Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Zehnte Predigt.
O Gott, mein Vater, steh' mir bei,
Daß ich, weil ich hier walle,
Ein Schüler Jesu Christi sei,
Damit ich dir gefalle!
Laß mich durch ihn gerecht und rein,
Und auch voll Selbstverläugnung sein.
Wenn Paulus uns zur Selbstverläugnung ermahnen will, daß wir nämlich die Herrlichkeit, die Gott uns Christen gegeben, nicht dazu brauchen sollen, uns Einer über den Andern zu erheben, sondern daß wir vielmehr unser selbst vergessen und einander dienen sollen, so weiset er uns auf Jesum Christum hin. Habt in euch diese Gesinnung, die auch in Christo Jesu ist (Phil. 2, V. 5). Der Apostel weiset uns nicht auf etwas hin, das uns gleich oder gar unter uns ist. Er sagt nicht: Seid wie dieser oder der Mensch, sagt nicht: seid wie das Veilchen, das still verborgen im Grase blüht; sondern auf das Größte werden wir hingewiesen und auf das Höchste, was es nur geben kann. Der, von dem er redet in dem angeführten Worte und in dem, was folgt, ist Christus, der in der Person Jesu Mensch geworden ist; Christus, wie er war, ehe er in die Welt kam, und wie er war, als er hier in der Welt lebte, und wie er ist, nachdem ihn Gott erhöhet hat. Dieses Christi Jesu Gesinnung sollen wir in uns haben. Ist aber die Forderung nicht zu groß? Kann ein kleines Erdenlicht leuchten wie das große Himmelslicht, das den Tag regiert? - Wisset aber, liebe Christen, Paulus redet von Christo nicht als von einem bloßen Exempel und Vorbild, sondern zugleich als von dem himmlischen Weinstock, daran wir die Reben sind. Die Meinung ist nicht, daß wir uns aus eigener Kraft zu Christi Nachfolgern in unserer Gesinnung machen sollen, sondern mit Christo hat uns Gott schon verbunden und durch ihn uns tüchtig gemacht zu allem Guten; so sollen wir denn nur in unserer Gemeinschaft mit ihm verharren, und uns von seinem Sinn und Geist regieren lassen. Das ist ganz etwas anders als was man gemeiniglich nennet Jemanden nachahmen und seinem Beispiel folgen. Es gehet die Nachfolge Christi nicht von außen in uns ein, sondern gehet von innen, wo Christus ist, aus uns heraus. Nun, Christen, so laßt uns denn seine Nachfolger auch in der Selbstverläugnung sein, wozu wir ermahnt werden in unserm heutigen Text.
Phil. 2, v. 5 bis 11:
Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein; sondern äußerte sich selbst, und nahm Knechts-Gestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Geberden als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst, und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze. Darum hat ihn auch Gott erhöhet, und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters.
Dieser Text gehöret noch zu dem der vorigen Predigt. Paulus hat die Philipper gebeten, daß sie doch sollten nicht Einer über den Andern sich zu erheben suchen, sondern Jegliche von dem Ihrigen ab- und auf das des Andern sehn. Um sie dazu recht kräftig zu ermuntern, weiset er sie auf Christum hin. Wie doch Gott Alles, auch das Böse, zum Guten zu lenken weiß! Der Uneinigkeit unter den Philippern haben wir unsern Text zu danken, der eine der schönsten Früchte ist auf dem Baum des Evangeliums. Und diese Frucht gibt uns Gott heute zu essen.
Habe Dank für diese Frucht, und gib, du milder Geber, daß sie eine stärkende Nahrung werde für unser christliches Leben. Hört denn nun, was unser Text uns sagt über Christus, als das Vorbild der Selbstverläugnung: die sich uns offenbart 1. in dem Anfang, 2. in der Gestalt und 3. in der Vollendung seines Erdenlebens.
1.
Paulus, indem er uns die Selbstverläugnung Christi zeigen will, geht mit uns zurück in die erste Zeit, wo noch der Mensch im Paradiese lebte, und stellt eine Vergleichung an zwischen Christus und Adam. Ihr wisset, daß Gott den Menschen geschaffen hatte nach seinem Bilde, wie die Schrift sagt: „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (1. Mos. 1, 27). Welch eine Herrlichkeit lag in diesem Bilde, wozu noch kommt, daß der Mensch auch im Garten Eden, im Paradiese lebte und den Tod nicht kannte. Aber Gott war er nicht. Und dennoch wollte er sein wie Gott. Er glaubte der Schlange, die ihn versuchte und sprach: Welches Tages ihr von diesem Baum esset, werden eure Augen aufgethan und werdet „sein wie Gott“ (1 Mos. 3). Er aß und wollte so das Wie Gott sein an sich reißen. - Was wird nun von Christo gesagt? Ob er wohl in Gottes Gestalt war, hielt er das „Wie Gott sein“ nicht für einen Raub, das heißt, für etwas, das man gewaltsam an sich reißen müsse. Seht (spricht Paulus), das ist der große Unterschied zwischen Christus und Adam: Adam war nicht Gott und wollte doch sein wie Gott; Christus war Gott und - entäußerte sich selbst. Die Gottesgestalt Christi bedeutet seine Herrlichkeit, die er hatte, ehe die Welt war. Es ist fast dasselbe, was anderswo Ebenbild heißt: Welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Col. 1,15); welcher ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens (Hebr. 1,3), nur daß Paulus an unserer Stelle nicht von dem Verhältniß des Sohnes zum Vater redet, sondern uns bloß die vorweltliche Herrlichkeit Christi zu beschauen gibt. Jemandes Gestalt ist in die Art, wie er sich dem Auge eines Andern darstellt: nun, wie stellt sich Christus - derselbe Christus, der nachher in der Person Jesu Mensch wurde, - wie stellt er sich dem Auge eures Glaubens dar? War er ein Geschöpf wie Adam? Nein! er war der Erstgeborene von allen Creaturen. War er ein Gebilde aus Erde, dem Gott Odem einhauchte? Nein! er war der ewige Abglanz Gottes, Licht von Licht, aus Gott geboren. War er ein Bild Gottes wie Adam und Eva, die da herrschten über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über die Erde? Nein! er war das ewige Wort, durch welches alle Dinge geschaffen sind und welches alle Dinge trägt. War er bloß das Abbild Gottes, wie der Mensch es ist, selbst wenn er keine Sünde hätte? Nein! alle Liebe, Macht, Weisheit Gottes war in ihm. Wohnte er bloß in einem irdischen Paradiese? Nein! sein Paradies war der Himmel und alle Seligkeit und Herrlichkeit des großen Gottes. - Und nun sehet seine Selbstverläugnung, daß er aller dieser Herrlichkeit sich entäußerte und die Gestalt des Jesus von Nazareth annahm! Da könnt ihr Demuth, da könnt ihr Selbstverläugnung lernen.
Und das ist es, was uns der Apostel an's Herz legen will. Er warnt uns für's Erste, daß wir nicht in die Fußtapfen des irdischen Adam treten sollen, der sich vom Teufel bethören und verblenden ließ, daß er die göttliche Herrlichkeit für Etwas hielt, das er an sich raffen und reißen müsse. Das ist noch immer aller hochmüthigen Adamskinder Art, daß sie wie Gott sein wollen, als wären sie Gott, das sie doch nicht sind. Die erste Sünde ist die Mutter alles Stolzes und Hochmuths gewesen, und wer in diesen Hochmuth fällt, der gehet allezeit den Weg der ersten Sünde. Was ist's, wenn du nach Hoheit, Ehre und Macht in der Welt begierig bist und dir das Los nicht gefallen lassen willst, das dir Gott zugewiesen hat in diesem Leben? Was ist's, wenn du deinen Verstand bloß leuchten lässest als ein Licht, das dir den Weg zu irdischer Herrlichkeit zeigen muß? Was ist's, wenn du dich vor das, was du bist, hast und kannst, als vor einen Spiegel stellst und dich damit vordrängst, auf daß du obenan sitzest und der Erste seiest? Ists nicht die alte Geschichte, die sich an dir wiederholt, daß du dich vom Teufel verblenden lässest und nach etwas trachtest, das dir nicht zugehört?
Ja, so weit gehen in unseren Tagen Tausende, daß sie möchten Gott von seinem Stuhle stoßen und sich selbst darauf setzen, denn es ist bei ihnen kaum mehr die Rede von Gott, sondern ihr Ich soll Herr und Meister in Allem sein. O gedenket doch an das bekannte, nur zu bekannte „ihr werdet sein wie Gott,“ und greifet nicht nach solchem leeren Schatten in eitler Ehrsucht. - Vielmehr habt vor Augen den demüthigen Christus, der, ob er wohl Gott war, doch von seiner göttlichen Herrlichkeit sich leerete, als er kam in diese Welt. Alles sein und doch Nichts sein wollen für sich; Alles können und doch Nichts wollen und thun, als was des Vaters Wille ist, das ist das leuchtende Vorbild unsers Herrn. Ihr als Christen seid ja freilich hoch begnadigt von Gott. Denn durch Christum seid ihr wieder zurückgeführt in das verlorene Paradies, und ist als ob Gott noch einmal gesagt hätte: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei. Wie rühmet doch die Schrift unsere Christenherrlichkeit, die wir von Gott empfangen haben! Verordnet hat uns Gott zur Kindschaft; welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er gerecht gemacht hat, die hat er auch herrlich gemacht (Röm. 8,30). Soll's nun mit uns wieder den alten Gang gehen? Wollen wir nicht lieber gesinnet sein, wie Christus Jesus, der, als auch zu ihm der Satan kam und ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte und sprach: Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest der den Versucher von sich wies und sprach: Hebe dich weg von mir!?
2.
Und nun lasset uns, fürs Andere, die Gestalt seines Erdenlebens betrachten, die Paulus seiner Gottesgestalt entgegen setzt, um uns seine Selbstverläugnung zu zeigen. Er äußerte sich selbst. Um uns das verständlich zu machen, weiset uns der Apostel zunächst auf seinen irdischen Zustand und dann auf sein Verhalten in diesem Zustande hin. Nun, wie war es denn mit seiner Selbstentäußerung, und worin bestand es, daß er sich seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit begab? Er äußerte sich selbst, indem er Knechtsgestalt annahm. Das ist's, was unser Gesangbuch sagt: Mich zu erhöhn, wird er ein Knecht, das mag ein Wechsel sein! Wessen Knecht? Keines Andern als Gottes, wie er auch spricht: Das ist meine Speise, daß ich den Willen thue meines Vaters im Himmel und vollende sein Werk. Aber Gott dienen und den Menschen dienen läßt sich nicht scheiden, denn eben darin, daß er uns diente, diente er Gott. „Ich bin unter euch wie ein Diener“ (Luk. 22). „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene.“ Denkt nur an den letzten Abend, den er mit seinen Jüngern zubrachte, wie er da den Schurz anlegte und das Becken nahm und seinen Jüngern die Füße wusch. Das sollte ein Bild seines ganzen Lebens und Wirkens auf Erden sein. In solchem Gehorsam gegen Gott war er umhergegangen und hatte wohlgethan. Hätte er seinem Leben nicht eine ganz andere Gestalt geben können? Auf dessen Wort sich die Stürme und die Wasserwogen legten; auf dessen Wort die Blinden sahen und die Tauben hörten und die Todten lebendig wurden: hätte der nicht auf Erden mehr sein können als der König Salomo, über dessen Herrlichkeit sich die Königin aus Arabien verwunderte und sprach: Ich habe es nicht wollen glauben, bis ich gekommen bin und habe es mit meinen Augen gesehen!? Aber statt dessen sehen wir ihn einhergehen in Knechtsgestalt. Er tritt unter das Volk und ruft die Mühseligen und Beladenen und erquickt sie mit seinem holdseligen Wort. Er gesellt sich zu den Zöllnern und Sündern und verkündigt ihnen die Vergebung der Sünden. Er geht zu der betrübten Witwe, tröstet sie und spricht: Weine nicht. Er reicht dem Kranken, der zu ihm kommt, die Hand und richtet ihn auf. Er bricht das Brot den Hungrigen, die in der Wüste sind, und speiset sie. Er tritt auf ein Schiff, tritt auf einen Berg, und predigt denen, die bei ihm sind, das Evangelium. - Also dienete er Gott. That er's in der Gestalt eines Engels? Denn auch von den Engeln wird ja gesagt, daß sie von Gott ausgesandt sind zum Dienste derer, die die Seligkeit ererben sollen. Nein, sagt Paulus, er äußerte sich selbst, indem er ähnlich wie Menschen geboren wurde. Denkt nur an die Maria, die ihn gebar; denkt an Bethlehem und an die Krippe in Bethlehem, wie wir um Weihnacht singen:
Dort lag er an Mariens Brust,
Ein schwaches Kind war er;
Er aller Himmel Lob und Lust,
Er Davids Sohn und Herr.
Zwar blieb er auch so, der er war, der Sohn des Höchsten, das Ebenbild des unsichtbaren Gottes: aber war doch nicht seine göttliche Herrlichkeit ganz verdeckt hinter der Wolke seiner menschlichen Gestalt? Daß ihr nicht etwa denket, es sei mit seiner Menschheit nur Schein gewesen, weil er nach seinem innern Wesen nicht aufhören konnte zu sein, der er von Ewigkeit her gewesen war, so beruft sich Paulus zuletzt noch auf das, was die Menschen an ihm wahr genommen haben, als Zeugniß, daß er wahrhaftiger Mensch gewesen ist. Er äußerte sich selbst, indem er an Ansehen wie ein Mensch erfunden ward. Dies sein Ansehen oder ganze Haltung auf Erden gehet auf Alles, was man Menschliches an ihm wahrnahm, als Kleider, Essen und Trinken, Denken, Reden, Handeln, Freude und Traurigkeit. Hättest du ihn gesehen, was hättest du an ihm gefunden? Eines Engels Angesicht, Gang, Kleid und Strahlen der Herrlichkeit? Nein, wie wir trinkt er die Milch der Mutterbrust; wie wir bedarf er der Wartung und Pflege als Kind; wie wir wächst er, lernt und nimmt zu äußerlich und innerlich; wie wir arbeitet er, wandelt, trinkt Wasser aus dem Brunnen, wird müde, schläft, redet, und in Summa, hat Alles an sich, was ein Mensch, nur nicht die Sünde. Das war der Wechsel der Gottesgestalt mit der Menschen- und Knechtsgestalt. - Aber dabei hätte es ihm doch wohlgehen können auf Erden. Was that er? Paulus sagt: Er erniedrigte sich selbst, indem er gehorsam wurde bis zum Tode, und zwar zum Kreuzestode. Das war sein Thun und Verhalten in jenem seinem Zustande als Mensch und Knecht. Der Apostel redet nicht davon, daß Christus aus einem Reichen ein Armer geworden ist um unsertwillen (2 Cor. 8,9), er war ja so arm, daß er nicht hatte, wohin er sein Haupt legete. Auch redete er nicht von seiner Mühe und Arbeit, die er hatte, dabei er Frost und Hitze, Hunger und Durst leiden mußte; sondern er weiset nur auf das Ende hin. Christus war gehorsam gegen Gott bis zu solcher Erniedrigung, daß er sogar den Tod erlitt, und nicht einen Tod, wie auch Andere ihn wohl erleiden, sondern sogar den schmählichen Tod der Missethäter am Kreuz. Sieh ihn nur, den Fürsten des Lebens, wie willig er im Gehorsam gegen den Vater den Gang nach Jerusalem thut - er weiß schon, was ihm dort begegnen wird; wie er zu Gethsemane unter der Last seiner Leiden niedersinkt; wie er ergriffen, dem Richter überantwortet und ungerechterweise zum Tode verurtheilt wird; wie er als ein Verspotteter, Verhöhnter, Geschlagener sein Kreuz nach Golgatha trägt und auf Golgatha an's Kreuz geschlagen wird; wie er, am Kreuze hangend, sich verlassen fühlt und Schmerzen des Todes leidet bis an den Augenblick, da er sein Haupt neiget und stirbt.
Christen, warum wird euch das alles gesagt? Daß ihr an Christo die Selbstverläugnung lernen sollt. Er, der Gott ist, wird Mensch, damit wir Menschen durch ihn zu Gott kommen möchten. Er, der Herr ist, wird Knecht, damit wir durch ihn frei werden möchten. Er, der Fürst des Lebens ist, geht in den Tod, damit wir durch ihn aus dem Tode in das Leben kommen möchten. So hat er sich aller seiner göttlichen Herrlichkeit entäußert, ist in die Armuth, in den Kampf, in den Tod des irdischen Lebens herabgestiegen, und hat sich in den Dienst Gottes gestellt, um zu suchen und selig zu machen, das verloren war. Wollt nun ihr, die ihr diesem Christo angehört, sein eigen seid und in seinem Reiche unter ihm lebet, wollt ihr nun noch stolz und hochmüthig sein? Wollt ihr nun noch an euch zu reißen suchen, wessen ihr an Gut, Ehre und Ansehen in der Welt nur immer habhaft werden könnt? Wollt ihr nun noch Gepränge machen mit dem, was ihr habt und seid, um von den Menschen euch bewundern und anbeten zu lassen? Ach, das verträgt sich ja gar nicht mit der Gesinnung eines Christen. Lernt vielmehr von Christo, daß ihr euer selbst vergessen und einander dienen sollt. Das sind die beiden wahren Stücke der Selbstverläugnung. Ich soll nicht von mir abthun, was Gottes Gnade mir geschenkt hat an irdischem oder himmlischem Gut; aber was ich bin, sein soll ich's, als wäre ich es nicht; was ich habe, haben soll ich's, als hätte ich es nicht, so still, bescheiden, demüthig soll ich einhergehen unter den Menschen, und den Nächsten höher achten denn mich selbst. Noch weniger soll ich darauf ausgehen, daß ich mich selbst groß, herrlich und angesehen mache in der Welt, sondern soll mich samt allem, was ich habe, in den Dienst meines Vaters im Himmel stellen. Sehet euch für nichts anders an, als für Knechte Gottes, deren Lust und Freude es sein soll, zu thun den Willen ihres theuren Herrn. Seid nicht bloße Schein-Menschen, wie Viele, sondern wahrhaftige Menschen, was ihr seid, wenn ihr in Liebe einander dienet. Nehmet sogar den Kelch der Leiden und trinket ihn willig und getrost, wenn euer Beruf ihn euch zu trinken gibt. Wie eigennützig sind doch Viele bei ihrem Wirken auf Erden! Sie wollen Gutes thun, aber es soll ihnen keine Mühe, kein Geld, keine Entsagung, kein Opfer kosten, da es doch Christo nicht nur Mühe und Kampf, sondern sogar sein Leben gekostet hat. Wie göttlich wäre die Welt, wenn Alle so gesinnt wären, wie Jesus Christus war!
3.
Sogar in seiner Erhöhung, in der Vollendung seines irdischen Lebens, ist Christus uns ein Vorbild der Selbstverläugnung. Lernet dies für's Dritte. Darum auch (spricht Paulus) hat Gott ihn hoch erhöhet, und hat ihm den Namen geschenkt, der über jeglichen Namen ist, das mit im Namen Jesu sich beuge jegliches Knie der Himmlischen und Irdischen und unterirdischen und jegliche Zunge (aller dieser Genannten) bekenne, daß Herr ist Jesus Christus, zur Ehre Gottes des Vaters. Hier wird uns nun für's Erste gesagt, in welcher Weise und Ordnung Gottes ein Mensch zur Herrlichkeit gelangt. Denn das lehret nicht das Evangelium, daß wir sollen ewig in der Niedrigkeit und Knechtschaft bleiben, sondern große Herrlichkeit hat Gott uns allen zugedacht. Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben. Aber die Menschen haben von Anfang an diese Herrlichkeit angesehen als ein Gut, das sie mit Gewalt an sich reißen müßten und so früh als möglich, lange bevor die rechte Zeit gekommen ist. Sie sehen sie an als einen Raub. Aber sie ist eine Gabe und Geschenk Gottes, also nicht dein, sondern Gottes Eigenthum, das du nicht einmal als einen verdienten Lohn fordern kannst, wie es denn sogar von Christo heißt: Gott habe ihm den Namen „geschenkt“, der über alle Namen ist. Doch will uns Gott die Herrlichkeit geben, wie er allenthalben in der Schrift sagt und verheißt, nur hat er die unwandelbare Ordnung festgelegt, daß sie auf dem Wege demüthiger Selbstverläugnung, Liebe und Treue errungen werden soll. Willst du's ohne Dieses an dich bringen, so erhaschest du nichts als das bekannte „Sein wie Gott“, welches ein Schein ist ohne Wahrheit und ein Dunst und Nebel, da nichts hinter ist als rothe Augen, Ach und Weh und zuletzt die höllische Verdammniß. Was sind die verblendeten Menschen, die nicht den Weg Christi geben und doch die Herrlichkeit an sich reißen wollen? Räuber sind sie, die ihren Raub wieder müssen abgeben, wenn der Tod sie vor seine Schranken fordert. So haben sie Nichts gewonnen mit ihrem hochberühmten Namen, woran Reichthum, Macht und Ehre hing, sondern je höher sie steigen auf der Leiter ihrer diebischen Begehrlichkeit, desto tiefer müssen sie nachher wieder heruntersteigen. Darum, spricht der Apostel, darum hat ihn Gott erhöht. O merke dir dies Darum, lieber Christ; es zeigt dir die feste, unwandelbare Ordnung an, daß nur erhöhet wird, wer in Demuth und Liebe sich selbst erniedriget.
Thust du aber das, so hat Gott Großes mit dir im Sinn. Paulus weiset dich auf die Erhöhung Christi hin. Worin bestehet sie? Darin, daß er Herr ist, wie es nachher heißt, also in der göttlichen Herrlichkeit, die ihm zu Theil geworden ist. Gott hat ihn „hoch erhöht.“ Das ist nicht gesagt von seinem Hingang zum Vater, auch nicht, als würde damit seine Herrlichkeit verglichen mit der Menschen oder der Engel Herrlichkeit, sondern der Apostel weiset uns mit diesem Wort in eine Höhe hin, über die hinaus es keine höhere Höhe gibt. Ueber der Sonne sind noch Sterne, und über den Sternen, die wir sehen, noch andere Sterne, die wir nicht sehen; aber über der Herrlichkeit Christi ist keine größere Herrlichkeit. Gott hat ihm den Namen geschenkt, der über jeglichen Namen ist. Was ist das für ein Name? Nun, eben der Name, den er führt: Jesus Christus, in welchem Namen alle Herrlichkeit verborgen liegt. Dann ist auch irgend etwas Göttliches und Großes und Ewiges, das du ausschließest von dem Namen deines Erlösers? Sage ich „Himmel“, so denke ich an die tausendmaltausend Wunder, die am Himmel sind; und sage ich „Jesus Christus“, so denke ich an alle Macht, Liebe, Weisheit, Seligkeit und kurz an alle Vollkommenheit, die in dem erhöhten Christo beisammen ist. O laß dich solche Herrlichkeit Christi zur Demuth und Selbstverläugnung ermuntern. Du bist ja Christi eigen, und er will, daß, wo er ist, auch du dereinst seiest und die Herrlichkeit sehest, die ihm Gott gegeben hat. Willst du dies hohe Ziel erreichen, so gehe den Weg, der dahin führt.
Aber warum ist nun dem Erlöser eine solche Herrlichkeit geschenkt? Paulus sagt: damit Alles, was Engel im Himmel oder Mensch auf Erden oder Verstorbener im Reiche der Todten heißt, im Namen Jesu sich beuge. „In Jesu Namen“ ist kurz gesagt; statt „beim Anrufen seines Namens“ und bedeutet „zu ihm beten,“ wie zu Gott beten auch anderswo genannt wird „die Hände in seinem Namen aufheben“ (Psalm 63,5). Dasselbe, was hier Paulus sagt, sagt auch Johannes (Offenb. 5,13): Alle Creatur, die im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und im Meer und Alles, was darinnen ist, hörete ich sagen zu dem, der auf dem Stuhle saß, und zu dem Lamm: Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Warum fügt nun der Apostel dies hinzu? Um uns hinzuweisen auf das große, Himmel und Erde umfassende Reich unsers Erlösers, auf die Millionen mal Millionen Seelen derer, die durch, ihn zu Gott kommen und kommen werden. Denn es ist ihm nicht um die Anbetung zu thun, sondern um die Anbeter, und das ist seine eigentliche Erhöhung, daß er eine ganze erlöste Welt zum Lohne bekommen hat. Denn sehen wir von dieser Frucht seiner Erniedrigung ab und bloß auf ihn und seine Person: was hat Er selbst nach seinem Erdenleben empfangen, das er nicht schon gehabt hat vor Grundlegung der Welt? Kann Dem etwas geschenkt werden, durch den alle Dinge sind? Es muß zwar eine Erhöhung heißen, daß Christus mit dem ganzen Reichthum der Menschheit Jesu, und wiederum der Mensch Jesus mit der ganzen Fülle der Gottheit ausgestattet worden ist. Aber was wäre der Mensch Jesus in aller seiner Herrlichkeit ohne den Gewinn einer erlösten Welt, den er mit sich in den Himmel genommen hat? Darum weiset uns Paulus auf die verlorene Welt, die durch ihn wieder gefunden ist. Dadurch eben ist sein Name herrlich geworden, denn man kann denselbigen nicht aussprechen, ohne daran zu denken, daß in Christo Alles zusammengefasset ist, beides das im Himmel und auf Erden ist (Eph. 1,10). Ja, das ist ein Gewinn, ein Lohn auch für den erhöhten Gottessohn. Eine Welt wiederfinden, die verloren war, das mag ein herrlicher Triumph seiner Liebe heißen. -
Aber ist denn die Welt schon wieder gefunden? Beugen sich schon alle Kniee der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen in seinem Namen? Ist nicht in Wahrheit die Zahl seiner Bekenner noch klein, groß dagegen die Zahl derer, denen sein Name noch unbekannt oder gar ein Aergerniß und eine Thorheit ist? Wohl wahr; aber bedenkt, es ist noch nicht das Ende da. Auf dieses Ende oder Ziel weiset Paulus hin mit den Worten: zur Ehre Gottes des Vaters. Es kommt die Zeit, wo Alle, Alle Jesum als den Herrn bekennen werden, Viele zwar mit Zittern, wie denn selbst die Engel der Finsterniß sich vor ihm beugen müssen; Alle aber, die durch ihn selig geworden sind, mit großer Freudigkeit. Und dann ist das Reich vollendet, dann gibt der Sohn es zurück in des Vaters Hand, auf daß Gott Alles in Allen sei. Nun aber herrschet noch Christus, und das ist sein tägliches Wirken noch jetzt, daß er sein Reich zur Vollendung bringe. Also auch in seiner Erhöhung finden wir die Selbstverläugnung seiner Liebe. Nicht um ihn selbst ist es ihm zu thun, sondern darin hat er seine Seligkeit, daß sein Reich mehr und mehr wachse und mit seinem Reiche die Ehre Gottes. Es geschieht Alles um euretwillen, auf daß die überschwängliche Gnade durch Vieler Danksagen Gott reichlich preise (2 Cor. 4, 15).
Christen, bedarf's nun noch eines Weiteren, um uns zur Demuth, zur Selbstverläugnung zu ermuntern? Nein, es gibt keine stärkere Ermunterung als das Vorbild Christi.
Ach, mein Jesu, der du dich
So entäußern solltest.
Als du, treuer Heiland, mich
Göttlich machen wolltest;
Ich will hier wie du gesinnt,
Still und niedrig leben.
Nach der Zeit wirst du dein Kind
Auch zu dir erheben.