Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Reminiscere.

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Reminiscere.

Text: 1 Thess. 4, 1-12.
Weiter, lieben Brüder, bitten wir euch und ermahnen in dem HErrn Jesu, nachdem ihr von uns empfangen habt, wie ihr sollet wandeln und Gott gefallen, daß ihr immer völliger werdet. Denn ihr wisset, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den HErrn Jesum. Denn das ist der Wille Gottes: eure Heiligung: daß ihr meidet die Hurerei, und ein jeglicher unter euch wisse sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren, nicht in der Lustseuche, wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. Und daß Niemand zu weit greife, noch vervortheile seinen Bruder im Handel, denn der HErr ist der Rächer über das alles, wie wir euch zuvor gesagt und bezeuget haben. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung. Wer nun vernachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen heiligen Geist gegeben hat in euch. Von der brüderlichen Liebe aber ist nicht noth euch zu schreiben, denn ihr seid selbst von Gott gelehret, euch unter einander zu lieben. Und das thut ihr auch an allen Brüdern, die in ganz Macedonien sind. Wir ermahnen euch aber, lieben Brüder, daß ihr noch völliger werdet, und ringet darnach, daß ihr stille seid, und das Eure schaffet und arbeitet mit euren eigenen Händen, wie wir euch geboten haben; auf daß ihr ehrbarlich wandelt gegen die, die draußen sind, und ihrer keines bedürfet.

Unsere heutige Epistel enthält eine sehr freundliche, aber eindringliche Ermahnung zu einem immer treueren und völligeren Wachsthum in der Heiligung. Das ist der Wille Gottes, ruft Paulus aus, eure Heiligung; wie ja schon im Alten Testament Gott an das Volk des Eigenthums das Wort gerichtet hatte: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig;“ und wie derselbe Apostel im Brief an die Epheser (l, 4.) bezeugt, daß wir eben hiezu erwählet seien vor Grundlegung der Welt in Christo Jesu, daß wir sollten seyn heilig und unsträflich vor Ihm in der Liebe. Als ein sehr wesentliches Hauptstück in der Heiligung hebt nun aber Paulus die Vermeidung alles unkeuschen und unreinen Wesens hervor. Ein Jeder soll das Gefäß des Leibes behalten in Heiligung und Ehren, nicht in der Lustseuche, wie die Heiden, die von Gott Nichts wissen; wer sich aber hiegegen versündige, der solle wissen, daß Gott Rächer sei über das Alles; denn Er habe uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung. So wird nicht nur in unserer heutigen Epistel, sondern auch sonst überall im Worte Gottes mit großem Ernst und feierlichem Nachdruck über die Versündigungen gegen das sechste Gebot gesprochen, auf eine Weise, die auch den Leichtsinnigsten zur Besinnung bringen, und auch dem Verblendetsten das Auge über den Abgrund öffnen sollte, der gähnend zu seinen Füßen sich öffnet, um Alle zu verschlingen, die als Sklaven der Wollust und Unreinigkeit die Finsterniß mehr lieben, denn das Licht.

Ich kann es nicht bergen: es hat mich einige Ueberwindung gekostet, gerade diese Sünden in einem öffentlichen Vortrag zur Sprache zu bringen, da sie ein Gebot betreffen, das man lieber mit dem Schleier des Stillschweigens bedeckt, und dem heiligen Gericht Dessen überläßt, Der die Werke der Finsterniß an's Licht bringen wird. Aber wenn man bedenkt, mit welch heiligem Ernst der Heiland in der Bergpredigt (Matth. 5,27-32) das sechste Gebot auslegt, wenn man liest (Apg. 24, 24. 25.), wie Paulus vor Felix und Drusilla, obgleich in Banden und Ketten vor seinem Richter, nicht blos von der Gerechtigkeit, sondern auch von der Keuschheit und dem zukünftigen Gericht gesprochen hat, wenn man erwägt, wie derselbe Apostel so feierlich die Stimme der Warnung erhebt (1. Kor. 6, 9.): Laßt euch nicht verführen: weder die Hurer, noch die Ehebrecher, noch die Lüstlinge werden das Reich Gottes ererben, und wie das Wort der Wahrheit bezeugt: „die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten“ (Ebr. 13,4.), und wenn wir sogar noch im Buche der Weissagung aus dem himmlischen Jerusalem die Kunde vernehmen (Offenb. 22, 15.): „draußen sind die Hunde und die Hurer“, - und wenn wir dann mit diesem heiligen Ernst des Wortes Gottes die Leichtfertigkeit vergleichen, mit der in unserer Zeit über solche Dinge gesprochen und geurtheilt wird; wenn wir damit die Laxheit der neueren Gesetzgebung zusammenhalten, wornach Gräuel der empörendsten Art oft gar keine Strafe und Abrügung mehr zu erwarten haben, wenn wir zugleich an die vielen Opfer der Lustseuche denken, womit unsere Spitäler überfüllt sind, und mit Schmerz auch auf das allmählige Schwinden des guten Rufs, den unsere Stadt als eine Stadt der guten Sitte und ehrbaren Zucht von Alters her hatte, hinblicken: wenn wir dieß Alles zusammennehmen, wahrlich da wäre es Pflichtvergessenheit, wenn der Prediger des Evangeliums um solche biblische Texte, wie unsere heutige Abendlektion, herumschleichen, und in der Furcht, bei diesem oder jenem allzu delikaten Ohr und Gemüth anzustoßen, von dieser Pest, die im Finstern schleicht, von diesem Krebsschaden, der im Mittag verderbet (vgl. Psalm 91, 6.), schweigen wollte. Ist es ja doch auch von selbst klar, daß nicht blos die offenbaren Werke der Finsterniß, die groben Versündigungen der Wüstlinge, die unsere kirchlichen Versammlungen natürlich nicht besuchen, sondern auch die Versuchungen zu den inneren Befleckungen durch Aug und Ohr, durch Zunge und Phantasie, die auch dem Christen nahe treten, von dem Worte Gottes gerichtet und gestraft werden.

Welch ein Wort heiliger Schrift könnte hiebei passender zum Grunde einer erwecklichen Betrachtung gelegt werden, als das Wort, das einst in den grauen Tagen des Alten Bundes aus dem Munde eines keuschen und unverdorbenen Jünglings geflossen ist, der allen Jünglingen und Jungfrauen als ein schönes Vorbild reiner Herzensunschuld und siegreicher Willensstärke vorgehalten zu werden verdient, - ich meine das Wort Joseph's, das er jener zudringlichen Ehebrecherin als starken Schild entgegenhielt, und von dem alle Pfeile der Versuchung wirkungslos abgeprallt sind. Es steht aufgezeichnet in 1 Mos. 39, 9. und lautet also:

Wie sollte ich ein solch' großes Uebel thun, und wider den HErrn, meinen Gott, sündigen?

Hienach betrachten wir dieses Wort als den schönen Wahlspruch eines Herzens, das das Gefäß seines Leibes in Heiligung und Ehre behalten will.

  1. Die Gesinnung, die dieser Wahlspruch voraussetzt;
  2. die Handlungsweise, die er zur Pflicht macht.

I.

„Wie sollte ich ein solch' großes Uebel thun, und wider den HErrn, meinen Gott, sündigen?“ In diesem kurzen, aber kräftigen Worte, thut sich ein Adel der Gesinnung kund, der uns auf das Wohlthuendste ansprechen und dem edeln Jüngling, über dessen Lippen dasselbe geflossen, unser ganzes Herz gewinnen muß. Und darum wollen wir auch die Gesinnung, die in jenem Wort sich bethätigt hat, vor allen Dingen uns klar zu machen suchen.

1) Wie sollte ich? - so fragt Joseph. Schon diese Frage, schon der Ton, mit dem sie ausgesprochen wird, drücken die Entrüstung und Empörung seines innersten Gefühls aus, das durch die Zudringlichkeit jenes ehebrecherischen Weibes im höchsten Grade verletzt und aufgebracht ist. Und eben hierin thut sich sein reines und unverdorbenes Gemüth, jenes zarte Scham- und Schicklichkeitsgefühl kund, das der Unschuld als Wächterin und Warnerin von Gott beigegeben ist. Es ist wahr, die menschliche Natur ist durch die Sünde bis in die innersten Fasern hinein verderbt und verunreinigt, und ein Jeder, der sich selber kennt, wird mit Paulus bekennen müssen: „In mir, d. h. in meinem Fleische wohnet nichts Gutes“ (Röm. 7, 18.). Demungeachtet ist doch auch dem gefallenen Menschen ein gewisses natürliches Schamgefühl geblieben, kraft dessen er vor Allem, was unehrbar, unkeusch, mißlautend ist, zurückbebt, und zum Zeichen hievon schamroth wird. Dieses Zartgefühl besitzt auch der unwiedergeborene Mensch, so lange er noch unverdorben ist; er besitzt daran eine natürliche Schutzwache, die ihn überall hin begleitet, die ihn vor jeder Versuchung warnt, und ihre Stimme erhebt, und die von ihm gewaltsam aus dem Wege gedrängt werden muß, wenn er auf feinere oder gröbere Weise sich versündigen will. Wie es Blumen gibt, die augenblicklich ihren Kelch schließen, wenn ein unreiner Hauch sich ihnen naht, wie von der schüchternen Taube erzählt wird, daß sie auch nur beim Anblick einer Habichtsfeder erschrickt und die Flucht ergreift, so ist noch in jedem unverdorbenen Gemüthe ein geheimes Etwas, das augenblicklich erschrickt, erröthet, und zur Flucht drängt, sobald etwas Sittenverderbendes dem Auge, dem Ohr, dem Herzen nahen will. O wohl Jedem, bei dem dieses natürliche Schamgefühl noch nicht abgestumpft und ertödtet ist! Das Gartenbeet seines Herzens hat gleichsam noch eine natürliche Umzäunung, innerhalb deren die Frucht des Geistes, namentlich die Keuschheit und Reinigkeit des Herzens bewahrt und dem Verderber der Seele viel leichter gewehrt werden kann. Wo einmal dieser Zaun gelockert ist, wo die natürliche Schüchternheit und Blödigkeit gewichen ist, wo ein freies, zügelloses Wesen in Worten und Geberden einmal Platz gegriffen hat, wahrlich, da kann der Zaun leicht vollends ganz niedergerissen, und der Garten keuscher Zucht und Sitte in eine grauenvolle Wüste umgewandelt werden, in der die unreinen Geister ihr buntes und verwegenes Spiel treiben.

2) Jedoch augenscheinlich nicht blos Ergebniß des natürlichen Schicklichkeitsgefühls, sondern zugleich auch Ergebniß seiner ungeheuchelten; auch in der Stunde der Versuchung regen und lebendigen Gottesfurcht war jenes Wort Josephs: Sollte ich ein solch' großes Uebel thun, und wider den HErrn, meinen Gott, sündigen? Hätte er blos einer äußerlichen und weltlichen Betrachtung der Umstände in sich Raum gegeben, so wäre er wahrscheinlich nicht stark genug gewesen, die Versuchung zu überwinden; denn er mußte sich sagen, daß der Haß dieses gottlosen ränkesüchtigen Weibes, wenn er es zurückweise, nur Unglück auf sein Haupt wälzen müsse. Aber er sah in der schnöden That, die ihm angesonnen wurde, eine Beleidigung des höchsten Gottes, dem er diente, dessen allwissendes Auge er scheute, dessen allgegenwärtige Nähe er vor Augen hatte, dessen Gnade und Wohlgefallen er um keinen Preis verscherzen wollte, und darum sprach er: Wie sollte ich ein solch' großes Uebel thun, und wider den HErrn meinen Gott sündigen?

Die Frage: Was ist recht vor Gott? - diese Frage war ihm die erste und wichtigste; diese Frage gab den Ausschlag und half ihm zum Siege. - Daß gröbere oder feinere Verletzung des sechsten Gebots ein großes Uebel vor Gott und ein schwerer Frevel sei, - wer kann das leugnen, wenn er nur ein wenig mit dem Worte Gottes bekannt ist? die Strafe der Steinigung, die auf den Ehebruch im Alten Testament gesetzt war, jene furchtbaren Gerichte, die über Sodom und Gomorrha ergingen, welche gerade durch derartige Sünden das Racheschwerdt Gottes herausgefordert hatten, die Verstoßung David's von Thron und Residenz, die er sich durch seinen Ehebruch zugezogen hatte, jene Pest, welche auf dem Zug durch die Wüste die Hurer in Israel's Lager an Einem Tag zu 23.000 hinwegraffte, und das furchtbare Wort des neuen Bundes: das sollt ihr wissen, daß kein Hurer oder Unreiner Erbe hat an dem Reich Christi und Gottes (Eph. 5, 5.): - Alles dieß spricht zu unumwunden und klar, als daß noch ein Wort hinzugefügt zu werden brauchte. Und noch heute kann Jeder, der Augen hat zu sehen, und offene Sinne zu verstehen, wahrnehmen, daß es keine Sünde in der ganzen Welt gibt, auf welche Gott so sehr schon in dieser Welt sein scharfes tief einschneidendes Gericht legt, als eben diese. Lasset die Gesetzgebungen in Beziehung auf das sechste Gebot auch noch laxer werden, als sie schon jetzt leider sind, das wird die Gesetze des obersten Gerichtshofs, der Recht spricht im Himmel und auf Erden, nicht mildern, sondern schärfen, wie Er es durch Schimpf und Schande, durch Siechthum und Krankheit, durch Armuth und Verderben auf mehrere Geschlechter hinein bisher genugsam bewiesen hat, daß solche Sünden vor Ihm, dem Heiligen und Gerechten ein Greuel sind, und daß Er seine Tenne zu fegen weiß, wenn auch Niemand sie fegt. Wahrlich, wenn ich zuweilen die Schwellen der Krankenzimmer derjenigen betrete, die als Opfer der Lustseuche gefallen sind, und von denen der Verwesungsduft schon von Weitem gegen mich schlägt, da durchbebt mich stets ein tiefer Schauer, daß ich denken muß: Heilig und gerecht sind Gottes Gerichte! Was ist es doch um die Sünde? wie muß der, der vom süßen Taumelbecher der Sünde geschlürft, endlich auch noch den bitteren und furchtbaren Bodensatz trinken! Sind aber nicht gerade diese schrecklichen Gerichte, die Gott an den Uebertretern seiner Gebote schon in dieser Welt vollzieht, ein mahnendes Wetterleuchten, das uns die Gerichte der unsichtbaren Welt ahnen läßt, welche über unbußfertige und leichtsinnige Sklaven der Wollust ergehen werden? Und sollte deswegen nicht auch in unserem Innern gröberen oder feineren Versuchungen gegenüber, verborgenen oder offenbaren Sünden der Unreinigkeit entgegen der Grundsatz Josephs der unsrige werden: Sollte ich so großes Uebel thun, und wider den HErrn meinen Gott sündigen?

3) Jedoch nicht blos Ergebniß ungeheuchelter Gottesfurcht, sondern zugleich auch, - und das eben verbreitet das schönste Licht über Joseph's innerste und tiefste Gesinnung, - zugleich auch Ergebniß treuer Gottesliebe seiner dem HErrn verlobten Seele war jener Ausspruch: Sollte ich ein solch großes Uebel thun, und wider den HErrn meinen Gott sündigen?

In besonderem Sinne nannte Joseph den HErrn seinen Gott; Er war sein Bundesgott von den Vätern her. Unzweifelhaft hatte Joseph bereits aus dem Munde seines frommen Vaters Jakob Kunde von allen den hohen Offenbarungen erhalten, die dem Abraham, dem Isaak und Jakob selbst zu Theil geworden waren, Kunde von den hohen und herrlichen Absichten, die der HErr mit dem Stamme Israel, als dem Träger der Erkenntniß des Einen wahren Gottes sowie der Verheißung vom kommenden Messias und Heiland der Welt, vorhatte. Er wußte sich als ein Glied des auserwählten Volkes Gottes.

Auch hatte er ja in seiner bisherigen wunderbaren Lebensführung, in seiner Errettung von dem ihm durch seine Brüder gedrehten Tode, in seinem traurigen, aber durch die Freundlichkeit Gottes lieblich erhellten Sklavenleben Spuren genug davon zu entdecken Gelegenheit gehabt, wie der HErr ein wachsames Auge auf ihn habe, wie Er ihn als sein Kind und seinen Zögling so treulich geleitet und unter so manchem Schweren dennoch durchgebracht habe. Er selbst wußte sich als einen auserwählten Zögling der göttlichen Weisheit und Gnade: und diesen Gott, dem er zu so innigem Danke verpflichtet war, sollte er verleugnen und verlassen? sein Erstgeburtsrecht sollte er verkaufen um ein Linsengericht? die Liebe seines Gottes sollte er eintauschen gegen die fleischliche Liebe eines gottlosen, ehebrecherischen Weibes? Nein, sprach er: wie sollte ich ein so großes Uebel thun, und wider meinen Gott fündigen?

Hier, meine Lieben! stehen wir auf dem Gipfelpunkt derjenigen Gesinnung, die einem Kinde Gottes ziemt; es ist die Gesinnung eines Gottverlobten, der da weiß, wozu er erwählt ist durch die Gnade Gottes in Christo Jesu, unserem HErrn. Ich will mich mit Dir verloben in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit, hat der HErr schon im alten Bunde gesagt (Hos. 2, 19.), und im neuen Bunde ist Er selbst aufgetreten, um in seiner Gemeinde eine Braut sich durch sein Leiden und Sterben zu erwerben, die Er einsetzen konnte in den Genuß aller seiner himmlischen Güter, die Er sich heiligen will durch das Wasserbad im Wort, damit sie keinen Flecken und keine Runzel habe, sondern daß sie heilig sei und unsträflich (Eph. 5, 26. 27.). Zu dieser Brautgemeinde Jesu Christi sind wir Alle berufen; der Schmuck seiner Gerechtigkeit soll uns zieren; die Seide seiner Unschuld soll uns kleiden, der Purpur seines Bluts soll unser Schmuck und unsere Pracht sein, und wir sollen mit Ihm in seinem Reich leben und wandeln in ewiger Unschuld und Gerechtigkeit. Wahrlich unser Leben muß schon jetzt mit Ihm verborgen sein in Gott! Wer diesen Adel seiner himmlischen Berufung erkannt hat, der wird solche Hoheit nicht wegwerfen wollen an die ehebrecherische Welt, die im Argen liegt, und von der man nur Tod und Verderben erndtet; Er wird sein Herz in bräutlicher Liebe keinem Andern geben, als dem, der es erkauft hat mit seinem Blut; Er wird sich als weißgewaschenes Schaf der Heerde Christi nicht im Koth mit den unreinen Thieren wälzen wollen; Er wird als Biene der rechten Rose Sarons (Hohel. 2,1.) zufliegen, nicht aber das verpestete Aas der Welt aufsuchen, von dem nur Tod und Verderben ausgeht! Er wird mit jedem Tage jene Bitte einer gottverlobten Seele erneuern:

Schenke, HErr, auf meine Bitte
Mir ein göttliches Gemüthe,
Einen königlichen Geist;
Mich als Dir verlobt zu tragen.
Allem freudig abzusagen,
Was nur Welt und irdisch heißt.

II.

Die Gesinnung, aus der Joseph's Wort geflossen ist, und aus der bis auf den heutigen Tag die Reinigkeit der Seele fließt, haben wir nun kennen gelernt. Wollen wir nun aber nicht auch die Handlungsweise erwägen, die dieser Wahlspruch uns Allen in so hohem Grade zur Pflicht macht? Er fordert uns zur Selbstprüfung auf.

1) Da die Unreinigkeit, die offenbare und die geheime, die des Leibes und der Seele, des Auges und des Ohres, des Mundes und der Einbildungskraft ein so groß Uebel in den Augen des HErrn, ein so großer Greuel vor seinem Angesicht ist, so liegt Allen, die auf irgend eine Weise, wenn auch nur in Gedanken oder in Blicken sich gegen das Gebot Gottes versündigt haben, die heilige Verpflichtung ob, ihre Sünde ja nicht für gering zu halten, sondern ernstlich darüber Buße zu thun. Ich will nicht von denen reden, die die schwere Sünde auf dem Gewissen haben, eine unschuldige Seele entweder nur geärgert oder gar verfuhrt zu haben, ich will auch nicht von denen reden, die durch unzüchtige Ballettänze, oder durch schamlose Kleidung, oder durch unsittliche Kupferstiche und Gemälde, oder gar durch schlüpfrige, sinnenberauschende Romane und Dichtungen den Zunder der Sünde in die theuer erkauften Seelen ihrer Mitmenschen werfen, und jenes furchtbare Wort Christi (Matth. 18,7.) sich auf das Haupt laden: wehe der Welt der Aergerniß halber! Es muß ja Aergerniß kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt! Nenn ein Mensch die Brunnen vergiften würde, er würde dem peinlichen Gericht und der Todesstrafe verfallen; aber wieviele kleine und große Schriftsteller hat Deutschland aufzuweisen, die die Brunnen der deutschen Literatur vergiftet haben, so daß Hunderte und Tausende von Jünglingen und Jungfrauen aus dem Becher ihrer Erzeugnisse sich den geistlichen Tod hineingetrunken haben! Wahrlich, solche Verderber wird Gott richten! - Aber ich rede von solchen, die, wenn sie sich in's göttliche Gericht stellen, namentlich, beim Rückblick auf ihre Jugend, gröberer oder feinerer Vergehungen, lauter oder stummer Sünden, - und vielleicht noch aus ihrem späteren Leben vor und in der Ehe sich anzuklagen haben. Ach, ihr wähnet vielleicht, diese Sachen seien verrauscht, diese Dinge haben Nichts zu bedeuten, entschuldigt vielleicht: Jugend hat keine Tugend, Jugend muß vertobt haben! O irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten; wenn ihr ohne gründliche Buße, ohne Erneurung im Geiste, ohne ernstliches Trachten nach der Reinigung von eurer Sünde in dem Blute Christi eure Straße zieht, wisset, ihr habt eine Todsünde auf euch, die euch in der Ewigkeit heiß machen und euch dem Wurm ausliefern wird, der nicht stirbt, und dem Feuer, das nicht erlöscht. Darum lasset uns Alle Buße thun, und zu dem Reinigungsborn eilen, von dem geschrieben steht: Wenn eure Sünde gleich blutroth ist, soll sie doch schneeweiß werden (Jes. 1, 18.); das Blut Jesu Christi des Sohnes Gottes macht uns rein von aller Sünde (l Joh. 1, 7.). Eine Magdalena hat Gnade erlangt, dieweil sie Buße that; ein verlorener Sohn hat Aufnahme gefunden, weil er sie mit Thränen suchte. Wollen wir nicht auch umkehren, und mit Ihm sprechen: Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir? Wollen wir nicht beten:

Heile mich, du Arzt der Seelen,
Wo ich krank und elend bin.
Nimm die Schmerzen, die mich quälen,
Nimm den ganzen Schaden hin,
Den mir Adam's Fall gebracht,
Und ich selbsten mir gemacht.
Wird, o Arzt, dein Blut mich netzen,
Wird sich all' mein Jammer setzen!

2) Aber nicht bloß in Beziehung auf die Vergangenheit gilt es Buße zu thun, sondern auch in Beziehung auf die Zukunft, sich zu rüsten und zu waffnen gegen die Versuchung, und Alles dasjenige zu thun, was dazu dienen kann, das Gefäß unseres Leibes zu bewahren in Zucht und Reinigkeit.

Der erste Rath ist: suche zu fliehen und zu meiden alle böse Gelegenheit; wie es Joseph gemacht, der seine Gebieterin gemieden hat und ihr endlich entflohen ist. Wahrlich, die Leichtfertigkeit, womit Manche am Anfang die Wachsamkeit über ihr Herz nicht geübt haben hat sie in größere Versuchungen und Sünden gestürzt. Wie Mancher hat schon eine leichtsinnige Trinkgesellschaft, in der ein freier und frivoler Ton herrschte, oder eine sinnenberauschende Musik, wodurch allerhand unordentliche Begierden in ihm geweckt wurden, oder die elenden Ballfreuden, die sein Blut in Wallung setzten, aufs Bitterste verflucht, weil bei solchen Gelegenheiten der Zunder der Sünde in sein Herz geworfen wurde. Der unziemliche Spaziergang des David auf dem Dache seines Hauses, jener unerlaubte Besuch der Dina beim Götzenfest der Sichemiten, was hat er für furchtbare, schmähliche Folgen nach sich gezogen? Hat nicht der üppige Tanz jener Königstochter (Matth. 14.) den in den Fesseln seines ehebrecherischen Weibes gegängelten Herodes zum Prophetenmörder gemacht, und eine Blutschuld auf sein Gewissen gewälzt, die er nicht mehr von seiner Seele brachte?

Sodann der andere Rath: Sei mäßig und nüchtern im Gebrauch von Speise und Trank, und warte mit Fleiß und Treue deines Berufs. Dann wirst du vor mancher Versuchung bewahrt bleiben. Wahrlich, es ist kein Wunder, daß namentlich solche, die bei einem leichten, sie nicht weiter in Anspruch nehmenden Beruf den Freuden der Tafel und des Gaumens stöhnen, in allerhand Stricke und Versuchungen gerathen. Joseph war ein thätiger, in seinem Berns eifriger und treuer Jüngling, wie hinwiederum sein HErr ihm deßwegen sein reines Vertrauen schenkt; auch hiedurch blieb er gesund am Leib und an seiner Seele. Stehende Wasser werden gar bald faul und stinkend, trüb und ungesund, während ein fließender Bach fortwährend sich selber reinigt und alle Trübungen durch seine eigene Bewegung niederschlägt.

Endlich der dritte Rath, welchen man einem Menschen geben kann, der in solchen Versuchungen überwinden will: Bitte Gott, den HErrn, daß Er durch seinen heiligen Geist Christum, den Gekreuzigten, in dir verklären wolle von einer Klarheit zur andern. Heil der Seele, die fleißig sich einfindet in Gethsemane und auf Golgatha, wo die Todesmienen des Heilands ihr sich tief einprägen; der Geist wird Herrscher werden über das Fleisch. Solche werden eingehen dürfen in die himmlische Stadt, wo nichts Unreines hinein darf, sondern nur die, die ihre Kleider gewaschen und helle gemacht haben im Blute des Lammes. Es bleibt dabei, was Christus gesprochen hat: Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen (Matth. 5, 8.)!

Amen.

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