Hofacker, Ludwig - VI. Am Grabe einer durch empfindliche Lebens-Erfahrungen bewährten Mutter und Gattin.
Es gehet wohl nicht ohne Thränen ab, da wir diese erblaßte Hülle als ein edles Saatkorn für den Tag der Auferstehung ausstreuen, und unserer herzlich geliebten Mitschwester und Mitgenossin an der Trübsal und an der Herrlichkeit des Reiches Christi die letzte Ehre erweisen. Der HErr weiß es, was wir verloren haben; Er weiß es am besten, welch’ ein vorleuchtendes Beispiel der Geduld und des Glaubens, welch’ eine bewährte Streiterin für das Reich Gottes, welch’ eine reife Frucht für die Scheunen des himmlischen Vaters Er heim gerufen hat! Und obgleich Ihm, dem treuen Heiland, allein Lob und Anbetung gebühret über Alles, was wir an der Entschlafenen gehabt haben; obgleich nach Seinem Rathe sie aus unserem Umgange entrückt wurde; obgleich die tiefe Sehnsucht der Seligen nach den himmlischen Wohnungen und nach der näheren Gemeinschaft mit Dem, den ihre Seele liebte, nun gestillt ist; obgleich wir wissen, daß die Gemeinschaft derer, die im Glauben des Sohnes Gottes leben, durch das Abstreifen des Pilgerkleides nicht zerrissen wird, so ist es uns doch nicht zu verdenken, wenn wir hier an diesem Grabe unseren Schmerz laut werden lassen, und über unsern Verlust klagen; denn es ist eine Seele weniger unter uns, die durch den Glauben an JEsum Christum geheiligt, auf dem Wege durch dieses Jammerthal uns, oft ihr selbst unbewußt, tröstete und erquickte.
Wie die Entschlafene selber über ihren Heimgang dachte, was der Grund ihrer Hoffnung, der Anker ihres Glaubens war, das können wir am besten aus einem Verse erkennen, den sie vor mehreren Jahren bey einem starken Krankheitsanfalle als Ausdruck ihrer Hoffnung aussuchte. Sie sagte damals:
Meine Arbeit geht zu Ende,
Und der Sabbath bricht mir an,
Die durchgrab’nen Füß’ und Hände
Haben All’s für mich gethan.
Ja, du glaubtest damals, müde Pilgerin, deine Arbeit werde zu Ende gehen, und der Sabbath dir anbrechen, aber dein Heiland hatte es anders beschlossen. Siebenzig Jahre hatte die Entschlafene zurückgelegt, hatte als ein Fremdling und Pilgrimm auf dieser Welt gewandelt, sie hatte manchen schweren Stand erfahren in dieser langen Zeit, und was das Hauptsächlichste ist: wo eine Seele nach der himmlischen Freiheit der Kinder Gottes sich sehnet, und nach dem Heiland ein ernstliches Heimweh hat, da wird Manches zur Last und zur Arbeit, was zur Erde gerichteten Gemüthern Freude und Vergnügen ist. So war die Selige vor mehreren Jahren schon ihres Joches müde, und meinte, der HErr werde sie ausspannen und erlösen, und freute sich darauf, aber damals gieng ihre Arbeit nicht zu Ende, Gottes Wege sind nicht der Menschen Wege, Seine Gedanken nicht unsere Gedanken. Es war ihr noch etwas von dem HErrn aufgespart für ihr Alter, etwas fast unerträglich Schweres, etwas, das sie an den empfindlichsten Seiten ihres Herzens angriff, aber, wie sie selbst nicht läugnete, die wohltätigsten Folgen für die Läuterung und Auszeitigung ihres Sinnes hatte, ich meine – die langen und schweren Leiden ihres geliebten, vor wenigen Wochen vollendeten Sohnes. Ja, dieß war noch ein bitterer Trank, den ihr der HErr vor ihrem Ende reichte; da gab es zu seufzen und zu schreyen zu dem HErrn, ihrem Gott, um Glauben, um Erbarmung, um Hülfe; die Ewigkeit wird es einst klar machen, was ihr Herz in ihrem Trübsals-Ofen ausgestanden, und was sie dadurch gewonnen hat. Endlich brach der HErr mit Seiner Hülfe durch, und erlöste den Sohn, und, was sie geahnet hatte, bald auch sie, doch nicht ohne Arbeit; sie mußte ihren geschwächten Körper noch einer schmerzhaften und ihrem ganzen Gefühle widerstrebenden Operation unterwerfen. Dieß aber war die letzte Arbeit, das letzte Leiden ihres Laufes, nun löste der HErr die Bande des Todes-Leibes nach und nach auf, und führte die Selige sanft und sicher hinüber in das Land, in welches Er selbst vorangegangen ist, den Seinen eine Stätte zu bereiten.
Leiden wir mit Ihm, so werden wir auch mit Ihm herrschen; sterben wir mit Ihm, so werden wir auch mit Ihm leben; so wir sammt Ihm gepflanzet werden zu gleichem Tode, so werden wir auch der Auferstehung nach gleich seyn; ja, so wir der Arbeit und der Leiden in Christo viel gehabt haben in dieser Welt, so werden wir auch eine reichliche Sabbaths-Ruhe genießen in jener Welt, wo man nicht mehr klagt und nicht mehr weint, sondern in der Herrlichkeit und in dem Lichte Gottes Sein Angesicht siehet, und Seinen Namen preiset von Ewigkeit zu Ewigkeit. O! was muß es für einen müden Kämpfer seyn, wenn nach langen und trüben Werktagen der Sabbath anbricht, die Ruhe, die kein Ende nimmt; wenn das Weinen aufhöret, und der Geist, der durch das Blut des Lammes genesen war, darf Ihm in der stillen Ewigkeit die Ehre geben vor Seinem Throne, und darf ausruhen an Seinen Wunden von aller Müde und Arbeit der irdischen Laufbahn.
Sieh’ das erwürgte Lamm
Wie herrlich geht es dort auf Zion’s Augen,
Und wie frohlockt in solchem frohen Schauen
Die Schaar, die hier zu dessen Hürden kam?
Wie hörst du als mit Donnerstimmen singen?
Das auserwählte Heer,
An jenem gläsern’ Meer,
Und Mosis Lied auf Gottes Harfen klingen!
Ja, es ist uns wohl erlaubt, hier auf der Stätte der Verwesung, wo wir so laut an die Hinfälligkeit und Sterblichkeit des Menschen erinnert werden, es ist uns erlaubt, hier hinaufzublicken auf das, was auf uns wartet, so wir in Christo erfunden werden, und was unsere Entschlafene jetzt schon genießt – hinaufzublicken zur neuen Stadt, die statt der alten Nichtigkeit lauter Neues und Herrliches den Erlöseten JEsu Christi darbietet, deren Sonne das Lamm selber ist, zu deren Thoren keine Unreinen eingehen, aber alle diejenigen, die da gekommen sind aus der großen Trübsal, und haben ihre Kleider gewaschen und helle gemacht im Blute des Lammes.
„Der Sabbath bricht mir an“, dieß sagte vor einigen Jahren die Entschlafene, und ob es wohl dem HErrn gefiel, ihr noch einige Arbeitswochen aufzulegen, so ist sie doch auf dem Sinne geblieben, daß sie mit fester Zuversicht und ungezweifelter Hoffnung auf den Sabbath ihres Gottes harrete. Und dieses Harren war auch wohl an ihr sichtbar, sie rüstete sich mit patriarchalischer Ruhe auf ihren Heimgang, sie sah die ihr auferlegten Leiden als Vorbereitungsmittel auf das Licht der Ewigkeiten an, ihr Geist war immer hingerichtet auf das Eine, das noth thut, der beständige Umgang mit dem ungesehenen Freunde war ihrem Herzen so unentbehrlich geworden, daß ihr dieß über alles Andere gieng, und sie dem HErrn dienete mit Beten Tag und Nacht.
Wer jene Herrlichkeit schon vor sich sieht,
Der ist um andern Tand nicht mehr bemüht.
Aber was ist es doch um eine Seele, die jene Herrlichkeit so gewißlich vor sich siehet! War es ein frecher Stolz und Uebermuth, oder war es das Bewußtseyn guter Thaten, oder war es eine Meinung und Hoffnung ohne Grund, was der Entschlafenen die Gewißheit der für sie kommenden Ruhe einflößte, und sie zu dem festen Ausdrucke veranlaßte: „der Sabbath bricht mir an?“ O sie hat ihn selbst am deutlichsten dargelegt den Grund ihrer Hoffnung: „die durchgrab’nen Füß’ und Hände haben Alles für mich gethan.“ Dieß war der Fels, auf welchen ihr Glaube ruhete, die durchgrab’nen Füß’ und Hände, das Verdienst des allerheiligsten Leidens und Sterbens JEsu Christi, nicht ihre Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit ihres Heilandes, dieß war ihre Freude auch in den trübsten Stunden, ihr Gewand, in das sie sich bey allen Stürmen von Außen einwickelte, und mit welchem angethan sie auch nicht im Tode, ja nicht vor dem Angesichte der heiligen Gerechtigkeit hoffte beschämt zu werden.
In früher Jugend hatte sie Gott aus Gnaden auf diesen Grund geführet, und ihr eine brünstige Liebe zu dem Manne eingeflößet, der am Kreuze für die Sünden der Welt gebüßet hat, und in diesem Glauben und in dieser Liebe ist sie auch geblieben bis in ihr hohes Alter, ja sie ist darin gewachsen und völlig geworden, also daß sie nur wartete auf die Stunde, wo sie bey ihrem HErrn seyn dürfe allezeit, und dürfe nicht mehr hinausgehen aus Seinem Tempel weder Tag noch Nacht. Ach! die Welt kennet die Jünger Christi nicht, sie weiß nicht, was in oft unscheinbaren Gefäßen für Schätze Gottes verborgen sind; stolz und aufgeblasen gehet sie an denen vorüber, in welchen die Herrlichkeit Gottes, obwohl unter der Larve des Kreuzes wohnet.
Christen sind ein göttlich’ Volk,
Aus dem Geist des HErrn gezeuget,
Ihm gebeuget,
Und von Seiner Flammen Macht
Angefacht!
Vor des Bräut’gams Augen schweben,
Das ist ihrer Seelen Leben,
Und Sein Blut ist ihre Pracht.
Aber Alles dieses ist verborgen, verborgen unter einem Leibe des Todes und der Demüthigung, verborgen unter der Gestalt des Kreuzes, bis die Stunde kommt, wo es JEsus hervorführen, und in die völlige Klarheit des göttlichen Lebens kann hervorbrechen lassen.
In diese Klarheit nun ist, wie wir wissen, die Entschlafene eingegangen, nicht aus Verdienst der Werke, denn was sie war und was sie seyn durfte, ist ja reines Geschenk der Liebe Gottes, wie sie es denn selbst auch so angesehen, und sich darum immer in demüthiger Beugung vor dem HErrn und in alterthümlicher Einfalt, und in Verborgenheit gehalten hat, nicht aus Verdienst der Werke ist sie selig worden, das sey ferne – und ich habe auch bis jetzt nicht von ihr gesprochen, um sie zu rühmen, sondern zum Lobe der Barmherzigkeit Gottes, in Christo JEsu, unserem HErrn. Aber der Grund, warum wir wissen, daß sie zur Klarheit eingegangen ist, sind die durchgrab’nen Füß’ und Hände JEsu Christi, Seine Angst, Marter und Pein, und das theure werthe Wort, daß Alle, die sich in den rechten und lebendigen Glauben an den Gekreuzigten einführen lassen, durch Seine Wunden sollen geheilet werden und ewiglich genesen.
Und so stehen wir denn hier an diesem Grabe, und ob wir gleich trauern, unsere treue, herzlich geliebte Gattin, Mutter, Schwiegermutter, Großmutter, Mitschwester und Mitpilgerin durch das Jammerthal verloren zu haben (wiewohl vielleicht für kurze Zeit), so freuet sich doch unser Herz für sie, daß ihr Hoffen eingetroffen und ihre Erquickungszeit erschienen ist, ja, wir freuen uns, durch die Entschlafene in nähere und seligere Gemeinschaft mit der oberen Gemeine, die das Angesicht JEsu Christi sieht, gekommen zu seyn; wir freuen uns, daß diese, durch die Sünde entweihte Erde solche Keime der Auferstehung, solche Tempel des Heiligen Geistes aufnehmen, und dadurch selbst ihrer Neugeburt entgegen reifen darf.
Frohlocke, du Erde, und jauchzet, ihr Hügel,
Dieweil du den göttlichen Samen geneußt,
Denn das ist Jehovah, Sein göttliches Siegel,
Zum Zeichen, daß Er dir noch Segen verheißt!
Du sollst noch mit ihnen (den Christen)
Auf’s Herrlichste grünen,
Wenn erst ihr verborgenes Leben erscheinet,
Wornach sich dein Seufzen mit ihnen vereinet! –
Preis und Anbetung sey Dir hienieden im Staube gebracht, hochgelobter HErr und Heiland, der Du auch einst todt warest, und nun lebest von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wir danken Dir, daß Du die Entschlafene zu Dir gezogen, sie bey Dir mitten in einer argen Welt bewahret, und durch den Glauben an Dich vollendet hast; doch dafür wird sie Dir jetzt selber mit tiefer Beugung in der frohen Ewigkeit danken, und Deine Barmherzigkeit und Dein vollgültiges Verdienst mit den Geistern der vollendeten Gerechten in Deinem Lichte preisen. Wir danken Dir, daß Du uns so viel Erquickung, so viel Stärkung auf dem Wege, so viel höhere Freude, die in der Gemeinschaft der Heiligen ist, hast zufließen lassen durch sie. Du weißest es ja selbst, und hast es erfahren wie wir, ja mehr als wir, wie erquicklich es in diesem Elende ist, ein Herz zu finden, das Dich und alle Menschen liebt, und diese Freude hast Du uns in der Entschlafenen bereitet. Sey ewig gelobet für diese Barmherzigkeit! –
Wir bitten Dich, erhalte uns bey dem Einen, was noth thut, richte unsere blöden Augen immer unverrückter auf Deine Wunden und auf die Herrlichkeit der vollendeten Gemeine, und führe unsere Seelen nach dieser Zeit aus Gnaden ein zu Dir und Allen, die uns im Glauben vorangegangen und bey Dir sind.
Laß Deinen Frieden walten über diesem Grabe, und dieses todte Gebeine, das wir hier aussäen, führe einst bey’m Schalle der Posaune des Erzengels mit Herrlichkeit hervor. Dein sind wir, denn Du hast uns erkauft, laß uns ewig Dein seyn!
Amen.