Hofacker, Ludwig - Predigt am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis

Hofacker, Ludwig - Predigt am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis

Der Hochmuth

Text: Luc. 14,1-11.

Und es begab sich, daß JEsus kam in ein Haus eines Obersten der Pharisäer, auf einen Sabbath, das Brod zu essen; und sie hielten auf Ihn. Und siehe, da war ein Mensch vor Ihm, der war wassersüchtig. Und JEsus antwortete und sagte zu den Schriftgelehrten und Pharisäern, und sprach: ist’s auch recht auf den Sabbath zu heilen? Sie aber schwiegen stille. Und Er griff ihn an, und heilete ihn, und ließ ihn gehen. Und antwortete und sprach zu ihnen: welcher ist unter euch, dem sein Ochs oder Esel in den Brunnen fällt, und der nicht alsbald ihn herauszieht am Sabbathtage? Und sie konnten Ihm darauf nicht wieder Antwort geben. Er sagte aber ein Gleichniß zu den Gästen, da Er merkte, wie sie erwähleten, oben an zu sitzen, und sprach zu ihnen: wenn du von Jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht oben an, daß nicht etwa ein Ehrlicherer, denn du, von ihm geladen sey, und sodann kommt, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: weiche diesem, und du müssest dann mit Scham unten an sitzen. Sondern wenn du geladen wirst, so gehe hin und setze dich unten an, auf daß, wenn der da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: Freund, rücke hinauf. Dann wirst du Ehre haben vor Denen, die mit dir zu Tische sitzen. Denn wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden.

„Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden, und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden“. So endet der Abschnitt der evangelischen Geschichte des heutigen Sonntags. Der Heiland hat diese Worte ausgesprochen. Veranlassung dazu hatte Ihm gegeben das eigenliebige Betragen der Pharisäer, die bey dem Gastmahle erwählten, oben an zu sitzen. Sie drängten sich hinauf, und Jeder richtete sein Auge auf den ersten Platz, ihn einzunehmen. Woher das? Antwort: Ein Jeder meinte, er sey der Würdigste, diesen Ehrenplatz einzunehmen. Sehet, welche Lüge! Es waren mehrere Pharisäer beysammen; von diesen Allen konnte der Wahrheit nach nur Einer der Vorzüglichste seyn, und doch wollte ein Jeder der Vorzüglichste seyn. Dieß ist unmöglich. So kommt der Hochmuth aus einer falschen, lügenhaften Einbildung, die der Mensch aus sich selber hat. Die Lüge und der Hochmuth hängen auf’s Genaueste mit einander zusammen. Dieß will ich weiter ausführen, indem ich euch vorstelle:

Den Hochmuth,

wie er

  • I. aus der Lüge komme;
  • II. die Lüge gebäre;
  • III. geheilt werde.

Demüthigster JEsu! schenke uns hochmüthigen Sündern etwas von Deiner Demuth. lehre uns aus Gnaden den Hochmuth unsers Herzens erkennen, und welch’ ein Greuel er sey vor Dir, so wird uns dieß demüthigen. Amen!

I.

Von Natur sind wir Alle hochmüthig. Dieß glauben Viele nicht von sich. Es gibt Leute, die ein stilles Gemüth haben von Natur; die nicht gerne Krieg oder ein großes Geschrey in der Welt anfangen; die sich um des lieben Friedens willen Manches gefallen lassen, sich bücken und schmiegen. – Solche Leute glauben nicht, daß sie hochmüthig seyen, wenn der Geist der Wahrheit sie nicht eines Andern überzeugen, und ihnen nicht den zwar stillen, aber doch oft nur desto tieferen Stolz ihres Herzens vor die Augen stellen kann. Auch ist Mancher in einer äußeren Lage, wo er meint, er könne Alles eher seyn und werden als hochmüthig: - er ist arm, von niedrigem Stande; er muß sich sein Leben lang durch diese Welt kümmerlich durchschlagen, - die reichen Leute, meint er, die vornehmen, die angesehenen Leute, diese können etwa schon hochmüthig seyn, er aber nicht, er habe ja gar keine Ursache dazu. Allerdings hast du keine Ursache dazu, armer Mensch, so wenig ein Reicher Ursache zum Stolz hat; aber siehe, dieß macht’s noch nicht, daß du nicht solltest unter deinem groben oder zerrissenen Rock ein hochmüthiges Herz haben. Sage doch, warum richtest du Andere so gerne, wenn du nicht hochmüthig bist, oder gibst du nicht damit, daß du die Fehler anderer Menschen so scharf beurtheilst, zu erkennen, daß du dich nicht für viel besser hältst denn sie; und ist das nicht Hochmuth? Oder: thut es dir nicht wohl, wenn du von Andern gelobt wirst? Und thut es dir nicht zuweilen wehe, wenn ein Anderer neben dir, deiner Art, deines Standes, so herausgehoben wird, daß du dadurch könntest in den Schatten gestellt werden? Siehe, dieses Wehethun heißt man Neid, und dieser Neid entspringt aus dem Hochmuth deines Herzens. Und wenn man auf nichts Aeußerliches stolz seyn kann: so zieht man sich in sich selber zurück, und setzt seinen Ruhm desto mehr in innere Eigenschaften und Vorzüge. Ich bin rechtschaffen; ich bin ehrlich; ich bin brauchbar; ich bin ein geschickter Bauer, Handwerksmann, Weingärtner, Taglöhner; wo ich noch gewesen bin, da hat man mich gerne gehabt; man konnte mir auch niemals etwas Böses nachsagen, - siehe das sind auch hochmüthige Gedanken. Etwas will der Mensch haben, dessen er sich rühmen kann, und ist Einer der allergrößte Bösewicht, so setzt er zuletzt seine Ehre darein, daß er es in der Bosheit sehr weit gebracht habe. So hochmüthig sind wir von Natur, wir Alle, Alle, wenn uns der Heiland nicht demüthig macht.

Vor dem Falle war der Mensch nicht hochmüthig. Kein Gedanke von Selbsterhebung stieg in seiner Seele auf; einfältig wandelte er vor den Augen Gottes wie ein Kind; er gieng dahin in Unschuld, in Einfältigkeit seines Herzens, in der Abhängigkeit von Gott, in seligem Gehorsam, und dachte nicht daran, daß es anders seyn sollte. Da trat Satan, der erste und hochmüthige Sünder, zwischen Gott und die Menschen, und log. Er suchte im Menschen die Lust nach einem andern als seinem gegenwärtigen Zustande. „Du wirst nicht sterben, wenn du von dem Baume issest, sondern du wirst seyn wie Gott.“ Sehet da den Lügner! Gott hatte gesagt: „welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.“ Satan sprach: nein! du wirst nicht sterben. Aber er hatte eben sich selbst zuerst angelogen, und wollte nun auch den Menschen anlügen, daß der Tod der Finsterniß, der an ihm und an allen gefallenen Geschöpfen nagt, kein Tod, sondern daß dieß das wahre Leben, das Leben des Lichts sey. „Du wirst seyn wie Gott!“ Ja die Menschen wurden nach dem Falle in gewisser Beziehung wie Gott; sie wußten nun aus eigener trauriger Erfahrung den großen Unterschied zwischen Guten und Bösem, wie Gott ihn weiß; sie waren nun in ihrem Innersten losgerissen von Gott, in ihren eigenen Willen hineingebunden, wie auch Gott keinem höheren Willen unterworfen ist; sie waren Götter geworden, wie Satan und seine Horden auf den heutigen Tag sich wohl noch einbilden, daß sie Götter seyen; aber welch’ traurige, welch’ jämmerliche Götter sind die Menschen! Götter, dem Elende, dem Jammer, der Beschränkung aller Art, der Unseligkeit ihres Herzens, dem Tode unterworfen; Götter, die zur Erde werden, aus welcher sie genommen sind. So hat Satan gelogen, unter einer falschen Vorspiegelung von erhöhter Seligkeit durch Hoheit und Größe die Menschen gefangen. So ist der Hochmuth in ihre Seele gekommen, und so hineingedrungen, daß sie sich nicht einmal mehr demüthigen könnten, wenn ihnen Gott nicht auf’s Neue zu Hülfe kommt.

Denn nun ist statt des Ebenbildes Gottes, das vorher in dem Menschen aufgerichtet war, das Bild des Satans in ihnen kräftig geworden, und der Grundzug dieses Bildes ist der Hochmuth. Auch unser adamisches Leben hat nun seine Grundwurzel im Hochmuth. Zwar sind die Menschen nicht ganze Teufel geworden durch den Fall. Sie sind durch die Lügengebilde Satans nicht so in die Finsterniß, in den höhern, geistlichen Hochmuth hineinverwirrt, daß sie jetzt ihre höchste Ehre in der rastlosen, wüthenden Empörung gegen Gott und in der Lästerung Seines heiligen Namens suchten, wie dieß Satan thut.

Aber dessenungeachtet ist das Bild des Teufels, oder der Hochmuth in uns.

Ich will es euch deutlicher zu machen suchen, wie dieses Abbild der Teufels-Natur, der Hochmuth, in unseren Herzen liege. Der Teufel hat den Menschen angelogen, daß er selbst etwas, selbst Gott sey, auf eigenen Füßen stehen könne ohne Gott, und daß er in solchem von Gott losgerissenen Zustande viel seliger seyn würde als in seinem kindlichen Gehorsam. Dieß hat der Mensch geglaubt und gewollt, und glaubt und will es noch jetzt in seinem natürlichen Zustande. Es ist zwar die größte Thorheit, dieß zu glauben und zu wollen: denn wie können Die, so das Leben nicht in ihnen selber haben, bestehen ohne die Quelle des Lebens! Und wie kann es einer Kreatur wohl seyn außer ihrem Elemente; wo sollte eine wahre Seligkeit liegen für einen vernünftigen Geist außer in seinem Ursprunge und Schöpfer? Aber es ist doch so; wir wollen und glauben es doch von Natur. Die Kraft des Menschen lag vor dem Falle in Gott; nach dem Falle will der Mensch selbst und in sich selbst kräftig seyn; die Weisheit des Menschen lag vor dem Falle in Gott; er wußte keine andere Quelle derselben als Gott; von dieser höchsten Weisheit ließ er sich belehren wie ein Kind: nach dem Falle aber will er selbst weise seyn, klug und verständig; die Freiheit des Menschen lag vor dem Falle in Gott und in der Uebereinstimmung seines innersten Willens mit dem Willen Gottes: nach dem Falle sucht der Mensch seine Freiheit in sich selber, in seiner Wahl, darin, daß er keinen Höheren über sich anerkennt, kurz – er hat sich mit seinem Ich Gott gegenüber gestellt. Daher kommt es, daß die Menschen wollen angesehen werden in der Welt; daher das Rennen und Jagen nach dem vergänglichen Reichthum; daher kommt Kleiderpracht und Eitelkeit, die mit allerhand Flitter getrieben wird; daher kommt das tiefe Wohlgefallen des Herzens am Lobe; daher kommt Herrschsucht und Unterdrückung Anderer; daher kommt Neid, Feindschaft; daher kommt es, daß man Alles niedertritt, was den ehrsüchtigen Absichten entgegensteht; daher kommt es, daß man oft kein beleidigendes Wörtchen überhören kann; daher kommt alles Böse, ausgenommen die Fleischessünden, weil der Mensch in seinem innersten Grunde, gegenüber von Gott meistens unbewußt, und gegenüber von den Menschen meistens bewußt, selbst etwas seyn, sich in sich selbst als groß, als klug, als mächtig, als schön, als liebenswürdig, mit Einem Worte, weil er sich als einen Gott fühlen will. Und warum will er das? Er sucht seine Seligkeit darin, ob ihm gleich diese Dinge nur Unseligkeit und Schmerzen machen. Sehet da die Lüge, wie sie den Hochmuth gebiert.

Wie aber dieser Trieb des Menschen, selbst etwas seyn zu wollen, in der Lüge seinen Ursprung hat, so kann er auch nur durch fortwährende Lüge erhalten werden. Es ist eben ein entsetzliches Lügengewebe in uns, und sehr wahr, was die Schrift sagt: „alle Menschen sind Lügner“ Namentlich lügen die Menschen in ihrem natürlichen Zustande immer sich selber an. Sie betrachten alle ihre Sachen durch den Spiegel der Eigenliebe, und darin wird ihr bisschen Gutes tausendfach vergrößert und verschönert, und ihr Böses millionenfach verkleinert. Redet Einer zuweilen die Wahrheit mit seinem Nächsten, so hält er sich sofort für einen sehr aufrichtigen Menschen, und steift sich darauf; hat er Glück, so schreibt er es hernach seiner Aufrichtigkeit zu, weil es den Aufrichtigen gelingen müsse; kommt ein Unglück über ihn, so weiß er sich nicht darein zu finden, daß ihm, einem solchen Menschen, Gott diese Plage zuschicke. Geräth einem Andern eine Arbeit, die er vor sich hat, so meint er, er sey aller Weisheit und alles Witzes voll. Gibt ein Dritter hin und wieder etwas von seinem Ueberflusse den Armen oder sonst zu wohlthätigen Zwecken, so hält er sich bald für einen besondern Menschenfreund und Wohlthäter der Menschheit. Liest Einer hin und wieder in der Bibel, oder hat er einmal ein andächtiges Gefühl gehabt bei’m Anblick der Natur oder bey Betrachtung einer biblischen Wahrheit, sofort rechnet er sich unter die Leute, welche es in der Religion auf etwas Tieferes anlegen als der nachbetende Pöbel. ich könnte noch lange fortfahren, solche Beispiele anzuführen. Den Fehlern aber, die der Mensch an sich bemerkt, gibt er lauter Namen von Tugenden. Ist ein Mensch geizig, so rühmt er vor sich und Andern seine Sparsamkeit, seine Treue im Kleinen, seinen haushälterischen Sinn, seine vorsorge für seine Familie; seinen Eigensinn nennt der Mensch festen Willen, männliche Beharrlichkeit, Charakterstärke; seinen Stolz nennt er Edelmuth, Gefühl seiner Menschenwürde, gerechte Anerkennung seiner eigenen Vorzüge; ein Verschwender und Weichling sagt von sich, er habe eben ein gutes Herz; ein grober Mensch, der Andern gern wehe thut, behauptet, er sey nur zu aufrichtig und gerade, die Welt könne es jetzt nicht mehr ertragen; und hat Einer sogar grobe, in die Augen fallende Laster begangen, so gesteht er zuletzt, er habe zwar seine Fehler oder seine Fehlerchen, aber wenn er auch diese nicht hätte, so wäre er ein Engel. Und das Alles thut der Mensch, damit er sein Nichts nicht erkennen müsse, weil er seine Seligkeit darin sucht, etwas zu seyn, Gefallen an sich selber zu haben. So hat die Lüge den Hochmuth geboren, und gebiert ihn noch. Nun lasset uns

II.

Sehen, wie der Hochmuth die Lüge gebäre.

Wir müssen zu dem Ende in unser Evangelium hineinsehen.

1)

„Sie hielten auf Ihn“, heißt es im ersten Verse; die Pharisäer hielten auf Ihn, d.h. sie lauerten dem Heiland auf, ob sie Ihn nicht fangen könnten in Seinen Worten und Werken, um eine Ursache an Ihm zu finden. Warum aber lauerten sie Ihm also auf? Antwort: sie haßten Ihn. Warum aber war Er ihnen so sehr zuwider, da Er doch der Liebenswürdigste ist? Wenn man sie selbst gefragt hätte, und sie hätten ehrlich antworten sollen, so würden sie etwa gesagt haben: deßwegen ist Er uns so sehr zuwider, weil wir finden, daß Er keine pharisäischen Religions-Grundsätze hat. Auch hat Er sich schon herausgenommen, unsern weisesten Lehrern in’s Angesicht zu widersprechen; Er handelt ungerecht mit uns; Er läßt unsere Frömmigkeit nicht als die ächte gelten; Er setzt so unser ansehen bey dem Volke herunter; und was macht Er aus sich selber? Er macht sich zum Messias, zum Sohne Gottes sogar; da würden wir ja gar nichts mehr gelten, wenn Er der Sohn Gottes wäre, also Alles gälte; nein! einen solchen Messias können wir nicht brauchen; Er ist ein böser, gefährlicher Schwärmer.

Sehet, liebe Zuhörer, was hier für eine Lüge aus dem Hochmuth der Pharisäer geboren worden ist! Aus diesem Hochmuthe der Pharisäer ist geboren worden die große Lüge: der JEsus von Nazareth ist ein verächtlicher, verwerflicher Mensch, ein Mensch, welchen zu hassen man das größte Recht hat.

Aus dem Hochmuthe des menschlichen Herzens entspringt die Feindschaft gegen den Heiland heute noch, und aus dieser Feindschaft Lüge. JEsus Christus ist die Wahrheit; Sein Wort predigt lauter Wahrheit, und deckt dem Menschen die Sünde und Bosheit seines Herzens unverhohlen und ohne Schminke auf; das will dem Menschen nicht behagen; so schlecht will er nicht seyn; dieser Spiegel der Wahrheit ist ihm unerträglich, weil Er sich nicht demüthigen mag: darum faßt er eine geheime Widrigkeit gegen den Heiland. Das Evangelium sagt: JEsus Christus ist die Gerechtigkeit, vor Gott gilt nichts als Sein Verdienst, keine eigene Tugend, keine eigene Heiligkeit; was nicht Christus ist, das ist verwerflich in den Augen des heiligen Gottes. O gewiß eine harte, eine unerträgliche Lehre für das eigenliebige Menschenherz! Das Evangelium sagt: der Heiland allein ist die Kraft, ohne Ihn hat man keine Kraft zu irgend einem Guten, auch nicht zu dem geringsten. Wie? denkt der hochmüthige Sünder, mein redliches Bestreben, meine guten Vorsätze; mein Wille soll nichts seyn? hinweg mit dieser eckelhaften, alle edle Selbstthätigkeit schwächenden Lehre! Das Evangelium sagt: JEsus Christus ist das ewige Erbarmen, aber wie widerlich sind solche Worte einem Menschen, der seinen verlorenen und verdammten Zustand nicht sieht und nicht gesteht! Das Evangelium sagt: der Heiland ist der Sohn Gottes, König aller Könige, der Herr aller Herren; wir wollen nicht, heißt es im Herzen des hochmüthigen Sünders, daß dieser über uns herrsche, wir sind selbst zum Herrschen geboren. Das Evangelium sagt: sehet den Verachtetsten und Unwerthesten, Dieser ist das Lamm Gottes, das eure und der ganzen Welt Sünde trägt; aber im Herzen des unbekehrten Sünders heißt es: ich bedarf solches nicht, es ist dieß eine thörichte, ärgerliche Lehre. So ist dem hochmüthigen Sünder der Heiland zuwider: und Er kann es ihm eben in nichts recht machen; das eine Mal ist Er ihm zu hoch, das andere Mal zu niedrig, das eine Mal zu klein, das andere Mal zu groß; - ein unerträglicher Mann, und dieß bloß darum, weil er sich nicht demüthigen will, da doch im Evangelium Alles auf die Demüthigung des Menschen zielt; auf daß erfüllet würde der Spruch: „sie hassen mich ohne Ursache“, aus natürlichem, eigenthümlichen, angestammtem Hasse heraus.

Weil es aber die größte Narrheit ist, ein Feind des HErrn JEsu zu seyn, was der Mensch wohl einsieht: so steckt man seine Feindschaft gegen JEsum hinter allerhand Beschönigungen hinum, und belügt sich selber und Andere, daß man ein Recht dazu habe, oder daß man Ihn eigentlich wohl leiden könne, nur dieß und das an Seiner Sache sey einem zuwider. Die Pharisäer im Evangelium standen ohne Zweifel in dem Wahne, daß sie vollkommene Ursache dazu haben, dem Heilande aufzulauern, denn ER ist ein gefährlicher Mann, und – zuletzt ist es doch besser, daß Ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe. Dieß denkt man jetzt nicht mehr, liebe Zuhörer! denn der HErr ist über alle Himmel erhaben; man würde sich scheuen und fürchten, so zu denken, weil man in der christlichen Kirche lebt, und die ganze christliche Religion ist auf die Erkenntniß des Sohnes Gottes und auf den Glauben an Ihn gegründet. Zwar haben sich in neueren Zeiten wieder Manche so in die Frechheit hineingesteift, daß sie sich erkühnt haben, wieder Ihn anzugreifen, und mit ihren unreinen, feindseligen Lügen Seine Person anzutasten; sie haben Ihn z.B. gegen Seine eigentlichen, ausdrücklichen Aussprüche zu einem bloßen Tugendlehrer gemacht; ja, es sind sogar Einige in der Bosheit ihres Herzens so weit gegangen, daß sie sich nicht gescheut haben, es öffentlich auszusprechen und in Bücher hineinzuschreiben, Seine Sache sey Schwärmerey und Betrug, Er selbst aber sey – doch ich will es nicht aussprechen, was sie gesagt haben, ihr könnet es selber ermessen; wenn die Sache Schwärmerey und Betrug ist, was muß dann der Meister dieser Sache seyn? Aber die gewöhnliche Art, wie sich die Feindschaft gegen den Heiland ausspricht, ist dieß doch gegenwärtig noch nicht. Weil die Menschen gewöhnlich über die Wahrheiten des Evangeliums nicht nachdenken, so halten sie sich mit ihrem Tadel an das nächste Beste, das ihnen auffällt, und da muß vorzüglich die Sache des Heilandes und die gegenwärtige Gestalt Seines Reiches die Zielscheibe ihres, die Herzensfeindschaft gegen den Heiland beschönigenden, Tadels werden. Und sie scheinen wirklich solches mit einem gewissen Rechte zu thun, weil allenthalten menschliche Schwachheit und Fehlerhaftigkeit mit unterläuft; aber im Grunde ist es doch nur Beschönigung jener innersten Feindschaft. Denn wären sie die Freunde des HErrn JEsu, so würden sie ja leicht über die menschliche Gebrechlichkeit in der Behandlung Seiner Sache hinaussehen und bedenken können, daß es um das Irren etwas sehr Menschliches sey, und daß in den höchsten und wichtigsten Dingen, besonders in Sachen des Geistes Gottes, Fehltritte uns um so näher liegen, weil wir von Natur geistlich-blind und todt sind. Aber dieß wollen sie nicht bedenken. Darum sagen sie, es sey ein elendes, kopfhängerisches Ding um das Leben der Leute, die, wie sie sich ausdrücken, zu der Fahne des Heilandes geschworen haben; man könne nicht so leben, wie es jene Leute aus der Bibel darlegen wollen; man müsse sich hüten, daß man nicht verwirrt werde; denn wer sich zu viel mit solchen schwärmerischen Dingen beschäftige, der werde ein Narr, u.s.w. Da haben sie denn allerhand Unnamen erfunden, womit sie die Sache des Heilandes bezeichnen, und ihre Herzensfeindschaft entschuldigen. Da heißen sie die christliche Gottseligkeit Pietisterey, Schwärmerey, pharisäisches Wesen und dergleichen. Liebe Zuhörer, es gibt ja Frömmler, Heuchler und Pharisäer genug; aber die Welt wirft Alles, was nicht von der Welt ist, oder was eine Zuneigung zum Heilande blicken läßt, in diese Klasse hinein, und es ist einem Weltmenschen jedesmal wohl, wenn er eines solchen Ausdrucks sich bedienen, und seine Herzensfeindschaft gegen den HErrn JEsum hinter denselbigen verstecken, und sich selbst und Andere damit bereden kann, daß er ein gewisses Recht dazu habe, diese Sache zu hassen, weil sie so gar unsinnig und schlecht sey. Solche Lügen gebiert der Hochmuth. Wir könnten jetzt sogleich eine Probe machen. Es sind viele Menschen hier: höret, Leute, warum bekehren sich die Meisten unter euch nicht von ganzem Herzen zu Gott? Es sind alte Leute unter uns, die auf der Grube gehen – warum wollet wenigstens ihr nicht ein ganzes Eigenthum des Heilandes werden? Warum suchet ihr Ihn nicht von ganzem Herzen? Nicht wahr? ihr habt keine Lust dazu? Aber warum das? Ihr habt wohl Alle eure Vorwände und Entschuldigungen? Der Eine hat mit dem Zeitlichen zu thun; der Andere ist zu vergeßlich, der Teufel nimmt ihm das Wort weg vom Herzen, der Teufel ist schuld, nicht er, wie er meint; ein Dritter weiß gar nicht, was das für ein besonderes Dringen auf Bekehrung ist und was es bedeuten soll; sein Vater und Großvater sind auch selig gestorben, ohne daß sie gerade diesen Weg eingeschlagen hätten, es will nicht seliger werden als sein Vater; kurz, ein Jeder hat seine Entschuldigung, und gibt sich das Ansehen, als ob er aus einem triftigen Grunde so handle, wie er handelt. Aber das sind lauter leer Vorwände. In euren Herzen steht es anders. Christum könnet ihr nicht leiden, Feinde Christi seyd ihr; dieß ist der wahre Grund eures Betragens; und Feinde Christi seyd ihr hauptsächlich um eures Hochmuths willen, weil ihr die Buße und Demüthigung fürchtet. So gebieret der angeborne Hochmuth des menschlichen Herzens Feindschaft gegen Christum und eben daraus Lügen.

2)

Eine andere Art von Lügen, die aus dem Hochmuthe geboren werden, ist die geistliche Gutwisserey und Rechthaberey. Ein Jeder meint, er wisse den Weg zum ewigen Leben, und der Weg, den er wisse, der sey der rechte. Es kann einem Menschen sein Gewissen Zeugniß geben, daß er nicht auf dem Wege zur Seligkeit sey, und doch will er ganz genau wissen, wie man es anzugreifen habe, um in den Himmel zu kommen, und läßt es sich nicht nehmen, daß er dieß nicht wisse. Das sind seltene Ausnahmen unter den Menschen, die in geistlichen Dingen ihre Blindheit erkennen und lernen wollen; es gehört schon viel Gnade zu einer solchen Herzensstellung, obgleich nur erst hier die wahre Weisheit anfängt.

Wie gut wäre es den Pharisäern im heutigen Evangelium angestanden, wenn sie sich demüthig hingesetzt und dem Heilande zugehört hätten, und hätten sich von Ihm belehren lassen, was eigentlich der wahre, der dem Vater wohlgefällige Gottesdienst sey. Aber dies fiel ihnen nicht ein. Was sie vom Gottesdienste hielten, das war zum Voraus das Rechte; darum konnten sie nichts mehr lernen, auch nichts mehr recht prüfen; was nicht gut pharisäisch war, das mußte zum Voraus verdammt seyn. Darum lauerten sie nur darauf, und setzten den Heiland durch Vorführung des Wassersüchtigen auf die Probe, ob Er ihn auch am Sabbath heilen würde, zum Voraus entschlossen, Ihm das größte Verbrechen daraus zu machen, wenn Er es thue. Denn sie hatten, wie sie meinten, den rechten Begriff von der Sabbathsfeyer, und zwar deßwegen, weil sie ihn hatten. Der eigene Ich kann in solchen Dingen nicht irren, auch nichts mehr lernen.

So geht es noch. Wenn ich unter euch Allen herumfragen würde, wie man das Christenthum führen müsse, und welches der rechte Weg in den Himmel sey, so würde ein Jedes meinen, es könne ganz gut Auskunft hierüber geben. Der roheste Mensch bleibt auf eine solche Frage die Antwort nicht schuldig, denn dieß, meint er, verstehe sich ja von selbst. Wenn ich aber fragen würde: höret, Leute, wie muß man es machen, um reich zu werden? so würden wohl die Meisten unter uns verstummen, und, durch ihre eigene, traurige Erfahrung belehrt, bekennen, daß sie solches nicht wissen. Sehet, welche Verkehrtheit! Es ist gerade umgekehrt. Wie man reich werde in dieser Welt, das wisset ihr zur Noth, aber wie man in den Himmel komme, das wisset ihr nicht, wenn ihr nicht wirklich auf dem Wege dorthin seyd. Aber in Absicht auf göttliche Dinge stecken wir eben voll Selbstweisheit. Es gibt ja Leute, denen Alles, was gepredigt wird, alte Sachen sind, die sie schon längst wieder verlernt haben, wie sie meinen, und die Bibel können sie ohnedem auswendig, wie sie meinen, sie lesen darum auch selten oder niemals darin, denn sie kann ihnen nichts Neues sagen; sie können nichts mehr von ihr lernen, wie sie meinen; sie wissen schon Alles. Die meisten unbekehrten Leute bilden sich ein, daß sie Alles schon wissen, was in der Bibel steht. Aber, lieber Mensch, der du so denkst, die Bibel könnte dich wohl etwas Neues lehren, wenn du wolltest, und sollte es auch nichts Anderes seyn als die Wahrheit, daß du ein hochmüthiger Wurm bist.

Wenn man aber einen solchen weisen Menschen fragt, wo er denn seine Weisheit her habe: so kommt man zuletzt darauf, daß sie ihm angeboren seyn muß; denn gewöhnlich hat er sie nirgends gelernt. Es scheint also eine angeborne Weisheit zu seyn. Der eigene Ich ist von Natur so weise. Was dem Ich geschwinde einfällt in Absicht auf Religionssachen, das muß, wie er meint, im Himmel und auf Erden gelten; der Weg, den er vorzeichnet, muß der rechte seyn; Gott muß ihn gelten lassen. O es ist ein unverschämtes Volk um die hochmüthigen Sünder! Da kann man sich denn auch nicht entschließen, seinen Weg zu ändern, und seine bisherige Thorheit anzuerkennen. O! was wäre das für eine Schande, wenn sich ein solcher weiser, absprechender Gutwisser bekehren, und also den Menschen zeigen würde, daß er bisher im Irrthume gewesen sey! Nein! solches kann der Ich nicht über sich nehmen. Lieber über Andere gerichtet und besonders über Diejenigen abgesprochen, die Buße thun und durch Wiedergeburt zum Leben dringen wollen! – Ihr Otterngezüchte! wer hat denn euch geweiset, woher wisset ihr es, wo habt denn ihr das Dokument und Siegel darauf, daß ihr dem höllischen Feuer entrinnen werdet?

3)

Aus diesem Allem heraus kommt dann die große Sicherheit bey den Menschen in Absicht auf die Ewigkeit. Es ist dem Menschen in das Herz geschrieben, daß ein Gericht auf ihn warte; er kann diesem Gerichte alle Augenblicke entgegengerückt werden, sein Gewissen gibt ihm Zeugniß, daß er ein Sünder und strafbar vor Gott ist, das Wort Gottes predigt laut und deutlich, daß ohne Gnade und Vergebung der Sünden Niemand kann selig werden, sondern daß, so er nicht in Christo ist, der ewige Tod Gewalt an ihn habe, - dieß weiß der Mensch, dieß wird bezeugt, dieß wird ausgerufen, ausposaunt; aber „wer glaubet unserer Predigt, und wem wird der Arm des HErrn geoffenbaret?“ Die Menschen bleiben, trotz dem Allem, sicher, faul und kalt. Sehet in das Evangelium, welche Sicherheit! Da kommen die Pharisäer zusammen, sie essen, sie trinken, sie lauern dem Heilande auf, sie wollen Ihn fangen in Seinen Worten, sie wollen ihre pharisäischen Grundsätze geltend machen, sie dringen sich hinauf am Tische; es ist kein Gedanke in ihnen an das Gericht, an eine Ewigkeit; da gehen sie dahin und treiben ihre Sachen, wie wenn das pharisäische Wesen ewig so fortgehen, und Keiner unter ihnen über seine Gedanken, Anschläge, Rede, zur Rechenschaft gezogen werden würde. Und dieß ist das gewöhnliche Leben und Treiben der Menschen. Sie essen, sie trinken, sie arbeiten, sie ruhen, sie schlafen und wachen, sie sind neidisch, geizig, hochmüthig, sie afterreden, sie lügen und betrügen, sie treiben sich unter einander herum, sie üben ihre Lüste und Leidenschaften aus, Alles in der größten Sicherheit, ohne ernsthafte Gedanken an die Ewigkeit, an die Hölle, der sie doch auf diesem Wege bestimmt entgegengehen.

Woher diese Sicherheit der Kinder des Verderbens? Antwort: aus der verfluchten Eigenliebe, aus dem Hochmuthe heraus. Ein Jeder meint, ihm für seinen Theil könne es nicht fehlen. Wenn das Wort Gottes gepredigt wird, wenn die Leute so herumsitzen, und hören von der Liebe und vom Ernste Gottes, und daß ohne Heiligung Niemand den HErrn sehen werde: so können sie das so anhören, und bleiben doch in dem Tode der Sünde und der Eitelkeit gefangen. Und dieß geschieht nur deßwegen, weil ein Jeder meint, ihm werde es nicht fehlen, ihn gehe das scharfe Wort nicht an, bey ihm werde eine Ausnahme von der Regel gemacht. Da denkt ein Jeder an seinen Nachbar, an einen Dritten, man wünscht: wenn nur der oder jener, den man liebt, getroffen würde, daß er seine Untugenden aufgäbe, für sich selbst aber bleibt man in der größten Sicherheit. Ich will mich schon noch mit Gott verständigen; ich will schon noch ernstlich werden; bey mir hat’s keine Noth. Sehet da unser arges, eigenliebiges, hochmüthiges Herz! Ist ein Mensch angesehen vor den Leuten, in einem Stande, wo sich die Menschen vor ihm bücken: so meint er, Gott und Sein Wort müssen sich auch vor ihm bücken, sich beugen und ihm ausweichen. Ist ein Mensch nicht in äußerem Ansehen: so weiß er andere Gründe. Er hat ein gutes Herz; er meint es doch gut; er hat andere gute Eigenschaften, die viele hundert Andere nicht haben; der HErr wird also, wie er meint, eine gerechte Ausnahme bey ihm machen. Und kann oder mag Einer von dem Allem nichts anführen: so glaubt er eine Ausnahme um seines Ichs willen; weil er der und der ist, wird der HErr nicht so streng mit ihm verfahren? Ich bin’s ja. Mit der Weichlichkeit, mit welcher er selber sich liebt, meint er, werde ihn auch Gott lieben und behandeln. Aber dieß ist weit gefehlt.

4)

In ein anderes Lügenfeld wird der Mensch durch seinen Hochmuth hineingeführt in Absicht auf die Begriffe von Ehre und Schande. Es ist ein eigenes Ding um die Ehre. Je nachdem der Ton der Menschen ist, unter welchen man sich befindet, je nachdem gestalten sich die Begriffe von Ehre und Schande. Bey den Pharisäern war das keine Schande, wenn sie erwähleten, obenan zu sitzen, und dieses Streben so deutlich herausblicken ließen, daß man es bemerken konnte. Es gibt auch unter uns Gesellschaften und Gelegenheiten, wo dieß keine Schande ist. Aber in andern Gesellschaften, wo es christlicher und artiger zugeht, ist’s allerdings schmählich, wenn man ein solches Streben an einem Mitgliede merkt. Glaubet aber, lieber Zuhörer! in einer Gesellschaft letzterer Art kann ein Mensch eben so gut seine eigene Ehre suchen, wenn er sich mit Gewalt untenan setzt, als in einer pharisäischen Gesellschaft, wenn er sich hinaufdringt. Es kommt Alles hiebey auf Zeit und Umstände an. Es gibt Völker, wo man seine größte Ehre darein setzt, so viel als möglich Feinde zu tödten, oder getödtet zu haben; es gibt Gesellschaften in der sogenannten Christenheit, ja, in der, wie sie sagen, gebildeten Welt, wo dieß große Ehre ist, wenn man ein gewaltthätiger, brutaler Mensch ist, ein Held im Weinsaufen; es gibt Gesellschaften, wo sie sich damit groß und breit machen, wenn sie recht klug gestohlen und betrogen, oder recht schamlos Hurerey und Ehebruch getrieben haben. O wie verwirrt sind wir durch den Hochmuth! In unserer Christenheit ist das gewöhnlich die größte Ehre, wenn man ein ehrlicher, dabey aber unbußfertiger, stolzer Mann und Sünder ist; hingegen Schande ist gewöhnlich das, wenn man sich zu Christo bekehrt, und, zum Kreuze kriechend, seine Seligkeit sucht. Ueberhaupt ist wohl kein Ding, keine Arbeit, keine Sünde in der Welt, die man nicht schon zu einem Ehrenpunkte gemacht hätte, und wenn ein Mensch nur ein Schuhputzer ist, so will er doch haben, man solle ihn für einen rechten oder ausgezeichneten Schuhputzer halten. Es ist eben Alles auf den Schein, auf den Glanz, auf das Urtheil der Menschen berechnet! Da richtet man sich mit seinem Betragen ganz nach den Leuten, unter welchen man ist. Wenn ihr zu mir kommet, so will Keines für gottlos gelten, da ziehet ihr Alle – ich muß mich nur so ausdrücken – euren geistlichen Sonntagsrock an, und redet so fromm, und betraget euch so lammartig, als ihr nur könnet; aber nicht wahr? wenn ihr unter Weltleuten seid, dann wollet ihr doch nicht für ganz fromm gelten, weil es dort eine Schande wäre; nicht wahr? dann wollet ihr zeigen, daß es euch mit eurer Bekehrung doch noch nicht so ganz Ernst sey. O! was sind wir für elende Heuchler! Aber es fragt sich, gibt es denn gar keine wahre Ehre? Ja! die Ehre bey Gott. Aber wie Viele sind, die nach dieser streben!

Sehet, so sind wir durch den Hochmuth verwirrt, verunstaltet, in die Lüge hineingebunden und hineinverworren; so gebiert eine Schlangengeburt die andere, so tragen wir das Bild Satans, des hochmüthigsten Lügners, an uns. Es fragt sich nun

III.

Wie können wir geheilt werden? Dieß will ich kurz beantworten.

Da der Hochmuth aus der Lüge kommt, und die Lüge wieder aus dem Hochmuth, so können wir nur durch Wahrheit geheilt werden.

Wir haben zwey Quellen der Wahrheit, die aber auf’s Innigste mit einander zusammenhängen: das Wort und den Geist Gottes. Das Wort Gottes ist lauter Wahrheit, wie der Heiland zum Vater gesagt hat: „Dein Wort ist Wahrheit.“ In jedem Ausspruche der heiligen Schrift liegt etwas, das, wenn es auf den Grund des Herzens fällt, und zur Kraft wird, einen Samen der Wiedergeburt angibt, der die Lüge bemeistern, und zuletzt ein Gewächs der Gerechtigkeit im Herzen anrichten kann. Aber zur Kraft kann eben das Wort Gottes nicht werden ohne den Heiligen Geist. Dieser muß das Herz empfänglich und das Wort scharf machen, sonst kann es nicht eindringen.

Wenn nun ein Mensch dem Geiste und dem Worte Gottes Raum gibt in seinem Herzen: so geht etwas in ihm vor, das er vorher noch nie erfahren hatte; er wird erleuchtet, und im Lichte der Wahrheit lernt er seinen verzweifelten Herzenszustand einsehen, und die Lügengebilde nach und nach unterscheiden. So wird er gedemüthigt durch die Wahrheit, und nach und nach geneigt, die Aussprüche des Wortes Gottes über sich gelten zu lassen, und sich unter alle Rechte und Ansprüche des Gesetzes zu demüthigen. Wenn das Wort Gottes ihm unter der Zucht des Heiligen Geistes sagt: du bist ein Dieb, ein Mörder, ein Hurer, ein ungläubiger, ein liebloser Mensch: so läugnet er solches nun nicht mehr, wie er es vorher beschönigt und geläugnet hatte, sondern er läßt solches gelten und wahr seyn. Und wenn das Wort Gottes sagt: die Hurer und die Ungläubigen werden das Reich Gottes nicht ererben, so verlangt und hofft er nun keine Ausnahme mehr, sondern er demüthigt sich unter dieses Verdammungsurtheil des Gesetzes. Wenn aber das Wort Gottes sagt: daß JEsus eine ewige Erlösung erfunden habe für die Sünder, so ergreift er und kann durch die Kraft des heiligen Geistes auch dieses Evangelium ergreifen, und glaubt an Den, der die Gottlosen gerecht machet. So wird der Mensch in die Wahrheit hineingeführt, und eben dadurch in die Demuth. Es ist aber ein großes Werk Gottes, aus einem hochmüthigen Wurme, der sich in seinem eigenen Gestanke aufbläht, einen armen Sünder, ein armes Gnadenkind zu machen: Mancher wehrt sich dagegen, so lange er kann, und bleibt eben darum in der Lüge und Unseligkeit seines Herzens, so lange er kann.

Nichts demüthigt aber mehr als die Wahrheit von Christo, wenn diese im Herzen offenbar wird. Wenn Der, welcher wußte, daß Ihm der Vater Alles in Seine Hände gegeben hatte, hingeht, und fängt an, Seinen Jüngern die Füße zu waschen; wenn Er als ein vor der Welt ehrloser Missethäter unter Schimpf und Schande am Kreuze stirbt; wenn Der, so allein der Ehre werth ist, so verachtet und unwerth wird, daß man das Angesicht vor Ihm verbirgt: - wie entsetzlich, widernatürlich, welch’ ein Greuel vor den Augen Gottes müssen dann wohl die elenden Einbildungen seyn, welche die Sünder, aus Staub gemacht, von sich selbst in ihrem Herzen nähren! Wem die Wahrheit von JEsu offenbar wird im Herzen durch den Heiligen Geist, der kann alle Lügen und Aufblähungen der Eigenliebe, alle Gedanken des Hochmuths nur verfluchen. Und kommen noch demüthigende Umstände, Demüthigungswege dazu, woran es Gott nicht fehlen läßt, so wird das Herz zuletzt zum Staube gebeugt, wahrhaft niedrig, grundweich und eben darum empfänglich für die ewige Herrlichkeit, die Christus den Seinigen geben wird.

Man kann das ganze Werk der Bekehrung aus diesem Gesichtspunkte eine Hineinführung des Menschen in die Wahrheit nennen. Wir sind von Natur so aufgebläht, daß wir unsere armseligen Heller für Dukaten halten. Durch unzählige Erfahrungen und Demüthigungen lernt der Mensch zuletzt, daß die vermeintlichen Dukaten nichts seyen denn rothe Heller. Und wenn er dieses einsieht, steht er in der Wahrheit und in der Demuth. Es ist aber dieß bey Manchen eine Weisheit, zu der sie nur nach vielen Jahren gebracht werden. Wir stecken eben voll Eigenliebe, und in dieser Eigenliebe sind wir eher geneigt, die Offenbarungen des Geistes der Wahrheit für Spiegelfechtereyen zu halten, bevor wir unsere hohen und guten Gedanken von uns selber aufgeben. Darum möchte sich ein Mancher bereden, der Geist Gottes stelle ihm seine Schlechtigkeit und Verwerflichkeit nur deßwegen so groß vor die Augen seines Gemüthes, um ihn zu demüthigen; er sey aber in der Wahrheit nicht so schlecht. Er sagt deßwegen: ich fühle mich gegenwärtig so undankbar gegen Gott, so verwerflich, so träge zum Gebet, so lau und kalt in der Liebe gegen den Heiland u.s.w.; aber lieber Mensch! du darfst kecklich sagen: ich bin’s nicht: ich fühle mich. Du bist es; denn der Geist Gottes, der dich züchtiget, ist ein Geist der Wahrheit.

O lasset uns nur aufmerken auf die Stimme des Wortes und des Geistes Gottes, so werden wir gewiß zuletzt klein in uns selber und wahr werden, und was Satan in uns ausgerichtet hat, wird weichen müssen. Denn mit einem wahren Christen geht es immer, wie man sagt, hinter sich; er wächst und wurzelt unterwärts; er erkennt täglich deutlicher seine Schwachheit und Sünde, wird täglich ärmer am Geiste. Dieß ist nun freilich ein Weg, der dem hochmüthigen Herzen nicht gefällt, eine bittere Arzney für das Fleisch, aber süß für den Geist; denn nur in der Wahrheit ist Seligkeit. Die Hungrigen füllet Er mit Gütern, und lässet die Reichen leer. Die Armen nur taugen in das Reich der Wahrheit und Demuth; die Andern aber gehören mehr oder weniger unter die losen Verächter. Amen!

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