Jänicke, Johann - Abendbetrachtung

Jänicke, Johann - Abendbetrachtung

von Vater Jänicke gehalten.

Unsere diesmaligen Textesworte finden wir aufgezeichnet im XI. Kapitel des Propheten Jesaiä, wo sie im 1. Verse also lauten: “Der Geist des HErrn HErrn ist über mir, darum hat mich der HErr gesalbet. Er hat mich gesandt den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Oeffnung.“

In diesem heiligen Texte, meine in Christo JEsu herzlich geliebte Zuhörer, finden wir ein herrliches Zeugniß von der heiligen, hochgelobten Dreieinigkeit; denn Eine Person ist es, die gesendet worden ist, eine Andere, die gesendet hat, und eine Dritte, mit welcher der Gesandte ist gesalbet worden. Der Redende in unserm Texte ist der Sohn GOttes, JEsus Christus unser HErr, der in der Fülle der Zeit von GOtt in diese Welt gesandt wurde, um das so tief gefallene, sündige Menschengeschlecht durch Seine Menschwerdung, Geburt, Gehorsam, Leiden, Bluthund Tod von der Sünde und dem ewigen Verderben zu erlösen und, wie Er selbst in unserm Texte sagt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung und den Gebundenen eine Oeffnung. Er wurde zunächst zu den verlornen Schafen vom Hause Israel gesandt, wie Er selbst einmal bei der Gelegenheit, da das cananäische Weib Ihm nachschrie, sagte: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel.“ Der himmlische Vater spricht aber durch den Propheten Jesaiam, im 49. Kapitel, im 6. Verse: „Es ist ein Geringes, daß Du Mein Knecht bist, die Stämme Jacobs aufzurichten, und das Verwahrlosete in Israel wieder zu bringen; sondern Ich habe Dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß Du seist Mein Heil bis an der Welt Ende.“ Daher ist der HErr JEsus nicht nur der Juden, sondern auch der Heiden, ja der ganzen Welt HEiland und Erlöser; denn Er ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Es ist kein Unterschied unter Juden und Griechen, sagt der Apostel Paulus, Röm. 10 V. 12., es ist aller zumal Ein HErr, reich über alle, die Ihn anrufen; denn wer, in der Erkenntniß seiner Sünden, in wahrer Reue und Leid über dieselben, durch den heiligen Geist, im lebendigen Glauben, den Namen des HErrn JEsu anrufen wird, der soll selig werden.

Der HErr HErr, von welchem unser HEiland in unserm Texte sagt: Er habe Ihn gesalbet, ist die erste Person in der heiligen Dreieinigkeit, nämlich der Vater unsers HErrn JEsu Christi und unser durch Ihn versöhnter Vater, der aus Liebe zu uns Seines eingebornen und vielgeliebten Sohnes nicht verschonet, sondern Ihn für uns in alle die Leiden, in Verspottung, Verachtung und selbst in den schmachvollen Kreuzestod dahin gegeben hat, damit wir durch Ihn von des Satans Sündensclaverei erlöset und befreiet würden, das Kindschaftsrecht GOttes erlangen und Erben der ewigen Seligkeit werden sollten.

Und der Geist des HErrn HErrn ist der heilige Geist, und bekanntlich die dritte Person in der heiligen Dreieinigkeit, mit welchem der HErr JEsus bei Seiner heiligen Taufe nach Seiner Menschheit von dem Vater begabt wurde ohne Maßen, wie wir im 45. Psalm, im 8. Verse lesen, wo es von unserm HEilande also heißt: „Du liebest Gerechtigkeit und hassest gottloses Wesen; darum hat Dich, GOtt, Dein GOtt gesalbet mit Freudenöl, mehr als Deine Gesellen;“ und der Täufer Johannes sagt zu seinen Jüngern, indem er mit ihnen redet von unserm HEilande: „Welchen GOtt gesandt hat, der redet GOttes Wort; denn GOtt giebt den Geist nicht nach dem Maße,“ und darum heißt der HErr JEsus auch der Gesalbte, das heißt, Christus. Diese drei Personen in der heiligen Dreieinigkeit sind unzertrennlich mit einander verbunden, ein einiger wahrer GOtt, hochgelobet in Ewigkeit; so wie der Vater ohne Anfang und Ende ist, also ist auch der Sohn und der heilige Geist mit Ihm von Ewigkeit zu Ewigkeit ohne Anfang und Ende, von gleicher Macht und Herrlichkeit. GOtt hat Sich uns aber in Seinem Worte als Vater, Sohn und heiliger Geist geoffenbaret und Sich aus Liebe so tief zu uns sündigen Menschen herabgelassen, daß wir, wenn wir durch den heiligen Geist erleuchtet, darüber nachdenken, mit heiliger Bewunderung anbetend zu Seinen Füßen niederfallen und mit dem Propheten David ausrufen müssen: Wie theuer ist Deine Güte, o GOtt! daß Menschenkinder unter dem Schatten Deiner Flügel trauen!

Aber lasset uns jetzt kürzlich unter dem Beistande des heiligen Geistes die Worte unsers Textes noch etwas näher betrachten. Drei Fragen sind es, welche mir nach Anleitung derselben zu beherzigen haben, nämlich:

  1. „Wer die Elenden sind, welchen der HErr JEsus Selbst gepredigt hat und jetzt noch predigt durch Seine Diener?“
  2. „Wer die zerbrochenen Herzen sind?“ Und
  3. „Wer die Gefangenen und Gebundenen sind?“

1.

Wer sind denn 1) die Elenden, zu welchen der HErr JEsus von Seinem himmlischen Vater gesandt ist zu predigen? Es sind Seine gläubigen Verehrer und Nachfolger, die Gnadenhungrigen und Heilsbegierigen, die sich in ihrer Sündhaftigkeit kennen gelernt und bei Ihm Gnade und Vergebung ihrer Sünden gesucht und gefunden haben. Es sind die Armen am Geiste, welche unser lieber HErr selbst im 5. Kapitel Matthäi neun Mal nach einander selig preist, wenn Er spricht: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden GOtt schauen. Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden GOttes Kinder heißen. Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um Meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Uebels wider euch, so sie daran lügen.“ Dies sind die elenden, armen, in der Welt verachteten, aber vor den Augen GOttes werthgeschätzten Seelen, deren Demuth, Sanftmuth, aufrichtige GOttes-, Bruder- und Nächstenliebe nicht blos in Worten oder äußerlichem Schein, sondern im Grunde ihres Herzens ist, so daß sie sich in allen Dingen, es sei in geistlichen oder natürlichen Gaben, für nichts halten, sich aller Segnungen und Wohlthaten nach Leib und Seele für unwürdig achten, sie als freie, unverdiente Gnadengeschenke GOttes ansehen und Ihm in Allem die Ehre geben. Sie haben in dieser Welt nichts so lieb, es sei Gut, Ehre, Leib und Leben, Freude und Ruhe, daß sie es nicht, wenn GOtt es von ihnen nehmen wollte, Alles gern und willig, noch Seinem väterlichen Willen, zu Seinem Lobe und Preise und aus Liebe zu Ihm, verlassen wollten und sich Ihm kindlich ergeben, Er möge mit ihnen thun, was Ihm beliebt. Sie halten sich in ihren Herzen geringer als Andere und wollen gern gering und niedrig sein, hassen und fliehen allen Stolz und Hochmuth, verachten oder richten Niemand lieblos, sondern sehen allezeit auf sich selbst und freuen sich, wie die Apostel unsers HErrn, wenn sie in dieser Welt, um des Namens JEsu und Seines Bekenntnisses willen, allerlei Leiden, Verachtung, Schmach und Trübsal zu erdulden haben und trösten sich der herrlichen Verheißung ihres HErrn JEsu, der gesagt hat: „Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnet werden.“ Sie, diese Elenden, Armen am Geiste, gehen auch gern mit armen, geringen Menschen um und achten sich nicht besser als sie, sondern sie halten sich für die elendesten und größten Sünder. Wenn sie sich mit ihrem Gebete zu GOtt nahen, so führen sie, obgleich nicht jedesmal mit denselben Worten, doch im Ganzen genommen, die demüthige Sprache Abrahams, welcher den HErrn, Seinen GOtt, also anredete: „Ach, siehe, ich habe mich unterwunden zu reden mit dem HErrn HErrn, wiewohl ich Erde und Asche bin.“ Hat GOtt sie im Zeitlichen gesegnet, so demüthigt sie dies und sie sprechen wie Jacob, den GOtt besonders im Leiblichen und Geistlichen gesegnet hatte: „Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an Deinem Knechte gethan hast. Denn ich hatte nicht mehr als diesen Stab, da ich über den Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere geworden. Wie soll ich dem HErrn vergelten alle Seine Wohlthat, die Er an mir thut?“ Werden diese Elenden von der Welt verachtet, verfolgt und Narren, Phantasten und Dummköpfe gescholten oder ihnen wohl gar geflucht, so sprechen oder denken sie wie der König David, als ihm von dem gottlosen Simei geflucht wurde: „Laßt ihn fluchen, denn der HErr hat es ihn geheißen: „Fluche David!“ Wer kann nun sagen: „Warum thust du also?“ Vielleicht wird der HErr mein Elend ansehen und mir sein heutiges Fluchen mit Güte vergelten.“ Das sind die Elenden, meine Geliebten, die durch viel Trübsal in das Reich GOttes gehen, welche hier in der Welt auf ihrer Pilgerreise manche Hindernisse und Schwierigkeiten finden, denen viele Unannehmlichkeit und Bangigkeit begegnet, so daß sie oft in ihrer Noth ausrufen wie die Jünger unsers HErrn, als sie auf dem Meere in Gefahr waren: „HErr hilf uns, wir verderben!“ Aber der allmächtige Helfer, unser HErr JEsus Christus, dem auch der Wind und das Meer gehorsam sind, ruft ihnen zu: „Fürchtet euch nicht! In der Welt habt ihr zwar Angst, aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden. Ich habe dem Teufel und seinem ganzen Anhange ihre Macht und Gewalt genommen, so daß sie euch nicht schaden können noch sollen, wenn ihr bei Mir und in Meiner Nachfolge treu bleibt.“ So tröstet und ermuntert unser lieber HEiland die Elenden, zu welchen Er von Seinem himmlischen Vater gesandt ist ihnen zu predigen, wodurch sie dann im Glauben an Ihn gestärkt, in der Liebe gegen Ihn befestigt und in der Hoffnung des ewigen Lebens gegründet werden.

2.

Die zerbrochenes Herzens sind, sind 2) die vom Sündenschlafe aufgeweckten, betrübten und reuevollen Sünder, deren viele ihre besten Jugendjahre in der Sicherheit und im Schlafe der Sünden verträumen und sich vom Teufel mit seinen Stricken und Banden von einer Sünde zur andern leiten und führen lassen; manche derselben gehen sogar so weit, daß sie, wie der verlorne Sohn, von welchem wir im 15. Kapitel Lucä lesen, ihre irdischen Güter auf allerlei Art und Weise schändlich verprassen und dadurch nicht nur ihre unsterbliche Seele, sondern auch ihren Leib verwahrlosen und verderben; die aber durch den heiligen Geist von diesem ihren sündhaften Zustande überzeugt werden, ihr Elend und Verderben erkennen und einsehen, daß, wenn sie auf diesem Wege der Sünden fortwandeln, ihr Leben nicht bessern und umkehren, sie von der Gnade GOttes in Christo JEsu ausgeschlossen werden und ewig unselige Geschöpfe bleiben müssen. Solche arme Sünder wagen es dann, wie der verlorne Sohn, machen sich auf und kommen, über ihre Sünden unruhig, der Trübe r dieser Welt überdrüssig, zum HErrn JEsu, ihrem Erlöser, und sprechen: „Vater“ (dieser Vater ist nach dem Zusammenhange des Gleichnisses der HErr JEsus), „ich habe gesündigt in den Himmel und vor Dir und bin nicht werth, daß ich Dein Kind heiße:“ sie bekennen Ihm in Reue und Leid, mit Betrübniß ihres Herzens, alle ihre Sünden und beklagen und beweinen es, daß sie ihren Erlöser und HEiland so oft gleichsam auf's Neue mit ihren Sünden gekreuzigt haben. Ihre Herzen sind, wie es in unserm Teile heißt, zerbrochen, zerschlagen und geistlich verwundet und sie fühlen in ihren Seelen eine göttliche Traurigkeit, die, wie der Apostel Paulus im 7. Kapitel seines 2. Briefes an die Corinther im 10. Verse sagt, eine Reue zur Seligkeit wirket, die Niemand gereuet. Zu solchen göttlich Betrübten und Traurigen ist der HErr JEsus von Seinem himmlischen Vater gesandt, ihre Wunden zu verbinden und sie zu heilen; und dies kann und will Er, der treue Arzt, der Arzt aller Aerzte, thun und thut es oft mit einem Worte, wie Er in den Tagen Seines sichtbaren Wandels hier auf Erden allerlei leiblich und geistlich Kranke, die entweder zu Ihm gebracht wurden oder selbst zu Ihm kamen, theils unmittelbar durch ein Wort Seiner Allmacht und theils auch mittelbar geheilt hat. Und ist Er nicht jetzt noch der allmächtige, gnädige, mitleidsvolle, barmherzige Helfer und HEiland? Kann und will Er nicht auch jetzt noch alle Mühseligen und Beladeneu erquicken, segnen, trösten und einem Jeden Seine Hülfe widerfahren lassen, nachdem er es bedarf? Ja, meine Geliebten, JEsus Christus ist gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit gegen alle diejenigen, welche sich im kindlichen Glauben zu Ihm wenden. Er heilet die zerbrochenes Herzens sind, sagt der Prophet David in seinem 147. Psalm und verbindet ihre Schmerzen. Und der dreieinige GOtt, Vater, Sohn und heilige Geist hat es durch den Propheten Jesaias im 57. Kapitel verheißen, daß Er bei den göttlich Betrübten und Traurigen wohnen und ihren Geist erquicken will, wie es im 15. Verse heißt: „Denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnet, deß Name heilig ist: der Ich in der Höhe und im Heiligthum wohne und bei denen, so zerschlagenes und demüthiges Geistes sind, auf daß Ich erquicke den Geist der Gedemüthigten und das Herz der Zerschlagenen.“ Und im 66. Kapitel im 2. Verse sagt Er: „Ich sehe aber an den Elenden und der zerbrochenes Geistes ist und der sich fürchtet vor Meinen, Wort.“

Diese gnädigen Verheißungen unsers GOttes, sowie auch Seine Liebe und Herablassung sollten uns Alle zum Lobe und Preise gegen Ihn aufmuntern, aber besonders uns, meine Geliebten, die wir die Gnade haben, von ganzem Herzen an Ihn zu glauben, Ihn herzlich zu lieben und die wir Ihm täglich mehr zur Ehre zu leben wünschen; denn auch wir Alle, vielleicht der Eine mehr, der Andere weniger, haben dem HErrn JEsu, der uns mit Seinem theuren Blute erlöst und erkauft hat, den Rücken gekehrt und haben zu einer Zeit Seine holdselige Stimme nicht hören wollen. Und dennoch ging Er uns auf unsern Irr- und Abwegen unermüdet nach und hat nicht nachgelassen, uns zu suchen, bis es Ihm zuletzt au unsern Herzen gelungen ist. Dafür sollte auch nun unser tägliches Bestreben dahin gerichtet sein, Ihm zur Freude zu werden und Ihn zu preisen an unserm Leibe und an unsern, Geiste, welche Sein sind.

3.

JEsus unser HErr ist 3) auch von Seinem himmlischen Vater gesandt, den Gefangenen eine Erledigung und den Gebundenen eine Oeffnung zu predigen. Diese Gefangenen und Gebundenen sind die unbekehrten, ungebesserten Sünder, die nach dem Willen ihres Fleisches und nach den Trieben und Neigungen ihres verkehrten Herzens im Dienste der Sünden und des Satans leben, die um ihres Unglaubens willen und darum, daß sie den HErrn JEsum nicht für ihren Erlöser und HEiland annehmen wollen, sich unter der Herrschaft der Sünde und unter der Gewalt des Teufels gleichsam als gefangen und gebunden befinden. Wie schrecklich aber der Zustand und die Verkehrtheit solcher elenden Sclaven der Sünde und des Satans ist, läßt sich nicht aussprechen, noch beschreiben; denn das Gefängniß ist geöffnet, und sie wollen nicht heraus; die Ketten und Banden der Sünde sollen ihnen abgenommen werden, sie wollen aber gebunden bleiben. Wenn doch ein irdischer König selbst hinginge zu seinen Gefangenen und öffnete die Thüre des Gefängnisses, löste ihnen die Ketten, womit sie an Händen und Füßen gefesselt sind, ab, so würde sich dessen gewiß Keiner wehren und sagen: „Damit bin ich nicht zufrieden, ich will ein Gefangener bleiben, so lange als ich lebe;“ ach nein, sondern er würde es wohl mit der größten Freude und Dankbarkeit annehmen; oder, wenn ein Missethäter, der den Tod verdient hat, zum Richtplatz geführt würde, um hingerichtet zu werden, und der König ließe, in der letzten Stunde seines Erdenlebens, noch Gnade und Freiheit über diesen zum Tode verurtheilten Sünder ausrufen, oder er käme sogar selbst und ließe sich aus Liebe zu ihm an seiner Stelle hinrichten, welches doch etwas ganz Seltsames und beinahe Unerhörtes wäre, so würde dies nicht nur die umherstehenden Zuschauer, sondern alle seine Unterthanen im ganzen Lande in Erstaunen und Bewunderung setzen und das Andenken eines solchen Königs würde Jahrtausende hindurch von einem Geschlechte zum andern erzählt und bewundert werden. Dies Alles und noch unendlich mehr hat unser HErr JEsus Christus, der allerhöchste König über alle Könige, der wahrhaftige GOtt, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erde und alles dessen, was darinnen ist, gethan. Er Selbst ist vom Himmel herab zu uns auf diese Erde gekommen, hat unser armes Fleisch und Blut an Sich genommen und hat durch Sein Leiden und Sterben eine ewige Erlösung gestiftet. „Er hat dem Tode und dem Gewalthaber desselben, nämlich dem Teufel, alle seine Macht und Gewalt genommen, Er hat das Gefängniß gefangen geführt und hat ausgetilgt die Handschrift, welche wider uns war; Er hat ausgezogen die Fürstenthümer und die Gewaltigen und hat sie zur Schau getragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht durch Sich Selbst.“ Er, unser Erlöser, ließ sich als ein Uebelthäter gefangen nehmen, um uns, die wir sonst hätten ewig müssen im Gefängnisse des höllischen Kerkers, mit Ketten der Finsterniß gebunden gefangen liegen, zu erlösen. Er, der keine Sünde gethan hatte und in dessen Munde kein Betrug erfunden worden war, ließ sich gebunden von einem ungerechten Richter zum andern führen, um uns von den Banden der Sünde und des Satans und von dem richterlichen Urtheile GOttes: „Gehet hinweg von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln,“ zu befreien.

Und doch giebt es noch so viele Tausende, die unter der Herrschaft der Sünde und unter der Gewalt des Teufels gefangen sind und bleiben wollen. Der HErr JEsus läßt ihnen durch Seine Diener von einer Zeit zur andern die Erlösung und Befreiung von derselben predigen und sie zur Freiheit der Kinder Gottes und zum Genusse der uns von Ihm so theuer erworbenen Seligkeit einladen und bitten: „Kommet, es ist alles bereitet; Ich habe euch von Sünde, Tod, Teufel und Hölle erlöset und habe euch ewiges Leben und unaufhörliche Seligkeiten erworben.“ Aber sie wollen sich nicht nur nicht von Ihm erlösen und befreien lassen, sondern sie verachten und hassen Ihn, den allerheiligsten und liebenswürdigsten JEsum noch dazu, und viele derselben sind aus ihrer eigenen Schuld so blind und verstockt, daß sie Ihn gar nicht für den Sohn GOttes erkennen können und wollen, sondern verleugnen sogar Seine Gottheit und sagen, Er sei ein bloßer Mensch und guter Lehrer gewesen. Und dabei ist Er noch von so großer Geduld und Langmuth gegen sie, daß Er nicht auf der Stelle mit ihnen handelt nach ihren Sünden und ihnen nicht vergilt nach ihrer Missethat, sondern streckt Seine Hände täglich nach ihnen aus, um sie noch zu erretten und von ihrem sündlichen Verderben zu erlösen, wie Er durch den Propheten Jesaiam spricht: „Ich recke Meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.“ Er ruft aber auch das Wehe über die beharrlich Gottlosen aus, wenn Er spricht: „O wehe des sündigen Volks, des Volks von großer Missethat, des boshaftigen Samens, der schändlichen Kinder, die den HErrn verlassen, den Heiligen in Israel lästern und weichen zurücke!“

Auf diese Art haben wir nun kürzlich drei Klassen von Menschen betrachtet, nämlich erstens die elenden, am Geiste Armen, aber von unserm HErrn JEsu Christo begnadigten Sünder, welche bei Ihm Gnade, Vergebung ihrer Sünden, Trost und Frieden für ihre bekümmerten Herzen gesucht und gesunden haben und nun in Seiner Liebe, Sanftmuth, Demuth und im Glauben an Ihn leben und Ihm kindlich nachfolgen. Zweitens die zerbrochenes Herzens, welche erst von ihrem Sündenschlafe aufgeweckt sind und sich nun über ihre Sünden betrübt und traurig von ganzem Herzen nach Vergebung derselben und nach Freiheit von deren Herrschaft sehnen; und drittens die, welche sich unter der Gewalt und Herrschaft der Sünde und des Satans gleichsam noch als gefangen und gebunden befinden. Nun bleibt uns am Schlusse noch übrig, meine herzlich Geliebte, daß sich ein Jeder von uns ernstlich prüfe und frage, zu welcher von diesen drei Klassen er gehöre? Denn es ist nichts nöthiger als dies, daß mir wissen, wie es mit unserm Seelenzustande beschaffen ist und wie wir mit unserm HEilande daran sind; ob Er auch unser Begnadiger, unser Erlöser, unser Versöhner und HEiland ist, ob wir uns auch Sein vollkommenes, ewig geltendes Verdienst und alles, was Er uns dadurch erworben hat, gläubig und mit fester Zuversicht zueignen können und ob Seine Liebe uns auch dringe, zu verleugnen alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt. Ach, daß doch einem Jeden, der hier zugegen ist, dies entweder auf's Neue oder zum ersten mal wichtig sein und er nicht ruhen möchte, bis er durch den heiligen Geist in seinem Innersten davon überzeugt ist, daß er ein Begnadigter und Erlöster unsers HErrn JEsu Christi sei. Und wenn auch Einer oder der Andere hier wäre, der bisher noch im Dienste der Sünden gelebt hat und gleichsam noch ein Gefangener und Gebundener des Satans ist, der höre doch dies Trostwort: Der HErr JEsus ist von Seinem himmlischen Vater gesandt, auch dich von deiner Sündensclaverei zu erlösen und läßt dir auch heute Abend eine Erledigung und Oeffnung verkündigen. Darum laß dich auch nun von Ihm befreien und erretten, und kündige deinem Herrn, dem Teufel und Seelenmörder, dem du bisher so treu gedient hast, deinen Sündendienst auf; denn der Lohn, welchen du bei ihm zu erwarten hast, ist ja doch nichts anderes, als Jammer, Herzeleid und ewige Qual und Pein. Er verspricht dir zwar viel Vergnügen, viele Freude und Wonne bei deiner Weltliebe und bei deinem Streben nach Reichthum, Wollust, Ehre und Ansehen, oder wenn du es im Saufhause oder beim Kartentische oder im Mißbrauche deiner Glieder auf dem Tanzboden und in manchen andern abscheulichen Sünden auf's Höchste treiben kannst. Aber bedenke nur die Folgen und das Ende von allem diesen, so wirst du das Gegentheil finden, denn du hast schon hier keine wahre Ruhe, keinen Frieden und Trost in deinem Gewissen; und wenn du in deinen Sünden dahinstirbst, so wird dich der HErr JEsus, dessen Stimme du hier nicht hast hören wollen, zur immerwährenden Qual und Pein verurtheilen. Darum stehe still und bedenke dich, kehre um und wende dich bußfertig zu Ihm, Er kann. Er will, Er wird dir alle deine Sünden vergeben und dich zu Gnaden auf- und annehmen, denn höre, was Er mit Seinem Vater und dem heiligen Geiste durch den Propheten Hesekiel im 18. Kapitel am 21. 22. und 23. Verse sagt: „Wo sich aber der Gottlose bekehret von allen seinen Sünden, die er gethan hat, und halt alle Meine Rechte und thut recht und wohl, so soll er leben und nicht sterben. Es soll aller seiner Uebertretung, so er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern soll leben um der Gerechtigkeit willen, die er thut. Meinest du, daß Ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht der HErr HErr, und nicht vielmehr, daß er sich bekehre von seinem Wesen und lebe?“ Amen.

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