Hofacker, Wilhelm - Am fünften Sonntag nach dem Erscheinungsfeste.

Hofacker, Wilhelm - Am fünften Sonntag nach dem Erscheinungsfeste.

Text: Kol. 3, 12-17.
So ziehet nun an, als die Auserwählten Gottes, Heilige und Gewebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth, Geduld; und vertrage einer den andern, und vergebet euch unter einander, so Jemand Klage hat wider den andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Ueber alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Gottes regiere in euern Herzen, zu welchem ihr auch berufen seyd in Einem Leibe, und seyd dankbar. Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen, in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern, und finget dem HErrn in euerm Herzen. Und alles, was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut alles in dem Namen des HErrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.

Zu den segensreichsten und heilbringendsten Einrichtungen, welche Gott bei seinem Volk Israel getroffen hat, gehört gewiß mit Recht die Anordnung des Sabbaths, die Auszeichnung des siebenten Tags der Woche, als des Tags der Ruhe vom irdischen Tagwerk, und als des Tags der Arbeit im Geist und der Erneurung im Gemüth. Nicht nur, daß dadurch dem seufzenden, unter dem Dienste der Eitelkeit gefangenen Menschenherzen aufgeholfen wurde, damit es sich nicht verliere im Nichtigkeitsgetreibe dieser Welt, nein! der Gesichtskreis eines jeden gläubigen Israeliten wurde dadurch stets erweitert und sein Blick theils rückwärts, theils vorwärts gerichtet; rückwärts auf jenen ersten feierlichen Sabbath, da Gott selbst feierte nach dem Schöpfungstagewerk, und Ihn lobeten die Morgensterne und alle Kinder Gottes und auch der Mensch in der Unschuld seinen Gott pries und verherrlichte und ein Lobpsalm auf seine Herrlichkeit war, - und vorwärts, indem er an jedem Sabbath in Hoffnung hinausblicken durfte auf jenen ewigen Sabbath, der nach der Jahrwoche der Welt im Reiche des Königs voll Gnade und Wahrheit anbrechen und ewigen Frieden und himmlische Seligkeit bringen werde.

Auch wir, meine Lieben, dürfen allwöchentlich diesen Sabbath feiern und der Segnungen uns freuen, die der an Barmherzigkeit reiche Gott auf diesen Tag zu legen beschlossen hat. Wenn die Welt wüßte, welche Segnungen und Wohlthaten an Leib und Seele wir diesem Tage zu danken haben, wahrlich, sie würde sorgsamer seyn, ihn heilig zu halten, und würde das, was uns zum Segen gegeben, nicht zum Fluche verkehren und zum Frevel und zur Sünde mißbrauchen. So aber ist's vor ihren Augen verborgen und sie weiß nicht, was zu ihrem Frieden dient. Der Gläubige weiß es, und darum ist er auch für diese edle Gottes-Gabe dankbar und freut sich in den schwülen Arbeitstagen der Woche und in so manchem Gedränge des Leibes und der Seele, daß der Sonntag bald wieder kommen und sein mildes und freundliches Licht wieder leuchten lassen werde. Ja noch mehr! er freut sich, daß er an jedem Tage Sonntag halten und im Lichte der Auferstehung Jesu Christi alle Tage seines Lebens wandeln darf. Darum eben steht ja unser christlicher Sabbath nicht wie im alten Bunde am Ende, sondern am Anfang der Woche, daß er alle Tage der Woche mit seinem Lichte bestrahle, alle Tage zu Sonntagen heiligen und in eine sonntägliche Woche uns einleiten soll. Es ist deßwegen eine schöne und wahre Bitte, die in einem alten Sonntagsgebet steht: gehe auf in uns, HErr Jesu, du Sonne der Gerechtigkeit, damit uns alle Tage unseres Lebens zu wahren Sonntagen werden! Wer möchte dieser Bitte sich nicht von Herzen anschließen, wer möchte nicht alle Tage Sonntag haben? Wie das geschieht, das wollen wir nach Anleitung unseres heutigen Texts uns zu beantworten suchen:

Wie können alle unsere Tage zu rechten Sonntagen werden?

I.

Wie können alle unsere Tage zu rechten Sonntagen werden? - so lautet unsere Frage. Wir antworten: für's Erste, wenn wir vor allen Dingen alle Tage das rechte Sonntags-Gewand anlegen.

Es ist eine alterthümliche Christensitte, daß wir den Sonntag auch durch ein neues besseres Gewand auszeichnen, das wir anlegen; vom Kopf bis zum Fuß wird da unser Anzug erneuert; der Schweiß und der Staub der Arbeitswoche wird da abgeschüttelt und auch unser äußerer Mensch erscheint in einem besseren, sonntäglichen Kleide. Und warum sollte nicht dem Tage des HErrn auch diese äußere Ehre angethan und er auch hiedurch vor allen übrigen Tagen der Woche herausgehoben werden? Zwar hat die Welt auch diese schöne und edle Sitte wie alles, was sie anfaßt, befleckt und verunreinigt; die Eitelkeit und Putzsucht der Menschen hat diese Gewohnheit zu ihrem Vortheil ausgebeutet und zur Sünde und Thorheit verkehrt. Aber dennoch liegt ihr, von rechter Seite angesehen, eine schöne, sinnbildliche Bedeutung zu Grund, die ja auch noch ihr Recht hat. Die Erneurung im Geiste des Gemüths, zu der wir am Sonntag uns anschicken, soll dadurch abgebildet werden, die Ablegung des Rocks der Sünde und die Anlegung des neuen Menschen soll dadurch ihren Ausdruck finden. Spricht ja doch auch die heilige Schrift von Feierkleidern des Heils und von einem Rock der Gerechtigkeit (Zach. 3, 4. Jes. 61. 10.), in dem wir allein vor Gott erscheinen können, und sie gibt uns den Rath, weiße Kleider anzulegen, damit nicht offenbar werde die Schande unserer Blöße (Offb. 3, 18.).

Und welches ist nun das rechte Sonntags-Gewand, das wir anlegen sollen? Paulus sagt es uns, wenn er in unserer Epistel spricht: so leget nun an als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth, Geduld; über Alles aber ziehet an die Liebe, welche ist das Band der Vollkommenheit. In diesem Schmuck will er seine Gläubigen einhergehen sehen, das soll das Gewand der Ehre seyn, in dem sie vor Gott und vor Menschen erscheinen: vor Gott als auserwählte, durch Christum erneuerte, von seinem Blute gewaschene, von seinem Geiste geheiligte, und in Ihm geliebte Kinder des Vaters, und vor den Menschen als unsträflich in der Liebe; das, meine sieben, ist das rechte Sonntags-Gewand, in dem wir alle Tage unseres Lebens einhergehen sollen, und zu dem wir uns immer wieder erneuern müssen.

Warum erscheint uns der größte Theil unseres Lebens so alltäglich, so freude- und gnadenleer? warum gleiten wir auf dem unaufhaltsamen Strom der Zeit in einer unerquicklichen Einförmigkeit weiter, ohne auch lebendige Erfahrungen zu machen von der Freundlichkeit und Nähe des HErrn, von seiner Zucht und seinem Frieden, von seiner Kraft und seiner Stärke, von seinem Trost und seiner Hoffnung? Ja warum wird der irdische Beruf uns oft zu einer schweren Bürde, der Umgang mit Menschen so drückend und versuchlich? Darum, weil wir es versäumen, die beiden wichtigsten Stücke des rechten Sonntags-Gewandes tagtäglich anzulegen; auf der einen Seite nämlich uns zu erneuern im Glauben an unsere Erwählung in Christo, in unserer Gemeinschaft mit Ihm, dem Geliebten Gottes, und in unserer Kindschaft und Gnade, in der wir durch Ihn zum Vater stehen dürfen. Alle diese Herrlichkeit und Gnade, die wir in Ihm und durch Ihn haben und genießen dürfen, und in der all unser Friede und unsere Freudigkeit und unser Trost beruht, bleibt für uns gewöhnlich wie ein Kleid im Schrank, nur gleichsam für Festzeiten aufgespart, während sie doch täglich uns erquicken, täglich über unser Selbst und unser eigenes Elend hinüberheben und mit Freudigkeit und Muth erfüllen sollte. Auf der anderen Seite fallen wir so gerne aus jener Liebe, die gerne trägt, gerne hofft, duldet und glaubt, die die Sünder mit Erbarmen, die Ungezogenen mit Freundlichkeit, die Stolzen mit Demuth, die Feindseligen mit Sanftmuth, die Schwachen mit Geduld verträgt, und wir vergessen jene schöne Tugend, die dem Feinde gerne verzeiht, und dem Freund das Leben weiht. Dadurch wird dann unser Leben unerquicklich, freudenleer, ein Alltagsleben ohne Förderung, ohne kräftige Fortschritte, befleckt mit Sünden, und eine Quelle des Mißmuths und der Trauer über uns und Andere. Nicht also, meine Lieben! Alle unsere Tage sollen Sonntage werden; darum ziehet täglich an das Sonntags-Gewand des Glaubens und der Liebe, holet es hervor aus dem Schranke der Erbarmung Gottes und wandelt in der Gerechtigkeit Christi, die vor Gott gilt, und wandelt in der Liebe, die auch Gott gefällig und den Menschen werth macht.

II.

Wie können alle unsere Tage rechte Sonntage für uns werden? so fragen wir. Wir antworten zweitens: wenn wir alle Tage vom rechten Sonntagsfrieden uns regieren lassen.

Von Anfang an hat Gott den Sabbath als einen Ruhe- und Friedenstag von uns betrachtet wissen wollen, und so kündigt sich derselbe auch einem jeden, der ihn im Geist des Gemüths feiert und verlebt, im inneren Heiligthum des Herzens an. Wenn der Arbeiter am Samstag Abend sein Geschäft aus der Hand legt und seine Vorkehrungen auf den Sonntag trifft, um Muße und Ruhe zu finden für geistige Beschäftigung mit dem Worte Gottes und dem Heil seiner unsterblichen Seele, da weht es ihn heimathlich an, und der Sonntag erscheint ihm im Festgewand als feierlicher Friedenstag. Oder wenn wir an einem schönen Sonntag in der Frühe einen Hügel besteigen, und die Sonne geht auf über dem Gefilde, und es liegt eine feierliche Stille auf dem Gebiet der sichtbaren Schöpfung, und der Feierklang einer zur Andacht rufenden Glocke tönt herauf aus der Tiefe, siehe! so erscheint uns der Sonntag als ein Friedenstag und es weht uns etwas an von der Friedensluft der Ewigkeit. Oder wir kommen in das Heiligthum des HErrn; der Gesang einer vor dem HErrn vereinigten Gemeinde, das altbekannte Evangelium, die inhaltsreiche Epistel tönt an unser Ohr; - Alles, was uns umgibt, spricht uns sonntäglich und feierlich an, - wahrlich, da erscheint uns der Sonntag als ein Tag himmlischen Friedens. Und er ist es auch - denn die stürmischen Wellen, die in der Woche unser Lebensschifflein umgetrieben haben, der Verkehr mit der Welt, das irdische Tagwerk, der Umgang mit den Menschen, wodurch wir so oft aus der rechten inneren Fassung geworfen wurden, soll sich da legen und es soll Friede werden in uns und um uns. Unser Geist soll es erkennen und spüren, daß Gott ein Gott des Friedens und der HErr ein Fürst des Friedens ist, und daß der Friede Gottes höher ist, denn alle Vernunft und unsere Sinne und Herz in Christo Jesu zu fassen und zu bewahren vermag zum ewigen Leben. Deßwegen ist's wohl auch der höchste Segen, den wir vom Sonntag in die Arbeit und Geschäfte der übrigen Woche hinübernehmen, wenn wir diesen Frieden geschmeckt haben, der aus der Ewigkeit stammt und nach der Ewigkeit uns weist.

Jedoch, meine Lieben, dieser Friede Gottes soll nicht bloß ein Festtags-Gefühl bleiben, das mit dem Sonntag kommt und mit dem Sonntag wieder geht, der Apostel sagt: der Friede Gottes regiere in euren Herzen. Damit setzt er ihn zum König und Regenten unserer Herzen, und so will er, daß er bleibe und herrsche; denn auch die Könige und Regenten wechseln nicht auf dem Thron nach Tagen und Wochen. Ja gerade dann, wenn die Woche über Alles bei uns in der ersten Ordnung bleiben soll, gerade dann muß der Friede Gottes uns regieren und das Scepter in unseren Herzen führen, weil jeder Tag, jede Woche so Vieles über uns hereinführt, was uns mit Unlust und Trauer erfüllt, oder sonst aus dem innern Gleichgewicht bringt und so den Frieden uns raubt. Wo gelangt aber der Mensch hin, wenn der Friede Gottes von ihm weicht? Wenn wir durch unser irdisches Tagwerk zerstreut, vom Erwerbs- und Sammelgeiste umgetrieben, in unserem Dichten und Trachten vereitelt in ein unruhiges Haschen und Treiben fortgerissen, von der Einfalt auf Christum verrückt, fleischlich, irdisch, teufelisch werden, wo liegt der Grund? Wir haben uns dem sanften und heiligen Regiment des Friedens Gottes entzogen und sein sanftes Walten in unserem Herzen unterdrückt. Oder wenn wir den Gelüsten unseres Fleisches nachgeben, wenn wir von allerhand unreinen und ungöttlichen Begierden umgetrieben werden, die unsere Seele verunreinigen und beflecken, wenn der Hochmuth und Selbstgefälligkeit uns bestrickt, wenn die Eitelkeit und Lust dieser Welt uns fesselt, wo liegt der Grund? Nirgends anders, als darin, daß wir dem Frieden Gottes den Gehorsam aufgekündigt, unsere eigenen Herren geworden sind, und nun auch den Stachel des bösen Gewissens und die Schrecken des Gesetzes empfinden müssen. Oder wenn wir mit den Menschen umher leicht in Streit und Zank gerathen, wenn es allerhand Reibungen und Mißhelligkeiten gibt, wenn wir so bald geärgert und gereizt werden, wenn die Empfindlichkeit bei uns vorwaltet und ein kleiner Funke einen ganzen Wald anzündet, wo liegt der Grund? Nirgends anders, als darin, daß wir zuvor schon dem Frieden Gottes aus der Schule gelaufen sind, seinem sanften Stab uns entzogen haben. Denn der Friede Gottes hat eine bewahrende und beschützende Macht, und vermag auch über schwierige Verhältnisse mit kräftigem Arm uns hinwegzuheben. Wer deßwegen alle Tage Ruhe haben will, der lasse doch in seinem Herzen den Frieden Gottes regieren, damit er auch im bösen Stündlein Widerstand thun und mit der Friedenskraft seines Gottes das Feld behaupten möge.

III.

Wie können alle unsere Tage rechte Sonntage werden? so fragen wir. Wir antworten drittens: wenn wir den rechten Sonntagsgast bei uns beherbergen und wohnen lassen.

Allerhand Gäste sind es, die im Marktgetreibe des irdischen Lebens sich bei uns ansagen und zur Herberge kommen. Wenn wir alle die Gedanken, die Wünsche, die Phantasiebilder, die Entwürfe, die Begierden namhaft machen würden, die alltäglich in unserem Gemüthe aus - und eingehen, oft kürzer oft länger bei uns ihr Absteigquartier und Herberge nehmen, wahrlich in dem frequentesten Allerweltsgasthof könnte es nicht verworrener und bunter ausleben, als bei uns. Tag und Nacht ist da keine Ruhe, die ganze Welt hat bei uns die Einkehr nach ihren verschiedenen Abstufungen, die hohe und die niedere, die feine und die grobe, die gebildete und die ungebildete, die ehrbare und die zügellose, kurz, Alles geht in einem bunten Wirrwarr durch einander; und ist's da ein Wunder, wenn unser inneres Herzenshaus dadurch befleckt, verunreinigt, zerrüttet und verdorben wird? Um so dankenswerther ist es, daß auch ein anderer, edlerer Gast die Herberge bei uns nicht verschmäht. Er ist zwar gewöhnlich nur ein Sonntagsgast, der in der Woche nicht recht ankommen kann, aber am Sonntag bleibt er doch nicht aus und schämt sich nicht, anzuklopfen auch auf die Gefahr hin, abgewiesen zu werden. Ihr seid begierig, seinen Namen zu wissen. Paulus nennt uns ihn, wenn er spricht: lasset das Wort Christi reichlich unter euch wohnen in aller Weisheit. Ja dieser edle Gast von hoher Geburt und edler Herkunft, dieser edle Gast voll guter und freudiger Botschaft, dieser edle Hausfreund voll Weisheit und Erkenntniß, auch er meldet sich an und fordert Herberge in unseren zerrütteten und verdorbenen Herzen. Und siehe! was für edle und kostbare Schätze und Kleinodien bringt er mit! Gnade vom obersten Gerichtsstuhl, Barmherzigkeit vom höchsten Königsthron, Perlen aus der ewigen Reichsschatzkammer, und Verheißungen von einem unvergänglichen Erbtheil. Dieser edle Sonntagsgast fordert Einlaß und wir sollen ihn nicht umsonst beherbergen. Er will uns lohnen mit Friede und Heil, mit Gnade und Wahrheit. O wie viel Gutes hat er uns schon zurückgelassen; wie oft kamen wir gebeugt und gedrückt in dieses Gotteshaus, und siehe! wir gingen getröstet von dannen. Wie oft trugen wir einen schweren Sorgenstein herein in die Kirche, und siehe! wir konnten ihn hier niederlegen zu den Füßen Christi und wanderten wieder fröhlich unsere Straße. Wie oft wußten wir nicht, wie ein geschürzter Knoten sich löse, und wie wir aus einem Labyrinth von allerhand Verwicklungen herauskommen sollen. Der edle Sonntags-Gast, das Wort Gottes hat es uns geoffenbart und den besten und leichtesten Ausweg uns angedeutet: kurz, wir wurden gesegnet mit allerhand geistlichem Segen in himmlischen Gutem durch Christum.

Doch siehe! dieser Sonntags-Gast will bei uns bleiben alle Tage, wie Christus selber bei uns bleibt alle Tage bis an der Welt Ende. Lasset das Wort Gottes reichlich bei euch wohnen in aller Weisheit, sagt der Apostel. Es will bei uns wohnen, nicht blos einkehren; es will bei uns reichlich wohnen, also nicht blos ein hinteres Stüblein beziehen und nur so hie und da ein Wörtlein mitsprechen; nein! das Wort Gottes soll reichlich unter uns wohnen; es will Familienglied werden, und in allen Sachen, die unser Herz und Haus bewegen, mitreden, es soll auch eine Stimme und zwar eine entscheidende Stimme haben.

O wie gut, meine Lieben, werden wir Alle dabei fahren, wenn wir diesen Sonntags-Gast bei uns behalten, alle unsere Anliegen zur Entscheidung ihm vorlegen und von ihm uns leiten und regieren lassen, wenn wir das Wort Gottes als Wache aufstellen über Alles, was in unser Herzens-Haus hinein- und durch unsern Mund und unsre Hand herausgeht. In ihm wohnt die rechte Weisheit, der rechte Verstand. Das Wort Gottes allein kann unsere Häuser zu jenen Tempeln machen, in denen die Herrlichkeit des HErrn sich offenbart, und von dem Worte Gottes gilt: siehe da eine Hütte Gottes bei den Menschen! Wer also täglich Sonntag haben will, der beherberge auch täglich den rechten Sonntags-Gast.

IV.

Wir fragen: wie können alle unsere Tage Sonntage werden? Wir antworten viertens: wenn wir alle Tage der rechten Sonntags-Unterhaltung ihr Recht zukommen lassen.

Hört man der gewöhnlichen Unterhaltung der Menschen unter einander zu, so erstreckt sie sich über Großes und Kleines, über Wichtiges und Unwichtiges. Gewöhnlich ist sie aber sehr werktäglich, das heißt, sie beschäftigt sich mit Irdischem und Vergänglichem, und es ist meistens ein großer Gewinn, wenn man nur innerlich dabei nicht verliert, an einen geistigen Gewinn ist gewöhnlich nicht zu denken. Einen anderen Gegenstand der Unterhaltung weist nun der Apostel den Christen an: Lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern, und singet dem HErrn in eurem Herzen. Man könnte dieß freilich bei uns den sonntäglichen Unterhaltungsgegenstand auch insofern nennen, als man ihn höchstens am Sonntag noch gelten läßt, sonst aber ihm keine Bedeutung und keine Herrschaft im gewöhnlichen Verkehr einräumt. Daß man am Sonntag ein Gesangbuch und ein Gebetbuch in die Hand nimmt, zu Hause etwas Erbauliches liest, dem Gesang eines Lieds in öffentlicher Gemeinde sich anschließt, das läßt man sich etwa noch gefallen; aber weiter reicht's da nicht; dann ist die Sache abgemacht; die Ewigkeit, unsere Tüchtigkeit zum Himmelreich, die Selbstprüfung kommt dann nicht mehr weiter zu ihrem Rechte, und unsere reichhaltigen Erbauungs-Mittel bleiben dann ein todter Schatz im Acker, den man nicht weiter zu heben sucht. Die Unterhaltung unserer Seele mit dem HErrn und mit dem Heiland unserer Seele und mit anderen Christen bleibt Sonntags-Unterhaltung.

Hiebei gedenket namentlich auch der geistlichen Lieder, welche wir in unsrer eigenen Kirche haben, - dieses Schatzes, welchen Gott zur Bewahrung und Benützung uns anvertraut hat. Unsere deutsche evangelische Kirche hat einen Reichthum von etwa 60,000 Liedern, Psalmen und Lobgesängen. Denn der HErr hat auf Viele seiner Knechte und Mägde, auf Jünglinge und Jungfrauen den Geist der Kraft und Salbung gelegt, daß sie dem HErrn gedichtet und Ihm zu Ehren ihre Harfe gestimmt haben. Viele im Glauben des Sohnes Gottes heimgegangene Lehrer unserer Kirche vermahnen uns noch durch ihre Lieder und beten darin noch mit uns und singen darin noch mit uns, obgleich sie bereits vor dem Thron Gottes stehen und die Harfe zum Lobe Christi noch ganz anders schlagen. Und wir sollten bei der Fülle des' Geistes, der ausgegossen ist, bei dem Reichthum von heiligen Gesängen, der ausgebreitet vor uns liegt, nicht uns freuen dieser herrlichen Denkmale des Glaubens, der Hoffnung, der Geduld, der Begeisterung unserer Kirche? sollten uns nicht ermuntert fühlen, daß das schon begonnene Werk, einen großen Reichthum von geistlichen und lieblichen Liedern unserer Kirche zur Auswahl zu bieten, auch wirklich zum Frommen der Kirche durchgeführt und so ein neuer Segensstrom in das verdorrte Gefilde unserer Kirche hereingeleitet werde? Der Glaube der Kirche Gottes hat sich immerdar daran erprobt, wie sie mit den Liedern umgegangen ist. Als die Kirche Gottes im alten Bunde blühte unter David und Salomo, da blühte auch die geistliche Dichtkunst. Das heilige Psalmbuch ist das Liederbuch der alten Kirche, in das ihre Seufzer und Hoffnungen niedergelegt sind. Und als der HErr zur Zeit Luthers einen neuen Wind über die Gefilde wehen ließ, da schenkte Er auch den lebendigen Dichtergeist, in dem Luther voranleuchtete, so daß er mit seinen mächtigen Gesängen an die Herzen vieler tausend Schläfer pochte; darum dürfen auch wir in unseren Tagen1) als einen Gnadenregen von oben es ansehen, daß der HErr abermals geistliche Dichter erweckt hat, daß unser Gesangbuch erneuert, manches längst und schwer vermißte Lied wieder eingeführt und auch hierin ein Fortschritt zum ewig alten und jungen Evangelium, das Christum treibt, wieder angebahnt wird. Wir freuen uns deßhalb und wollen dem HErrn ein neues Lied fingen, wenn auch dieses Kindlein, das nun in schweren Geburtsnöthen liegt, zur Welt geboren ist und seine Augen frisch und frei zum blauen Kirchenhimmel aufschlagen darf. Indessen wollen wir die Weisung des Apostels desto fleißiger üben: singet und spielet dem HErrn im Herzen.

Es bleibt dabei: wer alle Tage Sonntag haben will, der singe dem HErrn im Herzen. Denn das kann man auch zu Hause und allein im stillen Kämmerlein, und es wird wohl keinen schöneren Gesang im Himmel geben, als diesen geheimen und verborgenen Herzensgesang, der aus mancher verborgenen Hütte himmelwärts steigt, droben sich aber in die Psalmen der Palmenträger mischt, und zum Lobe dessen gereicht, der König und HErr ist in Ewigkeit.

V.

Doch noch eines ist zurück. Wie können alle unsere Tage Sonntage werden? Wir antworten fünftens, wenn wir auf alle unsere Tage die rechte Sonntagsweihe überzutragen verstehen.

Dadurch erhält der Sonntag seine besonderste und schönste Weihe, daß Alles, was von Bedeutung an ihm geschieht mit Worten oder mit Werken, zur Ehre und im Namen Jesu Christi geschieht. Wem hallen die Glocken, wenn der Sabbath eingeläutet und die Gemeinde zum Heiligthum Christi gerufen wird? Christo zu Ehren und sonst Niemand. Wem gilt der Gesang, der uns zur Andacht ruft, das Gebet, das uns vor dem Throne Gottes vereinigt, das Wort des Lebens, das von der Kanzel erschallt? Darin ruht allein die Weihe derselben, daß sie geschehen im Namen Jesu Christi. Worin endlich haben die Sacramente ihren Segen, die am Sonntage verwaltet werden zur Erweiterung und Befestigung des Reichs Gottes auf Erden, worin anders, als daß sie verwaltet werden in der Machtvollkommenheit Jesu Christi, die Christus seiner Kirche hinterlassen hat? So ist also der Sonntag geweiht dadurch, daß Alles, was an demselben geschieht mit Worten oder mit Werken, geschieht in dem Namen, vor dem sich alle Kniee derer beugen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.

Was am Sonntage geschieht, wodurch der Name Christi nicht geehrt, seine Ehre nicht befördert wird, - das geschieht zur Entheiligung und Entweihung des Sonntags, und darum sind auch Gelage und Lustbarkeiten, alle Vergnügungen, die nicht geschehen können im Namen Christi, Entheiligung des Sonntags, über die uns der HErr noch einmal zur Rede stellen und wegen welcher Er seine Tenne zu fegen wissen wird. Denn die rechte Sonntags-Weihe beruht auf dem Worte: Alles was ihr thut, das thut in dem Namen des HErrn Jesu.

Aber diese Sonntagsweihe dehnt nun der Apostel weiter aus, indem er so im Allgemeinen und schlechthin spricht: Alles, Alles ohne Ausnahme, was ihr thut, mit Worten oder mit Werken, das thut Alles in dem Namen des HErrn Jesu und preiset Gott und den Vater durch ihn. Darin nämlich besteht die rechte Weihe, welche nun alle Tage vom Sonntag empfangen sollen, daß auch an ihnen Alles geschieht im Namen Jesu Christi. So allein können sie wirklich auch zu Sonntagen werden. Und wenn ein Christ also täglich Sonntag hält, wenn er schon jetzt heimisch wird in diesem Sonntagsleben, da Alles zur Ehre Jesu und zum Preis des Vaters geschieht: dann darf er wirklich an jedem Tage seines Lebens auch in Hoffnung hinausblicken nach jenem ewigen Sabbath, den Gott uns verheißen hat.

Wann wird's Sonntag werden.
Wenn wir scheide von der Erden.
Wie wird's dann uns sein, meine Lieben?
Wohl, ewig wohl; wir werden sagen: Gottlob, wir sind daheim.

Amen.

1)
Die Predigt wurde gehalten zur Zeit als das neue Württemberg'sche Gesangbuch ausgearbeitet wurde.
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