Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Quasimodogeniti.
Text: Luk. 24,36-47.
Da sie aber davon redeten, trat Er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist. Und Er sprach zu ihnen: was seid ihr so erschrocken? und warum kommen solche Gedanken in eure Herzen? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin es selber; fühlt mich und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, dass ich habe. Und da Er das sagte, zeigte Er ihnen Hände und Füße. Da sie aber noch nicht glaubten vor Freuden, und sich verwunderten, sprach Er zu ihnen: habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten Ihm vor ein Stück von gebratenem Fisch und Honigseim. Und Er nahm es und aß vor ihnen. Er aber sprach zu ihnen: das sind die Reden, die ich zu euch sagte, da ich noch bei euch war; denn es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist im Gesetze Moses, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete Er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: also ist es geschrieben, und also musste Christus leiden, und auferstehen von den Toten am dritten Tage, und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern, und anheben zu Jerusalem.
Ihr erinnert euch vielleicht noch, dass wir vor nicht gar langer Zeit mit einander an dem Beispiel eines Judas Ischarioth die Stufen der Sünde und des Abfalls, die Staffeln des Verderbens und des geistlichen Todes zu unserer Warnung und Bewahrung an unserem Geiste vorübergehen ließen. Mit Schaudern und Entsetzen sahen wir damals, wie das so leicht verführbare Menschenherz, so bald es einmal wissentlich und vorsätzlich in den geheimen finstern Bund mit der Sünde und dem Satan sich hat verschlingen lassen, gleichsam wie von einer unsichtbaren, feindseligen, fremden Gewalt auf der Straße, die zum Verderben führt, vorwärts getrieben wird. Denn die Lust, wenn sie empfangen hat, gebiert die Sünde, und die Sünde, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod (Jak. 1, 15.) Und da kann es kommen, dass wenn Gottes rettende und bewahrende allmächtige Hand nicht wunderbar dareingreift, der verirrte Menschengeist von Zacke zu Zacke stürzt, bis er endlich in der Tiefe des Abgrunds anlangt, aus welchem nur das Wehegeheul der Verworfenen, nur die Selbstanklage der Verdammten, nur das Hohngelächter der höllischen Mächte herauftönt.
Diese Straße führt abwärts, und nur schwindeln kann es unserm Geiste, wenn er in diese Satanstiefen hinabschaut, und der Seufzer eines Luthers liegt uns sehr nahe: Heiliger HErr und Gott, heiliger starker Gott, heiliger barmherziger Heiland, Du ewiger Gott, lass uns nicht versinken in der tiefen Höllenglut. Erbarm Dich unser!
Aber Heil uns! es gibt auch einen umgekehrten Weg, einen Weg der Gnade aufwärts aus der Tiefe zur Höhe, einen Weg des Friedens aus der Irre zur Ruhe, einen Weg des Lebens aus dem Tode zur Herrlichkeit. Und auch dieser Weg des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes hat seine Staffeln und Stufen: wenn die Schrift von Säuglingen und Unmündigen spricht, aus deren Mund sich der HErr ein Lob zugerichtet (Matth. 21,16.), und dann wieder von Jünglingen, die stark sind in Christo und den Bösewicht überwunden haben (1 Joh. 2,13 f.), und uns Allen Ein Ziel vorhält, nämlich hinanzukommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes, und ein vollkommener Mann zu werden, der da sei in dem Maß des vollkommenen Alters Christi (Eph. 4,13.) Diese Höhe jedoch, meine Lieben, wird nicht im Sturme erstiegen oder im Jugendmut erflogen, o nein, sondern nach und nach an der stets erziehenden Hand des guten Hirten von Stufe zu Stufe oft mühsam erklommen. Ja es gibt auch wieder Rückschritte im Glaubensleben, wie es Fortschritte darin gibt, und es gibt auch Stillstände im Glaubensleben, wie es an der Hand des HErrn auch Erhöhungen auf höhere Stufen hinan gibt. Aber unser ewiger Trost, wenn wir auf der Glaubensstraße wandeln, ist der, dass Einer, der gute Hirte uns zur Seite bleibt, der schon viele Kinder zur Herrlichkeit geführt hat; Einer reicht uns seine starke und kräftige Jesus-Hand, durch welche wir allein stark werden; Er wird das gute Werk, das Er in uns angefangen, auch vollführen, Er, der uns vollbereiten und kräftigen, stärken und gründen und durch seine Gottesmacht bewahren kann zur Seligkeit. In unserem heutigen Evangelium haben wir ein schönes, herzerhebendes Denkmal seiner liebreich erziehenden und von Stufe zu Stufe treu leitenden, den Glauben pflanzenden, kräftigenden und vollendenden Versöhnersliebe vor uns, und es verlohnt sich wohl der Mühe, dass wir den lieblichen Gang, den der HErr mit seinen Jüngern ging, gleichsam an Seiner Hand mit durchlaufen und mit einander reden
Von den verschiedenen Glaubensstufen in der Erkenntnis des Sohnes Gottes.
I.
1) Der erste Eindruck, den das unerwartete und plötzliche Erscheinen des HErrn nach Seiner Auferstehung im Jüngerkreise hervorbrachte, war Erschütterung, Furcht und Schrecken. Zwar waren sie bereits von Seiner Auferstehung unterrichtet, nicht nur durch die Frauen, die des Morgens am Grabe gewesen waren, und namentlich durch Maria Magdalena, der Er sich am Ostermorgen in der ganzen Holdseligkeit Seiner Liebe offenbart hatte, sondern auch besonders durch die beiden Emauntischen Jünger, die bereits wieder mit der frohen Auferstehungsbotschaft im Jüngerkreise angelangt waren. Insofern also war die Erscheinung Christi im Jüngerkreise nicht unerwartet, nicht unvorbereitet. Aber wie Er nun auf einmal wirklich vor ihnen stand, wie Er bei verschlossenen Türen, wie mit einem Schlag aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit heraustrat, da rieselte ein Schauer durch ihre Glieder, da durchzuckte es sie, wie mit einem elektrischen Schlag, und auch Sein holdseliger Friedensgruß war nicht im Stande, die Furcht und die Zaghaftigkeit ihrer Herzen zu verscheuchen und zu vertreiben. Sie hielten Ihn für ein Gespenst, und sie vermochten es nicht, mit Zutraulichkeit Ihm zu nahen; ein geheimes Grauen und Bangen hielt sie ferne von Ihm, und doch hatten sie vorher mit Ihm gegessen und getrunken, doch hatten sie Ihn vorher gehört und geschaut, und waren Seine Vertrauten, Seine Lebens- und Leidensgenossen gewesen. Sie waren wie versteinert, ihre Glieder waren wie gelähmt; und obgleich sie vorher Ihn geschaut und gehört hatten, musste ihr Glaube an Ihn jetzt doch gleichsam von Neuem beginnen, einen neuen Anlauf nehmen, es musste gleichsam ein neuer Boden für ihren Glauben gelegt werden, Glauben gelegt werden, - und da standen sie nun auf der untersten Stufe desselben, auf der Stufe der Furcht und der Zaghaftigkeit, auf der Stufe des Bangens und des Grauens.
2) Meine Lieben, wird nicht noch bis auf den heutigen Tag der Glaube unter solchen Geburtswehen geboren? ist nicht bei gar Vielen unter uns die erste Glaubensstufe eine Stufe der Furcht und des Grauens? Sie haben etwa in ihrer Jugend Manches vom Heiland gehört und vernommen, Seine treue Hirtenstimme ist ihnen da zu Herzen gedrungen, und es war ein guter Zug des göttlichen Geistes in ihnen vorhanden, sie haben Ihm namentlich vielleicht in der Konfirmationszeit freudige Treue und Anhänglichkeit gelobt und sich zu Seinem ewigen Eigentum Ihm verschrieben. So haben sie vielleicht eine Strecke ihres Lebensweges an Seiner Seite durchlaufen; aber es ist anders geworden. Die Zeiten des jugendlichen Leichtsinns, der eitlen, der fleischlichen, der sündlichen Weltliebe sind dazwischen getreten, wie eine Kluft zwischen Ihm und ihnen. Der Heiland, mit dem sie ihre jugendliche Lebensstraße dahingezogen, ist in die Grabesnacht der Vergessenheit bei ihnen hinabgesunken, und ihre Sünde hat manchen bösen Gewissensstein an Seine Gruft gewälzt, und sie sind davongegangen, wähnend, Jesus liege für sie nun ewig begraben im verwitterten Todessarg ihrer Jugend. Aber, siehe da! Er lässt sich nicht darein bannen, Er steht auf aus demselben und tritt vor ihre Seele hin und schaut sie an bald da, bald dort, und wenn sie es am wenigstens erwarten, so durchzuckt sie das Andenken an Ihn, und mit Schauer erblicken sie Ihn in Seiner Ehrfurcht gebietenden Gestalt. Als was erscheint Er ihnen aber? Als Freund, der mit der alten Liebe sie lockt? O nein, sie haben ja Seine Freundschaft verscherzt. Oder als Heiland, der kommt, ihre Seelen zu retten? O nein, sie mussten ja sagen: ich habe den Bund mit ihm gebrochen. Sie halten Ihn darum für ein Gespenst, das sie verfolgt, für einen Schatten, der sie schreckt. Denn Er tritt ihnen in den Weg in der Stunde, wenn sie zu ihren Lustgelagen und Kameradschaften eilen, Er stellt sich ihnen entgegen, wenn sie von den leichtsinnigen Gesellschaften der Welt, vom Tumult des Lebens in die stille Kammer des ruhigen Nachdenkens über sich selbst eintreten, Er blickt sie an, wenn sie etwa auf ihrem Lager eine stille Mitternachtsstande durchwachen, und Zeit und Ewigkeit mit schweigendem Ernst an ihnen vorüberschreitet; aber Er erscheint ihnen als ein Gespenst, in dessen Nähe es ihnen unheimlich wird, weswegen sie denn auch lieber das Weite und das Geraume suchen, oder durch Gottesdienstlichkeit, durch Almosen und Wohltätigkeit, durch Ehrbarkeit und gute Vorsätze sich mit Ihm abzufinden trachten, wenn sie nicht gar in das allgemeine Schelten und Hadern mit Ihm, in das allgemeine Geschwätz wider Mystizismus und Schwärmerei einstimmen, um dadurch die Gespensterfurcht ihres Herzens vor Seiner strafenden und richtenden Nähe zu verscheuchen. Die Apostel aber sind vor Christo nicht geflohen, obgleich Schrecken und Angst über sie fiel; und dadurch eben stellten sie sich auf die erste Glaubensstufe, von welcher sie weiter geführt werden konnten. Freund, fliehe auch du nicht, wenn Christus an dein Herz und Gewissen pocht und Seine richtende und strafende Stimme ertönen lässt; Freund, bleibe stehen vor Ihm, wenn Er dir entgegen tritt und Sein heiliges Auge dich trifft, und Seine Wahrheit dich durchschauert und durchrieselt; Freund, tue die Türe auf, wenn Er draußen steht und anklopft, und sei dessen gewiss, dass Er nicht kommt zu fluchen, sondern zu segnen, dass Er nicht kommt um Tod und Verdammnis, sondern Leben und Frieden zu bringen. Dann stehest du wenigstens auf der ersten Glaubensstufe der Erkenntnis des Sohnes Gottes, und Er führt dich weiter.
II.
1) Auch die erschrockenen und zaghaften Jünger wurden um eine Stufe weiter geführt. Aus der Furcht und dem bangen Schrecken ihrer Seelen hob Er sie hinauf auf die Stufe des Friedens und der Ruhe. Er sprach deswegen: Friede sei mit euch! Aber siehe da! das Wort wollte bei ihnen nicht verfangen. So kräftig und so lebensvoll es erscholl, so matt und unkräftig gleitet es an ihrer Brust ab. Sie waren noch zu sehr erschüttert in ihrem Innern, darum wollte dieses Friedenswort nicht zünden. Da griff der Heiland zu einem andern Mittel, Er zeigte ihnen Seine Hände und Seine Füße und Seine durchbohrte Seite. Mit himmlischer Freundlichkeit und Leutseligkeit offenbarte Er sich als das verwundete und gemarterte Lamm Gottes, das die Zeichen Seiner Schlachtung an sich trug. Es sollten ihnen dabei die Augen und das Herz aufgehen für den Eindruck der Liebe, mit welcher Er sie bis in den Tod geliebt hatte, der Liebe, welche keine Gedanken des Leides, sondern des Friedens über sie hatte. Es sollte ihnen dadurch die priesterliche Versöhners-Huld gleichsam tatsächlich und handgreiflich entgegen treten, die Ihn das Herbste übernehmen und das Bitterste leiden hieß, auf dass sie und wir durch Seine Wunden geheilt würden. Aber freilich die Jünger bedurften auch einer solchen tatsächlichen Versicherung Seiner unwandelbaren Versöhners-Gnade. Sie waren eine solcher Aufrichtung, eines solchen Trostes in hohem Grade bedürftig. Da war ja ein Petrus, der tief Gefallene, der so viel versprochen und so wenig gehalten hatte und in den Tagen der Trauer mit Tränen im Auge umbergegangen war und der sich nun fragen musste: wird der HErr mir das Begangene vergessen? wird Er mir nichts nachtragen? Da waren die Übrigen, die Ihm allesamt an jenem Abendessen so hohe Versprechungen gemacht haben, sich nicht an Ihm zu ärgern, und selbst Tod und Gefahr mit Ihm zu bestehen, und was hatten sie von dem Allem gehalten? Welchem Unglauben hatten sie ihre Herzen in den Tagen der Not überlassen! welcher Hoffnungslosigkeit ihr Gemüt hingegeben! sie mussten fragen: wird Er denn Alles vergessen? wird Er die Liebe, die Er in den Tagen Seines Fleisches an sich trug, wieder mitbringen? wird Er uns denn wieder in Seine Gemeinschaft hineinziehen? wird Er den abgerissenen Faden des Glaubens wieder anknüpfen? diese Fragen mussten sie peinigen und foltern. Und doch, wie freundlich löst Er ihren Zweifel, wie leutselig heilt Er ihre Trauer, wie unbeschreiblich huldvoll zeigt Er ihnen das alte, das nur um so heller strahlende Heilands-Angesicht. Es ist Alles vergessen, und herrlicher und deutlicher als Alles reden Seine Narben und Wundenmale, die siegreichen Zeichen Seiner ewigen Versöhners-Liebe. So werden die geliebten Jünger von der Stufe des Trauerns und Klagens auf die zweite Glaubensstufe emporgehoben, auf die Stufe der Erkenntnis des Sohnes Gottes, als ihres Heilands und Versöhners, und dies war die Stufe seligen Friedens und himmlischer Ruhe. Denn nicht als Richter stand Er da, sondern als Heiland der Sünder.
2) Es gibt vielleicht auch unter uns blöde und verschüchterte Seelen, die gerade auf der Stufe der Furcht und der Zaghaftigkeit stehen, und nun Christum nur als ihren künftigen Richter vor sich sehen, der sie schreckt, nicht aber als den Heiland der Sünder, der sie tröstet. Ach, sie möchten so gern auf die zweite Stufe steigen; aber ihre Füße sind wie lahm und ihre Herzen verzagt. Sie haben eben den ersten Anfang in der Buße gemacht. Sie empfinden, dass das Gesetz geistlich und feurig ist, seine Blicke laufen in ihren finstern Herzensgrund hinein, sie wollten gerne besser werden, wissen aber nicht, wie sie es angreifen müssen, sie haben schon manchen Anlauf genommen, und es ist ihnen nicht gelungen. Die Sünde ist wieder mächtig geworden, der Eifer erlahmt, das Feuer erkaltet, sie fürchten sich vor dem Tod und wissen, dass er sie ereilen wird; missmutig und verzagt, blöde und erschrocken stehen sie da, bahnlos liegts hinter ihnen und bahnlos vor ihnen. Wiederum gibt es andere verschüchterte Seelen, die zwar Christum als HErrn und Heiland der Sünder erkannt und angenommen, Ihm auch schon eine Zeitlang nachgefolgt und Kräfte des ewigen Lebens geschmeckt haben. O wie waren sie da so selig, sie waren Hochzeitleute, bei denen der Bräutigam ist. Aber es haben Fehler sich eingeschlichen, und ihr böser Seelengrund hat sich wieder eingestellt, ihr heimtückisches und verführerisches Herz hat ihnen ein böses Spiel gespielt. Sie haben etwa Christum nicht so vor den Menschen bekannt, wie sie hätten ihn bekennen sollen. Sie haben ihres Versprechens vergessen, Christum zu bekennen, und auf feine oder gröbere Weise undankbar und untreu sich an ihm erwiesen. Das hat sie weit zurückgetrieben, das macht sie bei ihm schüchtern. Sie fragen: Können wir aber den Heiland ohne Sünde empfangen, da die Sünde uns so schwer darniederdrückt? Kann ich auch aus dieser Grube, in die ich jetzt gesunken und gefallen bin, Errettung und Erlösung finden? Ihr blöden, ihr zaghaften, ihr unter dem Gesetzesstab seufzenden Seelen, euch allen tritt Jesus im heutigen Evangelium, wie seinen Jüngern entgegen, und zeigt euch Seine Nägelmale und Seine Seite und spricht:
„Was seid ihr so erschrocken und warum kommen solche Gedanken in eure Herzen? Friede sei mit euch!“ Und weil ihr dieses Friedenswort nicht glauben könnt, weil ihr nicht begreifen könnt seine Liebe, so tritt Er vor euch hin und zeigt euch Seine Nägelmale und spricht: kommet und seht: um eurer Sünden willen bin Ich verwundet, um eurer Missetaten willen zerschlagen, das sind die Wunden, die Narben, die Ich an Mir trage; eure Strafe liegt auf mir, auf dass ihr Frieden hättet, durch Meine Wunden seid ihr geheilt. Sünder, Mitsünder:
Ihr dürfet nicht erschrecken,
Vor eurer Sündenschuld,
Nein, Jesus will sie decken
Mit seiner Lieb' und Huld.
Und wenn ihr Seinem Munde, der Frieden verkündigt, Heil und Leben euch anbietet, nicht glauben wollt, glaubet wenigstens den heiligen Wundenmalen, die Er sich hat schlagen lassen. Ihr dürft zugreifen, ihr dürft Vergebung der Sünden euch zueignen. Jesus ist euch hold.
III.
1) Der Heiland hatte die Apostel auf die zweite Stufe erhoben. Sie erkannten Ihn als denselben treuen und liebevollen Heiland, wie Er es gewesen war von Anfang. Die Wellen der Furcht und des Grauens legten sich allmählig, und ihr Herz, das so stürmisch und bewegt gewesen war, kehrte in das gewohnte Bett der Ruhe und des Friedens zurück. Aber damit war der Heiland noch nicht zufrieden. Noch eine Stufe weiter hinan sollten sie gehoben werden, im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes, auf die Stufe der Freude und des Glaubensmutes. Wie sehr die Apostel eine solche Erhebung auf die Stufe der Freudigkeit und des Glaubensmutes bedurften, das zeigen die vorgeschobenen Riegel, die verschlossenen Türen. Immer noch war eine geheime und verborgene Schüchternheit zurück; denn es stand eine feindselige Welt ihnen entgegen und drohten ihnen Gefahren und Verfolgungen, Gefängnis und Tod. Darum bedurften sie nicht nur eines Friedens und einer Ruhe, sondern sie waren auch einer Glaubensstärkung und einer Freudigkeit benötigt, welche sie über alle diese Gefahren hinweghob. Und wie hob denn nun der HErr sie auf diese Glaubenshöhe hinauf? Er fragte sie: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie legten Ihm aber vor, was gerade zur Hand war, und Er nahm und aß vor ihnen. Es war Ihm darum zu tun, dass sie Ihn nicht bloß als den gnädigen und liebevollen, sondern wahrhaftig als den lebendigen, ja als den Lebensfürsten erkennen sollten, dass sie einen lebendigen Eindruck von Seiner Belebung erhalten möchten. Es sollte ihnen klar werden, dass Er auch den letzten Staub der Sterblichkeit von sich geschüttelt habe und ins volle Leben zurückgekehrt sei. Und an diesem Seinem vollen Leben, an Ihm, der das Leben und der Lebensfürst selber ist, sollte sich ihr Glaube wieder aufrichten; weil sie Ihn den Lebendigen unter sich haben, so sollte alle Sorge und Bangigkeit in Beziehung auf die Zukunft hinwegfallen. In ihrer misslichen Stellung vor der Welt, gegen den Spott und Hohn, gegen die Gewalt und Feindschaft derselben, brauchten sie guten und getrosten Mut, und viele Freudigkeit des Geistes und Kraft und Stärke aus Seinem Leben. Darum war es Ihm so darum zu tun, sich ihnen als den lebendigen und Lebensfürsten zu offenbaren und sie auf die Stufe der Glaubensfreudigkeit und des hohen Glaubensmutes hinaufzuheben; wie es denn auch im Evangelium (vgl. Joh. 20,20.) bezeugt wird: nun wurden die Jünger froh, dass sie den HErrn sahen. So wurden sie hinangehoben auf die Stufe der Freude, des Glaubens, der Kraft und des Lebens.
2) Auf diese Stufe, meine Lieben, will der HErr auch uns führen, wenn wir uns Seiner Leitung ganz überlassen, auf die Stufe der Freude in Ihm und auf die Stufe des Glaubensmuts. Hat Er ja doch in Seinen Abschiedsreden zu Seinen Jüngern gesagt: eure Freude soll Niemand von euch nehmen (Joh. 16,22.) Nicht nur Frieden sollten sie bei Ihm finden, nein auch Freude und volles Genüge. Es ist eine Lüge, wenn die Welt vom lebendigen, inneren und wahren Christentum ausschreit, es sei ein trübseliges, kopfhängerisches, jämmerliches und hinbrütendes Leben. Es ist ganz falsch, wenn sie sagt, dass man da nur immer Trauerlieder anstimme, und seine Tage mit Grämen und Jammern verbringe. Nein!
Weicht ihr Trauergeister,
Denn mein Freudenmeister,
Jesus tritt herein.
So darf der Glaube manchmal sprechen. Jesus tritt herein als der Sieger über Sünde und Tod, über Teufel und Hölle, und stellt sich vor uns hin und spricht: warum hast du Angst in dieser Welt, sei getrost, Ich habe die Welt überwunden! Er zeigt uns Seinen großen Sieg, Er weist uns hin auf die große Erlösung und Versöhnung, die Er gestiftet hat und spricht: Ich bin das A und das O; Ich bin der Lebendige, der tot war, nun aber lebe Ich von Ewigkeit zu Ewigkeit. Jesus tritt herein als der Lebensfürst, der uns aus dem Staube der Vergänglichkeit, ja der uns über uns hinaushebt. Und daraus entsteht Freudigkeit und Glaubensmut, die wir so sehr bedürfen im irdischen Jammertal; so bereitet Er uns die Freudenstanden, die freundlichen Erquickungszeiten, die man hier so wohl brauchen kann. Denn wie oft will uns der Mut entsinken, so lange wir im Lande des Todes wallen, wie oft will der Stecken und Stab der Hoffnung uns aus der Hand gleiten, wenn wir die Höhen des Lebens hinaufklimmen, wie oft will der Faden der Geduld uns über uns selber brechen, wenn unser Verderbnis immer von neuer Seite uns entgegentritt, und wenn wir hinausschauen auf die vielen Feinde, die noch zu überwinden, auf die vielen Gefahren, die zu bestehen, auf die vielen Höhen, die zu erklimmen sind. Ist's denn auch möglich, fragt da das Herz, dass ich das Ziel erreiche? werde ich keine Beute der Verführung, kein Raub des Alltags- und Gewohnheits-Christentums? Siehe! da tritt Christus der Lebendige an deine Seite und spricht: fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein; und so du durchs Feuer gehst, sollen dich die Flammen nicht ergreifen, und so du durchs Wasser gehst, will Ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersäufen, denn Ich bin der Starke in Israel, dein Heiland (Jes. 43,1-3.) Und wenn uns gegeben wird ein Pfahl ins Fleisch, und unser Mut dahin sinken will, „lass dir an Meiner Gnade genügen!“ - und gläubig setzt man hinzu;
Mein Beruf heißt Jesu nach,
Durch die Schmach;
Durchs Gedräng von aus und innen
Das Geraume zu gewinnen,
Dessen Pforte Jesus brach.
IV.
1) Die dritte Glaubensstufe ist also die Stufe der Freudigkeit in dem HErrn und des Glaubensmutes auf den HErrn, darum weil man ihn erkennt als den Lebensfürsten. Allein noch in eine vierte Stufe, und dies ist die letzte, führte der HErr die Apostel in jener Abendstande hinein. Er sah wohl voraus, dass die Freudenstanden, die durch Sein Erscheinen den Jüngern bereitet wurden, wieder vorübergehen werden; wenn sie sich auch jetzt freuten, weil der Bräutigam bei ihnen war, so mussten auch wieder andre Zeiten kommen, da der Bräutigam war von ihnen genommen.
Darum trug Er Sorge, dass sie dann nicht wieder auf die Stufe der Trostlosigkeit herabsinken, sondern auf die Stufe der Beständigkeit im Glauben erhoben werden sollen. Und welchen Weg schlug Er denn dazu ein? den sichersten, den geradesten. Er führte sie zuerst in das Alte Testament und schloss vor ihren Augen die Schätze der Erkenntnis und der Weisheit auf, die in der Schrift verborgen liegen:
„Das sind die Reden, von denen Ich euch sagte, da ich noch bei euch war; denn es muss Alles erfüllt werden, was von Mir geschrieben ist im Gesetz Mosis, in den Propheten und in den Psalmen.“ „Also,“ sagt Er, „ists geschrieben und also musste Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tage und predigen lassen in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern.“ Nach zwei Seiten hin richtete hiermit der HErr das Auge Seiner Jünger, rückwärts und vorwärts: rückwärts - auf das Wort des alten Bundes, und zeigte ihnen da, wie Er von Anfang an war und wie Er als der ewige, als der unwandelbare Sohn Gottes nun bekräftigt sei, und vorwärts, indem Er ihnen zeigte, was noch geschehen müsse, wie in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden verkündigt werden solle allen Völkern.
Als Der stand Er jetzt vor ihnen, Der Er von Ewigkeit her war und zu Ewigkeit ist, Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit.
So vollendete sich ihre Erkenntnis durch das lebendige Schriftwort. Durch diese Erkenntnis Seiner Person als des Ewigen, Unwandelbaren, Treuen und Wahrhaftigen hob Er sie auf die vierte und letzte Glaubensstufe, auf die Stufe der Beständigkeit und Festigkeit. Denn ist Jesus Christus ewig, so muss auch der Glaube ewig sein; ist der Fels ewig, so muss auch der Glaube, der auf diesem Felsen steht, ewig dauern.
2) Es ist ein köstliches Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, sagt der Apostel (Hebr. 13,9.) Ja das ist ein köstliches Ding, wenn man sich nicht mehr wiegen und wägen lässt von jeglichem Wind der Lehre (Eph. 4,14.); das ist ein köstliches Ding, wenn man wurzelt und steht in dem, der der Fels ist; das ist ein köstliches Ding, wenn man in Ihn, den Lebendigen, gepflanzt ist, in Ihm lebt und in Ihm wirkt und keinen andern Odem mehr ziehen will, als nur aus Ihm und in Ihm; es ist ein köstlich Ding, mit einem Apostel Paulus sprechen zu dürfen: ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur, mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu unserm HErrn (Röm. 8,38.39.)
Dieses Festwerden im Glauben aber geschieht durch Gnade, durch die Gnade dessen, der der Anfänger und Vollender des Glaubens ist. Das geschieht durch die still arbeitende, durch die reinigende, durch die stärkende, durch die vollbereitende Gnade dessen, der der treue, unwandelbare Jesus Christus ist, heute und gestern und derselbe in alle Ewigkeit. Er ist der Kern und Stern der ganzen heiligen Schrift. Und wie Alles von Ihm ist, so ist Alles zu Ihm. Er ist das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. Und darum kann Er auch in uns das Werk der Erneuerung beginnen und fortsetzen, kräftigen und vollenden, und in uns schaffen das Wollen und das Vollbringen nach Seinem Wohlgefallen. Wer auf dieser Glaubensstufe steht, der kann ausrufen:
Wie bin ich doch so herzlich froh,
Dass mein Schatz ist das A und O,
Der Anfang und das Ende,
Er wird mich noch zu Seinem Preis
Einführen in das Paradeis
Des klopf' ich in die Hände!
Amen, Amen,
Komm Du schöne
Freudenkrone,
Bleib nicht lange,
Deiner wart' ich mit Verlangen.
Amen.