Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Judica.

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Judica.

Text: Hebr. 9, 11-15.
Christus aber ist gekommen, daß Er sei ein Hoherpriester der zukünftigen Güter durch eine größere und vollkommenere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht also gebauet ist; auch nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, sondern Er ist durch sein eigen Blut einmal in das Heilige eingegangen, und hat eine ewige Erlösung erfunden. Denn so der Ochsen und der Böcke Blut und die Asche von der Kuh, gesprenget, heiliget die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit, wie vielmehr wird das Blut Christi, der sich selbst, ohne allen Wandel, durch den heiligen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott? Und darum ist Er auch ein Mittler des neuen Testamentes, auf daß durch den Tod, so geschehen ist zur Erlösung von den Uebertretungen (die unter dem ersten Testament waren), die, so berufen sind, das verheißene ewige Erbe ansahen.

In ein Heiligthum führen uns unsere heutigen Textesworte ein, in das gottselige Geheimniß unserer Versöhnung mit Gott, in die tiefe Bedeutung des Opfertodes Christi zum Heile der verlorenen Welt. War schon für den Gläubigen des alten Bundes der Tempel zu Jerusalem ein Heiligthum, dem er nur mit tiefer Ehrfurcht und heiliger Beugung sich nahte, weil ihn da Alles an die Nähe seines Gottes, an seine Heiligkeit und Majestät, sowie an seine eigene Unmacht und Schuld erinnerte; wie viel mehr müssen wir im neuen Bund dem Allerheiligsten unseres Glaubens mit stiller und demüthiger Andacht nahen, wenn wir im Geiste in dasselbe von der Hand eines großen Apostels eingeführt werden! Und wirklich mit unserer heutigen Epistel stehen wir mitten im innersten Heiligthum, und aus ihr selber heraus tönt es uns an, wie dort den Moses beim feurigen Busch: ziehe deine Schuhe aus; denn die Stätte, darauf du stehest, ist heiliges Land. Da ist ja der Hohepriester ohne Tadel, der Lebensfürst von großem Adel, der hineintritt in das Dunkel der göttlichen Gerichte und alle Schuld auf sich nimmt, der sich ohne Flecken und Wandel geopfert hat für die Sünden der Welt; da ist ja die Opferschaale seines heiligen und theuren Blutes, die Er dargebracht hat, um uns zu versöhnen, und sich selber aus uns eine Gemeinde zu heiligen und ein Volk des Eigenthums; da ist endlich das grüne Holz des Lebens, die kostbarste Frucht, die aus dem dürren Holz seines Kreuzes entsprungen, die zur Gesundheit unserer Seele dient, uns mit dem Frieden und Trost der Rechtfertigung erfüllt, und in seinem Kampfe uns den Frieden, in seinem Tode unser Leben uns schmecken läßt. Und sollten wir nun nicht mit heiligem Beben in diesem Heiligthum stehen, und die Wunder seiner Liebe und unserer ewigen Erlösung mit Scham und Beugung, aber auch mit Dank und Freude erkennen, bewundern und preisen?

Insofern paßt unsere heutige Epistel vollkommen zu der Station, die wir im Laufe des Kirchenjahrs erreicht haben. Wir stehen am Voreingange der heiligen Passahwoche; wir sollen wieder hintreten auf die ewig denkwürdigen Opferstätten, auf welchen der Heilige und Gerechte unter schwerem Kampfe sein heiliges Leben zum Lösegeld gegeben; wir sollen Ihn in Gethsemane ringen und kämpfen, auf Gabbatha bluten und erbleichen, auf Golgatha in den schmählichsten Tod dahinsinken sehen. Da steht nun unser heutiger Text gleichsam wie eine Wache am Thore des Heiligthums, um uns zu mahnen, alles ungöttliche Dichten und Trachten fahren zu lassen, und unsere Gedanken in die Tiefen der priesterlichen Erbarmung Christi zu senken, und uns der seligen Errungenschaft zu freuen, die Er leidend und sterbend uns erworben, und die wir als das köstlichste Kleinod an seinem Kreuze in Empfang nehmen sollen. Es ist dieß nichts Geringeres, als die Reinigung unserer Gewissen durch sein Blut, und unsere Rechtfertigung vor Gott durch seinen heiligen Opfertod.

Lasset uns dieß näher erwägen: Die Reinigung unserer Gewissen durch das Blut Christi als die süßeste Frucht seines heiligen Opfertodes.

Tief und unaustilgbar liegt in jeder Menschenbrust das Bedürfniß und die Sehnsucht nach der Reinigung des Gewissens von der Schuld und Verdammniß der Sünde, ein Seufzen nach der Erlösung vom Fluch und von der Strafe der Uebertretung. Dieß ist dem Menschengeist so tief eingeprägt, daß sich sogar unter den Einflüssen des finstersten heidnischen Aberglaubens, ja selbst neben den rohesten Ausbrüchen der Wildheit und Barbarei kund zu geben pflegt. Jene blutigen Opfer, welche die Heiden ihren erzürnten Gottheiten darbrachten und noch darbringen, jene Waschungen und Reinigungen und Büßungen, denen sie sich mit der beharrlichsten Ausdauer und mit der gewissenhaftesten Aengstlichkeit unterziehen, von was anders legen sie Zeugniß ab, als daß eine Schuld auf ihrem Gewissen liegt, die sie gerne getilgt sähen, und ein Fluch sie darniederdrückt, dessen sie gerne entlastet wären? Wenn jene Molochsdiener Kanaans ihre armen wimmernden Kinder in die glühend heißen Arme des Götzen legten, und durch lärmendes Geschrei das Stöhnen der unglücklichen Opfer und oft die Stimme der Menschlichkeit in der eigenen Elternbrust übertönten, wenn der büßende Bramin Jahre lang auf das Stachelbett sich darniederstreckt, um sein Fleisch in tausendfacher Qual zu kreuzigen, wenn die verblendeten Indier unter den Götzenwagen ihres Juggernaut sich werfen, um von seinen zermalmenden Rädern sich zerquetschen zu lassen, - von was Anderem legen alle diese mißverstandenen Büßungsversuche Zeugniß ab, als davon, daß ein schwerer Bann auf ihrem Gewissen liegt, dessen sie um jeden Preis, ja selbst gegen Einsetzung des eigenen vergänglichen Lebens gerne entledigt wären, um ein versöhntes Herz, ein gereinigtes Gewissen zu bekommen, und das entschwundene Gut eines ungetrübten Seelenfriedens wieder an sich zu raffen? So unabweisbar ist die Stimme des nach Erlösung seufzenden Gewissens, daß es dem armen Menschenherzen solche blutige und wehmüthige Opfer abzutrotzen vermag.

Das Gewissen ist nämlich die höchste, die unbezwinglichste Macht im Menschen. Es ist das unzerstörbare Ueberbleibsel aus dem Stande der Unschuld, der heilige Rest von jener seligen und heiligen Gemeinschaft mit Gott, kraft der das Herz in Gott lebte und webte und in Ihm Leben und volle Genüge hatte. Das Band derselben ist durch die Sünde entzwei gerissen; aber das uns noch übrig gebliebene Stück ist das Gewissen, das uns deßwegen stets noch zurückerinnert an den alten Adel unserer Natur, an die vergangene Seligkeit, an das verlorene Paradies, aber eben darum auch wieder den Anknüpfungspunkt darbietet zu einer neuen Gemeinschaft des Glaubens mit Gott, zu einem neuen Leben der Liebe in Gott. Wo wäre das Menschengeschlecht hingekommen, wenn Gott nicht in des Menschen Innerstem noch einen festen Punkt besäße durch die Macht des Gewissens? Wir sind tiefgefallene Geschöpfe, verunreiniget und beflecket mit allerlei Todesschuld und Missethat, und unser Verderben könnte wohl nicht größer und bejammernswürdiger sein, als es ist. Aber saget an, in welche Abgründe der Unmenschlichkeit und Bosheit, in welche Satanstiefen hätte der Mensch sich verlieren müssen, wenn die letzte Schranke gefallen, wenn das Gewissen im Innern von der Wache über den Menschen abgezogen wäre und ihn ungestört seinem wüsten Treiben und seinen unersättlichen Begierden und Lüsten überlassen hätte? Längst schon würde der Mensch zu einem Teufel, die Erde zu einer Hölle geworden sein, die Mächte des Abgrunds hätten ihre Schlupfwinkel verlassen, um als Brüder und Reichsgenossen mit den Menschen hier oben sich anzusiedeln. Aber sie steht noch, diese Schranke, und sagt dem Menschen, was recht und gut ist und was sein Gott von ihm fordert; und er muß sich vor Ihm beugen, er mag wollen oder nicht; denn er weiß, daß sein Gewissen ein Gottesspruch ist, welcher Geltung hat im Himmel und auf Erden, und daß er nicht ungestraft gegen seine Befehle sich auflehnen, gegen seine Stimme sich empören, seine Forderungen in den Wind schlagen darf. Denn es ist ihm in's Innerste geschrieben, was Gott seinem Volke äußerlich kundgethan hat: Ich bin heilig, darum sollt auch ihr heilig sein.

Ebendeßwegen ist aber gewöhnlich dem natürlichen Menschen das, was ihm Gott nach seinem Fall als die höchste und segensreichste Gabe noch gelassen hat, ein Stein des Aergernisses und ein Fels des Anstoßes. Das Gewissen, das ihn als Friedensengel durch's Leben begleiten, vor dem Bösen warnen, von der Sünde zurückhalten, zu allem Guten spornen und die verlorne Gemeinschaft mit Gott wieder suchen lehren sollte, - dem natürlichen Menschen verkehrt es sich in einen Widersacher, der zwischen ihn und die Luft sich stellen, der den Lebensgenuß ihm verbittern, die Freude der Welt ihm vergällen, und Allem, was er thut und genießt, einen bittern Nachgeschmack beibringen will; denn nach jeder Schuld und Sünde erhebt es die unpartheiische Richterwage und spricht sein Urtheil nach den Gesehen einer göttlichen und ewigen Gerechtigkeit. Was ist nun natürlicher, als daß der unwiedergeborene Mensch auf jedem Wege sich mit seinem Gewissen abzufinden sucht, oder vielmehr gar im Eigenwillen und Trotz den Gehorsam ihm aufzukündigen wagt? Seine Herrschaft sieht er als Tyrannei und den ihm schuldigen Gehorsam sieht er als Sklaverei und Knechtschaft an; er will frei werden um jeden Preis, und ungebunden, es koste was es wolle. Aber wenn er auch das Gewissen verläßt, so verläßt ihn doch das Gewissen nicht: wenn er fliehen will, so heftet es sich an seine Fersen, wenn er mit ihm markten will, so zeigt es die Tafeln seiner Unverbrüchlichkeit; wenn er sich unter seinen Augen wegstehlen will, so gewinnt es ihm einen Vorsprung ab; ja nimmt er auch Flügel der Morgenröthe und fliegt an's äußerste Meer, siehe, so ist es auch da; denn es ist nicht außer ihm, sondern in ihm; denn es ist nicht unter ihm, sondern über ihm. Warum hat wohl ein Herodes nach dem Morde Johannis des Täufers, als Jesus auftrat und Wunder that, wie von der Fieberhitze gestachelt, ausgerufen: „Johannes der Täufer ist von den Todten auferstanden?“ Sehet, das war die Macht des bösen Gewissens. Warum hat wohl der heidnische Landpfleger Felix, als Paulus vor ihm sprach von der Gerechtigkeit, von der Keuschheit, vom Gericht, schnell abgebrochen mit den Worten: „ein anderes Mal, wenn ich gelegenere Zeit habe, will ich dich wieder rufen lassen?“ Warum hat der Heide, der stolze Römer, der übermüthige Richter sich gefürchtet vor einem wehrlosen Mann, der in Ketten und Banden vor ihm stand? das war die Macht des bösen Gewissens. Warum hat wohl ein Judas, der seine Seele verpfändet hat an den Mammon und, durch den Betrug Satans in Falschheit und Lüge verstrickt, mit kaltem Blut die schwärzeste That vollbracht, das Blutgeld wiedergebracht und für den Unschuldigen ein lautes und unwiderlegliches Zeugniß abgelegt und in Verzweiflung selber das gebrandmarkte Leben hinweggeworfen? das war die Macht des Gewissens. Das Gewissen ist wie ein Löwe, den man durch gute und böse Worte bändigen, zähmen, ja dem menschlichen Willen unterwürfig machen kann; aber trauen darf man ihm nicht; ehe man sich's versieht, kehrt seine angestammte und angeborne Natur wieder zurück, und wehe dann dem, der ihm in den Weg tritt! Sein Zorn ist wie ein verzehrendes Feuer, seine Rache widersteht aller menschlichen Macht und List. So ist's mit dem Gewissen. Hüte dich, daß du keine Brandmale ihm einäzest, die wie böse Geschwüre einmal aufbrechen müssen. Du kannst es zwar oft lange einschläfern durch die Wiegenlieder der Sicherheit und Sorglosigkeit, du kannst es durch den Mohnsaft der Vergeßlichkeit in einen tiefen Schlaf betten, - aber traue ihm nicht! Urplötzlich kann es erwachen und mit angestammter Kraft sich wider dich kehren; und was willst du ihm entgegenhalten, wenn sein Fluch dich trifft und seine Schrecken dich überfallen, wie der Schmerz ein schwangeres Weib? O, führe doch deinen Wandel mit Furcht; denn an deinem' Gewissen hast du einen beständigen Begleiter, der alle deine Schritte und Tritte bewacht, alle deine Gedanken und das Zwiegespräch deines Herzens belauscht, all dein Thun und Lassen kennt, und die ganze Geschichte deines Lebens mit allen verborgenen und geheimen Zügen in die Akten des inneren Gerichts einträgt, ja nichts anders ist, als eine Abschrift aus den Büchern der Allwissenheit Gottes. Du kannst die Vorladung vor dieses Gericht oft lange hinausschieben, du kannst einen Termin nach dem andern dir verlängern lassen, aber einmal mußt du dich vor dem Richter stellen, und ihm kannst du nichts verbergen und bemänteln, den du nicht bestechen und irre führen wirst, dem du dann Rede stehen und von dem du in göttlichem Auftrag ein gerechtes und gültiges Urtheil - wehe dir! - vernehmen mußt!

Jedoch in dieser Beziehung, höre ich viele Tausende mir entgegnen, kann ich vollkommen ruhig sein; ich habe ein gutes Gewissen, ich habe mir nichts vorzuwerfen; und eben darum brauche ich auch den Ausspruch meines Gewissens nimmermehr zu fürchten; die Pflichten der Gerechtigkeit und Billigkeit, die Anforderungen der Nächstenliebe in näheren und entfernteren Kreisen habe ich geübt, ich habe lieber zweimal Unrecht gelitten, als einmal Unrecht gethan; ich bin ein treuer Gatte, eine sorgsame Hausmutter, ein fleißiger Geschäftsmann, ein ruhiger Bürger gewesen; mit Ruhe und Zufriedenheit vermag ich auf mein Leben zurückzublicken; ich habe das Gute gewollt, wer kann mir einen gegründeten Vorwurf machen? Das ist so die gewöhnliche Sprache des verblendeten, im Wahn der Eigengerechtigkeit und Selbstgefälligkeit verstrickten Menschen-Herzens, das auf die mühsamste Weise seine armseligen Lappen zusammensucht, um seine Armuth und Blöße zudecken. Und trotz dem Allem sage ich dir, daß dein Gewissen doch nicht ruhig, dieser innere Richter doch nicht ganz mit dir zufrieden ist. Woher kommt es denn, daß du bisweilen so mißvergnügt und in deinem Innern so unruhig bist, ohne daß du selber recht weißt, woher es rührt? Woher kommt es denn, daß du oftmals so ungern allein bist und in die Einsamkeit gehst, dagegen viel lieber in das Gewühl der Welt oder in das bunte Treiben deines Berufs dich verlierst? Warum hättest du denn das nöthig, wenn dein Herz ganz befriedigt wäre? Oder woher kommt es denn, daß du doch zuweilen an einem Abgrund stehst und die innere Nacht deiner Seele ein Blitz der Wahrheit durchzuckt, der dir das Dunkelste deiner Seele machtvoll erhellt, und das Ungenügende deines Zustandes entdeckt? Ja, woher kommt es denn, daß du wenigstens so böse Geschwüre in deinem Herzen herumträgst, die du vom Worte der Wahrheit um keinen Preis dir berühren lassen willst, weil du wohl weißt, sie könnten aufbrechen und deinen erträumten Seelenfrieden rauben und stehlen? Aber, gesetzt auch, es ist wahr, was du sagst, - du habest deine Pflichten erfüllt, deine Schuldigkeit gethan: hast du noch nicht davon gelesen, daß es auch todte Werke gibt, wie unsere Epistel (6, 1.), es ausdrückt, die ohne Glauben, ohne Liebe gethan sind, und ebendarum auch nicht in Gott gethan sind? Kann mit solchen todten Werken dein Gewissen zufrieden sein? Deine äußerliche Gattentreue, ohne innere und wahrhafte Gattenliebe, deine äußerliche Wohlthätigkeit ohne innerliche wahre und milde Barmherzigkeit, dein Fleiß im irdischen Beruf und Tagewerk, ohne regen Fleiß in der Heiligung, - alles das sind todte Werke, und auch diese beflecken dein Gewissen und rauben dir Gottes Wohlgefallen und deiner Seele Frieden. Beuge dich, schäme dich, denn deine Werke sind nicht völlig vor Gott!

Was ist nun das Ergebniß von diesem Allem? was der Schluß aus all' diesen traurigen Entdeckungen und Wahrnehmungen? Kein anderer, als der, daß wir alle, wir mögen sein, wer wir wollen, reich oder arm, vornehm oder gering, gebildet oder ungebildet, einer Reinigung unserer Gewissen bedürfen von der Schuld und vom Fluch der Sünde. Davon hängt der Frieden unserer Seele, die Ruhe unseres Gemüths, die Kraft unseres geistlichen Lebens, die Freudigkeit im Leiden und Sterben ab. Darnach, sehnet und schmachtet jeder Menschengeist! Und wenn du Alles, was die Welt anbietet, zusammenraffen und mit gierigen und durstigen Zügen hinabschlürfen könntest, Reichthum und Ehre, Macht und Ansehen, Lebensgenuß und Wohlleben, - dein innerster Geist müßte doch schmachten, denn er hat das Erste und Notwendigste nicht erlangt: die Reinigung des Gewissens von den todten Werken zu dem lebendigen Gott. Und wenn du das Edelste, was die Welt in sich schließt, erringen, mit Geist und Bildung, mit Kunst und Wissenschaft, mit Erkenntniß und Weisheit dein Inneres bereichern könntest, - dennoch wird es eine Leere fühlen, eine Lücke empfinden, die durch keine todten Werke ausgefüllt werden kann, sondern nur durch den lebendigen Gott. Ja wenn du selber die höchste Stufe der Heiligung ersteigen, dein Herz zum Höchsten und Edelsten emporbilden, Seraphsreinigkeit dir aneignen und Cherubsklarheit dir anbilden könntest, und es würde dir die Grundlage zu diesem Allem fehlen, die Reinigung deines Gewissens von Sünde und Schuld, - dein Heiligkeitshaus wäre auf Sand gebaut, an deinem Heiligungs-Baum würde ein verborgener Wurm noch nagen, der das Mark deines Herzens verzehrte, und keine vollkommnen Früchte zu Tage treten ließe. Das schreiendste, das tiefste, das unhintertreiblichste Bedürfniß der Menschennatur ist Reinigung des Gewissens von allem Todesbann, von allem Fluch der Uebertretung und Sünde.

Wo ist sie nun aber zu finden und zu erlangen, wie zu gewinnen und zu behalten?

Seele, willst du dieses finden,
Such's bei keiner Kreatur,
Laß, was irdisch ist, dahinten;
Schwing dich über die Natur,
Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet,
Wo alle vollkommene Fülle erscheinet,
Da, da ist das beste, vollkommenste Theil,
Mein Ein und mein Alles, mein seligstes Heil.

Was dem Menschen unmöglich war, was er durch alle Büßungen und Tödtungen, durch alle Opfer und Gebete, durch alle Mühsale und Anstrengungen nicht zu vollbringen vermochte, - das that Gott (Röm. 8, 3.): Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte und richtete die Sünde in Ihm, dem Heiligen und Geliebten. Was im alten Testament im Schatten und Vorbild geschah durch das jährliche Versöhnungsopfer, das der Hohepriester am großen Versöhnungstage darbrachte, aber ohne daß die Gewissen wirklich vollendet und gereinigt werden konnten, das geschah in den Tagen der Heimsuchung Gottes, indem Christus, der Hohepriester der zukünftigen Güter, sich selber geopfert hat ohne Wandel durch den ewigen Geist, und unsere Missethat auf sich nahm und sie hinauftrug an's Kreuz, an welchem Er als ein Fluch hieng, auf daß der Segen über uns käme.

Und was ist nun der höchste Segen seines heiligen Opfertodes? was die süßeste Frucht, die aus seinem Kreuze entsprossen? Keine andere, als daß wir nun an Ihm haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden; keine andere, als daß unsere befleckten und verunreinigten Gewissen gereinigt und geheiligt werden können durch das Blut der Besprengung, so daß wir dann, los vom bösen Gewissen, gewaschen und erneuert im Geiste, im priesterlichen Leibrock seiner Gerechtigkeit hinzunahen und dienen können dem lebendigen Gott, im Geist der Kindschaft, ohne Furcht und Bangigkeit, unser Leben lang. Solche Wirkung hat das Blut, das besser redet, denn Abel's Blut.

Es ist ein reines und heiliges Blut, das Blut des unschuldigen und unbefleckten Lammes Gottes, darum kann es unsere Flecken reinigen, unsere Missethaten tilgen, uns heiligen vor Gott und angenehm machen als Kinder, denen der Vater die Sünde vergibt und den Geist der Kindschaft mittheilt.

Es ist ein theures und kostbares Blut, darum dient es auch zu dem Lösegeld, unsere Seelen zu erkaufen aus der Gewalt des Vaters und zu erwerben zu einem ewigen Eigenthum.

Es ist ein kräftiges und wirksames Blut, darum kann es auch uns erneuern und würdig machen, zu dienen dem lebendigen Gott, die Gewissenswunden heilen, die Herzensschuld tilgen, die Krankheit heben, und uns zur wahren Genesung führen.

Es ist ein Blut, das dich endlich schmücket und zieret vor Gott und vor Menschen, und dir durchhilft im letzten Kampf und zukünftigen Gericht:

Denn Christi Blut und Gerechtigkeit
Ist allein dein Schmuck und Ehrenkleid;
Damit kannst du vor Gott besteh'n,
Wenn du im Himmel wirst eingeh'n.

O heiliges, theures Versöhnungsblut, wer kann deinen Werth würdig genug preisen, wer deine Kraft dankbar genug ehren, wer deinen Segen gläubig genug fassen! Komm über uns und unsere Kinder, zu unserer und ihrer Seelen ewigen Errettung!

Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde (1 Joh. 1, 7.). Fasset das zu Herzen, ihr Sichern und Sorglosen, die ihr der Reinigung eurer Gewissen nicht zu bedürfen glaubt: nur durch dieses Blut könnt ihr rein und gerecht, heilig und unsträflich werden vor dem Angesicht Gottes. Eure eigne Gerechtigkeit ist ein beflecktes Gewand, eure Tugend mottenfraßig; hier aber ist das Kleid des Heils und der Rock der Gerechtigkeit.

Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde; fasset das zu Herzen, ihr Muthlosen und Verzagten, die ihr über eure Sündenschuld nicht hinwegkommt, aber auch die Macht der Sünde in euch nicht dämpfen könnt: Es macht euch rein von aller Sünde. Keine ist zu groß, die dieses Blut nicht tilgen, keine zu verjährt, die dieses Blut nicht lösen, keine zu eingewurzelt, die dieses Blut nicht ausrotten könnte. Es macht rein von aller Sünde, von aller Sünde aller eurer Glieder und aller eurer Sinne, und reicht tief hinab bis auf den Grund eurer Seele.

Ein Glaubensblick auf Jesu Leiden Gibt auch dem blödsten Herzen Muth; Die Quelle wahrer Geistesfreuden Ist sein vergoßnes theures Blut, Wenn seine Kraft das Herz durchfließet, Sein Lieben unsern Geist durchdringt, Wenn seine Huld die Seel' umschließet, Und ihr sein Trostwort Frieden bringt.

HErr Jesu, nimm für deine Schmerzen Mich Armen an, so wie ich bin! Ich setze dir in meinem Herzen Ein Denkmal deiner Liebe hin, Die dich für mich in Tod getrieben, Die mich aus meinem Jammer riß; Ich will dich zärtlich wieder lieben, Du nimmst es an, ich bins gewiß.

Amen.

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