Hofacker, Ludwig - Predigt am Gedächtnißtage des Apostels Thomas

Hofacker, Ludwig - Predigt am Gedächtnißtage des Apostels Thomas

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Text: Röm. 12,17.

Haltet euch nicht selbst für klug.

Die erste Stufe, der Anfang aller wahren Weisheit besteht darin, daß ein Mensch aufhört, selbstweise, selbstklug seyn zu wollen, daß er allen eigenen Vernunft- und Verstandes-Schlüssen, aller eigenen Weisheit, die er sich eingebildet hatte, nicht mehr traut, sondern daran verzagt. Davon spricht die heilige Schrift öfters. Der Heiland tritt mit aufgehobenen Händen vor Seinen himmlischen Vater hin und spricht: „Ich danke Dir, ich preise Dich, Vater und HErr Himmels und der Erden, daß Du das Geheimniß des Reiches Gottes den Weisen und Klugen verborgen hast,“ – d.h. Denen, die sich weise und klug denken, denn es gibt keine Weisen und Klugen von Natur – „und hast es den Unmündigen geoffenbart.“ Und ein anderes Mal sagt Er zu Seinen Jüngern: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so könnet ihr nicht in das Reich Gottes kommen.“ Der Apostel Paulus aber handelt im ersten Brief an die Korinther beynahe durch alle drey ersten Kapitel hindurch bloß davon, daß, wer in das Reich Gottes eingehen wolle, seine eigene Weisheit verläugnen, und die göttliche Weisheit, die dem natürlichen Menschen als Thorheit vorkommt, als seine Weisheit annehmen müsse. Im nämlichen Sinne nun schreibt er in unserem heutigen Texte: „Haltet euch nicht selbst für klug.“ Das ist freilich für die hochmüthigen Menschen, und namentlich für die Vernunftsmänner unserer Zeit eine eckelhafte Speise, daß sie ihre eigene Weisheit und Klugheit für nichts achten und Kinder werden wollen, daß das Geheimniß des Reiches Gottes nur den Unmündigen, den Einfältigen geoffenbaret werde. Aber ich kann ihnen nicht helfen; so ist es einmal; so steht es in der heiligen Schrift, und bestätigt sich auch hinlänglich durch die Erfahrung: ehe der Mensch sein eigenes Klugseyn aufgegeben, und zu den Füßen des Heilands niedergelegt hat, kann er nicht zur wahren göttlichen Weisheit, nicht zur Freiheit der Kinder Gottes gelangen.

Ich habe mir vorgenommen, noch weiter mit euch unter dem Beistande Gottes über diesen Gegenstand zu reden, da derselbe, wie ich glaube, in unserer Zeit nicht genug abgehandelt werden kann. Denn hat es je eine Zeit gegeben, in welcher der elende, unselige Vernunftstolz sich hoch emporgehoben hat, so ist es die unsere. Darum rede ich:

Von dem unseligen Vernunftsstolz.

Lieber HErr und Heiland! Alles, was groß und hoch ist in dieser Welt, ist ein Greuel vor Deinen Augen, das Stolze fliehest Du; o wir bitten Dich, mache uns recht klein, gibt uns recht kleine Gedanken von uns selber, damit wir uns als ganz kleine Kinder zu Deinen Füßen niederwerfen, und nichts wissen wollen, als was Du uns sagst. Wecke uns auf aus den selbstgefälligen Vernunft-Gedanken unserer Zeit; ach, Du weißt ja, wie der Geist unserer Zeit so ansteckend ist. O so bewahre uns vor allem diesem Gift und vor dieser Pestilenz, die im Finstern schleichet, und im Mittag verderbet. HErr, erhöre uns um Deines Namens willen! Amen.

Der Apostel Johannes schreibt: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre.“ Liebe Zuhörer, es gibt viele Teufels-Werke in den Herzen der Menschen. Scheut nur in die Welt hinein, ihr werdet finden, daß die Welt im Argen liegt; schauet in das Herz des Menschen hinein, so ferne er noch nicht geändert, noch nicht zum seligen Genusse der Liebe Christi gelangt ist, ihr werdet erstaunlich viele Teufels-Werke und Teufels-Stricke finden; das Gift der Hölle, Bitterkeit, Neid, Zorn, Zwietracht, Hurerey, Geiz, Wollust, Eitelkeit und allerhand Unrath und Unflath der Hölle. Und ob es auch manchen Menschen nicht offenbar wird, daß Satan ein solch’ höllisches Magazin in ihrem Herzen angelegt hat, - so ist es doch darinnen, und – das ist ja eben der größte Betrug des Lügners von Anfang, das ist der allerschändlichste und Haupt-Betrug Satans, wenn er den Menschen beredet, er habe solche Greuel nicht in seinem Herzen, wenn es ihm gelingt, diese Sünden-Nester zu überfirnissen und mit einer lieblichen Oberfläche zu überziehen, und so den Menschen in der völligen Blindheit über sich selber dahingehen zu lassen, und ums ein ewiges Heil zu betrügen. Denn natürlich, so lange er nicht weiß, was er für ein Knecht des Argen ist, so lange er sein Elend und seine greuliche Finsterniß noch zudecken und überkleistern kann: so lange wird es ihm natürlich kein Ernst seyn, ein neues Herz zu bekommen, so lange wird er nicht zu Dem fliehen, der allein helfen kann, zu JEsus; so lange wird er ohne den Heiland, also ohne Leben aus Gott, also ein unseliger Mensch bleiben, der, wenn er in die Ewigkeit geht, nur als ein unerleuchteter Geist in die Finsterniß fahren kann. Es gibt also erstaunlich viel Teufels-Werke im Herzen des natürlichen Menschen, und darunter ist nicht das kleinste die erschreckliche Blindheit, in der der Mensch steckt von Natur, seine guten Gedanken und Meinungen, die er von sich hat, und die daraus fließenden Entschuldigungen, womit er sein Gewissen beschwichtigt, und also nicht zum Lichte der Wahrheit kommt. Aber ein eben so starker, ja wo möglich noch ein feinerer und gefährlicherer Strick Satans ist der elende Vernunftstolz, der in unsern Herzen seinen tiefen Grund und seine feste Wurzel hat, und den Menschen oft noch am längsten und stärksten von dem Genusse des Friedens zurückhält, den ihm Christus erworben hat, bis zuletzt, wenn der Mensch sich dazu hergibt, auch dieser Strick durch die Gnade Gottes zerrissen, und der Geist in Freiheit gesetzt wird.

Woher rührt aber dieses Vertrauen auf eigene Einsicht, diese Einbildung vom eigenen Wissen, diese eigengerechte Selbstklugheit, dieses Etwas im Menschen, das sich erhebt, nur sich die rechte Einsicht, nur sich die rechte Weisheit zuschreibt? Das ist nicht von Gott, sondern vom Teufel, der zu Eva sprach: „wenn ihr von den Früchten des Baumes esset, so werdet ihr seyn wie Gott, ihr werdet eine Erkenntniß haben wie die göttliche ist.“ Sehet, das war der Fallstrick; so weise wie Gott, ja noch weiser will das menschliche Herz seyn; daher kommt das Murren über die Wege Gottes, daher das Meistern Seiner Veranstaltungen, daher kommt es, daß der Scherbe, der Thon zu seinem Töpfer spricht: warum machest du mich also? Das ist der Vernunftsstolz, von dem in der heiligen Schrift sich manche Beispiele finden; wie wir z.B. in der Geschichte der Kinder Israel lesen. Als sie an der Gränze von Kanaan standen, wollten sie Kundschafter in das Land schicken. Der HErr sprach: schicket keine Kundschafter hinein. Nein, hieß es bey ihnen, wir schicken hinein, und sie thaten es auch. Sie wußten’s also viel besser als der HErr, sie waren viel klüger, viel weiser als Er. Als nun aber die Kundschafter schlimme Nachrichten aus dem lande Kanaan mitbrachten, da murrte das Volk und weinte, und sprach: „Ach, wären wir nur in Egypten geblieben.“ So wußten sie es wieder viel besser als der HErr; Er hätte sie sollen in Egypten lassen; Seine Weisheit mußte sich meistern lassen von ihnen. Nachher wollten sie hinaufziehen auf das Gebirge gegen die Amalekiter. Moses sprach: „Ziehet nicht hinauf, denn der HErr ist nicht unter euch.“ Nein, hieß es bey ihnen, wir ziehen hinauf, und zogen in der That hinauf, und wurden geschlagen. Sehet, Alles wollten sie besser wissen als der HErr. Es war die Frucht ihres Vernunftsstolzes, den sie freilich hart büßen mußten.

Man sollte wahrlich nicht meinen, daß der arme Mensch sich so weit versteigen könnte, daß er auf seine eigene Klugheit, auf seine eigene Einsicht stolz wäre, und sich gewissermaßen mit Gott selber messen wollte. Denn wir dürfen ja nur auf uns selber sehen, so müssen wir gestehen, daß wir wenig oder vielmehr gar nichts wissen, daß, wenn uns auch einige Erkenntniß geschenkt ist in Absicht auf das Aeußerliche, wir doch vom Grund und Wesen der Dinge nichts verstehen, und in Absicht auf das Göttliche unser natürlicher Verstand mit Finsterniß umhüllt ist. Blicket einmal in die Schöpfung hinaus: Sehet das Körnlein an, das in den Boden gelegt wird. Wir sehen, daß es emporwächst, daß es zu einem Baume wird; aber wie das zugeht, hat noch kein Weltweiser mit all’ seiner Weisheit ergründet, noch Keiner hat begriffen, durch welchen Prozeß das Wachsthum eines Grashalms hindurch geht. Und diese armen unwissenden Menschen treten auf, und wollen mit Gott rechten! Blickt man hinein in die Weisheit und Wissenschaft der Welt, und durchläuft, was die Weltweisen ohne das Licht der heiligen Schrift erfunden haben, ach, wie viel trifft man da Dämmerlicht, wie viel Dunkelheit, ja oft dicke Finsterniß; der Eine behauptet das, der Andere etwas Anderes, und zuletzt behauptet Jeder etwas Falsches. Am besten und am gründlichsten hat sich darüber ein alter heidnischer Weltweiser geäußert: „Das Ende seiner langen Forschungen sey das, daß er nun wisse, daß er nichts wisse.“ Dieser Heide ist weiter gekommen als Manche, die sich klug dünken unter den Christen. Und daß wir nichts wissen in göttlichen Dingen, das wird Jedem klar werden, der sich dazu bequemt, die Wahrheit zu suchen, und sich zu einer ernstlichen und ganzen Bekehrung anzuschicken; er wird Ja und Amen sagen zu jener Strophe aus einem alten Lied: „Was ist blinder als ein Sünder?“ Ja, liebe Zuhörer, was ist blinder? Ich weiß nichts Blinderes. Und, doch will er sehen; doch will er klug seyn; doch will er wissen, was zu seinem Seelenheile dient, ehe er es gelernt hat von Dem, der das Licht der Welt ist; bald geht er zu weit rechts, bald geht er zu weit links; bald ist er zu weit oben, bald ist er zu weit unten; und wenn er seine Thorheit in zehn Fällen eingesehen hat, so handelt er im eilften Falle doch wieder nach seiner eigenen Weisheit, statt, da ihm Weisheit mangelt, von Dem sie sich zu erbitten, der die selbstständige Weisheit ist. O es ist eine erstaunlich tiefe, fast unzerstörerische Wurzel dieses Vernunftstolzes im Herzen; es kostet den Geist der Wahrheit erstaunlich viele Macht, Mühe und Geduld, bis ein Sünder nur das erkennet, daß er selber nichts weiß, was ja doch Wahrheit ist, und daß er sich den rechten Weg erst zeigen lassen, und sich führen lassen muß, wie sich ein Kind in Einfalt und Unschuld führen und gängeln läßt von seinem Vater.

Auf eine besonders auffallende Weise hat sich dieser Vernunftstolz herausgestellt in unsern Tagen, und stellt sich noch heraus. Der ewig treue Gott hat uns blinden Leuten Sein Wort gegeben, damit wir nicht in Finsterniß umhertappen, sondern durch dasselbe das Licht des Lebens haben möchten, wie der Psalmist sagt: „Du erleuchtest meine Leuchte, der HErr macht meine Finsterniß Licht“ (Ps. 18,29.). Das ist ein Hauptzweck, warum uns der HErr Sein Wort geschenkt hat, daß dadurch unsere Finsterniß Licht gemacht, und unsere Sehkraft geschärft, oder unsere Leuchte, die wir etwa durch die Gnade schon haben, noch mehr erleuchtet werden möchte. Da sollen wir sitzen und lernen wie Maria zu den Füßen JEsu; das schickt sich für solche Kreaturen, für solche unwissende und blinde Leute, daß sie als aufmerksame Schüler von der ewigen selbstständigen Weisheit lernen. Saget selber, ist das eine Schande, wenn der, der nichts weiß, lernen will, und zwar von einem solchen Lehrer? Aber die klugen Vernunfts-Männer unserer Tage haben dieses Verhältniß gerade umgekehrt. Sie sind die Lehrer geworden, und das Wort Gottes, der HErr selber soll bey ihnen in die Schule gehen. Sie halten sich selbst für klug, und mit diesen hohen Gedanken und Einbildungen von sich selbst machen sie sich daran, die heilige Schrift zu lesen. Weil nun aber Manches in der heiligen Schrift steht, was der natürliche Mensch nicht begreifen kann, was ihm eine Thorheit ist – denn der natürliche Mensch vernimmt ja, wie der Apostel Paulus sagt, nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Thorheit; der erleuchtete Mensch faßt es wohl, und dem ist’s eine süße, angenehme Speise – weil Manches in der Bibel vorkommt, was ihrem fleischlichen Sinne, oder ihrem geistlichen Hochmuth ein Greuel und eckelhaft ist, und ihren höchsten Widerwillen erregt, was thun sie da? Was sie thun sollten, sieht ein Jeder ein. Bitten sollten sie um das wahre Licht von Oben, daß ihnen doch der HErr aus der Finsterniß zum Lichte helfen möchte, beugen sollten sie sich und warten, ob ihnen vielleicht Klarheit von Oben zu Theil werde; natürlich sollten sie es finden, daß sie sich an dem Worte Gottes stoßen; denken sollten sie: ich bin noch ein natürlicher, unwiedergeborner Mensch, und darum ist es natürlich, daß ich Manches in der heiligen Schrift nicht verstehe; denn sie sagt ja selber, der fleischliche Mensch könne das Göttliche und Geistliche nicht fassen. Sehet, wenn sie so denken würden, dann wären sie rechte Vernunfts-Männer, das wäre vernünftig gedacht. Wenn ein Blinder nicht gerade weiß, ob es Tag oder Nacht am Himmel ist, und er fragt deßwegen einen Sehenden, der es gut mit ihm meint: höre, sage mir, ist es Tag oder Nacht, und er bekommt zur Antwort: es ist Tag; wird er nun wohl behaupten: nein, es ist Nacht? Wenn er vernünftig denkt, so wird er sagen: dieser hat Augen zu sehen, ich nicht, darum weiß ich es nicht, sondern er, er wird sich beugen unter den Ausspruch des Sehenden, und sich dabey beruhigen. Machen es aber nun die Vernunfts-Männer unserer Tage so? Nein, sie beugen sich nicht unter den HErrn und Sein Wort, sondern der HErr und Sein Wort sollen sich unter sie beugen. Entweder stoßen sie das Zeugniß Gottes ganz um mit schnödem Unglauben, und sprechen: es ist Thorheit, es ist Unsinn, diese Dinge passen nicht mehr für unsere Zeit, die aufgeklärte Vernunft unserer Tage hat viel Besseres an’s Licht gefördert; oder sie künsteln und schneiden und modeln so lange an dem einfachen Buchstaben des Wortes Gottes, markten so viel an der Strenge desselben und an den göttlichen Wahrheiten und Geheimnissen herunter, zwingen und drehen daran so lange, bis sie in ihre beschränkte Vernunft hineinpassen. O, eine große Sünde, die man an Ihm, Christo, selbst begeht, und wodurch man Fluch und Strafe auf sich häuft. Denn wer Sein Wort verachtet, der verachtet Ihn selbst; wer Seinem Wort sich nicht unterwirft, der unterwirft sich Ihm selber nicht. O, welche Sprache führt man! wie wird Er herausgefordert, die Wahrheit und Gültigkeit Seines Wortes zu bekräftigen mit unnachsichtlicher Strenge!

Wer mag Ihn in unsern Tagen leiden,
Wo sich Tausende bescheiden,
Seine Worte nimmer zu versteh’n?
Das Jahrhundert (sagt man) ist ja fortgeschritten,
Lange Jahre sind’s, daß Er gelitten,
Dunkel ist’s, was einst mit Ihm gescheh’n.
Besser freilich ist’s durch Ihn geworden,
Mancher Tugend gab Er Unterkunft;
Doch als Opfer einen Mann zu morden,
Streitet gegen die Vernunft.

Sehet, das ist die Sprache, welche man in unserer Zeit führt, das ist der Vernunftstolz unserer Tage. Da könnte man wohl in die Worte des Psalmisten einstimmen: „Die wilden Säue haben den Garten Gottes zerwühlet, und die wilden Thiere haben ihn verderbet“ (Ps. 80,14.).

Glaubet nicht, daß ich hier nur von dem sogenannten gebildeten Stande, oder bloß von den Gelehrten rede; nein, sondern diese Sünde ist auch unter dem Volke eingerissen, und dieß ist gerade der faule Fleck unseres Zeitalters, daß das Wort der Wahrheit unter Hohen und Niedern, unter Vornehmen und Geringen nicht mehr geachtet, sondern verachtet wird, daß man in schnödem Vernunftstolz sich über dasselbe erhebt, und es nach seinem eigenen Gutdünken meistert und modelt, und dreht und wendet. Das war nicht die Sitte unserer Väter; sie haben das Wort des lebendigen Gottes einfältig hingenommen und geglaubt, haben sich darnach gerichtet und unter dasselbe gebeugt, und sind als arme Sünde im HErrn entschlafen. Dafür hat aber auch unter ihnen Zucht und Ehrbarkeit und ein eingezogenes, stilles, ruhiges Leben geherrscht, und sie haben Gott durch ihre Versündigung am Worte des Lebens nicht genöthigt, die Zuchtruthe zu schwingen, und so schreckliche Gerichte hereinbrechen zu lassen, wie sie über unsere Zeit gegangen sind. Aber bey uns ist es gar anders geworden; wir wollen uns den Geist Gottes nicht mehr strafen lassen, darum vergreift sich Jeder ungescheut am Worte Gottes, das freilich den, der es hört, nicht in seiner Fleisches-Ruhe dahin gehen lassen will, wie er es gerne wünscht, sondern ihn aufjagt und aufrüttelt, und das ewige Verderben vor Augen stellt, dem man sorglos entgegen taumelt. Man gehe nur einmal unter das Volk hinein, unter das Volk, sage ich, und rede etwa davon: wie alle Menschen, so lange sie nicht errettet sind und losgemacht durch den Sohn Gottes in der Wiedergeburt, unter der Oberherrschaft des Teufels stehen; und es ist dieß kein abergläubisches Menschen-Mährchen, sondern es ist ja eine Wahrheit, die wohl zwanzig bis dreißig Mal in dem Worte Gottes steht, und durch die ganze Bibel hindurch geht. Was bekommt man aber zur Antwort? Was Teufel, heißt es, es gibt keinen Teufel. Gott ist zu gütig, als daß ER einem Teufel so viele Macht lassen sollte, das glaub’ ich nimmermehr. Oder man redet zu dem Volke von dem heiligen Ernst und dem Zorne Gottes, von der Hölle, und wie über Allen, die nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes glauben, der Zorn Gottes bleibe, der Zorn, der vom Richterstuhle Gottes hinabbrennt bis in den Schwefelpfuhl – was bekommt man aber darüber für Antworten zu Ohren? Das sind übertriebene Mährchen, sagen sie, womit man sie nicht erschrecken könne; man werde doch Gott keinen Zorn zuschreiben wollen, da Er die Liebe sey; zürnen sey menschlich. Ja, armer, schwacher Mensch, Gott zürnt freilich nicht so, wie du zuweilen zürnst, aber Eines rathe ich dir: siehe zu, daß du, wenn du einst an jenem Tage vor Sein feuerflammendes Angesicht gestellt wirst, nicht unter Denen seyn mögest, die sagen: „wir vergehen vor Dem, der auf dem Stuhle sitzt, und vor dem Zorn des Lammes.“ Es mag in der heiligen Schrift stehen, was da will, so hat man etwas daran auszusetzen, und daran zu tadeln, und nach seinem eigenen Gutdünken auszulegen und zu verändern. Wenn es in der Schrift heißt: „Stellet euch nicht dieser Welt gleich“, so dreht es ein Jeder nach seinem Belieben; man spricht dagegen vom erlaubten Lebensgenuß und von unschuldigen Freuden, die nichts weniger als unschuldig sind; nur solle man es nicht gar zu arg machen, und wo möglich noch den äußern Anstand beobachten; ein Jeder legt es aus, wie er will, doch natürlich immer so daß der Schooßsünde, der Lieblingssünde nicht zu nahe getreten wird, daß ihm nicht zu wehe gethan wird, und das Wort Gottes, das freilich von Manchen ganz verworfen wird, muß es noch gleichsam für eine Ehre ansehen, wenn es nur noch halb und halb etwas gilt, und nicht gänzlich in den Staub getreten wird. Vom Geiste Gottes will man sich eben nicht mehr strafen lassen. Es steht in der Schrift: „Rächet euch selber nicht, vergeltet nicht Böses mit Bösem; wer seinen Bruder hasset, der ist ein Todtschläger;“ – wenn nun durch dergleichen Worte die Menschen in unsern Tagen in ihrem Inwendigen von ihrer Sünde überzeugt und überführt werden sollen, da muß es ihnen schon recht bequem und gelegen seyn, und es ist schon viel gewonnen, wenn sie ein falsches Wort nur nicht ganz verwerfen. Unsere Väter, wenn sie sich übereilt hatten, haben sich unter solche Worte gedemüthigt, und wenn sie sich schuldig fühlten, oft mit viel Thränen Gnade und Vergebung gesucht und auch gefunden. Sie ließen sich noch züchtigen durch das Wort und den Geist Gottes; Er konnte doch noch an ihr Herz gelangen, und ihnen die Vergehungen vor Augen rücken. Aber so ist es jetzt nicht mehr. Wie mancher alte oder junge Sünder ist vielleicht unter uns, dem das Wort der Wahrheit schon oft auf diese oder jene Art seine Sünde vor Augen gestellt hat, und er hat auf diese Stimme nicht gehört, und er hat in seinem stolzen Sinne das Wort nicht geachtet, sondern durch allerhand von unserer Zeit oder ihm selbst ersonnene Lügen die Kraft der Wahrheit an seinem Herzen geschwächt. Sehet, das ist der Vernunftstolz, die Sünde unserer Zeit, und die Folge davon ist, daß man keine Furcht Gottes vor den Augen hat. Was wird aber der HErr Denen thun, die Ihn also verachten, was wird Er den stolzen Verächtern thun? An jenem Tage wird Er sagen: diese Meine Feinde nehmet und führet sie vor Meinen Augen her, und erwürget sie. So steht es im Evangelium: „Wer das Wort Gottes verachtet, der verachtet Ihn selbst, und den wird Er wieder verachten, und wer das Wort Gottes ehrt, der ehrt Ihn selbst, wer aber Ihn ehret, den wird Er wieder ehren.“

Was wollen wir denn hiezu sagen, liebe Brüder und Schwestern? Das wollen wir denken, daß dieß Teufels-Werke sind; denn wer den Rathschluß Gottes meistern will, der ist nicht vom Vater der Wahrheit, sondern vom Vater der Lügen. Meistert Ihn nur, läugnet nur, künstelt nur, verachtet nur die Stimme und den Rathschluß Gottes, spottet nur, stürzet nur den Sohn Gottes von Seinem Throne, und setzt eure Vernunft hinauf, werfet nur von euch Seine Bande, vergreifet euch nur mit euren unheiligen Händen an dem Heiligthum Gottes, zertretet nur die köstliche Perle: Eines, das weiß ich, Eines wird euch zur Besinnung bringen, ihr Vernunfts-Männer und klugen Köpfe, und wenn ihr auch bis an’s Ende beharren würdet in eurer Blindheit, in eurer Aufgeblasenheit, in eurer Finsterniß, die ihr Aufklärung und Licht heißet, Eines wird euch zur Besinnung bringen, daß es von euren Augen fällt wie Schuppen, daß eure hochmüthigen Hirngespinste zusammenbrechen, daß sie in Nichts zerrinnen, wie der Schnee am Feuer in Wasser zerrinnet, Eines wird es thun, wenn es sonst nichts thun kann – der Tag des Gerichts. Die Wahrheit bleibt stehen, man mag sie glauben oder nicht; die Sonne geht auf und nieder, die auf Erden mögen ihren Lauf hemmen wollen oder nicht, und wie die Sonne aufgeht, so wird auch der Tag des Gerichts und der Offenbarung anbrechen, es mag den weisen und klugen Leuten bequem seyn oder nicht, und sie werden gerichtet werden durch das Wort, das sie verachtet haben.

Schrecklich aber ist’s, den Zorn zu häufen
Auf das künftige Gericht,
Und den harten Nacken steifen,
Bis ihn Gott im Tod zerbricht.

Da wird man wohl fragen: Wo sind die klugen, hohen Geister, wo sind die weisen Leute, die das Wort Gottes nach sich bequemen wollten, und nicht sich nach dem Worte Gottes? Und da wird die Antwort lauten: „Gott hat die Weisheit der Klugen zur Narrheit gemacht.“

Sehet, das sind lauter Folgen des Vernunftstolzes, der sich freilich oft noch auf ganz andere, viel feinere Art äußert. Nur Einiges will ich davon berühren. Wenn ein Mensch, auf sein eigenes Wissen vertrauend, seine Vernunft auf den Thron erhebt, so ist er meistens sehr weit davon entfernt, zu glauben, daß er verbunden sey, den Willen Gottes ganz und unbedingt zu erfüllen. Er kann dieß vielleicht in seinem Verstande wissen, aber dem Herzen nach glaubt er es nicht; er stellt sich deßwegen auch gar nicht Gott gegenüber als eine arme Kreatur, mit der der Schöpfer verfahren kann nach Seinem Belieben; er meint, er habe Freiheit zu handeln wie er wolle, und glaubt, seinem Schöpfer erweise er einen großen Gefallen, wenn er sich nur dazu verstehe, in schuldiger Ehrerbietung seine Abhängigkeit von Ihm anzuerkennen. Eben so ist’s mit der Selbstklugheit in Absicht auf unser ewiges Heil, die sich besonders in der Bekehrung recht stark herausstellt. Wenn ein Mensch aufwacht aus dem Sündenschlafe, und es kommt durch die Gnade Gottes bey ihm zum Entschlusse: ich will mich umwenden und zu Gott, meinem HErrn, bekehren; - was wäre da das Schicklichste und Beste für ein solch’ blindes Geschöpf, wie der Mensch ist, der nicht weiß, wo und wie? Natürlich, daß er sich zu dem Füßen JEsu niederwärfe, und zu Ihm sagte: ich möchte gerne selig werden, und weiß nicht, wie ich’s mache, denn ich bin ganz blind, wie es Dein Wort mir auch bezeuget; ich bitte Dich darum, zeige Du mir den rechten Weg, gib Du mir Licht, bekehre Du mich, so werde ich bekehrt. Wäre dieß nicht das Natürlichste für uns blinden Leute? Aber wie machen es dagegen die meisten jungen Christen? Sie laufen und laufen auf eigene Faust; nach eigenem Gutdünken fangen sie es an; nach eigenen Einsichten setzen sie es fort; nun kommen Anstände, wodurch es ihnen klar wird: dein Weg ist nicht der rechte, du bleibst stecken. Dadurch werden sie aber nicht abgeschreckt; geschwind ergreifen sie etwas Anderes, und zwar wieder nach ihrem eigenen Gutdünken; auch diese gute Meinung scheitert und erweist sich als falsch; aber der Mensch wird nicht so bald geheilt durch seinen eigenen Schaden. Und so kann es lange in der Selbsthülfe fortgehen; man macht 99 neue Plane, und wenn sie alle zerronnen und gescheitert sind, macht man doch den hundertsten wieder. Sehet, welch’ ein Vernunftsstolz, welch’ ein Vertrauen auf eigene Einsicht. O, was kostet es dem HErrn, bis Er einen Menschen überzeugt, daß er blind ist, bis er sich als ein Blinder zu den Füßen JEsu legt, und nur um Licht bittet, wie jene Blinden zu Jericho, die unaufhaltsam schrieen: „JEsu, Du Sohn David’s, erbarme Dich unser!“ Ach, liebe Seelen, die ihr euch vielleicht schon lange abarbeitet und abmühet, lasset euch doch eure Selbstklugheit, eure hohen Gedanken und guten Meinungen von eurer Einsicht nehmen; lasset euch doch dahin führen, daß ihr nichts mehr wissen wollt, als was euch der Heiland lehrt; lasset euch einen kindlichen, einfältigen Sinn schenken: dann werdet ihr wachsen und grünen, und euer Licht wird hervorbrechen wie die Morgenröthe.

Manchmal begleitet dieses Klugseyn, oder vielmehr dieses sich Klugdünken, dieser Vernunftstolz den Menschen sogar in seine tiefste Finsterniß, in seine Anfechtungen hinein. Auch da will er oft noch klüger seyn als Gott, und das Wort Gottes meistern, das ihm eine Leuchte seyn sollte auf dem Pfade. Da gibt es Seelen, die über ihrem Elend tief angefochten sind, die gerne ein ganzes Eigenthum des Heilandes würden, aber ihre Sünden scheiden sie und ihren Gott von einander; ihre Sündenschuld drückt sie, und sie können nicht glauben, daß der Heiland auch für sie eine Erlösung erfunden habe. Dazu kommt oft noch Satan, der die Seele plagt, ihr verzweifelte gotteslästerliche Gedanken eingibt, und sie so in die Enge treibt, daß sie kaum mehr aufathmen kann. Aber selbst in dieser tiefsten Noth liegt oft noch ein eigensinniger Vernunftstolz zu Grunde, den man durchaus nicht aufgeben will. Man nimmt das Wort Gottes nicht, wie es dasteht. Es steht darin, daß „Freude sey im Himmel über einen Sünder, der Buße thue“; es steht darin, daß „JEsus gekommen sey, Sünder selig zu machen, daß Er die Versöhnung sey für der ganzen Welt Sünde.“ Aber – sagt eine solche Seele – das geht mich nichts an. Und warum? Ich habe kein Gefühl und keine Kraft davon. Sehet da diese eigenliebige Meinung, die sie nicht aufgeben will, weil es eben nun einmal ihr beliebt hat, sie zu fassen. Im Vertrauen auf ihre eigene Einsicht hat sie den Satz aufgestellt, von dem sie nicht abzutreiben ist: Wenn Einen das Wort Gottes etwas angehen soll, so muß man ein Gefühl und eine Kraft davon empfinden. Wo steht denn das? Nirgends in der ganzen heiligen Schrift, und doch setzt manche Seele ihre eigene Einbildung über das untrügliche Wort Gottes, und bleibt in der Verzagtheit, und läßt dem Teufel Raum, dem man mit dem untrüglichen Worte entgegen treten, dem man mit einem, wenn auch trockenen Glauben daran, die Spitze bieten sollte. So würde dieser, wenn auch noch schwache Glaube, ein Licht seyn, das da scheinet an einem dunkeln Ort, bis der Tag anbricht, und der Morgenstern, JEsus Christus, völlig und in Seiner ganzen Klarheit aufgehen kann im Herzen. So hat sich schon mancher Gläubige durch viele geistliche, nicht geringe Anfechtungen durchgeschlagen, und zwar allein durch einen nackten Glauben an das Wort Gottes, dessen Welt-überwindender Kraft er glaubte, wenn er sie auch nicht fühlte. So hat sich Luther durch manche Anfechtung hindurchgerungen, und sein Glaube ist aus jeder Feuerprobe nur um so gediegener und herrlicher hervorgegangen.

O liebe Zuhörer, lasset doch die Teufels-Stricke, diese hohen Meinungen von unserer Klugheit und Einsicht, von Dem zerstören und zerreißen, der es allein vermag, dem großen Schlangentreter. Er allein kann uns zu Kindern machen, die in Einfalt an Ihn sich schmiegen.

Denn solche Seelen will der König lehren,
Die ein jedes Kind mit Nutzen hören,
Und fröhlich wissen,
Daß sie Schüler sind und lernen müssen.

Ach, so wollen wir doch uns zu den Füßen des Heilandes niederwerfen, und Ihn bitten, daß Er uns erleuchten, und alle Eingebungen, alle Bollwerke und Befestigungen Satans, alle Selbstklugheit und Erhebung der Vernunft zerstören, und unsere eigene Weisheit unter unsere Füße treten, und jene Einfalt schenken möge, von der es in jenem Lieder heißt:

Heil’ge Einfalt! Gnaden-Wunder!
Tiefste Weisheit, größte Kraft;
Schönste Zierde, Liebes-Zunder!
Werk, das Gott alleine schafft.

Einfalt ist ein Kind der Gnade,
Eine kluge Ritterschaft,
Die auf ihrem schmalen Pfade
Nicht nach dem und jenem gafft.

Einfalt quillt aus JEsu Wunden
Mit dem theuren Gottes-Blut;
Wer sie da nicht hat gefunden,
Der ist fern von diesem Gut.

Amen!

1)
Zur Zeit Hofackers wurde der Thomastag am 21. Dezember gefeiert; seit 1970 ist der Thomastag in der katholischen Kirche der 3. Juli.
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