Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Vierte Predigt. Die große Liebe Gottes gegen die Menschen.
Text: Luc. XV. 20.
Da er aber noch ferne von bannen war: sah ihn sein Vater, und jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küssete ihn.
Das Evangelium von Jesu Christo als einen Schutz, als eine Brustwehr für halsstarrige Sünder ansehen, das heißt Gott lästern, das heißt den allerheiligsten Jesum schmähen, das heißt sein theures Blut mit Füßen treten. Nichts ist klarer, als dieses. Wenn jemand so unverschämt wäre, Gott Unvollkommenheiten anzudichten, Ihn einer Sünde zu beschuldigen: Wer würde dann noch daran zweifeln, daß der ein Gotteslästerer sei? Aber glauben, Gott mache die Sünder frech in ihren Sünden; glauben, Er habe einen Gefallen an ihrer Bosheit; Er wolle es haben, daß sie die wahre Liebe aus den Augen setzen; daß sie, so viel an ihnen ist, zur Hölle eilen; glauben, Er habe recht dafür gesorgt, daß sie recht teuflisch leben können; gesorgt, daß sie. auf keinerlei Weise in ihren Sünden gestört werden: Das sollte keine Gotteslästerung sein? Und muß der nicht alles dieses glauben, der sich einbildet: die Gnade Gottes in Christo sei dazu geoffenbaret, daß man als ein Engel sterben könne, ob man gleich bis an den letzten Athemzug wie ein Satan gelebt.
Ja, liebe Freunde, so wird Jesus geschmäht. Du gibst zu, daß der der Ehre des großen Heilandes zu nahe treten würde, dem es in Sinn käme zu behaupten, daß Jesus der Tugend und Heiligkeit geschadet, daß Er durch sein Versöhnungswerk das Böse befestiget habe. Welch eine Lästerung! Aber macht man sich denn nicht derselbigen schuldig, wenn man meint: der ewige Sohn Gottes habe eine ganze Bande Rebellen wider seinen Vater in Schutz genommen? wenn man meint, er sei ein Hirt von lauter Böcken; wenn man sich vorstellt, Er fülle den Himmel mit Schlangen und Otterngezüchte (Matth. 3,7); Er ersetze die Stelle der verstoßenen Geister mit ihren Kindern? Nein! größere Schmach könnte man dem gesegneten Jesu nicht anthun! Und das thut doch der, welcher da glaubt: Christi Verdienst sei der Schutz muthwilliger Bösewichte.
Ach, wie muß da nicht das Blut des Neuen Testamentes geschmähet, mit Füßen getreten werden! Wozu wäre es nach dieser verdammlichen Meinung vergossen worden? Unsere Gewissen zu peinigen von den tobten Werken? Darum, damit mir Gott preisen an unserm Leib und an unserm Geist? Nein! darum, daß wir unsere Seelen bestecken, Gott beschimpfen, den Erbarmer beleidigen und das alles ohne unfern Schaden, ohne unfern Nachtheil thun möchten. Darum, daß jener Fluchrachen bis an sein Ende fluchen, daß jener Geizhals bis an sein Ende Abgötterei treiben möge, daß jener Unzüchtige bis zum Scheiden feiner Seele vom Leibe schändlichen Begierden nachhängen dürfe und den Augenblick sich in den Himmel versetzt sehe. Das wäre ein abscheuliches Evangelium. Das würde keinen weisen, keinen gerechten, keinen heiligen Gott predigen, es würde Gott selbst verläugnen, weil es seine Vollkommenheit verläugnet; und dieß ist doch das Evangelium, das sich mancher in seinem Herzen gedichtet hat.
Wir wissen von keinem andern Evangelio, als das auf die Besserung des Sünders dringt, das seine Bekehrung fordert, das die Ehre Gottes auf Erden herzustellen sucht; von keinem Evangelio, als das uns nöthiget zu verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste; als das uns Freiheit, sowohl von der Herrschaft als der Strafe der Sünden verkündiget. Die Furcht, die wir hatten, daß ihr das Folgende mißverstehen, möchtet, hat uns genöthigt, dieses vorauszuschicken. Gedenkt an diese Anmerkungen und erklärt es nur nach denselbigen, was wir euch von der Liebe Gottes in dieser Stunde vorstellen werden.
In unserm Texte heißt es vom verlornen Sohne: „Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein, Vater, und jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinem Hals und küssete ihn.“
Betrachtet hierüber: Die große Liebe Gottes gegen den Menschen.
- Worin sie bestehe;
- wie groß,
- wie erstaunlich,
- wie thätig,
- wie unendlich sie sei.
Erbarmender Gott! habe ewigen Dank, daß du dich uns armen Sündern als den Gott der Liebe geoffenbaret hast. Wärest du nur der Allmächtige, der allein Weise, der Unermeßliche; dann könntest du wohl die Freude der Engel und die Bewunderung der Seraphim sein: aber was hätten dann Sünder an dir? Ach was anders, als einen Gegenstand von unerträglichem Schrecken. Du gehest die gefallenen Engel vorbei und erbarmest dich der sündlichen Menschen; uns hast du dich geoffenbaret, als die ewige Liebe. Ach dafür müssen dich die Sünder preisen, und Alles was Odem hat erheben! Tritt uns mit deiner unermeßlichen Liebe an's Herz, o ewiger Erbarmer! Sie sei ein Feuer und erwärme was noch kalt gegen dich ist! Sie sei eine Glut und zerschmelze die eiskalten Herzen! Sie sei ein Sporn und treibe deine Kinder an, zu wachsen in der Liebe! Sie sei ein Seil und ziehe ein jedes aus dem Verderben zu dir. Amen!
I.
Gott hat kein Gefallen an unserm Verderben, Er will den Tod des Sünders nicht. Geht der Mensch der Hölle entgegen, so jammert es Ihn. Verwirft der Sünder die Mittel des Heils, und damit seine Seligkeit, so bricht ihm das Herz. Er sucht uns oft auf andern Abwegen auf, ehe wir nur an Ihn denken, und reicht dem, der sich will helfen lassen, mit der größten Bereitwilligkeit seine Hände. Ach! Er sieht es gerne, daß es seinen Geschöpfen wohl gehe, Er hat alles angewandt um uns glücklich zu machen. Wohlthun ist seines Herzens Freude. Unsere Seligkeit suchen ist sein Hauptbestreben. Gott ist voll von Liebe, Er ist die Liebe selbst (1. Joh. 4,8).
II.
Womit soll ich Gottes Liebe vergleichen? Mit der Liebe eines Vaters gegen seinen einzigen Sohn? Mit der Lieb, einer Mutter gegen die Frucht ihres Leibes? Mit der Liebe eines Bräutigams gegen seine Braut? Es ist wahr, die Schrift selbst stellet uns Gottes Liebe unter diesen Bildern vor. Aber wie oft stammelt die Schrift nur mit uns? Wir sind nicht aufgelegt, geistliche Dinge für sich selbst zu begreifen; darum stellt sie uns die seligen öfters unterirdischen Bildern vor, damit wir doch einigermaßen eine Kenntniß davon bekommen. Aber wie groß bleibt denn nicht noch immer der Unterschied zwischen dem Irdischen und Geistlichen? Gottes Liebe übertrifft alle Vater- und Mutterliebe, alle Freundschaftsliebe. Sie ist größer als dieselbige, wenn sie auch zusammengenommen würde. Um so viel größer das ganze Weltmeer ist, als ein Tropfen Wasser, um so viel größer die ganze Erde ist, als ein Sonnenstäublein, um so viel größer der Glanz der Sonne und der ausgebreitete Himmel als eine flache Hand ist, um so viel größer ist auch die Liebe Gottes, als aller Menschen Liebe. Ich gedachte durch diese Begleichungen die Liebe Gottes zu erhöhen, und siehe, sie ist verkleinert! denn wäre sie noch größer, als jetzt gesagt: so würde sie endlich sein; man würde ihre Größe ausrechnen können; aber das kann man nicht. Gottes Liebe ist so groß als Gott selbst.
III.
Es ist eine erstaunliche Liebe. Erstaunlich, wegen unserer Nichtigkeit; erstaunlich wegen unserer Unwürdigkeit.
Ach betrachtet doch, wer der ist, der da liebet. Es ist der, der von sich mit Wahrheit bezeugen konnte: Ich bin Gott und sonst keiner. Es ist der König aller Könige, der Herr aller Herren. Es ist der, der den Himmel ausbreitet wie ein dünnes Fell, und ihn zusammen rollet wie ein Tuch, der, so in den Wolken geht, und dessen Wege im Wetter und Sturm sind. Es ist der, der die Erde mit einem Dreiling faßt, der die Berge mit der Wage wieget, vor dessen Glanz die Sonne nicht mehr scheint, und Mond und Sterne den Schein verlieren, der, welcher Allem Leben und Odem gibt! O wer ist Ihm gleich? Wer will seine Größe ausmessen? Wohnet Er nicht in einem Lichte, zu dem Niemand kommen kann? Ein solcher ist der, der da liebet. Run betrachtet die, die Er liebet. Es sind die Menschen! die Menschen, von denen David sang: Wie gar nichts sind doch alle Menschen! Diese Made? dieser Staub? dieser gebrechliche Rohrstab? dieses ohnmächtige Geschöpf, das nackend auf die Erde kommt, und nackend wieder dahin kehret? Diese sind der Gegenstand der Liebe Gottes? Wer muß hier nicht in Bestürzung gerathen? Wer muß hier nicht bekennen: Gottes Liebe, eine erstaunliche Liebe! Erstaunlich wegen unserer Nichtigkeit, und noch vielmehr erstaunlich wegen unserer Unwürdigkeit. Der schlechteste, der geringste Mensch kann die Liebe eines großen Monarchen verdienen; er kann ihm Dienste leisten, daß der König ihm seine Gewogenheit nicht versagen darf, ohne ungerecht zu worden. Er kann ihm Leib und Leben schützen. Er kann, wie Mardochai, eine greuliche Verschwörung entdecken. Aber, du Mensch! wer bist du, daß du Gottes Liebe verdienen könntest? Was willst du dem Herrn geben, daß dir wiedervergolten werde? dir, athmender Staub? du niedrige Heuschrecke! du verwelkliche Blume! verwelkliches Gras! Nein! an Verdienst ist da nicht zudenken! Ach, Er liebt die, die nichts verdient haben. Ja! als wir Haß verdient hatten, erneuert Er seine Liebe. Wir hatten den Liebesbund aufgehoben. Er liebte fort. Wir beleidigten Ihn, Er liebte noch. Wir waren ein Greuel und schnöbe vor Ihm, wir soffen Unrecht in uns wie Wasser, dennoch liebte Er, das ist, Er dachte an unsere Seligkeit. O unergründete Liebe! O unaussprechliches, unerforschliches Geheimniß: Er hat uns geliebt, da wir noch seine Feinde waren l Habe ich zu viel gesagt? Ach nein! viel zu wenig habe ich gesagt, wenn ich Gottes Liebe eine erstaunliche Liebe nannte.
IV.
Der Menschen Liebe ist öfters, ja bald meistens, nur eine Mundliebe, eine Liebe mit Worten und mit der Zunge; der Mund ist süß wie Honig; aber Otterngift ist unter den Lippen. Der Mund ist glatt wie Butter; aber das Herz nährt Groll und Bitterkeit. Weg! weg, du falsche Liebe, wenn ich an meines Gottes Güte denke! Er liebt in der That und Wahrheit. Es braucht keines tiefen Nachdenkens, um davon überzeugt zu werden. Er hat unzählige Proben seiner Liebe vor jedermanns Augen gestellt; man braucht dieselbigen nur aufzuthun, so sieht man allenthalben Wunder der göttlichen Liebe.
Bleibe nur bei dir stehen, lieber Mensch! und frage dich: von wem du das empfangen, was du hast; dann wirst du dich bald mit lauter Liebesproben umgeben sehen. Es ist noch nicht lange, so war keiner von uns da. Wer hat uns aus unserm Nichts hervorgerufen? wem haben wir unser Dasein zu verdanken? Sicht einer oder der andere hier nur seine Eltern; so werden ihn Sarah, Elisabeth und Jakob widerlegen. Ach! Gottes Liebe hat dich hervorgebracht, die Hände des Herrn haben dich gearbeitet und gemacht alles was du bist (Hiob 10). Seine Augen sahen dich, da du noch unbereitet warst, und waren alle Tage auf sein Buch geschrieben, die noch werden sollten, und derselben keiner da war (Ps. 134). Und wenn du auch etwas werden solltest, - warum wurdest du denn gerade ein Mensch? Warum nicht ein lebloses Ding? Warum nicht Holz oder Stein? Warum nicht etwa eines der verächtlichsten, der abscheulichsten Thiere? Warum keine Schlange oder Otter? Warum nicht ein solches Thier, das den Menschen die Lasten tragen muß? Ich frage noch einmal: warum wurdest du gerade ein Mensch? das edelste unter den Geschöpfen auf Erden, an dem Gott so viele Wunder verschwendet hat? Du bist nicht im Stande einen einzigen Grund anzugeben, außer dem, daß es Gottes gnädiges Wohlgefallen gewesen; du mußt bekennen: es ist ein Geschenk seiner Liebe, daß ich ein Mensch bin.
Nun, wenn wir auch als vernünftige Kreaturen erschaffen worden, wem ist es denn zuzuschreiben, daß wir nicht sogleich wieder gestorben, daß wir noch da sind? Wem anders, meine Freunde! als Gottes Liebe? Ja! ihr habe ich es zu verdanken, daß ich Athem hole; ihr habe ich es zu verdanken, daß die Erde Brod trägt, daß sie allerlei schmackhafte Früchte hervorbringt. Ihr ist es zu verdanken, daß Luft, Erde und Wasser mit einer großen Menge Thiere angefüllt sind, die sich zur Speise darbieten. Treuer Gott! deine Liebe tränket uns, deine Liebe sättiget uns, deine Liebe kleidet uns. Ja, sagt etwa hier und da ein undankbares Herz: ich muß ja selber für mich sorgen, sonst hätte ich nichts; ich muß ja alles erarbeiten. Du mußt arbeiten? aber wer schenkt dir die Kräfte dazu? Wer gibt dir Gesundheit? Ist's nicht wieder der Gott, den du verkennest? Und wer gibt der Erde Kraft, das hervorzubringen, was du brauchest? Und wenn es auch aufgegangen ist: wer erhält es, daß du es endlich einsammeln kannst? Wer gab dem Menschen Weisheit, so viele Dinge zu bereiten, die ihm nützlich sind? Ist es nicht Gott, der alles thut!?
V.
Nun habe ich schon Vieles von der göttlichen Liebe gesprochen, und doch ist es noch nichts gegen das, wovon ich jetzt reden will. Ich komme auf eine Probe dieser göttlichen Eigenschaft, die alle andern übertrifft. Ihr sehet schon, ich ziele auf das große Werk der Erlösung, auf das Werk, wo sich der ganze Inbegriff der göttlichen Liebe ausgeleert zu haben scheint; auf das Werk, welches alle andern Liebesproben erhöhet, schätzbarer macht, wenn es in Verbindung mit demselben betrachtet wird, und das Alle erniedriget, wenn es ihnen entgegengesetzt wird; - ein Werk, darüber das Heer Gottes erstaunet, und außer dem ein Johannes von keiner Liebe Gottes weiß. Laßt uns seine Worte selbst hören: „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch Ihn leben sollen“ (1. Joh. 4,9). O erstaunliche Höhen! O unergründliche Tiefen, die sich hier einem Herzen öffnen, das diesen Gedanken denken kann, das ihn fühlen kann! Da sind Tiefen auf Seiten Gottes, da sind Tiefen auf Seiten der Menschen!
Der Mensch ist ein Geheimniß in der Schöpfung, es ist unendlich viel Wunderbares an ihm; aber das sind die Tiefen nicht, die ich jetzt betrachte. Der Mensch ist ein Sünder, ein abscheulicher Sünder; das ist die Tiefe in welche man zuerst hinein schauen muß, wenn man die Tiefe der Liebe Gottes mit einer heiligen Bestürzung betrachten will. So denke denn, liebe Seele! der so hoch begnadigte Mensch, der mit unzählbaren Wohlthaten umringte Mensch! der hat gesündiget. Er hat den Herrn seines Lebens verachtet; den Gott, der ihn gebildet, gelästert; den Schöpfer, der ihn zum Fürsten in die schönste Welt gesetzt hatte, verschmähet; dem, von welchem er alles empfangen hatte, so viel entzogen, als er immer konnte. Wir zogen das schöne Ebenbild des Weisesten, des Heiligsten und Gerechtesten aus, und zogen, o wir Abscheuliche! und zogen die Werke des Teufels an. Wir wurden Knechte des leidigen Satans, des abscheulichsten Geistes, und folglich Erben einer ewigen Verdammniß.
Gott sieht schon in der Ewigkeit unsere Greuel und das namenlose Verderben, in welches wir versinken wollten; und Er beratschlaget sich unsertwegen. Aber warum berathschlagte Er sich? Um einen neuen Ort der Qual für uns zu bauen? um neue Marter für neue Rebellen ausfindig zu machen? um den Tag zu bestimmen, an dem Er sich an uns rächen möge? Nein! o nein! Um ein Mittel zu finden, unserm Jammer und Elend abzuhelfen! Sehet da die unergründlichen Tiefen Gottes!
Er fand ein Mittel, ein köstliches, theures Mittel, ein vollkommenes Mittel, dadurch die Ehre der göttlichen Gerechtigkeit gerettet würde, und dem Sünder könnte geholfen werden. Wenn sich eine Person seines Wesens zum Mittler darbieten würde; wenn Gott Mensch werden würde, wenn der Eingeborne seinen Glanz, seine Majestät und Klarheit, mit der Er von Ewigkeit bekleidet war, eine Zeit ablegen würde; wenn Er Knechtsgestalt an sich nehmen wollte, und an Geberden erfunden würde, als ein anderer Mensch; wenn Er also die Stelle der Sünder vertreten, wenn Er ihre Sünden als die Seinigen ansehen, ihre Missethaten auf sich legen lassen, die Strafen, die sie verdienet, an seiner heiligsten Seele und reinem Leibe ausstehen würde, wenn, ach! wer kann es ohne die tiefste, Beugung überdenken? wenn Der, zu welchem die heiligen Engel nicht würdig sind, ihre Augen zu erheben (Es. 6,3), wie ein Wurm, in Gethsemane sich winden; der, so die Wasserquellen geschaffen, selbst vor Durst lächzen; der Richter der Lebendigen und der Tobten, von den Menschen. gerichtet und verdammet; wenn der Herr der Herrlichkeit am Kreuze als ein Fluch sterben würde! Das war das einzige Mittel der Erlösung.
Allein, wer hätte sich darauf Rechnung machen dürfen? Soll der himmlische Vater seiner Herzenslust beraubt werden? Soll Er Ihn, der Schmach, dem Spotte, Hohn und Gelächter der Welt blos geben? Soll er seinen Geliebten, den Abdruck seines ganzen Wesens, verstoßen, um Rebellen annehmen zu können? Um einer Handvoll Sünder willen soll die Fülle der Gottheit von Gott verlassen werden?
Großer Jesu! Du sollst von dem Thron deiner Majestät in den Staub herniederkommen, um Sünder aus der Asche hervorzuziehen, und sie mit Ehre und Herrlichkeit zu kleiden! Deiner hohen Gesellschaft dich zu entziehen! und hierunten mit zwölf armen Männern dein theures Leben zuzubringen? an einem Kreuze sterben, um die Auferstehung und das Leben für elende Missethäter zu werden! Was sagt hier unsere Vernunft?
Würde sie nicht, bei aller Möglichkeit dem Menschen zu helfen, lauter Unmöglichkeit vor sich sehen? Würde nicht der ganze Himmel verstummt sein, wenn er hätte urtheilen sollen, ob sich Gott so weit erniedrigen würde, dem Sünder zu helfen?
O Geheimnisse der ewigen Liebe! Der Vater liebt die Welt so hoch, daß Er Seinen eingebornen Sohn dahin gibt. Der Sohn ist so geneigt zu helfen, daß Er ausruft: Ich komme; Deinen Willen, mein Gott, thue ich gerne!
Kaum hatte der Mensch gesündiget, so wurde ihm der Messias verheißen; kaum fühlte er den, Schrecken der Sünden, so wurde ihm schon der Trost der Sünder bekannt gemacht. Dieses selige, Evangelium von dem verheißenen Weibessaamen wurde von Adam seinen Nachkommen gepredigt. Die, Hoffnung auf dasselbige adelte ihren Gottesdienst, und machte ihn dem Jehova angenehm. Jakob sieht diesem Heil entgegen, und schläft im Frieden ein. Abraham sieht es, und freute sich hoch in seinem Geiste. Nun wurde der Immanuel durch mancherlei Opfer und Versöhnungen abgebildet. Es ist wahr, der Unglaube blieb wider die Absicht Gottes nur an der Schaale kleben: Er hielt der Ochsen und Kälber Blut für kräftig genug, Sünden zu tilgen; aber der Glaube erblickte unter diesen Vorbildern das Gegenbild, er bauete nicht auf ein natürliches Lamm, sondern auf das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trug.
In der Fülle der Zeit erscheint Jesus, die Hoffnung Israels, das Verlangen so vieler Könige und Propheten, der Trost der ganzen Welt. Gott wird geoffenbaret im Fleisch! O Geheimniß aller Geheimnisse! Der Sohn Gottes wird zugleich ein Menschensohn. Er wird arm, und eben dadurch macht Er reich. Er wird ein Fluch, und dadurch wird Er der Segen. Er zittert und bebet in äußerster Traurigkeit, und bringet Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes damit für uns zuwege. Er wird das Zeichen, dem jedermann widerspricht, damit seinen Kindern Niemand widersprechen könne, wenn sie ausrufen: Wer will verdammen (Röm. 8)? Er wird gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Er treibt seine Liebe für uns so hoch, als wir unsere nicht einmal gegen Ihn treiben dürfen, denn Er litt den ewigen Tod für uns, und fordert nur, daß wir bereit seien, den zeitlichen für Ihn zu leiden.
O unendliche Gottesliebe, in Hinsicht ihrer Größe! Eben so unendlich ist sie auch in ihrer Dauer. Es ist eine ewige Liebe. Das ist das fünfte und letzte Stück unserer Betrachtung.
Menschenliebe ist sehr unbeständig; und das ist auch kein Wunder. Der Mensch ist zur Veränderlichkeit wie geboren. Seine gegenwärtige Beschaffenheit bringt es natürlicher Weise mit sich, daß er heute für etwas ein? genommen, morgen wieder gegen eben dasselbe gleichgültig ist. Er kann sich heute die eine, morgen die andere Seite eines Dinges vorstellen; daher rührt seine Unbeständigkeit in der Liebe. Aber von Gott ist das nicht zu befürchten; daher bleibt seine Liebe beständig. Er bleibt der, der Er ist. Der Herr, der ewige Gott wird nicht müde noch matt. Bei ihm ist auch nicht einmal ein Schatten der Abwechselung. Wie sollte denn seine Liebe wandern, die Er den gläubigen Seelen zugedacht? Er kennt die Seinen; Er stehet ihr Sitzen und Gehen, ihr Wachen und Schlafen. Es ist alles vor Ihm blos und entdeckt. Ihm sind alle seine Werke bekannt, von Anfang und von Ewigkeit her. Er kann also an seinen Geliebten in der Folge der Zeit nichts entdecken, das Er nicht schon zuvor gewußt, da Er sie seiner Liebe versicherte. Und folglich kann auch nichts seine Liebe unterbrechen. Aber wie? Ist denn seine Liebe nicht eine bedingte Liebe? Kann Er sie denn uns auch erzeigen, wenn wir von Ihm abfallen, Ihm untreu werden? wenn wir Ihn wiederum mit der gottlosen Welt hassen und verfolgen?
Das sind freilich betrübte Umstände! das gütige Wort Gottes geschmeckt zu haben, und wieder abfallen! Jesum Christum lieb gewonnen haben, und wieder von Ihm sagen, daß man Ihn nicht kenne! Gott ist gerecht, wenn er solchen Menschen auf ewig seine Huld entzieht; und seine Liebe bleibt doch eine ewige Liebe, wenn auch nicht gerade an ihnen, doch an andern. Was sage ich? bleibt Er nicht getreu, wenn wir gleich untreu werden? Sucht Er nicht auch das Verlorne? Bekümmert Er sich nicht selbst um das Verirrte? Holt Er nicht einen David und Petrum wiederum zu seiner Heerde? Ruft Er denn nicht auch den Abtrünnigen (Jer. 3,12)? O du ewige Liebe! welcher Verstand fasset deine Tiefen? und welche Zunge ist im Stande, sie auszusprechen? Vater und Mutter können mich verlassen; aber Du nicht. Die, welche durch Natur und Billigkeit verbunden sind, mich zu lieben, können mich hassen; Du aber kannst von deiner Liebe nicht weichen; wiewohl Dich keines von beiden dazu verbindet! Jahre und Zeiten werden vorüber gehen; aber Gottes Liebe nicht. Leib und Seele werden von einander getrennt werden; aber Jesu Liebe ist von der Seele unzertrennlich. Berge werden weichen, Hügel werden hinfallen; aber Gottes Gnade wird ewig über der Seele, die Ihn kennt, schweben, und der Bund seines Friedens wird nicht hinfallen.
Liebe bringt Liebe, sagt man gemeiniglich; wie siehts um uns geliebte Freunde? Hat Gottes Liebe unsere Herzen zur Gegenliebe bewegen können? Von Ihm heißt es: ich liebe, die mich lieben. Können wir das umkehren, und sagen: wir lieben den, der unsere Seelen liebt? O lebendiger Gott! wie elend, kläglich, jämmerlich sieht es in dem Stücke mit uns aus! Ach die Liebe ist erkaltet und der Glaube fehlt. Man braucht euch nicht in die Herzen sehen zu können; es ist an euern Stirnen geschrieben, auf allen euern Handlungen geschrieben, daß keine Liebe gegen Gott in euern Herzen wohne.
Es ist keine Liebe Gottes da; denn es ist keine rechte Erkenntniß Gottes da. O wie wenig weiß mancher von der Natur, dem Wesen, den Eigenschaften und Werken dieses liebevollen Gottes! Was für unförmliche und niedrige Gedanken macht man sich nicht von Ihm! und ach! wie wenig ist manchen darum zu thun, um zu einer bessern Einsicht zu gelangen?
Ihr betrügt euch, wenn ihr glaubet, daß ihr Ihn liebet, da ihr Ihn doch nicht erkennet. Man kann eine unbekannte Sache nicht lieben. Man kann weder Gott noch der Religion anhangen, wenn man mit der Vortrefflichkeit und Schönheit derselben unbekannt ist. Wie wollet ihr anrufen, an den ihr nicht glaubt? Wie wollet ihr glauben, von dem ihr nichts gehört habt? (Röm. 10,14).
Und eine blos natürliche Einsicht, die ihr von Gott und Christo habt, die Einsicht, so ihr euch durch eigene Kräfte erworben habt, auch die noch läßt das Herz leer von Liebe. Die Welt erkennet durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht (1. Cor. 1, 21). Niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater: und wiederum, Niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren (Matth. 11.27). Die Welt kann den heiligen Geist nicht empfahen; denn sie siehet Ihn nicht, und kennet Ihn nicht. (Joh. 14,17).
Man liebet Gott nicht. Das bezeugen leider die meisten, die sich Christen nennen. Wo man Gott liebte: würde man da wohl seinen Namen unnütz gebrauchen? Liebte man Gott, würde man denn sein Gedächtniß aus Herz und Haus verbannen? würde man denn auch mehr nach den Dingen dieser Welt, als nach Ihm trachten? würde man denn auch seinen Bruder hassen? würde man wohl auch seine Gebote bei allen Gelegenheiten so freventlich aus den Augen setzen, als es leider unter uns geschieht? Saget mir so lang und so oft als ihr wollt, daß ihr Gott kennet, daß ihr Ihn liebet: haltet ihr seine Gebote nicht, so seid ihr Lügner (1. Joh. 2,4); denn das ist eben die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten (I. Joh. 5, 3). Man mag einen so schönen Namen tragen, als man will, man mag sich selber schmeicheln, daß man Gott liebe, wo man etwa einige gute Bewegungen gefühlt hat, so viel man will; es wird dennoch immer bei der Erklärung unsers göttlichen Erlösers bleiben: Wer mich liebet, der wird mein Wort halten; wer mich aber nicht liebet, der hält meine Worte nicht (Joh. 14, 23. 24).
O schnöde Undankbarkeit gegen eine Liebe, die in Ursprung und Wirkungen unendlich ist, fühllos sein! Ja, was sage ich nur, fühllos sein? Man vergilt diese Liebe mit lauter Haß. Statt daß man sich dadurch sollte zu Gott ziehen lassen, siehe! so läßt man sich dadurch von Ihm abwendig machen, bestärkt sich recht eigentlich in Unbußfertigkeit. Wenn Gott nicht die Liebe wäre, spricht man, dann müßten wir uns wohl bekehren; wenn Gott nicht die Liebe wäre, so könnten wir freilich in dem Naturzustande nicht selig werden, könnten ohne ein heiliges Leben das Reich Gottes nicht erlangen. - Das sind die lästerlichen Reden, welche viele Sünder auch unter uns führen. Aber heißt das nicht den Reichthum der Geduld und Güte Gottes verachten? Heißt das nicht, sich am Heiligthum Gottes vergreifen, und den Herrn lästern, der uns erkauft hat?
Ach! höre Sünder! vielleicht ändern sich deine Gedanken, vielleicht zerschmilzt dein Herz in Liebe gegen deinen Gott. Kannst du den hassen, der die ewige Liebe ist? Was hat Er dir denn gethan? Was hast du für ein Fehl an Ihm gefunden? O sag an: Hat Er dich denn nicht von Hölle und Verdammniß erlöset, da du denselbigen anheim gefallen? Hat er dich nicht bis diesen Augenblick mit vielem Guten gesegnet? Dein Leih und deine Seele sind ja ein Werk seiner Hände, eine Wirkung seiner Macht. Seine Güte genießest du durch die Luft, die du einathmest, und durch die Früchte der Erde, die dich unterhalten. Sein Brod sättiget dich, seine Kleider decken dich, seine Liebe erwärmet dich. Das, worauf du öfters so stolz thust, ist nur ein Geschenk von feiner mildreichen Hand. Sein Wort und Geist gehen beständig damit um, dein Herz zu erleuchten, deinen Willen zu bessern, dich aus einem Sklaven des Satans zu einem Könige vor Gott zu machen. Dein Jesus stehet noch immer vor der Thüre deines Herzens, Er hätte schon längst Ursache gehabt, dich aufzugeben, dich dem Satan zu überlassen; aber, o gedenke, welch eine Liebe! noch steht er vor dir, noch klopfet er an, noch jetzt ist er dir nahe mit den Schätzen seiner Gnade und mit dem Blute der Versöhnung. Kannst du einer solchen Liebe widerstehen? Kannst du sagen: nein, ich will Ihn nicht lieben, ob Er wich gleich nur aus lauter Gnade zu sich ziehen will? Ich will Ihn nicht lieben, ob Er mich gleich bis in den Tod geliebet? Ich will Ihn nicht lieben, ob Er sich gleich selbst für mich dahin gegeben? Ich weiß, daß ich in Ihm lebe, webe und bin; ich weiß, daß ich es Ihm, seiner Geduld und Langmuth zu verdanken habe, daß ich nicht schon in der Hölle liege; aber ich will Ihn nicht lieben. Wer? fragst du, wer kann einen so erschrecklichen Entschluß ertragen? Das hast du gekonnt, unbußfertiger Sünder! Das hast du ausgeübt, widerspenstiges Herz! O daß du in dich gehen, daß du mit Reue an deine Brust schlagen möchtest, ehe die Liebe in Zorn ver. wandelt und jener fürchterliche Fluch in seinem ganzen Umfange an dir erfüllet werde! ich meine jene schrecklichen Worte: So jemand den Herrn Jesum nicht lieb hat, der fei Anathema Maran Atha (1. Cor. 16,22).
Kinder Gottes! Ihr habt erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Und ohne Zweifel werdet ihr auch dadurch beschämt und gerührt worden sein. Wie kann man an eine so unverdiente, an eine so feurige und brennende Liebe gedenken oder davon reden hören, ohne zugleich Ursache über Ursache zu haben, über sich selbst und seine Lauigkeit zu klagen? Warum lob ich ihn nicht immer? Warum ist mein Herz noch oft so kalt? Sollte es auch noch Ermunterungen brauchen, da ich allenthalben mit Gottes Wohlthaten umringt bin? Sollte ich mich nicht nur im Dienste meines Gottes verzehren? Warum krieche ich so oft noch auf der Erde, da ich mich als ein Adler über alles empor schwingen sollte? Warum bin ich so schläfrig? und Er so freudig in der Liebe? O ich unwürdige Kreatur! Warum hast du mich geliebet, mein Gott, da du wußtest, daß ich so untüchtig sei, dir zu entsprechen? Sind das nicht eure traurigen Gedanken? Sind das nicht die Vorwürfe, die euer Gewissen euch macht? O lasset es uns nur bekennen, mit Reue und Schmerzen bekennen, daß wir Ihn nicht geliebet, wie wir Ihn hätten lieben sollen. Aber lasset uns auch hinfür den ernstlichen, den festen, den unverbrüchlichen Entschluß fassen: Wir wollen Ihn lieben, mehr lieben, ernstlicher lieben, als wir Ihn ehedem geliebt haben. Unsere Liebe gegen Gott müsse der Liebe Gottes gegen uns nachahmen, sie müsse groß, sie müsse thätig, sie müsse beständig seyn.
Groß müsse sie seyn. Das Flämmlein göttlicher Liebe, das in euerm Herzen angezündet ist, müsse zu einem gewaltigen Feuer und zu einer Glut werden, die auch viele Wasserströme nicht auslöschen mögen. Soll aber dieses geschehen, so gedenkt recht oft an den kläglichen Zustand, in dem ihr ewig hättet seufzen müssen, wenn sich die Erbarmung des Herrn nicht ins Mittel geschlagen Hätte. Was wäret ihr ohne Gottes Liebe? Verfluchte wäret ihr, Bürger der Hölle, Kinder des Teufels, ewig verworfene, gepeinigte, gemarterte Geschöpfe! Was seid ihr einer Liebe schuldig, die euch einem so großen Elend entrissen? Könnt ihr euch die Plagen vorstellen, welche die Verdammten nöthigen, mit ihren Zähnen zu knirschen, und kalt gegen die Liebe bleiben, die euch davon erlöset? Erwäget ferner, wie herrlich die Güter sind, die euch die Liebe des Herrn geschenkt, und noch ferner zugedacht hat. Es sind nicht nur Glücksgüter, nicht blos zeitliche, vergängliche Dinge. Es sind unschätzbare Kleinodien. Es ist die Kindschaft, das Recht, den Abba, das ist Vater, zu nennen, der uns geschaffen hat. Es ist der freie Zutritt zum Throne der Gnaden. Es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste. Man kann es nicht alles sagen, wozu uns diese Liebe bringen wird; denn was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die Ihn lieben (1. Cor. 2,9). O wie muß nicht unsere Liebe bei dieser Betrachtung wachsen! Ist das nicht wie das Feuer vom Himmel? verzehret es nicht unser Herz, wenn es schon, wie dort das Opfer Eliä, mit lauter Wasser umgössen ist? Dieses wird aber noch mehr befördert werden, wenn wir oft und viel an unsere Unwürdigkeit gedenken, wenn wir überlegen, daß die Liebe Gottes ganz frei gewesen, daß Er uns alsdann geliebet, da Er uns hätte hassen können, daß Er mehr gethan, als jemals ein Menschenkind hätte denken und hoffen dürfen. O wann wird unsere Liebe größer, als wenn wir die zwei so sehr verschiedenen Abgründe neben einander sehen. wenn wir in die Tiefen unsers Elendes hineingesehen haben, dann wird uns die Tiefe der Erbarmung recht wichtig und kostbar; dann rufen wir in einer heiligen Bestürzung und tiefem Erstaunen aus: Ich bin viel zu gering aller der Barmherzigkeit, die Du an mir gethan hast.
Unsere Liebe soll zum zweiten thätig seyn. Wenn wir gleich von Liebe trunken würden, wenn wir die Kräfte der zukünftigen Welt schmeckten, wenn wir bis in den dritten Himmel verzückt würden, und daselbst mit Paulo unaussprechliche Worte hörten, liebe Freunde, so würde uns das alles wenig nützen, wenn wir unsere Liebe gegen Gott nicht auch in der That beweisen würden. Die Liebe Gottes muß nicht nur etwa dann und wann bei uns einkehren. Sie muß in unserm Innersten wohnen, sie muß sich in alle Handlungen mischen. Man muß es von uns hören, man muß es an uns sehen, man muß es aus unfern Werken schließen können, daß wir Ihm anhangen, daß wir von Liebe gegen unsern Gott brennen, daß wir uns viel aus Ihm machen.
Die Liebe gegen Gott muß endlich eine beständige Liebe sein. Wir müssen seiner Liebe nie satt werden. Täglich müsse sie auch in uns neu werden, da sie beständig über uns neu wird. Er hört nicht auf zu lieben, seine Liebe ist eine ewige Liebe; und wir sollten matt werden, müde werden, in der Liebe gegen Ihn? Nein! Nein! Es müsse vielmehr heißen: Weder Hohes, noch Tiefes, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn. Sein Lob muß immerdar in unserm Munde seyn, wir müssen erzählen, was der Herr Großes an uns gethan, und Seinen Namen rühmen von Geschlecht zu Geschlecht.
Er aber, der Gott der Liebe, gebe euch erleuchtete Augen zu erkennen Ihn, und die Geheimnisse Seiner wunderbaren Güte! O daß ihr recht schmecken und sehen möchtet, wie freundlich der Herr sei! O daß seine Liebe recht ausgegossen würde in eure Herzen durch den heiligen Geist! Möchte bald, bald alles vertilget werden, was euch in dem seligen Genüsse seiner Liebe stören und euern Herzen den Frieden rauben kann! Er ist getreu, Er wirds auch thun. Amen.