Hofacker, Ludwig - Predigt am Sonntage nach dem neuen Jahr

Hofacker, Ludwig - Predigt am Sonntage nach dem neuen Jahr

Von der freien Gnade Gottes in Christus Jesus

Text: Joh. 1,1 - 18.

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bey Gott, und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang bey Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist. In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in der Finsterniß, und die Finsterniß haben es nicht begriffen. Es ward ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes. Derselbige kam zum Zeugniß, daß er von dem Licht zeugete, auf daß sie Alle durch ihn glaubeten. Er war nicht das Licht, sondern daß er zeugete von dem Licht. Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbige gemacht; und die Welt kannte es nicht. Er kam in Sein Eigenthum, und die Seinigen nahmen Ihn nicht auf. Wie Viele Ihn aber aufnahmen, denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben. Welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind. Und das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns, und wir sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes zeuget von Ihm, ruft und spricht: Dieser war es, von dem ich gesagt habe. nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist, denn Er war eher denn ich. Und von Seiner Fülle haben wir Alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mosen gegeben: die Gnade und Wahrheit ist durch JEsum Christum geworden. Niemand hat Gott je gesehen. Der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schooß ist, der hat es uns verkündiget.

Es kommt mich sauer an, heute an dieser Stätte zu der versammelten Gemeinde zu sprechen. Ihr wisset Alle, was ich und mein Haus in diesen Tagen verloren haben. Bey dem Verluste der Seinigen, bey den Wunden der Trennung, - denn Wunden sind, wenn man sie auch voraussieht, immer Wunden - wenn des Hauses Haupt und Krone sinkt mit des Vaters Haupt, wo kann man sich in solchen Fällen hinflüchten? Nirgends anders hin als in das Lied hinein, das wir so eben gesungen haben:

Warum sollt' ich mich denn grämen?
Hab' ich doch Christum noch,
Wer will mir Den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
Den mir schon Gottes Sohn
Beygelegt im Glauben?

Es ziemet sich nicht, daß ich an dieser Stätte viel von dem Verluste rede, den ich und mein Haus erlitten habe; ich will deßwegen in dieser Stunde nicht von demselben sprechen, sondern von der Gnade Gottes in Christo JEsu, und zwar von der freien Gnade Gottes in Christo JEsu, unserem HErrn. Dazu hat mich theils unser heutiges Evangelium veranlaßt, - denn es prediget uns freie Gnade, freie Barmherzigkeit, den Ursprung des ewigen Rathschlusses Gottes, wie dieser Rathschluß in den tiefen Ewigkeiten seinen Grund und Anfang habe, bis zu seiner Ausführung und Vollendung in dem Herzen des Einzelnen. Es hat mich aber auch noch etwas Anderes dazu veranlaßt, nämlich das, daß mir die freie Gnade Gottes in Christo JEsu die ganze Woche über im Sinn gelegen ist, und namentlich ist mir dieser Gedanke an dem Kranken- und Sterbebette meines theuren Vaters tief in mein Herz gedrungen. Nämlich mein theurer Vater ist ganz auf die freie Gnade, nur allein im Vertrauen auf die Gerechtigkeit Christi, nicht im Vertrauen auf seine eigene Gerechtigkeit, sondern im Vertrauen auf die freie Gnade in die selige Ewigkeit gegangen. Gott Lob! ich danke Gott, daß ich zugegen war, daß ich mit eigenen Ohren hören und mit eigenen Augen sehen durfte, wie er die freie Gnade Gottes in Christo JEsu mit beyden Händen ergriffen hat, und im Trost dieser Gnade in die Ewigkeit gegangen ist! Dieß hat mich nun die ganze Woche in meinem Gemüthe beschäftigt, und daher will ich heute, so weit es mir nach meiner Schwachheit möglich ist, Etwas zu euch reden:

von der freien Gnade Gottes in Christo JEsu.

Der HErr, der die Schwachen unterstützen, und auch ein in Schwachheit geredetes Wort segnen kann mit Seinem Segen, wolle uns dazu Seinen Segen geben. Wir rufen Dich darum an, und bitten Dich, HErr JEsu! segne diese Stunde! sey uns nahe mit Deinem Worte, wie Du verheißen hast; zeige uns das Recht, das wir an Dich haben, damit wir ganz allein auf Deine Gnade bauen, damit wir auf sie leben, auf sie leiden, auf sie sterben, auf daß sie in den Himmel gehen! Lieber Heiland! räume Alles aus unserm Herzen hinaus, dass Dir nicht wohlgefällig ist, und mache uns zu armen Sündern, ja zu armen Sündern, die nichts als Dich wissen. Amen!

„Das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch JEsum Christum worden.“ So schreibt der Apostel Johannes in unserem heutigen Evangelium, und bezeichnet mit eben diesen Worten den Unterschied des Alten und Neuen Bundes; den Unterschied des Bundes, der mit dem Finger Gottes auf steinerne Tafeln geschrieben war, und des Bundes, der durch den Heiligen Geist in die Herzen geschrieben werden soll; - den Unterschied des Bundes, den Paulus die Nacht nennt (die Nacht ist vergangen), und des Bundes, den er den Tag nennt (der Tag aber ist herbey gekommen). - Das ist Gesetz ist durch Mosen gegeben.

Die ganze Anstalt des alten Bundes war eine Anstalt des Gesetzes; da hieß es immer: „du sollst“ und „du sollst nicht.“ „Du sollst den Feiertag heiligen, du sollst Vater und Mutter ehren, du sollst nicht tödten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen“, - und so immer, „du sollst“ und „du sollst nicht!“ Und hinter allen diesen: du sollst, und du sollst nicht, lag der Fluch: „wer nicht hält alle diese Gebote, der ist verflucht! und das ganze Volk spreche: amen!“ Es war etwas Nöthigendes, etwas Zwingendes mit Gewalt, und durch die Triebfeder der Furch Wirkendes im Alten Testament.

So ist es aber nicht im Neuen Testamente, sondern Gnade und Wahrheit ist durch JEsum Christum worden. Da heißt es nicht mehr: du mußt, oder du wirst verdammt! sondern: siehe, Sünder, das hat Gott für dich gethan! Er hat Seinen eingebornen Sohn aus herzlichem Erbarmen, aus Liebe zu dir, in diese Welt gesandt; - das thue ich für dich, was thust du für mich? Nun wird der Sünder nicht mehr zurückgeschreckt von der Strafgerechtigkeit Gottes, wie es bey Moses war, aus dem die Strahlen der göttlichen Strafgerechtigkeit hervorleuchteten, daß er eine Decke über sein Angesicht hängen mußte, weil die Israeliten den Anblick nicht ertragen konnten; nein! so ist es nicht im Neuen Testamente; aus dem Angesichte JEsu Christi leuchtet Lieblichkeit, Freundlichkeit, Sanftmuth und die ganze Fülle des Reichtums des Liebe Gottes hervor; da heißt es: „kommet zur Hochzeit! kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken.“

Auch dürft ihr nicht erschrecken
Vor eurer Sündenschuld:
Nein, JEsus will sie decken
Mit Seiner Lieb' und Huld.

Das ist so eigentlich der Grundcharakter des Neuen Testaments: Gnade und Wahrheit!

Das heißt Gnade, das heißt Evangelium, welches nach dem Willen Gottes, unseres Herrn, aller Kreatur verkündigt werden soll, daß keine Seele, sie heiße wie sie wolle, daß auch der gottloseste, der verruchteste Sünder nicht ausgeschlossen sey,. daß auch er einen Platz habe in dem Herzen Gottes; - wenn er nur kindlich, nur aufrichtig Ihn sucht, so wird ihm ewiges Erbarmen, ewige Seligkeit aus der Fülle JEsu Christi zu Theil. Gnade! - das ist der Mittelpunkt des Neuen Testaments! Gnade, ein Wort das eigentlich für Sünder gemacht ist; ein Wort, das, wenn es mit lebendiger Geisteskraft in eine verdüsterte Seele hinein fällt, nur ewiges Leben, nur Friede, Freude, liebliches Wesen hineinbringt. Gnade für Sünder! O aus Christo JEsu fließt für die elenden, gefallenen, rebellischen Sünder lauter Gnade, lauter Erbarmen heraus! Sehet, diese Gnade hat sich geoffenbart an dem Gichtbrüchigen. Da lag er auf seinem Lager, krank, elend und abgezehrt, konnte nicht aufstehen, sich nicht rühren; ach, und in seinem Innern war der Jammer noch viel größer; da fühlte er Reue über seine Sünden und dachte: ich werde nicht selig! Da lag er, und als man ihn vor den Heiland brachte, was that dieser? „Sey getrost“ - sprach Er - „deine Sünden sind dir vergeben!“ Das war Gnade! Als jene große Sünderin zu den Füßen des Heilandes niederfiel - weil Er ihr als ein so gnadenvoller HErr bekannt war - und nichts konnte, als Seine Füße mit Thränen benetzen, und sie mit den Haaren ihres Hauptes trocknen, da sprach Er: „gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben!“ und alle Sünden dieser großen Sünderin waren auf einmal weggethan und ausgetilgt; sie durfte nicht mehr darüber angefochten werden. Das war Gnade! Als der Schächer, der vorhin über den Heiland gelästert hatte, seine Sünden bereute, und nichts wußte als: „HErr, gedenke an mich, wann Du in Dein Reich kommst!“ so wandte sich der Menschensohn sogleich zu ihm hinüber, und sprach: „wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese seyn.“ Das ist Gnade! Durch Gnade sind alle Seligen selig geworden. Keiner ist durch sein eigenes Verdienst in den Himmel gekommen; Alle haben ihre Kleider gewaschen und helle gemacht im Blute des Lammes durch Gnade! Was waren die Korinther, die Epheser für Leute vor ihrer Bekehrung? Bedenket nur! der Apostel sagt: „ihr seyd Diebe gewesen, ihr seyd Lästerer gewesen, ihr seyd Hurer und Zauberer gewesen - aber nun seyd ihr abgewaschen und gereiniget durch den Geist unsers Gottes; nun seyd ihr Kinder Gottes, - nicht von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren, und das aus lauter Gnade.“

Als ich in verfloß'nen Tagen
Blind hin zum Verderben lieg,
Ließ er mir von Gnade sagen,
Die mich zu dem Leben rief;
Und ich steh' durch Sein Erbarmen
Heute noch in Seiner Huld;
Trug Er gestern mit mir Armen,
Trägt Er heute noch Geduld.

O liebe Brüder und Schwestern! wenn nicht Seine Gnade wäre, was wären wir? wenn nicht Seine Gnade aufgienge über unser armes Leben als der helle Morgenstern, was wäre unser armes Leben? Sehet, mit Schmerzen wird der Mensch in diese Welt geboren, und muß bald wieder von dannen ziehen; unser Leben fähret schnell dahin, als flögen wir davon; nackend muß er in diese Welt kommen, nackend liegt er auf dem Boden, wenn er kommt, wenn er nimmt seinen ersten Oden, - nackend muß er auch hinziehen, wann er wird von der Erd' als ein Schatten fliehen. Und wie viel Noth, wie viel Trübsal gibt es in diesem armen Leben! Kaum meint man, man habe ein wenig Ruhe, so wird man sogleich wieder aus seiner Ruhe aufgeweckt; es ist lauter Trübsal in der Welt; es gibt keine Ruhe, keinen Frieden, - nein, es ist ein Jammerthal. Was hätten wir, liebe Zuhörer! wenn nicht die Gnade unsers HErrn einen hellen Schein in unser Leben wärfe, wenn sie nicht durch die dunkle Todespforte hindurch einen hellen Strahl des ewigen Lebens in das beängstigte Herz fallen ließe? Aber es gibt eine ewige Gnade und Erbarmung! O wo eine Seele ist, ein Sünder, dem seine Sünden von Herzen leid sind; wo ein müder Pilgrimm sich unter der Last seines Kreuzes beugt und krümmt; wo ein Mensch ist, der schon oft von dieser Gnade gehört, dieselbe aber nicht angenommen hat, diesen Allen und allen Kindern Gottes sey es verkündigt: Höre lieber Mensch, es gibt eine Gnade, ein herzliches Erbarmen, eine ewige Erlösung und Vergebung!

Was uns aber am meisten freuen muß, ist, daß diese Gnade eine freie Gnade ist, daß man sie nicht verdienen, nicht erwerben kann, daß es nicht an Jemands Rennen oder Laufen liegt, sondern an Gottes Erbarmen. Ja, wir wären sonst übel daran; da wäre es nur gescherzt mit der Menschheit; es wäre nur ein unbarmherziger Spaß, den man mit den Elenden triebe, wenn man der Menschheit von Gnade sagte. Die Engel hätten bei der Geburt des Heilandes nicht gerufen: „siehe, ich verkündige euch große Freude!“ so hätten sie nicht sprechen dürfen, sondern vielmehr: siehe, ich verkündige euch große Trauer! Gott hat Alles gethan, was Er thun konnte; aber es reicht nicht zu; etwas solltet ihr doch wenigstens zu eurem Heile beytragen; aber ihr könnet's nicht; ihr habt nichts als Sünde an euch, und ihr solltet doch Gerechtigkeit haben; darum verzweifelt nur an eurer Rettung! - Liebe Zuhörer! wenn es nicht eine freie Gnade wäre, so wäre sie gar nichts für uns; das ganze Evangelium würde über den Haufen fallen. Wenn irgendwo die Reichthümer Gottes aufgestellt wären, und oben an demselben stünde geschrieben: diese Reichthümer kann sich Derjenige zueignen, der Sanftmuth, oder Geduld, oder Liebe hat, da würde Keines von uns dazu gelangen; da stünden wir Alle, und würden immer dürsten und dürsten, und könnten niemals trinken, wir würden verzweifeln.

Aber es gibt eine freie Gnade umsonst. Umsonst ist sie uns gegeben von der göttlichen Barmherzigkeit; umsonst füllt Gott die Hungrigen mit Gütern; umsonst fallen die Schätze des Haufens Gottes den Sündern in den Schooß; denn diese Gnade läßt sich nicht erhandeln; umsonst haben alle Seligen ihre Kleider gewaschen und helle gemacht im Blute des Lammes; umsonst können die Sünder in die blutige Gerechtigkeit Christi eingekleidet werden; umsonst dürfen sie vereinigt mit Ihm schon in dieser Zeit leben; umsonst dürfen sie mit Ihm leiden, umsonst mit Ihm sterben, umsonst in die selige Ewigkeit gehen; umsonst können alle Sünder; auch die alten grauen Sünder, diese Gnade erlangen. O wenn auch ein solcher alter grauer Sünder in dieser Kirche ist: grauer Sünder! umsonst kannst du heute noch diese Gnade empfangen! siehe, ich biete sie dir an; aber nicht ich, sondern der HErr bietet sie dir an, umsonst! ach, fasse es doch! und auch selbst die Verächter der Gnade können Gnade erlangen. Sünder, denen vom Fluch des Gesetzes ihre Gebeine vertrocknet und verzehrt sind (wie es im Psalm heißt: „meine Gebeine sind mir vertrocknet und verzehrt von dem Zorn Jehovah's“), die von dem Donner des Gesetzes niedergedrückten Seelen können umsonst trinken von dem Wasser des Lebens!

Christi tief geschlag'ne Wunden
Strömen nur den Sündern Heil,
Und in ihren Jammer-Stunden
Ist Er ihr verordnet Theil;
Wenn die Schmerzen glühn im Herzen,
Und der Sünde Wunden schrecken,
Soll mich JEsu Blutstrom decken.

Sünder, nicht ein Selbstgerechter,
Hat des Blutes Kraft geschmeckt;
Denn der ist des Bluts Verächter,
Den sein eigen Werk bedeckt;
Nackte, Bloße, Gnadenlose, -
Diese ärmsten von den Sündern
Macht dieß Blut zu Gottes-Kindern.

Höret es doch, Gottes-Kinder! - oder, wie sich der Apostel ausdrückt, „Er gab denen Macht, Gottes-Kinder zu heißen, die an Seinen Namen glauben;“ - o große Gnade! daß mir doch der HErr die Barmherzigkeit gäbe, einen alten grauen Sünder unter uns zu erwecken, und ihn zu Seiner Gnade zu führen! Armer Sünder, der du bisher nichts von dieser Gnade gewollt, der du sie mit Füßen getreten hast, - ach wie lange lebst du so? - umsonst kannst du Gnade genießen! komm, nackt und bloß! Nackte, bloße, gnadenlose - arme Sünder macht dieß Blut zu Gottes Kindern! Es gibt eine freie Gnade umsonst; das können wir an dem Schächer sehen, daß es eine freie Gnade gibt, und eben dieser Schächer ist ein Beispiel für alle alten Sünder. Sehet, der Schächer - was hatte er für Gerechtigkeit? für ein Verdienst? Keines; er war ein Dieb, ein Mörder, er lästerte den Heiland; dann aber wurde er erweckt, fühlte Reue über seine Sünden, und der Heiland sprach zu ihm: „heute wirst du mit mir im Paradiese seyn!“ - Sehet, so gieng es dem Apostel Paulus; wer war er? war er ein besonderer Liebhaber Gottes und JEsu Christi? Nein, er war ein Lästerer, ein Schmäher; er verfolgte die Kinder Gottes; - vielleicht sind auch unter uns solcher Verfolger, die den Kindern Gottes gern etwas zu Leide thun; siehe, du Verfolger, auch du bist zur Gnade eingeladen! Der Apostel war ein Mann, dem recht wohl zu Muthe war, als man den Stephanus steinigte; er schnaubte, und da er gerade auf dem Wege war, einige Kinder Gottes in's Gefängniß zu führen, begegnete ihm der HErr, und sprach zu ihm: „Saul, was verfolgst du mich?“ und er bekehrt sich, und der HErr nimmt ihn auf zu Seinem Kinde, und macht aus ihm ein auserwähltes Rüstzeug; - das Alles kannst du auch werden wie Paulus.

O liebe Zuhörer! es gibt eine freie Gnade umsonst! Das ganze Jahr ist nun wieder verflossen; wie Vieles ist in demselben um theures Geld gekauft worden, wie viele Dinge, die wir nicht einmal brauchen, haben wir erhandelt um hohen Preis! welch' großer Luxus! Jetzt wollen wir auch einmal Etwas umsonst annehmen! Sehet, die irdischen Dinge, die uns ja nicht sättigen können, kauft man so theuer, und das Göttliche, das uns ewig beseligt, will uns Gott umsonst geben, und wir wollen es nicht annehmen? Wie thöricht sind wir! was wir theuer bezahlen müssen, nach dem strecken wir die Hand aus; aber Schätze, die weder Motten noch Rost fressen, da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen, solche wollen wir nicht annehmen, an solchen gehen wir vorüber. Was sind wir für Verächter! Ach, daß doch Alle heute diese Gnade annehmen möchten! Bedenk' es doch, siehe, ohne Gnade kommst du, wenn du von hinnen fährst, nirgends anders hin als in die Hölle! Das steht in der Bibel von vornen an bis hinten aus, daß Alle, die ohne Gnade aus der Zeit gehen, zur Hölle fahren. O so nimm doch die Gnade an ganz umsonst, du darfst ja gar nichts dafür hergeben als deine Sünden; bedenk' es doch! laß nicht so viele Jahre vorbeystreichen! siehe, die Jahre nehmen zu; die Lebenszeit nimmt ab; du wirst immer älter und älter; du kannst heute noch sterben; man kann so geschwind aus der Zeit gerissen werden. Aber du kannst auch heute noch Gnade finden; du kannst Friede finden bey deinem Heilande und Erbarmer, wenn du Ihm nimmer so ausbeugst, wie du Ihm bisher ausgebeugt hast; dann kannst du dir noch heute ein seliges Ende bereiten, daß du in alle Ewigkeiten selig bist. Sey doch nicht so thöricht! fasse dich zusammen, versäume dein ewiges Heil nicht, bitte den HErrn: „HErr, lehre mich bedenken, daß ich sterben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß!“ damit doch das theure Evangelium, das dir schon so oft verkündigt worden ist, einmal gute Früchte brächte.

Es gibt eine freie Gnade umsonst; davon will aber die eigenliebige Natur nichts; sie stutzt daran, sie flucht darüber, sie will ohne Gnade selig werden, und doch ist dieß die enge Thüre, durch die wir eingehen müssen zum ewigen Leben. Wer anderswo hineinsteigt, der ist ein Dieb und Mörder, und wird nicht hineinkommen. Sehet, so lange man sich noch in seiner Eigenliebe gefällt und umtreibt, so lange man noch Gefallen an sich selber hat in guten Tagen, wo es einem ein gar angenehmes Gefühl ist, daß man so ein Christ ist, so lange der schändliche Pharisäer noch nicht aus dem Herzen hinausgefegt ist, der Pharisäer, der immer, wenn auch nur heimlich, betet: „ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, wie Der und Jener;“ so lange man seine Sünden, seine Gräuel nicht im Lichte des Geistes erkennt: so lange ist diese freie Gnade, dieses „ganz umsonst“ dem Herzen ein Abscheu. Soll denn, denkt man, meine Tugend ganz umsonst seyn? sie ist doch auch kein leerer Wahn! all' mein Beten und Singen soll umsonst seyn? bin ich denn nicht besser als andere Sünder? Oder wenigstens sieht man, wenn man meint, um die dritte Stunde in den Weinberg berufen zu seyn, scheel auf Diejenigen, die erst um die elfte Stunde berufen wurden, wenn sie auch einen Groschen empfangen wie die Andern, welche des Tages Last und Hitze getragen haben. Armer Sünder! steh' einmal still, besinne dich, siehe, dein Tugendkleid, dein Tugendwahn kann von dir genommen werden; oder meinst du, es könne dies nicht geschehen, du könnest dich in deine Tugend einhüllen? wie jenes unsinnige Sprüchwort sagt: „hülle dich in deine Tugend ein, wenn's stürmt.“ Meinst du, dein Tugendkleid könne nicht von dir genommen werden? Wenn du es dir durch die Gnade Gottes nicht nehmen lässest, so wird es durch den Zorn Gottes von dir heruntergenommen werden; Gott wird dem Teufel Macht geben, es von dir herunterzuziehen, und vor deinen Augen zu zerfetzen und zerreißen, dann wirst du dastehen in deiner natürlichen Blöße, und wirst nichts sehen als die Schande deiner Blöße. Vor den flammenden Augen Gottes können nur die bestehen, die ihre Kleider gewaschen und helle gemacht haben im Blute des Lammes. Glaube mir's, alle eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit, wenn's gleich nicht bloß Heuchelschein, sondern treu gemeint wäre, gilt nichts; wer die Gerechtigkeit Christi nicht ergriffen hat, der wird verdammt, und wenn er der Heiligste wäre. All' unsere eigene Gerechtigkeit, und wenn auch erlanget durch Kampf und Streit, ist nur Koth und Unrath in Gottes Augen; kein Selbstgerechter wird jemals taugen, er ist ein Fluch. Wer nicht wie der Schächer will selig werden, sondern durch sein eigenes Verdienst, der wird nicht hinein kommen.

Wenn aber Einer Alles gethan hat, was der Weltbrief ausweiset; wenn er gestohlen, gemordet, gehuret, die Ehe gebrochen, falsche Zeugnisse geredet, und gegen alle Gebote gehandelt hat, und es wird ihm geschenkt, daß er die Gnade ergreifen kann, die in Christo JEsu ist, so wird er selig. Ich sage es mit Bedacht, es wird ihm geschenkt; denn da könnten Viele kommen und glauben, man dürfe nur so schnell nehmen, und sprechen: ich will fortfahren im Sündigen; zuletzt ergreife ich dir freie Gnade. Nein, lieber Mensch, es muß dir geschenkt werden; und eben deßwegen mußt du darum bitten; man kommt nicht durch Faulheit und Trägheit des Fleisches zu dieser Gnade, wie Viele glauben. Kannst du aber aus deinem innersten Herzensgrunde sagen:

Der Grund, auf den ich gründe,
Ist Christus und Sein Blut,
Das machet, daß ich finde
Das ew'ge wahre Gut;

An mir und meinem Leben
Ist nichts auf dieser Erd',
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe werth.

Wenn du das in Wahrheit sagen kannst, so bist du los vom Satan, und der Strick ist entzwey.

Das schreib' dir in dein Herze,
Du hochbetrübtes Herr,
Bey denen Gram und Schmerze
Sich häuft je mehr und mehr.

Aber es möchte vielleicht Jemand fragen: wie komme ich zu dieser Gnade? wie mache ich's denn? Sehet, darauf antwortete uns unser Evangelium: „wie Viele ihn aufnahmen, denen gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Es ist ein so leichter Weg; den Heiland dürfen wir nur aufnehmen, das ist das Ganze, was wir zu thun haben, oder mit andern Worten: wir sollen an Ihn glauben. Aufnehmen sollen wir den Heiland, annehmen, was Er uns gibt: Er bietet uns Gerechtigkeit an, die sollen wir annehmen; Er bietet uns Frieden an, den sollen wir annehmen; Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben bietet Er uns an, dieß sollen wir Alles annehmen, und unsere Ungerechtigkeit, unsern Unfrieden, den Tod unserer Sünde und Eitelkeit dadurch verschlingen lassen, und sollen keine Miene machen, als ob wir Ihm für alle Seine Gaben etwas geben wollten, sondern wir sollen es annehmen, wie Kinder aus den Händen ihres Vaters Alles annehmen, und nichts dafür thun, als daß sie dankbar sind. Das ist das ganze Evangelium.

Wie Viele werden aber unter uns seyn, die wohl auch schon daran gedacht haben, daß nichts dazu gehört als ein kindliches, dankbares Herz? Wir machen uns unsern Weg selber schwer. Wie Viele werden da seyn, die schon Jahre lang ohne eine ganze Gewißheit der Gnade dahingehen? Lieber Mensch! Besinne dich doch! Wie lange ist es schon, daß du in einem heimlichen Gerichte dich befindest, daß du nicht hindurchdringen, und nicht Vergebung deiner Sünden erlangen kannst, daß du zu keiner Gewißheit kommst? Woher kommt diese Ungewißheit? Es möchte vielleicht die Ursache seyn, daß du deine Lieblingssünde nicht aufgeben willst; es kann aber auch noch einen andern Grund haben, es kann auch von deinem Unglauben herkommen, daß du diese Gnade nicht umsonst annehmen, daß du sie immer verdienen willst. Besinne dich! du traust es vielleicht Gott nicht zu, daß Er dir umsonst nach Seiner Gnade deine Sünden ausstreichen und sie dir vergeben könne, du traust Ihm nicht zu, daß Er barmherzig sey; du sprichst etwa: wenn ich nur Dieses oder Jenes hätte, dann wollte ich es glauben. Nein, nicht erst dann sollst du glauben, schon vorher sollst du glauben; du kannst die Gnade nicht verdienen durch eigene Gerechtigkeit! Thue einmal den großen Sprung von deiner eigenen Gerechtigkeit heraus, und in die Gerechtigkeit Christi hinein! es ist ein großer Sprung! Man meint, man falle hinunter in einen Abgrund; aber man fällt nicht hinunter, man fällt einem liebenden Vater an's Herz. Kommet, wir wollen es wagen, und diesen großen Sprung machen! kommet, wir wollen ausgehen von unserer Eigengerechtigkeit, und hinüberspringen in die Gerechtigkeit Christi!

Alle uns're Schuldigkeiten,
Die Gott an uns fordern kann,
Sind hinaus auf alle Zeiten,
Schon auf einmal abgethan;
Einer hat sie übernommen,
Alles steht in Richtigkeit,
Und seitdem der Bürg' gekommen,
Ist es nimmer Zahlungszeit.

Wie leicht ist der Weg! Nur annehmen dürfen wir den Heiland; der Weg ist so leicht, und wir meinen, er sey so schwer, und machen ihn so schwer.

Aber es könnte Einer denken: das ist doch zu leicht, da könnte es mir doch fehlen; wer bürgt mir da für meine Seligkeit? Es glauben ja alle Christen an Christum! auch die todten Maul- und Namen-Christen! Das ist allerdings ganz recht, gehet nur in der heutigen Christenheit von Haus zu Haus! Alle oder die Meisten werden sagen: ich glaube an Christus; aber zeige mir deinen Glauben mit deinen Werken! Es kommt nicht auf den Kopfglauben an, sondern auf den Glauben im innersten Herzensgrunde. Wenn es wirklich einer Seele recht zu thun ist um ihre Seligkeit, dieser sage ich: „glaube an den HErrn JEsum, so wirst du selig.“ Wenn sie aus innerem Bedürfniß, aus inwendiger Angst das Verdienst Christi ergreift, so sinkt sie nicht auf einen Sandgrund, sondern auf den Felsen nieder. Unser Glaube steht auf festen Gründen! das heutige Evangelium spricht: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bey Gott, und Gott (unser Heiland) war das Wort. Dieses Wort ward Fleisch und wohnete unter uns; Er kam in Sein Eigenthum, und die Seinigen nahmen Ihn nicht auf;“ Er litt, Er verschmachtete am Kreuz! Er fuhr auf gen Himmel, und hat dadurch die ewige Erlösung aufgeführt; unser Glaube steht auf einem festen Grund! wer kann ihn umwerfen? Der Satan hat ihn schon oft umstoßen wollen; aber ein Wörtlein kann ihn fällen; er konnte es nicht thun; auf Christo, dem Löwen aus dem Stamme Juda, auf dem Lamme; das da würdig ist, das Buch aufzuthun, und seine Siegel zu brechen, steht unser Glaube. Auf Christo steht mein Glaube! Wer auf Christum vertraut, der hat gewiß nicht auf Sand gebaut. Es steht in einem alten Liede:

Dieß Blut (Christi), der edle Saft,
Hat solche Stärk' und Kraft,
Daß auch ein Tröpflein kleine
Die ganze Welt kann reine,
Ja aus des Teufels Rachen
Kann los und ledig machen.

Sehet, das ist die Kraft des Verdienstes Christi, freie Gnade ist in Christo.

Das freut mich für Alle, die schon hinüber gegangen sind in die selige Ewigkeit; das freut mich für meinen seligen Vater, der so ganz allein auf das Verdienst Christi gebaut und getraut hat; das freut mich für alle meine Mitsünder, die bis jetzt noch ohne diese Gnade im Sündendienst dahin gegangen sind; sie dürfen sich nur hergeben, nur den Heiland aufnehmen, so wird ihnen die ewige Seligkeit und Alles, was Er durch Sein Blut erworben hat, geschenkt. O liebe Zuhörer! lasset uns doch Seine Gnade annehmen! Sollen Ihm denn Seine Wunden umsonst geschlagen seyn? sollen Seine Hände und Füße umsonst durchgraben seyn? soll es umsonst seyn, wenn Er im Propheten sagt: „ich halte meinen Rücken dar Denen, die mich schlugen, und meine Wangen Denen, die mich rauften, und mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel; denn der HErr hilft mir, darum werde ich nicht zu Schanden, darum habe ich mein Angesicht dargeboten als einen Kieselstein, denn ich weiß, daß ich nicht zu Schanden werde.“ Soll das umsonst seyn? Soll Seine Gerechtigkeit, die Er uns durch Sein Blut erworben hat, nichts gelten? Soll unsere Tugend, unsere elende Gerechtigkeit mehr gelten als Seine Gerechtigkeit? Oder wollen wir in der Sünde beharren, auf daß Seine Gnade desto mächtiger werde? Oder wollen wir wie der Schächer unsere Buße bis an den letzten Lebensodem anstehen lassen? O wer weiß es, wenn wir solches thun, ob wir es noch, wie der Schächer, durch die freie Gnade in's Paradies eingehen dürfen? Der HErr schenke doch Allen einen rechten Eindruck von Seiner Gnade in ihre Herzen; Er gebe es Allen in's Herz, daß die Zeit da ist, aufzustehen vom Schlafe; Er gebe uns Allen einen rechten lebendigen Stachel aus Seinem Leiden und Tode, damit wir aufhören, uns selber, unserer eigenen Tugend und Heiligkeit, zu leben; damit wir von nun an Ihm leben, der für uns gestorben und auferstanden ist; denn Ihm, dem Lamme, gebühret alle Ehre!

Hallelujah, Preis, Ehr' und Macht
Sey dem geschlacht'ten Lamm gebracht,
In dem wir sind erwählet!
Das uns mit Seinem Blut erkauft,
Damit besprenget und getauft,
(ach daß es doch bey Allen so wäre!)
Und sich mit uns vermählet!
Hallelujah! Gott, Heil'ger Geist!
Sey ewiglich von uns gepreist,
Durch den wir neu geboren!
(ach daß es doch bey Allen so wäre!)
Der uns mit Gaben ausgeziert,
Dem Bräutigam uns zugeführt,
(ach daß es doch bey Allen so wäre!)
Zum Hochzeitsfest erkohren!
Eja, Eja;
Da ist Freude,
Da ist Weide,
Da ist Manna
Und ein ew'ges Hosianna!

O wir dürfen Diejenigen beneiden, die schon eingegangen sind in die ewigen Hütten durch des Lammes Blut! sie sind beneidenswerth; denn da ist Freude, da weidet und leitet der gute Hirt' Seine Schafe zu den lebendigen Wasserbrunnen. Da ist Manna und ewiges Hosianna!

Ach, HErr JEsus Christus! Du großer Hoherpriester Deiner Gemeinde! der Du Dich in den Tod gegeben hast, um Deine Schafe zu erretten: wir danken Dir für Deine freie Gnade! Oeffne doch Allen unter uns die Herzen, damit sie Dich und Deine Gnade auf- und annehmen, und Dir leben! Durch Deine heiligen Wunden, durch Deinen blutigen Schweiß, durch Deinen Tod und Deine Auferstehung, durch Deine Himmelfahrt hast Du eine ewige Erlösung gestiftet für alles Volk! Habe Dank dafür! Ich danke Dir, daß Du meinen seligen Vater zur Erkenntniß Deiner freien Gnade geführt hast; ach, HErr Jesu! führe uns Alle ebendahin; treibe uns Allen den hochmüthigen Pharisäer hinaus, damit wir einst unter Denen seyn mögen, die Dir, dem geschlachteten Lamme, ewiglich Lob und Ehre bringen, damit wir Dir Alles, ja uns selbst weihen! Ja Lamm, du bist's gar, Du bist's gar! Amen.

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