Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Invocavit.

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Invocavit.

Text: 1. Petr. 1, 17-25.

Und sintemal ihr den zum Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet, nach eines Jeglichen Werk; so führet euern Wandel, so lange ihr hier wallet, mit Furcht; und wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöset seid von eurem eiteln Wandel nach väterlicher Weise; sondern mit dem theuern Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes; der zwar zuvor versehen ist, ehe der Welt Grund geleget ward, aber geoffenbaret zu den letzten Zeiten um euertwillen, die ihr durch Ihn glaubet an Gott, der Ihn auferwecket hat von den Todten, und Ihm die Herrlichkeit gegeben, auf daß ihr Glauben und Hoffnung zu Gott haben möchtet. Und machet keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit durch den Geist, zu ungefärbter Bruderliebe, und habt euch unter einander brünstig lieb aus reinem Herzen, als die da wiederum geboren sind, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da ewiglich bleibet. Denn alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen; aber des HErrn Wort bleibet in Ewigkeit. Das ist aber das Wort, welches unter Euch verkündiget ist.

Wer nun solche Hoffnung der Herrlichkeit hat, der reiniget sich, gleichwie Er auch rein ist, - so lesen wir in 1. Joh. 3, 3. Der Apostel legt In diesen Worten seinen Christen das wichtigste Geschäft an's Herz, das sie, so lange sie hienieden wallen, zu vollstrecken haben, die höchste und schwerste Aufgabe, die ihnen im irdischen Berufungsstand zu lösen obliegt. Sie sollen sich reinigen, wie Er selber, das unschuldige und unbefleckte Lamm Gottes, rein ist; sie sollen sich heiligen, weil ohne Heiligung Niemand kann den HErrn schauen. Es ist dieß für alle Adamskinder, die selig werden wollen, ein nothwendiges Geschäft; denn die Sünde hat sie verunreinigt und befleckt und untüchtig gemacht zum Erbtheil der Heiligen im Licht. Es ist ein durchgreifendes Geschäft; denn der heilige Sohn Gottes begnügt sich nicht mit äußerem Schein und oberflächlicher Tünche; Er fordert gründliche Erneurung im Geiste, im innersten Lebenskern des Gemüths. Es ist dieß ein langwieriges Geschäft; denn wenn der Schlange im Innern auch der Kopf zertreten und ihre Herrschaft gebrochen ist, so regt sie sich doch noch fort und fort in den Gliedern, und ersteht immer wieder zu neuem Leben. Es ist endlich auch ein ermüdendes und beschwerliches Geschäft; denn je gründlicher man es mit den Sündenflecken nimmt, desto mehr kommen sie zum Vorschein, und je eifriger man sie zu entfernen sucht, desto hartnäckiger widersetzen sie sich. Alle diese Gründe sind denn auch die Ursache, warum sich gar Wenige zu dieser Reinigung, dieser Kleiderwäsche ihres inwendigen Menschen verstehen mögen; es graut ihnen davor, sie schieben sie auf, so lange es thunlich ist, und vertrösten sich vielleicht mit der Hoffnung auf die Schnellbleiche des letzten Abendmahls, und der paar ausgepreßten Stoßseufzer, die sie, noch ehe ihre Seele von hinnen fährt, gen Himmel zu senden gedenken. Aber das ist die Reinigung nicht, die der Apostel meint, das ist die Reinigung nicht, die den Eingang erlangt in's obere Heiligtum.

Diese Reinigung, welche die Hoffnung der Herrlichkeit hat, ist eine zweifache. Die erste ist die Hauptreinigung durch das Bad der Wiedergeburt und Erneurung des heiligen Geistes. Sieht ein armer Sünder, dem der Geist Gottes die Augen öffnet, seine Unreinigkeit und Schuld ein, so kommt er, vom Vater gezogen, zum Sohn, und bekennt Ihm seine Sünden, und schöpft aus dem Born des Heils, der ihm in Christo eröffnet ist wider alle Unreinigkeit und Sünde; er wird gereinigt, er wird gewaschen, er wird gerechtfertigt, geheiligt durch den Namen des HErrn Jesu und durch den Geist seines Gottes, und er ist nun rein, besprenget im Herzen, und los von dem bösen Gewissen, und gewaschen am Leibe mit reinem Wasser. Das ist die Reinigung, von der Jesus bei der Fußwaschung sagt: wer gewaschen ist, der ist ganz rein (Joh. 13, 10.). Aber auch die also Gewaschenen bedürfen noch, wie der HErr hinzusetzt, daß ihnen noch fort und fort die Füße gewaschen werden. Und das ist die zweite, die tägliche Reinigung der Kinder Gottes, deren sie bedürfen, so lange sie auf dem Pilgerwege zur Seligkeit begriffen sind. Sie wandeln ja auf dem staubigten Boden der Welt; fort und fort setzt sich da immer wieder neuer Unrath an, und aus ihrem eigenen Herzen kommen hervor arge Gedanken und sündliche Triebe, die sie verunreinigen und beflecken und ihr Gewissen beschweren. Deßwegen halten sie täglich Umschau in ihrem Innern, und der heilige Geist, dessen treue Zucht dem Verlangenden immer zu Theil wird, leuchtet ihnen dazu: da wird dann jede neue Schuld dem HErrn geklagt, und aus dem unerschöpflichen Gnadenmeer das Wasser der Reinigung geschöpft, um täglich sich zu erneuern und neu zu beleben, und das Blut Jesu Christi, der sich selbst ohne allen Wandel durch den heiligen Geist Gott geopfert hat, reinigt dann ihr Gewissen von den todten Werken zu dienen dem lebendigen Gott (Hebr. 9, 14.). An solche nun, welche in dieser täglichen Reinigung stehen, und darüber Belehrung und Ermunterung begehren, ist denn auch die heutige Abendlektion gerichtet; nicht an rohe Sünder, die noch im Todesschlummer liegen, sondern an Seelen, die gerne die Heiligung erlangen möchten, ohne welche Niemand wird den HErrn sehen. Solcher sind, - das weiß der HErr, - eine ziemliche Anzahl unter uns; und diese, denke ich, werden begierig seyn, aus dem Munde des Apostels zu vernehmen, welche Rathschläge er ihnen ertheilt, damit sie den Wunsch ihres Herzens erreichen.

Betrachtet, meine Lieben, mit mir: Die beherzigenswerthen Rathschläge Petri für alle diejenigen, die die Heiligung nicht versäumen wollen, ohne welche Niemand wird den HErrn sehen:

  1. Stelle dich täglich mit bußfertigem Herzen vor den Gerichtsstuhl deines Gottes;
  2. tritt täglich mit heilsbegierigem Herzen unter das Kreuz deines liebevollen und preiswürdigen Erlösers, der mit Seinem theuren Blute die Erlösung vollbracht hat;
  3. weile täglich mit Glauben und Hoffen unter dem offenen Himmel, in den Er erhöhet ist zur Herrlichkeit des Vaters.

I.

Den ersten Rath, den der Apostel denjenigen ertheilt, die die Heiligung nicht versäumen wollen, ohne welche Niemand wird den HErrn sehen, kann man in die Worte zusammenfassen: Stelle dich täglich mit bußfertigem Herzen vor den Gerichtsstuhl des Gottes, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines Jeglichen Werk. Denn so spricht er am Anfang unserer heutigen Abend-Lektion: „Sintemal ihr den zum Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines Jeglichen Werk, so führet euren Wandel, so lange ihr hie wallet, mit Furcht.“

Wenn je in einer Zeit diese Ermahnung des Apostels am Platze war, so ist es gewiß in der unsrigen der Fall. Denn was hat sich aus der Mitte des gegenwärtigen verkehrten Geschlechtes mehr verloren, was ist unter der Masse der Menschen dieser Zeit zu einer größeren Seltenheit geworden, als eben diese Furcht vor Gott, diese heilige Scheu vor Ihm, dem gerechten Richter über uns Alle? Unsere Zeit kränkelt an manchen Gebrechen; seiner Wissensdünkel, frecher Unglaube, ein grober Fleischesdienst wetteifern gleichsam mit einander um den Vorrang; wenn man aber auf das Grundübel kommen will, das die geistigen Lebenssäfte unseres gegenwärtigen Zeitalters verdorben hat, so muß man sagen: es fehlt an der Gottesfurcht, es fehlt am Glauben an den Gott, der es ernstlich meint mit seinen Verheißungen und Drohungen, an den Gott, der nach seinem Worte recht richtet, an den Gott, der uns einst zur Rechenschaft und zur Verantwortung darüber ziehen wird, wie wir gehandelt haben bei Leibesleben, es sei gut oder böse. Dieser Glaube hat sich aus den meisten Gemüthern verloren, und dagegen jenem bequemen und flachen und weichlichen Aberglauben Platz gemacht, welcher den lebendigen und heiligen Gott zu einem guten alten Manne stempelt, der seine Menschenkinder da unten schalten und walten läßt nach ihrem Belieben, und wenn sie es nicht gar zu bunt und grob treiben, ihre Unarten und Sünden mit dem weiten Mantel seiner unendlichen Liebe zudeckt. Deßwegen fluchen die Flucher, betrügen die Betrüger, spotten die Spötter, trinken die Trinker, schwelgen die Schwelger, als ob das Alles Nichts weiter auf sich hätte, und wie wenn sie darüber Niemand Rechenschaft zu geben hätten, als ihrem eigenen weiten und nachsichtigen Gewissen.

Das ist der Hauptschaden unserer Zeit, der seinen Höhepunkt eigentlich noch nicht erreicht hat, aber um sich frißt, wie der Krebs, und die Menschheit immer weiter von der Straße, die zum Leben führt, abbringen, und in immer kräftigere Irrthümer verstricken wird. Leider hat diese Sodomsluft auch für diejenigen etwas Ansteckendes, die die Heiligung nicht versäumen wollen. Nur gar zu leicht werden auch sie in die Saumseligkeit, in jenes leichtsinnige Weltwesen, in jenes todte Fleischesleben dieser Zeit hineingezogen, so daß das Unsichtbare, das Himmlische mit seinem Ewigkeits-Ernste ihnen aus dem Auge gerückt, und ihr Blick im Sichtbaren und Vergänglichen verstrickt wird. Es geht ihnen, wie es bei den Christen, an die Petrus seine heutigen Worte richtet, der Fall gewesen sein muß: das weltliche bloß auf die Sichtbarkeit gerichtete Treiben der heidnischen Umgebung, unter der sie sich befanden, hatte auf sie einen einschläfernden Einfluß. Der buntfarbige Schein, die heitere und fröhliche Lebensansicht, welche in der Welt, in deren Mitte sie sich gestellt sahen, ihrer Wahrnehmung auf allen Seiten begegnete, hatte etwas Berückendes auch für sie; Sattheit und Gleichgültigkeit drohte ihr Gemüth zu beschleichen; und Petrus fand für nöthig, sie zum Ernste und zu einem Wandel in der Furcht des Gottes zu ermahnen, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines Jeglichen Werk. Irret euch nicht, lieben Brüder, - will er ihnen zurufen, - weil ihr durch eure einmal erlangte Gotteskindschaft und durch euern einmal erwiesenen Glauben nun gleichsam einen Vorsprung gewonnen habt. Wisset: der Gott, den ihr als Vater anrufet, richtet ohne Ansehen der Person nach eines Jeglichen Werk; und darum ziemt es sich für euch, vor Ihm, eurem künftigen Richter, euren Wandel zu führen in Furcht, -und seiner heiligen richterlichen Nahe eingedenk zu bleiben. Es gibt wohl kein sichereres Mittel, um sich gegen die traurige Schlafsucht des inneren Menschen, gegen Lauigkeit im wahren Christenthum sicher zu stellen, als täglich im Geiste vor den Richterstuhl Gottes zu treten, und vor diesem mit seinem inneren und äußeren Leben offenbar zu werden. So lange ein Mensch diesem Gerichte Gottes stille hält, so lange er nicht eher sich niederlegt, als bis er mit seinem Gott sein eigenes Lebensbuch durchblättert, seine Tagesrechnung geschloffen, und von ihm die Fehler seines Herzens hat aufdecken und in's Licht stellen lassen;, so lange er so täglich schon hienieden den großen Gerichtstag im Geiste durchlebt, der am Ende für ihn anbrechen wird, und vor dem Stuhle sich einfindet, von dem einmal die Urteilssprüche über die ganze Welt ausgehen werden; so lange steht es auch gut mit ihm. Er hat daran die Gewißheit, daß der Gnaden- und Friedensbund noch steht, den sein Gott und Heiland mit ihm aufgerichtet, und der Geist des Vaters und des Sohnes noch auf ihm ruht, der ein Geist der Zucht und der Kindschaft ist, und daß das gute Werk der Erneurung und Vollendung noch nicht stille steht, das der gute Meister in seiner Seele angefangen hat zum Lob und Preis seiner herrlichen Gnade. Denn sie wird vollendet auf dem Ambos des inneren Gerichts, und in der Feueresse der Selbstanklage. Ja, je schärfer der Geist von oben dieses innere Gericht bei ihm übt, je unnachsichtlicher er ihn auch über kleinere Versehen zur Rechenschaft zieht, je strenger er gleichsam die Heerschau über . die Gedankensünden hält, die vielleicht nur flüchtig und streifweise durch die Seele gezogen sind, desto kräftiger erweist sich in ihm das Werk der göttlichen Gnade, und statt daß es scheinbar nur rückwärts geht, gewinnt die Seele einen Vorsprung um den andern, auf dem Gebiete der Heiligung, ohne welche Niemand wird den HErrn sehen. Und darum liegt auch in der Zucht des heiligen Geistes der süßeste Trost und die lebendigste Hoffnung; denn wenn Er uns züchtigt, so erneuert Er uns auch, und wenn Er uns demüthigt, so erhöht Er uns auch, und wenn Er uns entkleidet, so überkleidet Er uns auch. Darum zittert nicht vor dem Gerichtsstuhle Gottes, ihr, die ihr den Namen des HErrn kennet: für. euch sitzt ein Vater darauf. Tretet getrost vor Ihn, und wenn euch auch täglich von demselben der Stab gebrochen, und das Urtheil des Todes über euch gefällt wird, und wenn ihr auch täglich rufen müßtet: „meine Sünden gehen über mein Haupt (Psalm 38, 5.); ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes (Röm. 7,24.),“ - lasset euch das nicht irren! Das ist der Weg, auf dem euch der HErr sein Heil erzeigen, Heilung von allen Sündengebrechen euch ertheilen, und die Heiligung in euch vollenden wird, zu der ihr schon verordnet seid vor Grundlegung der Welt. Auf diesem Wege sind alle vollendet worden, die vor seinem Throne stehen: täglich sind sie zu Sündern geworden, und täglich wieder gerecht; täglich sind sie untergesunken in der Armuth des Geistes und in der Schuld ihres Gewissens, und täglich sind sie wieder aufgetaucht im Namen ihres HErrn Jesu Christi und in der Kraft ihres Gottes, und wenn sie uns das Geheimniß der Heiligung, die sie erlangt haben, mittheilen sollten, sie könnten uns nichts Anderes zurufen, als das, was Petrus uns heute zuruft: Stellet euch täglich mit bußfertigem Herzen in's Licht vor den Richterstuhl des Gottes, der da recht richtet, und führet euren Wandel in der Furcht.

II.

Aber ebenso beherzigenswerth ist der zweite Rath, den Petrus denjenigen ertheilt, die die Heiligung nicht versäumen wollen, ohne welche Niemand wird den HErrn schauen. Dieser läßt sich in die Worte zusammenfassen: Tritt täglich mit einem verlangenden, nach Gnade dürstenden Herzen unter das Kreuz Deines großen Hohepriesters, der Dich erlöset hat mit Seinem theuren Blute, als dem Blute eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Wisset ihr nicht, sagt Petrus, daß ihr nicht mit vergänglichem Gold oder Silber erlöset seid von eurem eiteln Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem theuren Blute Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes?

Nicht bloß zur Versöhnung unserer Sündenschuld, nicht bloß zur Tilgung unserer Missethat, und zu Bedeckung unserer Uebertretung ist Jesus Christus als das Lamm Gottes in der Schmach und Angst seiner Seele am Kreuz gehangen; nein! auch die große Erlösung hat Er dort vollbracht, Kraft deren wir los werden können aus des Teufels Strick und Gefangenschaft, und befreit aus dem Garn und Netz der im Argen liegenden Welt, und erledigt aus der Gewalt und Herrschaft der Sünde und des eigenen Fleisches. Und deßwegen gibt es auch für denjenigen, der der Heiligung nachjagt und nach der Reinigung des Geistes ringt, kein besseres Heilmittel, als das theure Blut Jesu Christi, der uns erlöset hat vom eiteln Wandel nach der Welt Art und Weise, zu dienen dem lebendigen Gott. Am Kreuze hat Christus der Schlange den Kopf zertreten; dort hat Er das Anspruchsrecht der Sünde an uns zu Nichte gemacht; dort hat El das geheimnißvolle Band, das uns mit ihr zusammenknüpfte, gelöst, und uns zur Freiheit geholfen durch sein Blut. Kein Teufelsstrick ist deßwegen zu stark, der nicht in der Kraft dieses Blutes zerrissen, keine Sündenherrschaft ist zu verjährt, die nicht im Glauben an jene Erlösung gebrochen, kein Weltreiz zu lockend, der nicht durch die Zuflucht zum Kreuze Christi von der Seele abgebogen werden könnte.

Wir können mit Luther triumphieren: der Strick ist entzwei, und wir sind frei (vgl. Psalm 124, 7.). Wenn uns deßwegen die Welt bezaubert, das Geld und Gut benebelt, oder die Augenlust uns besticht, oder die Leidenschaft uns überflügelt, oder die Ungeduld uns übermannt, oder die Eitelkeit ködert, - wo kommt dieß her? woher anders, als daher, daß wir uns nicht auf unserem Posten unter dem Kreuze Christi haben treffen lassen, daß wir unsere Festung verlassen, und auf jenen Grund und Boden uns gewagt haben, wo die Pfeile des Bösewichts, wenn sie schwirren, uns treffen, und die Geschosse der Verführung, wenn sie fliegen, uns verwunden müssen. Hinter dem Kreuze Christi aber wären wir verschanzt und verpalisadiert gewesen mit einem undurchdringlichen Graben und Wall; dort wären wir im Stande gewesen, jeden Angriff abzuschlagen, und in der Kraft dessen zu überwinden, der gesprochen hat: In der Welt habt ihr Angst und Kampf, aber seid getrost; Ich habe die Welt überwunden (Joh. 16, 33.).

Nun wissen wir, wo wir zu zelten und zu weilen haben, wenn wir die Heiligung erlangen wollen, ohne welche Niemand wird den HErrn sehen; auf Golgatha und sonst nirgends. Hier wo Er unsere Schmach und Schuld getragen, hier, wo Er gearbeitet um unserer Sünde, da wo Er sich gemüht um unserer Missethat willen, hier, wo Er unter dem Gerichtsstab Gottes zitterte, und in den blutigen Todesstaub erniedrigt war, hier quillet für den inwendigen Menschen wahre Genesungs- und Besserungskraft, und wer hier nicht schöpft das reine Wasser zu seiner Reinigung, der wird doch niemals rein. Ja, es gibt keine einzige Sünde, die hier unter dem Kreuz Christi nicht getödtet und gebändigt werden könnte. Regt sich die Lust in deinen Gliedern, blicke nur dorthin: hier ist das gemarterte und verwundete Lamm Gottes; blicke hin: der Gekreuzigte kann sie löschen. Regt sich Eitelkeit. Gefallsucht, Hoffart in deinem Herzen: hier ist der Allerverachtetste und Allerunwertheste; der verunehrte König der Ehre kann sie niederschlagen. Regt sich Eigenwille und Ungeduld unter dem Leiden: der Mann, der das Kreuz trug, und war gehorsam bis zum Tod, Er kann sie bändigen; will dein Herz sich hängen an Geld und Gut: blicke auf den, der als arm und verlassen am Kreuze gehangen; regt sich Zorn und Leidenschaft: so blick auf den stillen Dulder, der nicht wieder schalt, da Er gescholten ward, noch dräuete, da Er litte. Ja, je mehr das Bild Jesu Christi, des Gekreuzigten, in deiner Seele aufgerichtet und verklärt wird durch den heiligen Geist, desto mehr werden alle Sündenbilder in Dir erbleichen, desto mehr die Welt mit ihrem bunten Schein zurücktreten, desto einflußloser werden alle Versuchungen und Lockungen werden, und desto mehr wirst du mit Paulus sprechen können: Ich achte es Alles für Schaden; ja ich achte Alles für Koth gegen die überschwengliche Erkenntniß Jesu Christi, meines HErrn, und habe nur Ein Anliegen, immer vollkommener Ihn zu gewinnen, immer ungetheilter in Ihm erfunden zu werden, und entgegenzukommen zur Auferstehung der Gerechten (Phil. 3, 7-11.). Je mehr das Blut Christi im Preise steigt, desto mehr wird das vergängliche Gold und Silber im Preise fallen.

III.

Aber es ist noch ein dritter Rath, den Petrus seinen Gläubigen ertheilt, die die Heiligung erlangen wollen, ohne welche Niemand wird Gott schauen.

Stelle dich hoffend und glaubend unter den offenen Himmel, in welchen Christus aufgenommen und erhöhet ist zur Herrlichkeit des Vaters. Denn so setzt Petrus am Ende hinzu: Ihn hat Gott auferwecket von den Todten und hat Ihm die Herrlichkeit gegeben, daß Ihr Glauben und Hoffnung zu Gott haben möchtet.

Um die Heiligung zu erlangen, dazu bedarf der arme, schwache Erdenpilger vor allen Dingen Muth und Glauben und Hoffnung; Muth, daß er vor den Feinden nicht erschrickt, die gegen ihn schlagen und ihn zu unterdrücken drohen, Glauben, daß er stark ist im HErrn und in der Macht seiner Stärke, und Hoffnung, daß er des Sieges gewiß ist, der ihm in Christo verheißen.

Dafür hat nun der treue Gott auf wunderbar herrliche Weise gesorgt: Er hat Christum auferweckt, Er hat Ihn geschmückt mit Preis und Ehre; Er hat Ihn bekleidet mit Majestät und Herrlichkeit; nicht bloß zum Lohn für seine Erniedrigung, - nein zugleich auch, daß Er als das Haupt seiner Gemeinde den Stuhl der Macht einnehme, und als der Herzog der Seligkeit viele Kinder zur Herrlichkeit führe. Unter dem offenen Himmel, in den Christus eingegangen ist, als der ewige Mittler des neuen Bundes, und an den Stufen seiner Erhöhung über Alles, darf uns deßwegen auch das Herz weit, der Geist lebendig, und der Glaube getrost und muthig werden. Sitzt Er ja doch auf dem Throne der Herrlichkeit nicht nur als der Sohn Gottes, sondern als - des Menschen Sohn, als Fleisch von unserm Fleisch, als der König seines Volkes; wir sind, so wir anders im Glauben stehen, mit Ihm wahrhaftig auferstanden, mit Ihm hienieden schon in's himmlische Wesen versetzt, mit Ihm zu der himmlischen Herrlichkeit erhöht, und zum Pfande unserer einstigen eigenen Verherrlichung tragen wir den Geist in uns, der ein Geist Gottes und der Herrlichkeit ist. Wer in Christo Jesu ist, der ist eine neue Kreatur und darf sagen: So gewiß Christus dem Kampf und der Mühsal der Welt entnommen, und zum Frieden Gottes eingegangen ist, so gewiß wird das auch an uns geschehen; so gewiß Er von der tiefsten Tiefe zur höchsten Höhe emporstieg, so gewiß dürfen auch wir einst den Staub von unsern Füßen schütteln, und auf der Leiter, die Er uns gezimmert, himmelwärts steigen. So gewiß Er nun alle seine Feinde besiegt und zum Schemel seiner Füße gelegt hat, so gewiß darf auch uns einmal der Arge nicht mehr antasten, und kein Angriff mehr berühren; so gewiß Er hier auf immer den Leidensbecher ausgekostet, und nun den Kelch himmlischer Verklärung trinkt, so gewiß werden wir in Ihm der Trübsal entnommen, und zur Tafel seiner himmlischen Güter gezogen werden. Gott hat Ihn aufgenommen und erhöht zur Herrlichkeit, auf daß wir Hoffnung zu Gott haben möchten.

Das ist der offene Himmel, und aus diesem Himmel strömt in jedes wiedergeborene Herz täglich neuer Frieden, neues Leben, neue Kraft. Im Glaubensblick dahin hat es denn auch ein Apostel auszurufen gewagt: Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, weder Hohes, noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem HErrn (Röm. 8, 38. 39.).

Selig der, der diesen dreifachen Rathschlag befolgt! Selig der, der im Lichte wandelt, der zum Reinigungsborn seine Zuflucht nimmt, und täglich neues Leben, neue Kraft, neuen Frieden aus dem Himmel der Gnade herabfleht, bis er den schauen darf, an den er geglaubt, von Angesicht zu Angesicht.

Amen.

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