Hofacker, Ludwig - Predigt am Sonntag nach dem Christfeste

Hofacker, Ludwig - Predigt am Sonntag nach dem Christfeste

Text: Luc. 2,15-20.

Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: lasset uns nun gehen gen Bethlehem, und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kund gethan hat. Und sie kamen eilend, und funden Beyde, Mariam und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Da sie es aber gesehen hatte, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und Alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte, und bewegete sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehreten wieder um, preiseten und lobeten Gott um Alles, das sie gehöret und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Das Geburtsfest des Heilandes ist ein Freudenfest. Dieß sehen wir auch aus unserem Evangelium, worin uns der fernere Verlauf der Christtagsgeschichte auf eine liebliche Weise erzählt wird. Wir vernehmen hier, wie die Hirten, denen der Engel des Herrn die Geburt des Heilandes verkündet hatte, sich sogleich nach jener himmlischen Erscheinung auf den Weg nach Bethlehem gemacht, und Maria und Joseph und das neugeborne Jesus-Kind gefunden haben, wie sie darüber in ein freudiges Lob Gottes ausgebrochen seyen, und das Wort, das zu ihnen von dem Kinde gesagt war, allenthalben zu Jedermanns Erstaunen ausgebreitet haben.

Liebe Zuhörer! Ich kann an die Freude, welche die Geburt des Sohnes Gottes bey Engeln und bey Menschen erregt hat, nicht denken, ohne zugleich einen Blick auf mich und euch zu werfen, ohne an mein und euer Herz die Frage zu richten: armes Herz, ist dir der Christtag auch zu einem solchen Freudentage geworden, wie etwa diesen Hirten, die doch gewiß viel unbekannter mit der unendlichen Wichtigkeit und dem eigentlichen Zwecke dieser Begebenheit waren, als du es bist? Der Christtag liegt nun hinter uns, und wir können aus unserer Erfahrung eine richtige Antwort auf diese Frage geben. Ich bitte in Jegliches unter uns, um einige Tage sich zurückzuerinnern, und sich selber die Frage vorzulegen: hat sich mein Herz am Christtage auch recht innig der Geburt Christi gefreuet? Hat die große Geschichte, daß Gott im Fleisch geoffenbaret und als ein Menschenkind geboren worden ist, bey mir das nämliche Freudengefühl hervorgebracht, wie bey den Hirten die himmlische Botschaft und das Finden des Heilandes in der Krippe zu Bethlehem, oder (damit ich euch auf etwas Anschaulicheres führe) wie bey meinen Kindern, oder den Kindern meines Nachbars, die paar Kleinigkeiten, die ihnen gekauft und auf den heiligen Christtag geschenkt worden sind? Ich weiß gewiß, daß die Meisten unter uns, wenn sie ehrlichen antworten sollen, nein! antworten müssen.

Was mag die Ursache seyn, daß die Meisten unter uns Alten sich der Geburt Christi nicht so sehr freuen konnten, als die Kinder sich ihrer Christgeschenke, die doch nur Erinnerungszeichen an jene große Begebenheit sind oder seyn sollen, gefreut haben? Man könnte vielleicht verschiedene Ursachen angeben, man könnte vielleicht sagen: die Menschen sind zu zerstreut, zu gedankenlos, zu sehr in's Sichtbare verloren, als daß sie sich über etwas, das sie nicht sehen, freuen sollten; man könnte vielleicht noch viel Anderes sagen, welches Alles wahr und gegründet wäre; - aber die Hauptursache dieser Stumpfheit liegt wohl darin, daß sie nicht wissen, daß es ihnen nicht offenbar ist im Herzen, was ihnen der Vater in Seinem Sohne geschenket hat; mit andern Worten, daß sie nicht wissen, was das Wörtlein Heiland in sich fasse, daß es ihnen nicht klar ist im Herzen, was das Wort des Engels bedeute: „euch ist heute der Heiland geboren.“ So lange man noch zum Gelde oder zu einem Schollen Erde spricht; du bist mein Trost; so lange man noch sein Vertrauen auf sich selber und seine Hoffnung auf seine eigenen Werke stellet, also noch sein eigener Heiland zu seyn meint; so lange man JEsum nicht ganz JEsum und Heiland seyn lässet: so lange kann man sich über die Geburt Christi nicht von Herzen freuen.

Da unser Evangelium eigentlich nur eine Fortsetzung des Christtags-Evangeliums ist, so will ich bey dieser Christtags-Betrachtung für dießmal stehen bleiben, und den Gedanken weiter entwickeln, daß nur dann unsere Christtags-Freude rechter Art und vollkommen werde, wenn uns JEsus ein JEsus, oder ein wirklicher wahrhaftiger Heiland und Seligmacher sey. ich will zu dem Ende vorerst zeigen, was es heiße, an JEsu einen Heiland haben; und dann, wie dieß zu einer ewigen und innigen Geistesfreude ausschlagen müsse. Damit ihr aber das, was ich euch sagen will, besser fassen könnet, so will ich es euch mit andern Worten und zwar in folgenden vier Sätzen vor die Augen stellen:

  • wir finden die Ursache unserer Seligkeit nicht in uns;
  • auch nicht halb in uns und halb in Christo; sondern
  • ganz und allein in Christo; und
  • nur, wenn uns Christus die alleinige Ursache unserer Seligkeit geworden ist, kommt wahre Freude an Ihm in unser Herz.

O wie weit ist unser armes Herz von Dir und Deiner Erkenntniß entfernt, einziger, vollkommener Heiland! Wie sind wir in unserem Eigendünkel verblendet und gefangen! Alles glauben wir eher von Dir als das, daß Du unser Heiland seyest, die einzige Ursache unserer Seligkeit! Zerstöre doch die Befestigungen unserer stolzen Vernunft und die gutgemeinten Einfälle und Vorsätze, die aus dem Fleische kommen, und Deine überschwengliche Erkenntniß aufhalten. Du weißest, daß wir ohne Deine allmächtige Hülfe auf ewig in unsern eigenen Gedanken, Wegen und Machwerken verdorren müssen. So thue Barmherzigkeit an uns, und hilf uns aus unsern Wüsteneyen heraus an die Heilsquellen, die in Dir allen Sündern eröffnet sind. Amen!

I.

Wir finden die Ursache unserer Seligkeit nicht in uns und unserem Thun, wir sind nicht und können nicht seyn unsere eigenen Heilande und Seligmacher. Dieß ist die erste Wahrheit, die wir betrachten wollen.

Man sollte freilich diese Wahrheit in einer christlichen Gemeinde nicht mehr abhandeln dürfen. Wofür hat Gott Seinen Sohn in die Welt gesendet, wenn nicht Christus, sondern wir selber Ursache unserer Seligkeit seyn sollen? Wofür feiert man einen Christtag, überhaupt ein christliches Fest, wenn wir durch unser eigenes Rennen, Wollen und Laufen die Seligkeit erobern können, wenn unsere Gerechtigkeit und Tugend zur Erlangung der Seligkeit hinreichend ist? Man braucht auch nicht eben sehr durch den Heiligen Geist erleuchtet zu seyn; ein Heide kann durch geringe Aufmerksamkeit auf die Spur kommen, man kann es zur Noth noch mit seinen Vernunftsaugen erkennen, daß unsere Gerechtigkeit höchst mangelhaft und jämmerlich ist, und vor dem heiligen Gott nichts taugt. Aber dessen ungeachtet ist diese Wahrheit doch eine weit und breit unbekannte Wahrheit..

Fraget ein Kind und sprechet: Kind! welche Kinder werden selig? welche Kinder kommen in den Himmel? Ihr werdet gewiß die Antwort erhalten: die guten, die artigen Kinder; die Kinder, die nicht eigensinnig, nicht ungehorsam sind. Fraget einen alten Sünder, einen groben Sünder, sprechet: Mensch! wodurch wird man selig? Wenn er ernsthaft antwortet, so wird er sagen: wenn man sich nach seinem Gewissen hält und thut, was recht ist. Fraget, wen ihr wollet; fast allenthalben werdet ihr die nämliche Antwort erhalten. Denn daß Einige sagen: man wird durch den Glauben an Christum selig, geschieht meistens nur aus obenhingeklebter Wissenschaft, die keine Wurzel in ihnen hat; wenn man weiter bey ihnen forscht, so findet es sich bald, daß sie die Seligkeit eben auch auf das Thun der Menschen setzen.

Aber du sprichst: sollte dieß eine so gar unvernünftige Meinung seyn? Antwort: das eben nicht; im Gegentheil, die Vernunft weiß von keinem andern Wege zur Seligkeit als durch ihre Tugend. Und wenn nur die Menschen, die so viel von diesem Wege reden, einmal anfiengen, ihn ernstlich zu betreten, so würden sie ja bald auf etwas Besseres kommen nach dem Spruch Christi: „wer da will den Willen Dessen thun, der mich gesandt hat, der wird erkennen, daß meine Lehre aus Gott sey.“ Unvernünftig ist also dieser Weg durchaus nicht, sondern vielmehr sehr vernünftig; aber nichts desto weniger können wir doch durch unser Thun nicht selig werden. Ich will euch die Ursache sagen, warum dieß unmöglich ist; sie ist ganz einfach folgende: weil wir Sünder sind, und mit aller Anstrengung die Gerechtigkeit in uns nicht zu Stande bringen können, die vor Gott gilt, und die Gott auch allein gelten läßt.

Liebe Zuhörer, wir haben vielleicht Manches an uns, das uns des Wohlgefallens der Menschen würdig macht; wir haben etwa eine menschliche bürgerliche Gerechtigkeit: aber eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, um welcher willen Gott ein Wohlgefallen an uns haben könnte, hat Niemand. Wenn ein Mensch nicht stiehlt, nicht raubt, nicht mordet; wenn ein Mensch ordentlich, fleißig, sparsam ist; wenn er Steuern und Abgaben recht entrichtet; wenn er kein Raufer, kein Weinsäufer, kein Tyrann gegen das Vieh und kein Plagegeist gegen seine Mitmenschen ist; wenn er ein stilles, eingezogenes Leben führt: so ist dieß wohl eine feine äußerliche Zucht; so haben vielleicht Menschen gerne mit ihm zu thun; seine Nachbarn, seine Hausgenossen, seine Freunde, die Obrigkeit; Alle, die ihn kennen, liebe ihn vielleicht: er hat eine bürgerliche, eine menschliche Gerechtigkeit; aber eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist das nicht; das Wohlgefallen Gottes kann er damit nicht verdienen. Und wenn er hingeht und steift sich auf diesen seinen guten Wandel, und meint, Gott werde ihn um so lieber haben, weil er sich bürgerlich gut aufgeführt, und legt sich wohl gar hin auf sein Todtenbett und spricht: ich kann ruhig in die Ewigkeit gehen, denn ich habe ein gutes Gewissen; so ist er ein Narr, der sich in seiner Eigenliebe und Blindheit selbst um seine Seligkeit betrügt.

Zu einer Gerechtigkeit, die vor Gottes Augen taugt, gehört mehr als ein bürgerlich gutes Leben. Sieh', lieber Mensch, wenn du mit deinem Verdienst vor Gottes heiligen Augen ausreichen wolltest: so müßtest du das Gesetz erfüllen und erfüllt haben; du müßtest, weil das ganze Gesetz in der Liebe Gottes und das Nächstes stehet, eine Liebe zu Gott und dem Nächsten haben, wie sie vom Gesetze gefordert wird. Das Gesetz sagt: „ du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüth, aus allen Kräften.“ Du kannst dir leicht einbilden, daß zu einer solchen Liebe Gottes nicht genug ist, hin und wieder an Gott denken, hin und wieder zu Gott beten, hin und wieder etwas fühlen in seinem Herzen, das aussieht wie Liebe oder Dankbarkeit gegen Gott; sondern zu einer solchen Leibe zu Gott wird erfordert, wie du in deinem Confirmationsbüchlein liesest: daß du Gott für das höchste Gut achtest, Ihm mit dem Herzen anhangest, immer in Gedanken mit Ihm umgehest, das größte erlangen nach Ihm tragest, das größte Wohlgefallen an Ihm habest, Ihm dich ganz und gar ergebest, und um Seine Ehre eiferst. Centnerschwere Worte; wer ist, der sich im Lichte dieser Wahrheiten für rein halten kann? Das Gesetz sagt ferner: „du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“ Du kannst dir wieder einbilden, daß zu einer Nächstenliebe, wo man den Nächsten lieben soll als sich selbst, nicht genug ist, seinen Nächsten nicht zu beißen oder zu fressen (Galat. 5,15.), sondern zu einer solchen Nächstenliebe gehört das, was wieder unser Confirmationsbüchlein sehr schön auslegt, wenn es sagt: „den Nächsten lieben heißt: es nicht nur mit demselben getreulich meinen, ihm alles Gute von Herzen gönnen und wünschen, mit Worten und Gebärden sich freundlich gegen ihn bezeugen, und mit Trost, Rath und That ihm beyspringen; sondern auch seine Schwachheit mit Geduld ertragen, und durch sanftmüthige Bestrafung seine Besserung suchen.“ Es prüfe sich doch ein Jegliches nach diesen Worten, und sehe zu, wie viel eigene Gerechtigkeit und Tugendruhm ihm noch übrig bleibe. Und siehe, wenn du auch finden solltest, daß du dieses Alles gehalten habest: so würde zu einer Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, noch überdieß erfordert, daß solches Alles bey dir geflossen wäre und flöße aus einem freiwilligen Geiste; daß diese Gesetzeserfüllungen aus deiner Natur sich so natürlich hervorgetrieben hätten, wie sich bey sonst günstigen Umständen aus einem Traubenstock Trauben hervortreiben. Man darf es ja dem Traubenstock nicht befehlen, daß er soll Trauben und keine Holzäpfel tragen; er thut es von selbst; es ist seine Natur, Trauben zu tragen; siehe, so müßte es auch deine Natur, deine Lust, ein Ergebniß deiner innersten Lebenstriebe gewesen seyn, Gott und den Nächsten völlig und ganz zu lieben, wenn du dadurch solltest eine Gerechtigkeit vor Gott zuwege bringen. Ja, noch mehr, zu einer Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, würde auch das erfordert, daß du in deinem ganzen Leben, von dem Augenblicke, wo du angefangen hast zu denken, bis in deinen letzten Athemzug hinein, niemals, auch mit keinem Gedanken, dich gegen das Gesetz der Liebe Gottes und des Nächsten verfehlt hättest. Nur unter diesen Bedingungen hättest du das Gesetz erfüllt, und nur dann hättest du eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; nur dann könntest du durch dich und dein Thun selig werden. Eine solche Gerechtigkeit aber hat kein Mensch; nur Christus hat sie, sonst Niemand; darum kann Niemand sein eigener Heiland und Seligmacher seyn.

Aber du sprichst: diese Forderung ist zu hoch; wenn ich die Forderung nicht so hoch stelle, so kann ich mir doch einen Menschen denken, welcher durch seine redliche Anstrengung sich in dem Thun des Willens Gottes so sehr geübt und in Gottähnlichkeit hineingeschwungen hätte, daß er der Seligkeit würdig wäre. Ich antworte: diese Forderungen macht das Wort Gottes und dein eigenes Gewissen, wenn du auf seine Stimme hören willst; sie sind also nicht zu hoch. Willst du aber nicht nach dem Maaßstabe der heiligen Schrift und der Erfahrung denken: so magst du dir in deiner Einbildung allerdings ein Bild von einem Menschen zusammentragen, der nicht nur erst sich in Gottähnlichkeit hineingeschwungen hätte, sondern von Natur schon engelrein wäre; aber siehe, es ist dann eben ein Bild, das du in der Wirklichkeit nirgends antrifft, ein Lügenbild, ein Phantasiestück. Daher kommt das jämmerliche Tugendgeschwätz der blinden Blindenleiter; daß sie hinsitzen, und sich in ihrem Kopfe allerhand Bilder ausmalen von sich selber und vom Menschen, wie er sey und seyn sollte; dabey aber nicht auf ihr eigenes Thun und Herz merken; - so gebären sie natürlich eine hochmüthige Lüge um die andere.

Also sollte es aus seyn, sprichst du, mit dem Verdienste meiner Tugend? Das soll mir also nichts austragen bey Gott, daß ich unsträflich gelebt habe von Jugend auf? Ich habe mich immerdar vor Sünden gehütet; ich habe mich jederzeit der Redlichkeit beflissen; ich habe mich in der Nächstenliebe geübt; ich bin meinem Nächsten mit Rath und That beygesprungen; ich bin kein Räuber, kein Mörder, nicht wie dieser oder jener Zöllner gewesen: soll mir das nichts austragen zu meiner Seligkeit? Antwort: Nichts, gar nichts! Ohne Verdienst mußt du gerecht und selig werden, aus lauter Gnade, wie der gottloseste Zöllner. Aus ist's, ja ganz aus mit dem Verdienste der eigenen Tugend, womit sich die hochmüthigen Sünder brüsten, sie gilt nichts vor Gott; sie mag in den Augen der Menschen gelten: aber vor Gottes Augen nicht; sie ist mit Sünde und Unreinigkeit durchzogen; sie ist in ihrer ersten Quelle vergiftet; sie fließt nicht aus lauterer Liebe zu Gott und dem Nächsten, sondern aus allerhand Gesuch der eigenen Ehre, des eigenen Vortheils, des eigenen Vergnügens, häufig aus der allerboshaftesten Feindschaft gegen Gott und JEsum, welchem man sich entgegenstellen will als selbststark, als selbstgut, als selbstheilig, mit Einem Worte: mit der eigenen Tugend und ihrem Verdienste vor Gott ist es aus, weil sie das Gesetz nicht erfüllt, und größtentheils aus der Lüge kommt. Aber die eigene Tugend und das Verdienst der Tugend - das ist nichts, und die Hoffnung darauf ein Greuel vor Gott. So sage nicht ich, sondern der Herr (Matth. 5,20. Joh. 3,36. Röm. 3,28. 4,5. u.s.w.).

Wir finden die Ursache unserer Seligkeit nicht in uns; aber auch nicht

II. halb in uns und halb in Christo;

In diesem Irrthume, daß sie die Hoffnung ihrer Seligkeit halb auf sich, halb auf Christum gründen wollen, sind viele Menschen gefangen. Ich will nicht von Denjenigen sagen, welche aus Christo einen bloßen Lückenbüßer machen, welche sagen: es ist wahr, Christus hat uns erlöst; aber nur in so ferne, daß der Mensch das Seinige thue, und für das Uebrige, das noch rückständig ist, das er nicht thun kann, Christus mit Seinem Verdienste eintrete. Wer so spricht, der ist noch blind am Geiste, und kennt weder die Verdorbenheit der menschlichen Natur, noch auch das Verdienst und die Liebe Christi. Aber es gibt auch gutmeinende, erweckte Seelen, welche in dem elenden Wahne stehen, daß das Verdienst Christi nicht der einzige Grund unserer Seligkeit sey, sondern daß von unserer Seite noch Vieles dazu müsse beygetragen werden. Sie denken: wenn ich einmal so und so seyn werde; wenn ich einmal werde von meinen Sünden gereinigt seyn; wenn ich einmal keine Sünde mehr begehe; wenn ich einmal das Leben aus Gott recht in mir spüre, dann will ich hoffen, selig zu werden; so lange aber diese Dinge nicht bey mir zutreffen, kann ich keine gegründete Hoffnung haben. Sie setzen also, daß ich es kurz sage, ihr Vertrauen und ihre Hoffnung auf das Werk, das Gott durch Christum in ihnen anrichten will oder soll, nicht auf das Verdienst Christi außer ihnen. Dieß ist aber verkehrt, so vernünftig es auch aussehe.

Es liegt dieser Ansicht, wenn man es recht betrachtet, der nämliche falsche Vernunft-Gedanke zu Grunde, wie der falschen Meinung, die wir im ersten Theile betrachtet haben: man will eben durch das Gesetz gerecht werden; man will, freilich mit Hülfe Christi und Seiner Kraft, einen Zustand in sich zuwege bringen, der des Wohlgefallens Gottes würdig wäre, und dann will man glauben, daß dieses Wohlgefallen auf Einem ruhe. Zu einem solchen Zustande läßt aber Gott die Sünder nicht kommen; wehe dem Menschen, welcher endlich meint, sich in einen solchen Zustand hineingeschwungen zu haben! Ein Solcher ist aus der Gnadenzucht des Heiligen Geistes gefallen, und nahe am Gericht der Verstockung! Nein! einem solchen Gesuche liegt eine tiefverborgene Hoffart des Herzens zu Grunde, - man möchte gerne seine Seligkeit darin finden, daß man sich in seinem eigenen Bilde spiegeln könnte, - Gott aber widerstehet den Hoffärtigen.

Weil Er nun dieses thut: so muß eine solche Seele, die in diesem Irrwahne gefangen ist, wenn sie es redlich meint, ein jämmerliches Christenthum führen; sie kommt zu keinen gewissen Tritten. Wie geht es? Wenn sie meint, sie habe sich einen Tag lang gut gehalten, so ist sie vergnügt, und denkt: nun bist du doch dem Ziele deines Strebens um ein Gutes näher gerückt; das Wohlgefallen Gottes ruht auf deinem Gehorsam; kann sie sich aber dieses Zeugniß nicht geben, so ist sie verzagt. Das eine Mal ist sie im Himmel, das andere Mal in der Hölle; das eine Mal im Glauben, das andere Mal flieht sie vor Ihm. Das ist ein elend jämmerlich Treiben,

Darunter das Herze sich naget und plaget,
Und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget.

Man denkt, wenn ich nur den Geist des Gebets hätte, wenn ich nur auch in der Gegenwart Gottes bleiben und aushalten könnte, dann wäre es gewonnen. Nun strengt man sich an; man martert sich ab; man will es erzwingen; es gelingt vielleicht einmal einen Tag lang. Nun ist man fröhlich; nun hat man es doch gefunden; nun achtet man sich stark und ist ein ganzer Christ; und möchte schon ein wenig auf Andere, die es nicht so treiben können, herabsehen. Aber warte nur, liebe Seele, morgen geht es vielleicht aus einem ganz andern Tone bey dir. Man hat es erzwungen einen Tag lang; man hat sich beruhigt zu Bette gelegt, man wacht des Morgens auf; man sucht sich im Geiste zu erneuern; man will es treiben wie den Tag zuvor; da kommt dieses, da kommt jenes dazwischen, es geht nicht; man wird verlegen, irre an sich selbst und am Heiland, - und so hoch man den Tag zuvor gestanden hatte, so tief liegt man den Tag darauf im Staube. Ein Anderer will die Hoffnung seiner Seligkeit auf allerhand innere Erleuchtungen, Begnadigungen, Erfahrungen der freundlichen Nähe des Heilandes gründen, will diese inneren Erfahrungen zu dem Grunde machen, der den Anker seines Glaubens ewig halten soll. Aber wie geht es? Er kann vielleicht heute in einem solchen freudigen Glauben stehen, daß Leib und Seele sich freuen in dem lebendigen Gott, welches eine große Gnade ist; aber wenn du heute die Liebe Gottes so empfindlich schmecken darfst, so folgt nicht daraus, daß es morgen oder nach einem halben Jahre ebenso in deinem Herzen seyn müsse. Gott kann dich vielleicht in eine innere Wüste und Dürre führen; du kannst dich vielleicht selbst, durch die Argheit und den Leichtsinn deines Herzens, elend in die Finsterniß hineinarbeiten: sage, was soll dann deinen Anker halten, wenn dir das Angesicht Gottes verborgen ist? Ja! dann wird man confus; man hat seinen Grund verloren; man macht den Schluß: weil ich die Freundlichkeit Gottes nicht spüre, so hat Er keine Friedensgedanken über mich, man ist in Gefahr, einen jämmerlichen Schiffbruch zu leiden.

Sehet, liebe Zuhörer, wir Menschen sind als solche einem beständigen Wechsel unterworfen; denn wir leben in dieser armen, den Elementen unterworfenen Welt. Heute ist es nicht wie morgen, und morgen nicht wie heute. Es ist ein Wechsel in unserem Inwendigen wie in der äußeren Natur, wo heiteres und trübes Wetter, Sturm, Regen, Wolken, Schnee, Sonnenschein mit einander abwechseln. Wenn nun Jemand an einem warmen, schönen Sommertage sein Haus abbrechen, und seine Wohnung unter einem Baume aufschlagen würde, und würde sagen: ich will hier bleiben; hier will ich ewig wohnen; der Himmel ist ja ganz heiter; es ist kein kühles Lüftchen da: was würden wir von einem solchen Menschen denken? Wir würden denken: dem Menschen fehlt es im Kopfe: wir würden zu ihm sagen: armer Mensch! was beginnest du! denkst du nicht daran, daß auf den Tag die Nacht, und auf das heitere Wetter Regenwetter, und auf den Sommer der Herbst und Winter folgt? Aber die nämliche Thorheit begehen diejenigen, welche den Grund ihrer Seligkeit in der Heiterkeit ihres Gemüths, in allerhand Begnadigungen, in allerhand Erquickungen, oder gar in ihrer christlichen Liebe, in ihrem Eifer im Beten und Wachen u.s.w. suchen und denken: es ist ganz anders mit dir geworden; darum kannst und darfst du glauben, daß du wirst selig werden. O, auf welch' seichtem, veränderlichem Grunde bauen solche Seelen! Unser Herz bleibt sich nicht gleich; es wird auch Winter im Herzen; es kommen auch Wetter; es kommen allerhand Ungestüm; es kommen Anfechtungen, Finsternisse; es ist nicht ein Tag wie der andere; da muß man etwas Festeres haben, auf das man sich verlassen kann, als nur den heiteren Himmel.

Und saget selbst, sind denn nicht die höchsten Gnadenbezeugungen Gottes, sind nicht unsere besten, vom Geiste Gottes gewirkten Werke mit Sünde und Unreinigkeit von unserer Seite vermischt? Wer will etwas Reines bey den Menschen finden? Wenn dir Gott Seine Gnadensonne in das Herz scheinen lässet, regt sich dann niemals etwas Ungerades dabey? Welche eigenliebigen Bilder und Gedanken schießen oft bey den besten Sachen durch das Herz? Was muß man nur oft inne werden, wenn man im Gebete vor Gott liegt, welches doch gewiß ein edles Werk ist! Wie leicht und unversehens werden die Gedanken, während das Herz nach Gott schreiet, nach dem lebendigen Gott, auf andere, oft sehr unpassende, oft sogar sündliche Sachen hinweggeführt. Luther hat von sich bekannt, daß er sich nicht getraue, ein Vaterunser zu beten ohne dazwischen laufende, fremdartige Gedanken. Wenn aber dieß nicht geschieht, und du kannst vielleicht im Geiste und mit Inbrunst beten, stellt sich dann nicht zuweilen noch während des Gebets der eigenliebige Gedanke in den Hintergrund deiner Seele: jetzt kannst du es, dieß Mal machst du es gut; oder vielleicht gar: es wäre der Mühe werth, daß Jemand dir zugehört hätte? Ist es dir noch nie geschehen, daß du vielleicht, eben nachdem du in deinem Kämmerlein gebetet, und von deinem Vater Vergebung der Sünden erfleht und empfangen hattest, herausgegangen bist unter deine Hausgenossen, und hast wollen den oder jenen von deinen Mitknechten würgen und sprechen: bezahle mir, was du mir schuldig bist? Vielleicht hat die Gnade den Ausbruch deiner Unbarmherzigkeit verhindert: aber es ist doch in deinem Herzen gelegen.

O, wir armen, elenden Sünder, wir durch und durch verdorbenen Leute, die wir nicht tüchtig sind, etwas Gutes zu thun als aus uns, und das Gute, das Gott in uns wirken will, beschmutzen und verunreinigen, - was für eine Thorheit begehen wir, wenn wir die Hoffnung unserer Seligkeit auf das Reinste und Beste, was in uns ist oder vorgeht, setzen wollen! Rein! wir müssen unsern Anker tiefer werfen, sonst wird uns der Sturm in die offene See treiben, und wir werden endlich Schiffbruch leiden.

Jenes Lied sagt:

Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält;
Wo anders, als in JEsu Wunden? da lag er vor der Zeit der Welt,
Der Grund, der unbeweglich steht, wenn Erd' und Himmel untergeht.
Es ist das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt,
Deß, der mit off'nen Liebes-Armen so gnädig sich zu Sündern neigt,
Dem jedes Mal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht.

III.

Dieses Erbarmen aber liegt nicht in uns, sondern außer uns in Christo. „Gelobet sey Gott und der Vater unsers HErrn JEsu Christi, der uns nach Seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung!“ - Wodurch? durch unsere Gerechtigkeit oder Frömmigkeit oder Heiligkeit? Nein! durch die Auferstehung JEsu Christi von den Todten, durch das, was schon vor 1800 Jahren an Christo geschah, und auch uns noch angehet! Gelobt sey Gott, daß Er uns erlaubt, unsern Hoffnungs-Anker in den ewigen Grund zu senken, der immerdar besteht, und - wie der Apostel Petrus (doch nicht nur Petrus, sondern alle Apostel) sagt, „unsere Hoffnung ganz und lauterlich auf die Gnade zu setzen, die uns angeboten ist in Christo JEsu.“

Gott sahe wohl unser Elend, unsere Schwachheit, unsern Unglauben, unsere Unbeständigkeit: Er wußte wohl, daß es bey uns niemals rein und heilig zugeht, auch wenn es uns der redlichste Ernst damit ist. Darum hat Er Christum vorgestellet zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben, zu einem ewigen Gnadenstuhl. Sehet JEsum an, dessen Geburtsfest wir vor einigen Tagen gefeiert haben; sehet dieses Kind an. In Ihm ist die Gnade offenbar geworden; dieses Kind ist die Vergebung der Sünden; dieses Kind ist die Gnade; dieses Kind ist die Seligkeit und die Hoffnung darauf. Von diesem Kinde, das dann ein Knabe, ein Jüngling, ein Mann wurde, das dann litt, blutete und starb, können wir nichts hinwegthun; von dieser ganzen großen That der Liebe Gottes können wir nichts hinwegthun durch unsere Untreue, durch unsere Unbeständigkeit: aber auch nichts dazu thun durch unsere guten Sachen, die wir haben oder zu haben meinen. JEsus, wie Er in der Geschichte dasteht, bleibt JEsus, wir seyen, wie wir seyen; das Leben, Leiden, Sterben, die Auferstehung, die Himmelfahrt Christi ist in die Geschichte eingezeichnet, etwas Geschehenes, das nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, ist eine ewige Zuflucht, eine tägliche Zuflucht, eine bleibende, gewisse, unwandelbare Zuflucht aller armen Sünder.

Wenn also ein Mensch selig werden will, so muß er sein Vertrauen bloß und lauterlich auf Christum und auf das Werk, das Christus für die Menschen, Seine Brüder, vollbracht hat, stellen. Er darf von nichts Eigenem mehr etwas wollen; er darf nicht meinen, als ob der Vater noch etwas Anders annehme als Christum; er darf keinen andern Grund wissen, warum er sollte von Gott gehört werden, als Christum; er muß alle seine guten Werke, und wenn es die heiligsten wären, für Schaden und Koth achten lernen; er muß als ein Gottloser an Den glauben lernen, der die Gottlosen gerecht machet um Christi willen. So Jemand diesen Weg einschlägt, so wird er gewiß des Friedens Gottes theilhaftig werden. Aber diesen Frieden Gottes darf er dann wieder nicht zu einem Grunde seiner Hoffnung machen, sondern er muß, wenn er auch Frieden mit Gott gefunden hat, wieder keinen andern Grund des Wohlgefallens Gottes, oder seiner Freudigkeit im Gebete wissen als das Verdienst Christi. So stirbt man immer mehr der eigenen Gerechtigkeit ab, und wird in den Schmuck der Gerechtigkeit JEsu eingekleidet; so lernt man die in Christo dargebotene Hoffnung immer fester ergreifen; so wird man geheiligt an Leib und Seele, denn so wird der Name Gottes in uns geheiligt, wenn Er uns Alles ist; so dringt man immer tiefer ein in die Gemeinschaft Gottes, und wird fruchtbar an guten Werken, weil die Kraft Gottes in den Schwachen mächtig ist. Aber Alles dieses ist dann wieder nicht der Grund unserer Seligkeit, sondern das Verdienst Christi ist und bleibt die einzige, die ewige Ursache.

Unsere Gerechtigkeiten (steht in einem alten Liede)
Wachsen nicht mit uns'rer Kraft,
Weil ihr Grund vor allen Zeiten
In dem Opfer Jesu haft't.

Dieß heißt mit andern Worten: der heiligste, der gefördertste Christ hat darum keine gegründetere Ansprache an die Seligkeit als der Sünder, der heute Gnade findet und Vergebung. Das Lamm, das geschlachtet ist; - was vor Grundlegung der Welt im Rathe der Gottheit beschlossen, und vor 1800 Jahren von Christus hinausgeführt und vollendet worden ist, das ist und bleibt die einzige Ursache unserer Seligkeit in alle Ewigkeiten.

Nur Christus ist's, was uns durchbringt, liebe Zuhörer! Sein Leben muß es thun, nicht mein Leben; Seine Liebe, nicht meine Liebe; Seine Geduld, nicht meine Geduld; Sein Gebet thut's, nicht mein Gebet. Eines muß uns durchbringen, uns Alle, einen Petrus so gut als den Schächer, der am kreuze den Lohn seiner Missethaten empfängt. die heilige Mutter JEsu so gut als die Sündern, die zu den Füßen JEsu um Gnade weint. - Eines muß uns durchbringen, uns Alle, nämlich, daß ein Lamm ist, das auf die Welt kam, und sich schlachten ließ für das Leben der Welt. Das muß uns durchbringen, nicht nur einmal, sondern alle Tage; täglich muß man von sich ausgehen, und das Leben in Christo suchen, täglich dasselbige umsonst und als Geschenk aus der in Christo eröffneten Gnadenfülle annehmen. So glaubt man sich durch mit dem Verdienst Christi durch alle Finsterniß, durch alle Schwachheit, durch das tägliche Elend und Gefühl der Sünde; man glaubt sich durch bis vor den Thron Gottes, und weiß vor dem Throne Gottes keinen andern Grund, warum man selig ist, als Christus; wie jenes Lied sagt:

Ja! das werde ich zu JEsu Füßen
Mit ew'ger Beugung bekennen müssen,
Weil's Wahrheit ist:
Lamm! Dein Blutvergießen und bitt'res Leiden
Und Dein am Kreuze für mich Verscheiden
Hat mir's verdient.

Glaubet nicht, liebe Zuhörer, daß dieser Weg zu leicht sey. Dieser Weg ist wahrlich für die Natur ganz unzugänglich; nur der Geist der Wahrheit kann durch allmächtige Kraft einen Sünder auf diesen Weg bringen und darauf erhalten. Hier mußt du verläugnen deine besten Werke, deine besten Meinungen, alle deine eigenen Machwerke, ja dich selbst, damit JEsus Seine Ehre als JEsus behalte. Ein schwerer, ja ungangbarer Weg für hochmüthige Sünder und Vernunftgeister; aber gangbar für an sich selbst verzagende arme Sünder, für Unmündige, für Kinder!

Aber du sprichst: das möchte ich wohl glauben; aber wie mache ich es, daß ich aus meinen eigenen Wegen mich heraus und in diesen seligen Stand hineinfinde? Antwort: dieß kann freilich weder ich noch du; auch hiezu muß die JEsus wieder ganz und allein verhelfen, denn Er ist ein vollkommener Heiland, in allen Stücken Heiland. Wolle dir nur nicht mehr selbst helfen; höre nur auf, den Glauben erzwingen zu wollen; wolle nur keine eigene Gerechtigkeit mehr aufrichten; lasse nur deine Hand kraftlos sinken, denn du schaffest doch nichts, aber gib dem Heiland die Ehre, daß Er ein solch' vollkommener Heiland aller Sünder sey, der dir helfen könne und wolle, und warte auf Seine Hülfe und seufze darum. Laß dich deine Sünde und Sündigkeit nicht abschrecken, auf Ihn zu blicken; seufze zu Ihm, so gut du kannst; erzähle Ihm deinen Schaden: aber wolle ihn nur nicht mehr selbst heilen. Ehe du dich es versiehst, wirst du deinen Anker auf die ewige Gnade werfen können, und dein Anker wird Grund fassen.

IV.

Es wird kaum nöthig seyn, liebe Zuhörer, euch noch etwas darüber zu sagen, mit welch' großer, mit welch' unaussprechlicher Freude ein Herz sich JEsu freut, das in Ihm auf die beschriebene Weise seinen Heiland anbetet. Da wird der Dank mitten aus dem Gefühle des Elendes und der sündlichen Schwachheit herausgeboren, da hat man Stoff zum Danke und zur Beugung alle Tage, wie viel mehr an einem Christtage oder einem andern Feste, das dem Andenken an den Heiland geweiht ist. Da heißt es wohl im Herzen: wie soll ich dich empfangen? wie soll ich Dir begegnen, Du Schönster, Du Größter, Du Anfänger und Vollender, Du meine einzige Gerechtigkeit, meine einzige Seligkeit, Du, Liebe, Du! Und eben darin liegt ein Hauptgrund, warum der größte Theil von uns am Christfeste kein Freudenfest feiert, weil den Meisten unter uns die Gerechtigkeit Christi noch ist als ein versiegeltes Buch; weil wir noch auf gröbere oder feinere Weise unsere eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachten, und die Gerechtigkeit nicht kennen, die vor Gott gilt, welche JEsus heißt. Darum hauptsächlich sind wir so elend im Geiste, so leer, so trocken, so freude- und friedelos, so undankbar gegen die ewige Liebe, die Mensch wurde, und ihr Leben für uns gelassen hat.

O erbarmungsreicher Heiland! vergib uns diese große Schuld, die aus unserer eigengerechten Blindheit entspringt. Du weißest, daß wir ewig in unserer Thorheit bleiben müssen, wo Du uns nicht die Augen aufthust, daß wir unsere Schnödigkeit sehen und Deine Gerechtigkeit. Großer Erbarmer! öffne uns die Augen! Hilf uns aus unserer Schwachheit und Verwirrung heraus zum Leben im Glauben des Sohnes Gottes. Werde nur nicht müde an uns um unseres Unverstandes willen, womit wir allezeit Dein Licht aufhalten, sondern mache Deine Züge kräftiger, je unbehülflicher wir uns gebärden, auf daß Du uns überwindest.

O Gottes-Lamm! mein Element
Sey einzig Dein Erbarmen,
Dein Herz, das nach mir wallt und brennt
Mit off'nen Liebesarmen,
Dein Blut, das von dem Kreuze floß,
Und alle Welt mit Heil begoß.

Ich weiß von keinem andern Trost;
Ich müßt' in Sünden sterben;
Der Feind ist wider mich erbost:
Die Welt will mich verderben,
Mein Herz ist unrein, blind und todt;
O tiefes Elend, große Noth!

Die eigene Gerechtigkeit,
Das Thun der eig'nen Kräfte
Macht mir nur Schand' und Herzeleid;
Verzehrt des Lebens Säfte;
Wohlan! es ist kein and'rer Rath
Als der, der Dein Erbarmer hat.

Das versiegle Du in uns allen, o JEsu! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hofacker/hofacker-predigt_am_sonntag_nach_dem_christfeste.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain