Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 15. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 15. Betrachtung

Fragst du, wie wir gewaffnet stehen sollen wider die Anläufe des Unglaubens in der Irrlehre? Paulus lehrt: es uns in den vorhergehenden Versen: mit dem Gebet, welches zur Festigkeit, mit Festigkeit, welche zur Einigkeit, mit Einigkeit, welche zum Verständnis, mit Verständnis, welches zur Erkenntnis, mit Erkenntnis, welche zur Treue führt. Wie das gemeint sei, lehrt unsere vierzehnte Betrachtung. Aber der Apostel lässt es an dem allgemeinen Unterricht nicht bewenden, sondern zeigt nun den Kolossern insbesondere die Gefahr, worin ihr Glaube schwebt, und mit einer Warnung und Ermahnung, als mit zwei Nägeln, treibt er das Gesagte in ihre Herzen ein.

Kap. 2, 4-7: Ich sage aber davon, dass euch Niemand betrüge mit vernünftigen Reden. Denn ob ich wohl nach dem Fleische nicht da bin, so bin ich aber im Geiste bei euch, freue mich, und sehe eure Ordnung, und euren festen Glauben an Christum. Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christum Jesum, so wandelt in ihm, und seid gewurzelt und erbaut in ihm, und seid fest im Glauben, wie ihr gelehrt seid, und seid in demselben reichlich dankbar.

Was uns diese Worte bieten, ist eine Warnung und Ermahnung an die, welche von falschen Propheten umgeben sind.

Es ist:

  1. eine Warnung vor dem Blendwerke. der Verführer, und
  2. eine Vermahnung zum Wachstum im Glauben.

1.)

„Ich sage aber davon.“ Mit diesen Worten macht der Apostel die Anwendung des zuvor Gesagten auf die Kolosser. Als ob er sagen wollte: „Das nehmt nun ihr euch zu Herzen, die ihr in so großer Gefahr steht, in eurem Glauben Schiffbruch zu leiden. Ich habe es euch nicht bloß zur Lehre gesagt, sondern auch zur Warnung: „dass euch niemand betrüge mit vernünftigen Reden, das heißt, durch falsche Schlüsse euch täusche in überredenden Worten.““ In zweierlei bestand das Blendwerk der falschen Apostel: in falschen Schlüssen und überredenden Worten. Sie, die auf die Beibehaltung des Mosaischen Gesetzes drangen, und die Schattenwerke des alten Bundes mit dem Wesen des neuen Bundes verbinden wollten, machten falsche Schlüsse, wodurch die Kolosser in Gefahr standen getäuscht zu werden. Welche diese Schlüsse waren, weiß man nicht. Möglich ist es, dass sie z. B. also schlossen: „Was der unveränderliche Gott verordnet hat, das muss auch unveränderlich beibehalten werden. Nun aber hat er die Beschneidung, die Opfer, die Sabbate, die Festtage usw. verordnet: also müssen sie auch unverändert beibehalten werden.“ Solche und ähnliche Schlüsse unterstützten sie durch überredende Worte. Sie verstanden die damals sehr ausgebildete Kunst, ihrer schlechten Sache einen guten Schein zu geben, und ihren mündlichen Vortrag so einzurichten, dass die Hörer dadurch getäuscht werden konnten. Wer diese schwarze Kunst versteht, wie leicht verführt der die unschuldigen Herzen, und nimmt ihnen beides, den Rock und den Mantel (Micha 2.). Wie machen's die falschen Apostel unserer Zeit? Ins Judentum wollen sie uns nicht führen, Beschneidung, Opfer und dergleichen fordern sie nicht. Aber darin sind sie den falschen Aposteln zu Kolossä gleich, dass sie ihre unevangelischen Lehren durch das Blendwerk falscher Schlüsse, irriger Gründe und prächtiger Reden zu stützen suchen. Es gibt keine Lüge, die nicht für Wahrheit gelten will, und nimmt sie nun außerdem noch den Schmuck der Beredsamkeit an, so wirkt sie zauberisch auf die Herzen der Hörer und Leser. Paulus warnt, dass wir uns durch solche Blendwerke nicht täuschen lassen. Aber wie sollen wir ihnen entgehen? Wisst, liebe Christen, es bedarf dazu keiner Gelehrsamkeit. Befolgt nur den Rat, den Paulus euch zu Anfang dieses Kapitels gibt: Betet und lasst für euch beten, forscht in der Schrift, trachtet nach der Erkenntnis des Herrn Jesu Christi, so wird keine Kunst der Irrlehrer es vermögen, euch um euren Glauben zu bringen, sondern ihr werdet festhalten, was ihr habt, eben weil ihr in Christo alles habt. Der Glaube bringt eine Überzeugung mit sich, die aller Falschmünzerei und Überredungskunst der Irrlehrer gewachsen ist.

Aber seid nicht sicher, denn Gefahr ist allerdings vorhanden, weshalb uns auch der Apostel warnt. Und damit uns diese Warnung desto mehr zu Herzen gehe, beruft er sich darauf, welche Teilnahme er an uns habe und wie nahe wir ihm innerlich stehen. Seine Warnung ist auf die herzlichste Teilnahme und Liebe gegründet. Das zeigen die Worte: „Ob ich wohl nach dem Fleische nicht da bin, so bin ich doch im Geiste bei euch.“ Der Geist eilt auf Flügeln der Morgenröte, wohin er will, nicht nur mit seinen Gedanken, sondern auch mit Wunsch, Gebet, Freude und dergleichen. Gott sei Dank, dass wir unsere Freunde immer um uns haben, auch wenn sie äußerlich in weiter Ferne sind! Selbst die Verklärten im Himmel kommen zu uns, und begleiten uns auf unserm Wege, vor allen der liebe Heiland, welcher spricht: „Ich bin bei euch alle Tage.“ Auch Paulus, der voll Liebe und Treue war denn er trug Sorge für alle Gemeinden und suchte nicht das Ihre, sondern sie - Paulus war immer bei den Kolossern, und sah deutlich, wie es um sie stand, sei es nun, dass er bloß durch den Epaphras von ihnen wusste, oder dass ihm durch den Geist Gottes ein besonderer Blick in ihre Lage eröffnet war, wie einst der Prophet Elisa im Geiste sah, was Gehasi tat (2 Kön. 5.). Ich bin bei euch,“ spricht er, freue mich, und sehe eure Ordnung, und euren festen Glauben an Christum.“ Welche Ordnung meint er? Vielleicht ist an die äußere Verfassung der Gemeinde, an die treffliche Leitung, unter der sie stand, an ihren willigen Gehorsam gegen ihre Vorgesetzten, an ihre Kirchenzucht, ihre Armenpflege, an die Ordnung ihrer gottesdienstlichen Versammlungen und dergleichen mehr zu denken. Es ist schon eine gute Waffe wider den Feind, wenn im Äußern alles ordentlich zugeht in einer Gemeinde (1 Kor. 14.). Wo die Ordnung mangelt, da stellt sich die Sünde im Herzen ein, und die Gemeinde ist wie ein Garten ohne Zaun, in den die bösen Leute dringen und die jungen Pflanzen zertreten können. Aber Paulus denkt wohl mehr an die innere Geistes Verfassung der Kolosser. Er vergleicht sie mit einem Heere, das in festgegliederter Ordnung dem Feinde gegenübersteht. Wird im Kriege die Schlachtordnung getrennt, so hat der Feind gewonnenes Spiel. Noch war die Ordnung unter den Kolossern nicht zerrüttet, noch standen sie wie Ein Mann, noch standen sie fest. Und was gab ihnen diese Festigkeit? Der Glaube an Jesum Christum. Christus wird vorzugsweise genannt, weil wir ohne ihn nicht könnten an den Vater glauben, zu dem uns eben durch Christum der Zugang eröffnet ist „niemand kommt zum Vater denn durch mich,“ und weil durch den Glauben an Christum unserer Stellung gegen den Feind die rechte Festigkeit verliehen wird. Durch diesen Glauben nun hatten auch die Kolosser wie tapfere Krieger in ihrer Ordnung Stand gehalten, waren nicht gewichen oder gefallen, und niemand hatte ihre Ordnung verrücken können. Das sah der Apostel und freute sich. Würde er sich auch freuen, wenn er uns anblickte? Stehen auch wir im Glauben wie ein in Schlachtordnung gestelltes Heer? Oder müsste Paulus sagen: Ich betrübe mich, indem ich sehe, wie ihr am Glauben so schwach seid und darum so wenig Zusammenhang in euren Reihen ist? Ach, wie viele Gemeinden gibt es, bei denen weder die äußere noch die innere Ordnung gefunden wird! Glaube, Festigkeit, Ordnung - wo diese drei sind, da wird dem Feinde der Sieg nicht leicht.

Aber ein Spruch lautet: Nicht das Haben genügt, wo man nicht sorgt, dass man auch behalte und mehre, was man hat. Daher fügt der Apostel zu seiner Warnung

2.)

eine Ermahnung zum Beharren und Wachstum. Zunächst zeigt er die Bedingung an, ohne die bei einem Christen von Wachstum nicht die Rede sein kann: man muss Christum angenommen haben. „Wie ihr nun angenommen habt Christum Jesum, den Herrn, also wandelt in ihm.“ Merket wohl, der Apostel sagt nicht: ihr habt das Christentum, sondern: ihr habt Christum angenommen. Nur der hat Christentum, der Christum hat, welcher Wohnung in seinem Herzen nimmt, und nun die Seele alles seines Tuns und Lassens, seines innern und äußeren Lebens wird, gleichwie die Sonne mit dem Erdboden sich verbindet, und Wärme und Fruchtbarkeit ausgießt über ihn. Man kann den Sonnenstrahl nicht trennen von der Sonne. Also kann und soll man auch nicht reden von der Lehre des Christentums und sie scheiden von Christo, wie viele tun, welche warnen, Christentum sei nichts denn eine Reihe von Gedanken, in Wort und Satz gekleidet. „Wo du nicht zu den Worten das Wort hast, den Christum in euch“ (Kol. 1, 27.), so bist du noch kein wahrer Christ. Hast du ihn aber selbst empfangen, so ist er nun auch dein Herr, nicht nur nach dem Bekenntnisse, da du sprichst: „Ich glaube, dass Jesus Christus sei mein Herr;“ sondern er ist es auch der Tat und Wahrheit nach, indem er von seinem Throne aus, den er in deinem Herzen gebaut, all dein Fühlen und Empfinden, dein Wollen und Begehren, dein Reden und Tun beherrschet und regiert. Das heißt Christum Jesum, den Herrn, empfangen, und geschieht, wenn man sein Herz reinigt von sich selbst und von der Welt, und mit Reue und Leid, mit Demut und sehnlichem Verlangen seine Arme ausstreckt nach dem Herrn. O dass doch jeder unter uns sich getrieben fühlte, alle Begierden seiner Seele auszustrecken nach dem schönsten unter den Menschenkindern, ihn mit aller seiner Gnade, mit allem seinem Licht, mit aller seiner Kraft, mit allem seinem Leben in das Herz aufzunehmen, und sich dergestalt mit ihm zu vereinigen, dass er auch im Tode nicht anders als in seinen Armen gefunden werde! So hatten die Kolosser Christum empfangen, so sollten sie nun auch in ihm wandeln in ihm, das heißt, in seiner Gemeinschaft sollten sie bleiben und wachsen, wie ein Vogel in der Luft lebt und schwebt, und der Fisch im Wasser, welches sein Element ist, ohne das er sterben würde. Bleibet in mir, und Ich in euch, spricht er selbst (Joh. 15.). Die nun in solcher Gemeinschaft mit Christo nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist, seinen Fußstapfen nachfolgen, und seinem Schutze ihre Seelen befehlen, die wandeln in ihm.

Das Wandeln umfasst zweierlei: zum ersten dies, dass man einen gewissen Weg verfolge, ohne weder zur Rechten noch zur Linken abzuweichen, und fürs andere, dass man auf diesem Wege munter fortschreite bis ans Ziel. Wandeln ist nicht stille stehen, sondern ein beständiges Fortschreiten. Der Apostel lehrt uns, worin dies Fortschreiten oder Wachsen im Christentum bestehe. Es ist viererlei; zunächst ein Festwurzeln in Christo. Wandelt in ihm, als die festgewurzelt werden in ihm.“ Das Bild ist hergenommen von einem Baume. Die Kolosser waren von Natur wilde Bäume gewesen, aber sie waren durch den Glauben versetzt in Christum, als in ein gesegnetes Erdreich, und waren seiner Kraft und seines Geistes teilhaftig geworden, wie ein Baum teilhaftig wird des Saftes und der Nahrung der Erde, darin er steht. In ihm sollten sie nun ihre Wurzeln immer tiefer schlagen und ausbreiten, damit sie von keinem Wind der falschen Lehre und Verführung wankend gemacht und ausgerissen werden möchten. Das Zweite ist das auferbaut-werden in ihm. Dies Gleichnis ist genommen von einem Hause, das, auf einen guten Grund gesetzt, immer höher aufgeführt wird. Christus war der bewährte und köstliche Grundstein, auf welchen die Kolosser bereits erbaut waren zu einer Behausung Gottes im Geist (Eph. 2.). Aber damit, dass der Bau begonnen ist, ist er noch nicht vollendet. Der Bau soll steigen, so dass auf die Erkenntnis Christi, auf den Glauben, auf die Liebe und Hoffnung noch neue Stockwerke gesetzt, und so der Bau immer höher und höher geführt werde. Das Einwurzeln ist eine Bewegung in die Tiefe, die Auferbauung eine Bewegung in die Höhe, und soll geschehen in ihm, als dem Baumeister, der das gute Werk fortführt und vollendet, das er angefangen hat (Hebr. 12.). Der Christ ein Baum, dessen Wurzeln nach unten, dessen Zweige nach oben immer mehr sich ausbreiten. Je mehr er wächst nach seiner Verbundenheit mit dem Herrn, desto mehr wächst er auch nach seiner Erkenntnis, nach seiner Willenskraft und Tätigkeit.

Was ist nun das Dritte, das Paulus zum Wachstum rechnet, da er sagt, dass sie sollten fest werden im Glauben, wie sie gelehrt seien? Ein Baum, wie er nach unten und nach außen wächst, nimmt immer mehr zu an Festigkeit, so dass den anfangs schwachen zuletzt niemand mehr biegen und brechen kann. So werden auch wir fester in unserm Christentum, wenn unser Glaube fester wird. Aber was ist der Glaube? Teils ist es die heilsame Lehre, die uns verkündigt worden ist, teils ist es, gemäß dieser Lehre, unseres Herzens Zuversicht und Vertrauen auf Christum Die Kolosser hatten die Lehre von Epaphras empfangen. Die bestätigt der Apostel als die rechte, reine Lehre, und ermahnt die Christen, dass sie daran festhalten, und sich nicht an das kehren sollten, was die falschen Apostel sagten. Die falsche Lehre führt von Christo ab, die reine Lehre führt zu Christo hin. Darum macht das reine Wort Gottes immer mehr zu eurem Eigentum, damit nach diesem reinen Wort Gottes das Band zwischen euch und Christo immer fester werde. Denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde (Hebr. 13,9.), und keinen Zweifel habe, sondern Freudigkeit und Zugang in aller Zuversicht durch den Glauben an ihn (Eph. 3,12.). Wie soll das geschehen? Zwar ist es Gott, der uns befestigt; aber doch sollen auch wir selbst dabei Fleiß anwenden, sollen, um fest im Glauben zu werden, fleißig umgehen mit Gottes Wort, sollen unsere gottesdienstlichen Versammlungen nicht verlassen, sollen dem Tische des Herrn uns nahen, sollen mit gleichgesinnten Brüdern reden, sollen fleißig beten: Herr, stärke uns den Glauben (Luk. 17,5.).

Endlich rechnet der Apostel zum Wachstum im Christentum auch dies, dass der Glaube immer fruchtbarer werde. Nach innen soll die Wurzel des Baumes sich ausbreiten, nach außen der Stamm mit seinen vielen Zweigen; die Festigkeit des Baumes soll zunehmen und die Frucht sich mehren mit jedem Jahre. Dies nennt der Apostel ein Überfließen im Glauben mit Danksagung oder wie es in unserm Text heißt: Seid im Glauben reichlich dankbar. Unsere Herzen sollen gleichsam Gefäße sein, die immer mehr angefüllt werden mit Glauben, so dass sie davon überfließen. Wer nicht zunimmt, der nimmt ab, und ein Baum, der nicht Früchte bringt, wird abgehauen. Mit diesem Wachstum aber soll die Danksagung verbunden sein, die ja auch unzertrennlich davon ist. Denn nicht nur ist sie die Frucht, sondern auch der Same des überfließenden Glaubens. Die Frucht: denn wie sollte es nicht zur Dankbarkeit treiben, wenn man spürt, wie durch Gottes Gnade der Glaube wächst, so dass es heißen kann, wie bei den Thessalonichern: Euer Glaube wächst sehr (2 Thess. 1.)! Dafür, wie überhaupt für die Gnade Gottes, dass er uns aus der Finsternis ans Licht gebracht, und bisher unter so vielen Stürmen treu und väterlich behütet hat, sollten wir ihm nicht dankbar sein? Und diese Dankbarkeit, wie sie eine Frucht des Wachstums ist, so ist sie auch wiederum ein Same desselben. Es kann nicht fehlen, je dankbarer wir uns gegen unsern himmlischen Vater für das empfangene Gute beweisen, desto mehr Gutes lässt er uns zufließen. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird er in unsern Schoß geben; denn mit eben dem Maß, damit wir ihm messen, wird er uns wieder messen (Mark. 4.). Seht nun, wie sinnreich und angemessen nicht nur die Warnung, sondern auch die Ermahnung des Apostels ist. Haltet, was ihr habt, spricht er, und seht zu, dass ihr eure Habe mehrt. Tun wir das, so werden wir gegen die Verführung und gegen alle Anläufe des Teufels gesichert sein.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_15_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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