mond, wir aber reden von der Sonne. Paulus schreibt an Christen, die aus natürlichen Menschen Kinder Gottes geworden sind. Fürwahr, die sind aus Gott geboren, leben und weben in Gott und sind Reben an dem Weinstock der Gnade, daraus sie allen Saft und Kraft ihres Wollens und Wirkens haben, wie Paulus spricht: Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christum. Vermöchtest du das, wo nicht Gottes gnädiger Wille dir zuvorgekommen wäre und dir Christum geschenkt hätte, der dich erlöset, erworben, gewonnen hat? Vermöchtest du das, wenn nicht Taufe, Abendmahl, Wort Gottes wäre, dadurch du zu Gott kommst und immerdar in der Gemeinschaft Gottes erhalten wirst? Vermöchtest du das, wenn nicht Gott seinen heiligen Geist in dir wohnen ließe, der dich mit Abscheu vor der Sünde und mit Lust und Liebe zu Gottes Willen erfüllt? Vermöchtest du das, wo nicht Gottes Hand dich alle Tage gnädig führete, dich vor Versuchung und allem Bösen bewahrete, und dagegen auf den Weg zu jeder guten That dich leitete? In Summa, all unser Wollen und Wirken hängt an dem gnädigen, guten Wilen Gottes. Gott zwingt uns nicht dazu; nein, wie könnte sonst gesagt werden: Wirket euer Heil! Alles ist Gnade, und doch Alles Freiheit. Nicht in den Werken bin ich frei, die ich aus mir selbst thue als aus mir selbst; sondern wo alles Eigene zurücktritt, und ich mich einzig in Gott lustig, munter und stark zum Guten fühle, da bin ich der freieste Mensch. Nun siehe, so gnädig ist dein Gott gegen dich, daß er dich geschickt und tüchtig zu allem Guten macht. Aber merkst du wohl, warum der Apostel dir das sagt? Darum sagt er's, daß du nun solche Gnade Gottes nicht auf Muthwillen ziehen, sondern mit aller möglichen Sorgfalt auf dein Seelenheil bedacht sein sollst. Denn was würde folgen, wenn du es nicht wärest? Paulus hat zuvor schon hingedeutet auf die Zukunft des Herrn, und er weiset dich hier abermal darauf hin. Er spricht's nicht geradezu aus, aber sein Gedanke ist, daß für den hochmüthigen, sichern, trägen Menschen Gottes gnädiger Wille sich in verzehrendes Feuer verwandeln wird. Wie es heißt Hebr. 12,28: Darum, weil wir empfangen haben ein unbewegliches Reich, lasset uns Dankbarkeit haben, in welcher wir sollen Gott dienen auf wohlgefällige Weise mit Ehrfurcht und Scheu - denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer; und 1 Petr. 1: Nach dem, der euch berufen hat und heilig ist, seid auch ihr heilig in allem euren Wandel. Und sintemal ihr den zum Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeglichen Werk, so führet euren Wandel, so lange ihr hier wallet, mit Furcht.

Mit Furcht und Zittern, und doch zugleich in freudiger Zuversicht. Denn das will Paulus sagen, wenn er hinzufügt: Alles thut ohne Murren und Zweifel. Das Herz murrt, der Verstand zweifelt. Gegen wen murrt das Herz und worüber? Gegen Gott und über die vielen Hindernisse, die sich uns entgegenstellen, wenn wir suchen mit allem Fleiß seinen Willen zu thun. Hatten doch auch die Philipper einen harten Kampf, nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit einem verkehrten und verdrehten Geschlecht. Je ängstlicher sie nun Alles zu meiden suchten, was Gott mißfallen konnte, desto steiler waren die Berge, die sie zu ersteigen hatten, und desto leichter konnte das Herz in Mißmuth gerathen und Gott fragen: Warum doch machst du uns das Leben so sauer? Wo aber einmal solcher Unmuth ist wider Gott, da kommen die Zweifel hinterher, die Zweifel, ob wir's auch werden vollbringen können, ob's auch werde ein gutes Ende nehmen; ja, es kommen wohl Zweifel und Anfechtungen viel ärgerer Art, da der ganze Glaube in uns wankend wird und die Sonne unserer Glaubensfreudigkeit sich gänzlich verfinstert und Nacht am hellen Mittage wird. Aber Paulus ruft uns zu: Alles, was ihr zu thun habt, thut's ohne Murren und Zweifel. Denn ihr habt ja einen Gott, der in euch wirket beides, das Wollen und die Kraft, das Gewollte zu vollbringen. Euer Glaube sagt's, eure Erfahrung lehrt's; nun, so habt denn die gewisse, freudige Zuversicht zu Gott, daß er, der das gute Werk in euch angefangen, es auch vollbringen werde. Weiche denn, Unmuth meines Herzens! Weicht, ihr zweifelnden Gedanken: Werd' ich treu und standhaft sein? Werd' ich siegen? werd' ich wanken? Wank' ich, wird mir Gott verzeih'n? Mein versuchter Mittler gibt Hülfe jedem, der ihn liebt; Gibt mir heilige Gedanken, Muth und Treue, nicht zu wanken.

2.

Seht, Christen, auf solche Weise sollen wir Sorge tragen für unser Seelenheil. Nach welchem Ziele sollen wir trachten auf diesem Wege? Das ist das Andere, was uns der Apostel sagt. Er zeigt uns ein irdisches und ein himmlisches Ziel. Das irdische: Damit ihr werdet tadellos und lauter. Mit dem „lauter“ greift er tief in unser Inneres ein, denn es bedeutet die Reinheit des Herzens und der Gesinnung. Das Wort im Grundtexte bedeutet eigentlich „unvermischt“. Der Herr braucht es, wenn er sagt (Matth. 10): Seid „ohne Falsch“ wie die Tauben. Unser Herz soll sein wie eine Taube, die ja das Bild eines Menschen ist, in dem kein Arg, keine Falschheit, keine Vorstellung und dergleichen ist, sondern lauter Einfalt und Aufrichtigkeit. Mein Christ, blicke in dein Inneres hinein: findest du da die unschuldige Taube? findest du da das reine Wasser, worin sich klar und schön das Bild deines Erlösers abspiegelt? Ach, wie viel Verkehrtes, Unlauteres ist noch deiner Gesinnung beigemischt! Welche Lüste, welche Begierden regen sich noch da! Nimm als einen Spiegel die zehn Gebote in deine Hand und betrachte darin die Gestalt deines inwendigen Menschen: ist ein einziges dieser zehn Worte, vor das du ohne Selbstanklage dich stellen könntest? Von Murren und Zweifel hat der Apostel kurz zuvor geredet, aber wie viel Anderes kommt noch hinzu! Laß doch das deine Seelsorge sein, daß du die Welt immer mehr aus dir herausschaffest, und das reine Herz deines Erlösers immer mehr in dich hinein. -

Dann die Tadellosigkeit: da stellt dich der Apostel vor deinen Nächsten, stellt dich vor die Welt hin und fordert einen solchen Wandel, daß Niemand mit Recht etwas auf dich bringen kann. Ein Christ muß sein wie ein Meisterstück, das man hinstellt und betrachten läßt von Jedem, der will, und dann ist's ein rechtes Meisterstück, wenn auch bei sorgfältigem Beschauen Niemand etwas daran zu tadeln findet. Aber wie viel ist noch an uns Allen zu tadeln! Es ist nicht gemeint, daß Jeder nur Gutes von uns sagen soll; das hat auch der Herr selbst nicht erreicht und Er am allerwenigsten; haben sie Christum verleumdet und sollten seine Bekenner unverleumdet lassen? Aber so sollst du leben und wandeln, daß sie mit Wahrheit nichts Böses von dir sagen können; nicht: der ist ein Heuchler; nicht: der liebt das Geld; nicht: der ist ein Wollüstling; nicht: der lebt in Hader mit seinem Weibe; nicht: der ist träge und ein schlechter Haushalter; nicht: der. ist kein Mann von Wort, und Anderes der Art mehr. Wie? dergleichen wolltest du von dir sagen lassen und so den Namen deines Erlösers verunehren, den du bekennst? Laß das Ziel nicht aus den Augen, das Paulus dir vorhält: Tadellos und lauter sollst du werden. Es wird ja ohne Sünden nicht abgeben, weder in deinem Herzen, noch in deinem Wandel; aber sorge doch, wache, bete, kämpfe, daß sie immer mehr abnehmen und du werdest, was du heißt - ein Heiliger. -

Wie könntest du als Christ dich der Welt gleichstellen? Paulus stellt uns Christen der Welt entgegen und fordert: unsträfliche Kinder Gottes sollen wir sein inmitten eines verkehrten und verdrehten Geschlechtes. „Geschlecht“ heißen die Menschen irgend eines bestimmten Zeitalters; aber wann hat's ein Zeitalter gegeben, da es nicht solch ein Geschlecht gab? Paulus wendet auf sein Zeitalter an, was Moses von Israel sagt (5 Mos. 32): Die verkehrte und böse Art fällt von ihm ab; sie sind Schandflecken und nicht seine Kinder. -

Ist es nun anders in unserer Zeit? Ein weiser Mann der Vorzeit zündete am hellen Mittage eine Laterne an und ging damit auf den Markt. Als man ihn fragte, was das zu bedeuten habe, antwortete er: Ich suche Menschen. So könnte Jemand in unsern Tagen die Laterne anzünden und sagen: Ich suche Christen. Wer aus Gott geboren ist, der sollte ja des Vaters Bild an sich tragen und blicken lassen; aber an wie Vielen seht ihr's, daß sie ihren Ursprung von oben haben? Gleicht dem edlen Baume im Garten jenes „krumme, verbogene“ Gewächs im Zaune, das doch von jenem Baume stammt? Ebensowenig gleichet die große Menge Gott, der ihr Schöpfer ist, weder nach der Gesinnung, die man bei ihr findet, noch nach der Rede ihres Mundes, noch nach der Gestalt ihres Thuns. Vergeßt es nicht, Christen, daß ihr, die ihr durch euren Glauben Gottes Kinder seid, nun auch in der Unsträflichkeit eures Wandels eure Kindschaft bethätigen sollt. Als zu Anfang Finsterniß das Erdreich bedeckte, da sprach Gott (1 Mos. 1): Es werden Lichter an der Veste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht, daß sie scheinen auf Erden. Welche Bestimmung habt ihr Christen? Die euch der Herr gegeben hat, welcher spricht: Ihr seid das Licht der Welt (Matth. 5). Der Apostel sagt dasselbe in unserm Text: unter dem verkehrten Geschlecht erscheinet ihr wie Lichtgeber in der Welt. Woher habt ihr euer Licht? Ihr habt es von Gott durch das Wort des Lebens, das er in euch gepflanzet hat. Licht und Leben gehören unzertrennlich zusammen; ihr habt beides in dem theuren Wort, das, euch erfüllt. Seid ihr denn Lichtgeber, so lasset das Licht von euch ausstrahlen, indem ihr das Wort des Lebens darbietet, es darbietet nicht nur in eurem Wort, daß sie es hören, sondern auch in eurem Wandel, daß sie es sehen.

Das ist das schon auf Erden zu erreichende Ziel, wonach wir streben sollen in der Sorge. für unser Seelenheil. Aber hinter diesem Ziele steht noch ein höheres Ziel. Der Apostel weiset uns auf den Tag Christi hin. Was ich euch eben an's Herz gelegt habe, spricht er, das thut, mir zum Ruhme auf den Tag Christi hin. Es kommt ja der Tag, wo wir alle sollen offenbar werden vor dem Richterstuhle Jesu Christi, auf daß ein jeglicher empfange, je nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse. O wie gerne möchte nun der Apostel an dem Tage mit Freuden hinblicken auf seine Philipper und sich ihrer rühmen dann! Und worin soll der Ruhm bestehen? Darin, daß er nicht vergeblich gelaufen und nicht vergeblich gearbeitet hat. Christen, ist Paulus nicht auch unser Apostel? Den Lauf seines Apostelamts, er hat ihn ja auch für uns vollendet, und die mühevolle Arbeit seines Berufs, er hat sie ja auch für uns vollbracht. Soll denn bloß Philippi, soll nicht auch Brügge einst der Ruhm des Apostels sein am Tage Christi? Auch nur eine einzige Seele, außer der eigenen, gerettet zu haben, müßte schon eine Seligkeit sein an jenem Tage, wie unser Gesangbuch sagt: Vielleicht - O möchte Gott es geben! - Ruft mir dereinst ein Seliger zu: Heil sei dir!, denn du hast das Leben, Die Seele mir gerettet, du! Gott, wie muß das Glück erfreun, Der Retter einer Seele sein! Und nun gar hundert Seelen, nun gar tausend und viel mehr als tausend Seelen gerettet haben! Laßt doch auch uns unter diesen Geretteten sein, zu unserer eigenen Seligkeit, wie zum Ruhm für alle die, welche für uns gelaufen, welche für uns gearbeitet haben, die Kinder zum Ruhm für ihre Eltern, die Schüler zum Ruhm für ihre Lehrer, die Gemeinden zum Ruhm für ihre Seelsorger, alle Christen insgesamt zum Ruhm für den, der sie erlöset hat, erworben, gewonnen mit seinem heiligen, theuren Blut! Nun, so gehet den Weg, den euch Paulus zeigt. Schaffet, daß ihr selig werdet, in der Nachfolge Christi, in standhaftem Gehorsam, in Lauterkeit des Herzens, in gewissenhafter Gottesfurcht, in freudiger Zuversicht. Trachtet auf diesem Wege darnach, daß ihr tadellos und lauter werdet und als Gottes Kinder euer Licht leuchten lasset unter den Menschen. Du aber, treuer Gott im Himmel, hilf dazu uns allen, hilf auch mir!

Schaue her zu deinem Kinde;
Höre mich und steh' mir bei!
Herr, bewahre mich vor Sünde,
Mache mich getrost und treu,
Daß ich standhaft deine Wege
Wandeln und nicht straucheln möge.

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