Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage des Apostels Jacobus.

Hofacker, Ludwig - Predigt am Feiertage des Apostels Jacobus.

1)

Text: Offenb. Joh. 2,6. u. 7.

Aber das hast du, daß du die Werke der Nicolaiten hassest, welche ich auch hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradies Gottes ist.

Wir haben bisher in zwey öffentlichen Vorträgen über den Brief JEsu Christi an den Bischof in Ephesus geredet. Im Anfang bezeugte der HErr ihm Seine Zufriedenheit, lobte ihn wegen seiner Arbeit und Geduld, daß er die Bösen nicht tragen könne und in Seinem Namen arbeite. Im Verfolge sagte Er ihm: „ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest“, und ermahnte ihn zur Buße; und jetzt nach diesem Lob und Tadel folgt in unserm Texte wieder ein Lob und eine göttliche Verheißung. Wir wollen nun unsern Text, wie früher, Wort für Wort mit einander durchgehen, und die Gedanken, die uns dabey aufstoßen, auf uns anwenden. Zuvor lasset uns den HErrn um Seinen Segen anrufen. HErr JEsu! wir bitten Dich um Deinen Segen; siehe, wir sind hier zusammengekommen, um einen Segen von Dir zu empfangen, so segne uns denn, ob wir gleich dessen unwürdig sind. Ach! es gehört ein ganzer Ernst dazu, wenn wir als Deine Kinder und Erlösten in der Welt wandeln wollen; so lasse doch nicht ab, an unsern Seelen zu arbeiten, bis Du einen ganzen Ernst in uns gepflanzet hast, daß wir alles Andere, alles Irdische gering achten, und nur Dir zu Gefallen in der Welt leben. HErr, hilf uns um Deines Namens willen! Amen.

„Aber das hast du“, so beginnt unser Text. Damit will der Heiland dem Bischof etwas Lobenswürdiges sagen: „ob ich gleich an dir auszusetzen habe, daß du die erste Liebe verlässest, so gefällt mir doch das an dir, daß du die Werke der Nicolaiten hassest.“ Hiebey dringt sich die Bemerkung auf, daß der Heiland zwischen das Lob einen Tadel hineingesetzt, Lob und Tadel durch eine liebliche Mischung gemildert hat, auf daß eine desto größere Wirkung bey dem Bischof hervorgebracht werde. Wir hätten wohl nach unserer Art das Lob sogleich zum Lobe, und den Tadel sogleich zum Tadel gesetzt; aber dieß war dem Sinne des Heilandes, das ist Seiner Weisheit, Seiner Liebe und Barmherzigkeit nicht angemessen; Er will in der Erziehung der Seinigen durch das Lob nicht erheben, durch den Tadel nicht niederschlagen; Er will nichts überstürmen, aber auch nichts niederdrücken; es soll Alles zu einer aus der Wahrheit kommenden Beugung und Buße, zu wahrhaftiger Besserung führen. O, wenn wir in diese Art des Heilandes hineinblicken, nach welcher Er auch da, wo Er tadeln muß, wo Er warnen, Sein heiliges Mißfallen bezeugen muß, dieses nicht auf eine solche Art thut, wie oft Menschen, welche froh sind, wenn sei eine Gelegenheit finden, ihren Unmuth herausbrechen zu lassen, wie Menschen, die, wie man im Sprichwort sagt: „das Kind mit dem Bade ausschütten“, sondern so, daß Er die Sünde von den Seinigen nur deßwegen entfernen will, auf daß sie selber nicht Schaden nehmen an ihrem eigenen Seelenheil; wenn wir diese Art des Heilandes bedenken, so dürfen wir uns ja wohl freuen, daß wir einen solchen HErrn haben: o wie gut und selig dient sich’s nicht dem liebevollen Monarchen, der Mitleiden hat mit unserer Schwachheit. Er gehört nicht unter diejenigen Aerzte, welche mit rauher Hand die Geschwüre der Kranken aufreißen und aufätzen, welche, ohne die Folgen zu bedenken, mache es Schmerzen wie es wolle, bringe es den Tod oder was es wolle, in unvernünftiger Leidenschaftlichkeit zufahren; nein, der Heiland hat Acht bey der Pflege Seiner Kranken auf die Natur ihres Schadens, und wenn Er auch eine bittere Arzney gebrauchen muß, so weiß Er sie doch mit etwas Süßem zu vermengen, so daß ihr viel von ihrer Bitterkeit genommen wird. So bey dem Bischof von Ephesus. Was ihm der HErr im vierten Verse sagt: „Ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest! gedenke, wovon du gefallen bist, und thue Buße und thue die ersten Werke! wo aber nicht, so werde ich kommen und den Leuchter wegstoßen von seiner Stätte.“ – Der Inhalt dieser Worte war etwas recht Bitteres, war etwas, das ihn hätte zu Boden drücken müssen; und wäre es ohne Beisatz da gestanden, so würde es ihn auch wie ein gewaltiger Blitz niedergeschmettert haben; aber dieses Wort steht nicht allein, sondern in der Mitte. Zuerst und am Ende bezeugt der HErr ihm Seine Zufriedenheit. So sucht Christus ein Kind, wenn es von der ersten Liebe, oder überhaupt vom rechten Wege abgekommen ist, nicht niederzudrücken, sondern bezeugt ihm in irgend etwas noch Seine Zufriedenheit, und deckt ihm seine Fehler aus mit schonenender und mildernder Sanftmuth. Die Pflanze Seines himmlischen Vaters will ER wohl reinigen und ihre Auswüchse abschneiden; aber was forthin zum Wachsthum dienlich ist, läßt Er stehen: „das zerstoßene Rohe will ER nicht zerbrechen, und das glimmende Docht nicht auslöschen.“

Der Bischof war in einem gemischten Zustande, und daher war des Heilandes Brief gerade recht für ihn, denn er paßt nur auf einen gemischten Zustand des inwendigen Lebens. In einer Seele, die nicht ganz lauter ist vor dem HErrn, ist das Böse vom Guten nicht so geschieden, daß Beides gleichsam an seinem besondern Ort wäre, wie man von einer Farbe auch nicht immer sagen kann, sie ist schwarz oder weiß, sondern sagen muß, sie ist gemischt oder melirt. Der Mensch kann oft selber das Gute und das Böse in seinem eigenen Herzen nicht so deutlich aus einander lesen, der HErr aber kann es und thut es, und darum weiß Er Lob und Tadel an seinen Ort zu stellen. So tritt uns also hier recht augenscheinlich entgegen auf der einen Seite das barmherzige, mitleidige Herz unsers Hohenpriesters, der nur unser Seelenheil beabsichtigt, und mit schonender Geduld den Gefallenen behandelt und zurechtweist, auf der andern Seite aber Seine Alles durchdringende Allwissenheit, welche Herzen und Nieren erforscht, wie Johannes Beides lieblich zusammenstellt, wenn er spricht: „wir sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater voll Gnade, aber auch voll Wahrheit.“

„Das hast du“ – sagt der HErr – „das hast du.“ Wie genau kennt Er doch den ganzen Wandel, das innere und äußere Wesen Seiner Knechte, wie sein weiß Er Alles zu sondern und zu würdigen, auf die Wagschale Seiner erbarmenden Liebe und Wahrheit zu legen, und das Gewicht der ganzen Menschheit darnach zu bestimmen. Im zweiten Verse sagt Er: „Ich weiß deine Werke“, im vierten Verse: „Ich habe wider dich“, und hier: „das hast du.“ So ließ Er einst auch dem Könige über Juda, dem Josaphat, sagen: „der Zorn Gottes ist über dir, weil du liebest, die den HErrn hassen.“ – „Aber das hast du!“ – fuhr der Prophet fort – „das gefällt dem HErrn, daß du die Götzenhaine ausgerottet, und dein Herz zum wahren Gott bekehret hast.“ So weiß der HErr Gutes und Böses aus einander zu lesen, und Seine Gnade sucht Alles hervor, was einem Gefallenen wieder aufhelfen kann. Aber nun, lieber Mensch! wenn der HErr, dein künftiger Richter, dich auf die Wagschale legen, und dir deinen Zustand kund thun und sagen würde: Ich habe etwas wider dich – würde Er wohl auch hinter dem Tadel, hinter der Bestrafung und Warnung bemerken können: das hast du, das sehe ich gerne an dir? – Frage dich! Ich weiß wohl, wenn du dein eigenliebiges Herz darüber fragst, so wird es dir manches Lobenswürdige sagen, so wird es dir vielleicht hererzählen Dieß und Jenes. Es werden sich wohl manche ein gutes Zeugniß geben, und in ihrem Inwendigen sagen: wenn der HErr auch Manches an mir zu tadeln findet, so wird Er doch auch etwas Löbliches an mir finden; ich liebe das Gute, liebe das Wort Gottes, liebe christliche Gespräche, thue Barmherzigkeit an den Armen; o, wären nur alle Menschen wie ich, ich bin so sanftmüthig, kann so viel Fehler an Andern übersehen u.s.w. – Das habe ich; das kann der HErr an mir loben. Aber, lieber Mensch, ich sage dir, daß dieß nur die eigenliebige Sprache deines Herzens ist; es gilt nicht, wenn du sagst: das ist lobenswürdig an mir, sondern wenn’s der HErr sagt. O wie Viele werden so betrogen, schändlich betrogen mit ihrem Lob, das sie sich selber geben! wie Manche haben schon gemeint, sie haben auf den Grund, Christum, lauter Gold, Silber, Edelstein gebaut, und wenn das Feuer der Bewährung kommt, so ist’s nichts als Holz, Heu und Stoppeln, lauter Dinge, die vom Feuer verzehrt werden, weil sei kein Licht von oben hatten, weil sie sich nach den Eingebungen ihres eigenliebigen Herzens, ihrer trügerischen Vernunft, die voll guter Meinungen über ihre eigenen Werke, voll falscher Ansichten und Urtheile ist, betrachtet, und ihre Handlungen nach einem selbsterwählten Maaße gemessen haben; und da ist’s schon geschehen, daß es Vielen wie Schuppen von den Augen gefallen ist, wie es dem Bischof von Laodicäa ergieng, der nichts als gute Werke an sich sah. Er dachte: ich bin reich und habe gar satt, und bedarf nichts. Was sagte aber der Heiland? du bist reich? Nein! du bist arm! und dann rieth Er ihm: „kaufe Augensalbe, damit du nicht ewig blind bleibest.“ O wie Mancher wird, wenn einmal Rechnung mit ihm gehalten wird, wie mit jenem Knechte, sich getäuscht finden und sehen, daß er sich verrechnet hat; es wird ihm gehen wie dem König Belsazar, der noch aß und trank, während die Feinde vor den Thoren waren, bis die Hand in seinem Zimmer an die Wand schrieb: „du bist gewogen und zu leicht erfunden worden!“ So sagt ein gewisser Schriftsteller auch: o wie mancher angesehene Christ wird bey dem Einsturz seiner Werke ausrufen müssen: verloren! verloren in Ewigkeit! denn Gottes Gerichte sind anders als Menschen-Gerichte.

„Ich habe wider dich“ – sagte der HErr zuerst, und dann: „das hast du.“ Wahrscheinlich wußte der Gemeinvorsteher von Ephesus nicht einmal, daß ihm der Umstand, daß er die Werke der Nikolaiten haßte, vom Heilande so hoch angerechnet werde; es war ihm nichts Besonderes, er sah es als etwas ganz Natürliches an; es floß von selbst aus seinem innern Gemüths-Zustande; und doch sagte der HErr: „das hast du! das gefällt mir, daß du der Nikolaiten Werke hassest.“ Woher kommt das? Sehet, liebe Zuhörer, am jüngsten Tage, wenn alle Menschen vor dem HErrn versammelt, und ihre Gedanken, Worte und Werke an’s Licht gebracht werden, da wird Manches ganz anders ausfallen, als wir zuvor glaubten, da wird Manches getadelt werden, was wir für lobenswürdig hielten; das, was man schon lange gerühmt, und des Lohnes werth gehalten hat, wird nicht vergolten, und das, woran man nicht gedacht hat, wird vergolten werden, und zwar öffentlich, wie es der Heiland verheißen hat. Wie geht das zu? dieß kommt daher, weil wir im Beurtheilen unserer Handlungen nur auf das Große und Auffallende sehen; der Heiland aber sieht auf das Kleine, Geringfügige, Gewöhnliche, Alltägliche: wir sehen auf das, was uns sauer geschehen ist, dieß hat sich unserer Seele tief eingeprägt, dieß vergessen wir nicht so leicht; der Heiland aber sieht auf das, was ganz natürlich aus unserem Seelen-Zustande herausgeflossen ist. Wie viele alltäglichen Dinge, die man nicht beachtet hat, werden an jenem Tage als gute Werke vergolten werden; aber an das, was so vieles Aufsehen gemacht, wird nicht gedacht werden, sondern es wird vielleicht in die Reihe der Dinge kommen, die im Buche des Todes stehen. Gottes Gerichte sind anders als Menschen-Gerichte. Es ist aber eine große Weisheit des HErrn, daß Er das Gute, welches die Feuerprobe aushält, vor Seinen Kindern verbirgt; Er zeigt es ihnen nicht, weil die Eigenliebe sich darin spiegeln, und der göttliche Schatz so verdorben würde. Deßwegen ist es auch nicht die Art eines Kindes, zu fragen, ob es lobenswürdig sey? zu fragen, wo sind die Dinge, die dem HErrn an mir gefallen? Damit wird nur die Zeit verdorben. Nein! unter der täglichen Zucht der Gnade wird ihm der Zustand seines Elends und seiner Verdorbenheit aufgedeckt, und bey diesem steten Gefühl seiner Niedrigkeit gibt ihm der himmlische Vater Seinen Geist, so daß es sich nicht irre machen läßt durch alle möglichen hohen Gedanken, die durch die List des Satans in ihm aufsteigen könnten, und so geht es der Ewigkeit entgegen, bewahrt wie mit einem Schilde, darunter läuft es hin bis in’s Vaterland, indem es lernt auf Gnade trauen, und in Versuchung feste stehen. Das ist die wahre Weisheit eines Kindes Gottes, die ein Jünger des HErrn so richtig beschreibt:

Und würde man auch irgendwo
Der eig’nen Gnadenarbeit froh;
So kommt die heil’ge Schaam herbey,
Die zeiget uns so Mancherley,
Daß man Gott dankt, wenn man sich selbst vergißt,
Und denkt an nichts, als daß ein Heiland ist.

Dieß ist das Ganze – man ist froh, daß ein Heiland ist. Das ist der Weg zur Seligkeit, daß der Mensch nur in der Gnade des himmlischen Vaters und des Heilandes lebt, daß er ärmer in sich selber wird und reicher in Gott.

Nun aber, was hatte denn der Heiland am Bischofe zu Ephesus zu loben?

„Daß du die Werke der Nikolaiten hassest, welche ich auch hasse.“ Die Nikolaiten waren eine besondere Sekte in der ersten christlichen Kirche, welche dem Fleische Raum gab, den Götzen opferte und Hurerey trieb, und dennoch christlich seyn wollte. Es war eine schreckliche Vermischung des Fleisches und Geistes bey ihnen, wie es überhaupt in der ersten christlichen Zeit Manche gab, welche dem Geiste nach Christen seyn wollten, während sie nach dem Fleische wandelten. Das Fleisch dient der Sünde, - sagten sie – der Geist dient Gott; das Fleisch muß ja doch sterben, es ist also gleichgültig, was man damit treibt; der Geist aber gehört Gott, und muß Ihm geweiht werden. Welch’ ein großer offenbarer Widerspruch gegen die Lehre der heiligen Schrift! Der Apostel Jakobus sagt: „Was rühmest du dich deines Glaubens? Der Glaube ist todt an ihm selber, wenn er nicht Werke hat“; und Johannes: „Wer Sünde thut, der ist vom Teufel; dazu ist der Sohn Gottes erschienen, daß ER die Werke des Teufels zerstöre;“ und Paulus: „Irret euch nicht, Gott lässet Sich nicht spotten; wer auf sein Fleisch säet, der wird vom Fleische das Verderben ernten.“ Jene Lehre der Nikolaiten nun (denn unter Werken ist sowohl Lehre als Wandel verstanden) war dem Heiland ein Greuel, Er haßte dieselbige, wie Er alles Böse haßt, namentlich aber das Böse, das unter dem Schein des Christenthums verübt wird, wo man Ihn zu einem Sündendiener macht, und auf Seine Gnade muthwillig hineinsündigt. „Diese hasse ich“ – sagt Er – „und es ist recht, daß du sie auch hassest.“ O, wenn ein Gewaltiger in der Welt sagt: das hasse ich; wie erschrickt man, wie geschwind sucht man das, was er haßt, aus dem Wege zu räumen, weil er Macht hat, uns am täglichen Brod, an der Gunst, am Leben zu schaden; aber Der, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle, Der mag sagen: ich hasse oder ich hasse nicht, so ist das Alles dem Menschen gleichgültig. Ich hasse die Hurerey, Wollust, Eitelkeit, Zwietracht; ich hasse den Geiz, Stolz, Zank, Hader und Neid und was dergleichen mehr ist, spricht der HErr in Seinem Worte, aber das Alles rührt den Menschen nicht, er achtet’s nicht, und doch ist Der, der also redet, der HErr aller Herren, welcher über ewigen Tod und ewiges Leben entscheidet. Wie blind und thöricht sind wir! Es liegt fürwahr ein furchtbarer Nachdruck darin, wenn der HErr JEsus spricht: „das hasse ich!“ es ist wahrlich nicht in den Wind geredet, sondern das Nämliche, wie wenn Er einst sagen wird: „Weichet von mir, ihr Uebelthäter, ich habe euch nie erkannt.“

Ich habe schon oben gesagt, daß die Werke der Nikolaiten auch ihre Lehre bedeuten. Der HErr sieht nämlich darauf, daß wir an der Reinigkeit der Lehre halten, und uns die evangelische Wahrheit nicht durch Menschensatzungen und Menschenmeinungen und Einfälle des Fleisches verdunkeln und nehmen lassen; denn es ist ein Zeichen eines ächten Jüngers Christi, daß er an dem Wort seines HErrn fest hält, und es sich nicht entreißen läßt, sey es durch Gewalt oder durch die Scheingründe der falschberühmten Kunst. Zwey Hauptpunkte der Wahrheit aber sind es, zwey Grundbegriffe des Reiches Gottes sind es, bey denen es sein Verbleiben haben wird in Ewigkeit; der erste: die Barmherzigkeit, und der zweite: die Gerechtigkeit. Gegen diese zwey Punkte sind von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten immerdar Einwendungen gemacht worden; man hat mit ihnen gemarktet, und sie nicht gelten lassen wollen nach ihrem vollen Sinn und ihrer vollen Wahrheit. Das Erbarmen Gottes in Christo JEsu ist der alleinige Grund unsers Heils; wer aber nicht durch jenes selig zu werden meint, sondern zu seiner Seligkeit auch nur das Geringste beytragen zu können glaubt, der setzt den Heiland herunter, und raubt Ihm die Ehre, die Ihm gebühret. Solcher aber hat es von Anfang bis auf diese Stunde gar Manche gegeben. Auf der andern Seite aber stößt man sich an Seiner Gerechtigkeit, indem man Seine Gnade zur Fleischesfreiheit mißbraucht, und sich einbildet, Er werde es mit der Heiligung nicht so genau nehmen. „Der Grund Gottes aber stehet fest, und hat dieses Siegel: der HErr kennet die Seinen, und es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer des HErrn Namen bekennt.“ Und abermal spricht der Apostel Johannes: „Ein Jeglicher, der solche Hoffnung zu Ihm hat, der reiniget sich, gleich wie Er rein ist, denn Christus ist uns ja gemacht zur Gerechtigkeit, aber auch zur Heiligung.“ Der HErr sagt am Ende der Offenbarung etwas, was sich auf die ganze Bibel bezieht: „Ich bezeuge Allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buche: so Jemand dazu setzet, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen, die in diesem Buche geschrieben stehen, und so Jemand davon thut, von den Worten dieses Buches der Weissagung, so wird Gott abthun Sein Theil von dem Buche des Lebens und von der heiligen Stadt und von dem, was in diesem Buche geschrieben steht.“ Was der Heiland hier sagt, gilt von der ganzen Bibel und von Allen, welche die Bibel entweder verdrehen, oder zu einem halbirten Christenthum mißbrauchen. So sagt auch der Apostel Paulus: „Wenn ein Engel vom Himmel ein anderes Evangelium predigen würde, als das wir euch verkündigen – der sey verflucht!“

Aber die Werke der Nikolaiten beziehen sich nicht bloß auf ihre Lehre, sondern auch auf ihren Wandel. Aus einer so unreinen Lehre kann natürlich auch kein anderer als ein schlechter Wandel folgen; unser ganzer Wandel fließt aus den Grundgedanken unserer Herzen; sind wir durch Gottes Geist zur Erkenntniß der Wahrheit gelangt, also, daß sich ihr unser Herz gegangen gegeben und unterworfen hat, so muß auch ein lauterer Wandel bey uns zum Vorschein kommen; haben wir aber durch den Betrug der Sünde und Satans List der Lüge in uns Raum gegeben, so muß auch ein unlauterer Wandel, so müssen Werke des Todes zum Tode die Folge seyn, so schön sie oft auch äußerlich gleißen und scheinen mögen. Und dieß ist eben der Grund, warum der HErr einen so großen Werth auf die Reinheit der Lehre legt, und unbegreiflich ist, wie wenig wir darauf achten, welch’ großen Einfluß die Lehre auf den Wandel hat. Davon haben wir ein merkwürdiges Beispiel an unserer Zeit; denn die christliche Lehre unserer Zeit ist, wie ich schon oft gesagt habe, leichter als die Spreu, die der Wind zerstreut, und ebenso ist’s auch mit dem Wandel der heutigen Christen. Man redet deßwegen viel von der Allbarmherzigkeit Gottes, glaubt aber keine Hülle, kein Gericht, keinen Teufel, kein Blut der Versöhnung, keine Zeit der Heimsuchung; es kommen ja, wie sie sagen, alle Leute in den Himmel bis auf diejenigen, welche ganz gottlose Leute, Räuber und Mörder und dergleichen sind. Wo aber die Religion so leicht ist, muß es da nicht auch der Wandel der Menschen unserer Zeit seyn? Es kann in gegenwärtiger Zeit ein Mensch den ganzen Tag im Fleischesleben dahin gehen, in elendem Zeitvertreib, in seinen Lustbarkeiten und faulem Geschwätz, und des Abends vor Schlafengehen greift er nicht nach der Bibel, sondern nach seinem Erbauungsbuche, in welchem das Modechristenthum gepredigt ist. Und wovon handelt sein Erbauungsbuch? Von dem Meer, von der Sonne, Mond und den schönen Sternen, von einem guten Vater, der Seine Kinder thun und treiben läßt, was sie wollen, und ohne Anstand Alle in den Himmel nimmt. Das liest er, und schläft nun, ohne in seinem Gewissen bestraft und beunruhigt zu seyn, mit getrostem erzen ein. Daher kommt es, daß unsere Zeit so spornstreichs dem Verderben zueilt, daher, daß man, auf kein Strafgericht, auf keine Bußstimme mehr achtet, weil man nicht mehr an das Wort Gottes glaubt, weil man seine eigene Religion gemodelt und sich Lehrer aufgeladen hat, nach denen einem die Ohren jucken, und hat sich zu den Fabeln gekehrt, so daß es an manchen Orten so weit gekommen ist mit der Verfinsterung, daß man die evangelische Lehre für eine ketzerische neue Lehre ausruft, weil sie dort schon lange Zeit nicht mehr gehört worden ist. Der Geist dieser Zeit will sich nicht strafen lassen vom Geiste Gottes, der doch so mächtig hineingedrungen ist in unsere Zeit, und es geht in Erfüllung, was der Apostel gesagt hat: „weil sie sich zu den Fabeln gekehrt haben, so wird Gott ihnen kräftige Irrthümer senden, daß sie glauben der Lüge und verloren gehen.“

Lasset uns zu unserem Texte zurückkehren. Es heißt hier: „das hast du, daß du die Werke der Nikolaiten hassest, welche ich auch hasse.“ Also nur die Werke der Nikolaiten: es war dieß ein großes Lob für den Bischof, daß er nur die Werke, nicht die Menschen selbst hasse. So haßt auch der Heiland die Sünder nicht, sondern „Er ist gekommen, zu suchen was verloren ist, und Sünder selig zu machen“; Er liebt die Sünder; aber die Sünde, die Finsterniß, die Werke des Teufels haßt Er und wird sie hassen in Ewigkeit. Es ist etwas Großes, wenn Gott einem Menschen ein solch’ priesterliches Herz schenkt, daß er die Sünde von dem Sünder wohl unterscheiden kann. Nun, mein lieber Zuhörer! hassest du das Böse allein? oder hassest du den Sünder mit dem Bösen? hassest du das Böse oder den Bösen? hast du schon aus unzeitigem Eifer den Sünder mit der Sünde weggeworfen? Oder bist du von denen, wie der Apostel sagt, welche Gottes Gerechtigkeit wissen, daß die, die solches thun, verloren gehen, und es nicht allein selbst thun, sondern auch Gefallen an denen haben, die es thun? Steht es so mit dir, dann bist du reif zur Hölle.

Nun aber fährt der HErr fort: „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“ Dem Grundtexte nach sollte es eigentlich heißen: „Wer ein Ohr hat, der höre.“ Es hat wohl dieß den Sinn: was man in die Ohren sagt, das sagt man laut, was man aber in ein Ohr sagt, das sagt man leise. Soll nun also der Heiland Seiner Gemeinde eine Verheißung gleichsam insgeheim, ohne daß die Welt es hört, in’s Ohr sagen; das, was jetzt folgt, geht die Welt nichts an, sondern nur die, die ein Ohr haben, nur die, so die Stimme des guten Hirten vernehmen können, mögen sie leben, in welchem Jahrhundert sie wollen, mögen sie wohnen, unter welchen Zonen sie wollen. Das Wort jener Verheißung reicht auch in unsere Zeiten bis in diese Stunde herein. Denn der selige Bengel bemerkt richtig: die ersten Gemeinden seyen Säulen gewesen, an welchen diese Bekanntmachungen und Verheißungen angeheftet worden seyen zur Nachachtung aller nachfolgenden Gemeinden auf Erden. Darum, wer ein Ohr hat zu hören, der höre! O, daß wir Alle ein Ohr hätten! Denn es muß doch sehr wichtig seyn, was der Geist der Weisheit den Gemeinden sagt, es muß doch sehr wahr seyn, was der Geist der Wahrheit den Seinigen kund thut! O ihr, die ihr an die Mährlein und an die Fabeln und an das leichte Modechristenthum, und an Menschengedenken und Einfälle, und an die Träumereyen dieses Zeitlaufs gewöhnt seyd, arme, betrogene Leute, die ihr indessen so viele Lügen hören mußtet, höret jetzt einmal ein wahres gewisses Wort, höret es, der Geist der Wahrheit läßt euch etwas sagen! und was ist dieses?

„Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holze des Lebens, das im Paradiese Gottes ist.“ Höret doch das göttliche Wort: „Wer überwindet!“ Was bedeutet das? Wo Ueberwindung ist, da muß auch Kampf seyn; Niemand kann überwinden ohne Kampf. Was haben wir nun zu überwinden? Jeder Christ hat seine eigene Sünde, seine Lieblings- und Schoossünde, die er überwinden muß. Der Eine hat den Geiz, ein anderer die Wollust, ein Dritter die Eitelkeit, ein Vierter die Trägheit, wieder ein anderer die falschen Meinungen, und Vorurtheile von sich und der Welt zu überwinden, und zwar durch das Wort der Wahrheit. Aber auch ein jedes Zeitalter hat seine eigenen Sünden, die uns am meisten gefangen halten, zu überwinden, und was ist dieß in unserer Zeit vornehmlich? Ich sage: der Leichtsinn, weil man sich durch den Geist Gottes nicht mehr strafen lassen will, weil man nicht mit Ernst und Kampf, sondern mit Lachen und Scherzen, mit leichtem Wesen und losen Gedanken in den Himmel will, in den doch keiner eingehen darf, dem es nicht ein völliger Ernst ist, der nicht um die Wiedergeburt ringt und kämpft. Aber nicht bloß der Leichtsinn dieser Zeit, sondern auch der Unglaube und Aberglaube, der sich so sehr eindringt, überhaupt der ganze Geist unserer Zeit ist zu überwinden. Ein jeder Christ, der noch nicht wiedergeboren ist, hat zu wachen und zu kämpfen, zu ringen, zu beten, zu flehen, bis er dieses hohen Gutes theilhaftig wird, und wer wiedergeboren ist, hat zu wachen und zu kämpfen, daß er seinen Schatz bewahre, daß er in Demuth und Niedrigkeit bleibe. O, gehe nur in deine Haushaltung; wie Vieles ist da zu überwinden, wenn du das, was du vielleicht gerne thätest, unterlassen, und, was du gern unterließest, thun sollst; es gibt zu überwinden im täglichen Leben überall, in deinem Aufstehen und Niedergehen, in deinem Essen und Trinken, in deinem Umgang mit den Menschen und in der Einsamkeit, wenn wir den Willen Gottes thun, wenn wir die Grundgesetze des Reiches Gottes in Ausübung bringen wollen: daß Gehorsam besser sey denn Opfer, und unsere Pflicht es fordere, Treue zu beweisen im Kleinen, ja, im Allergeringsten; nicht uns selber zu leben, sondern Gott und Christo, und los werden zu trachten von unserem eigenen Willen. Es gibt sehr Vieles zu überwinden. Wie sollen wir aber überwinden? Von den Ueberwindern im Himmel heißt es: „sie haben überwunden durch des Lammes Blut!“ Durch das Blut der Versöhnung können wir überwinden, durch das Wort vom Kreuz. Das sollte in dem tiefsten Herzensgrunde eingegraben und eingeschrieben seyn; JEsum Christum sollten wir durch den Geist Gottes in unsern Herzen verklären lassen. Sehet, wenn es heißt:

In meines Herzens Grunde
Dein Nam’ und Kreuz allein
Funkelt all’ Zeit und Stunde;
D’rauf kann ich fröhlich seyn!

wenn es so im Herzen heißt, dann ist schon der Leichtsinn überwunden. Der Heiland hat es Sich so sauer werden lassen in Seinem blutigen Schweiß – wie könnte ich lachen, tanzen und springen? ich will mit Ernst daran denken, wie Er geschwitzt und geblutet für mich, alle Gedanken sollen Ihm geheiligt seyn; jedes Wort, das nicht für Ihn geredet ist, sey verflucht; - wenn es so im Herzen heißt, dann können wir gewiß alle Versuchungen, die noch kommen werden, überwinden. Der HErr hat es dem Bischof von Philadelphia zu einem besondern Verdienste angerechnet, daß er durch das Wort seiner Geduld und seiner Leiden die Versuchungen überwunden habe, und verheißt ihm dafür: „Ich will dich auch erhalten in der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen die da wohnen auf Erden.“

Ueberwinden können wir auch im Blick auf die himmlische Belohnung, deßwegen sagt der Heiland: „Ich will ihm zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradiese Gottes ist.“ In jedem Menschenherzen ist eine Sehnsucht nach dem Paradiese; der Mensch ist aus dem Paradiese gefallen, und will daher auch wieder hinein. Deßwegen sucht die Welt ihr Paradies in diesem und jenem: der Eine denkt: hier kann mir’s wohl seyn; ein Anderer hält etwas Anderes für sein Paradies; der Eine sucht es in einem Geldsack, der Andere in Titeln und Ehren, der Dritte in lustigen Gesellschaften und eitlem Wesen. Solche suchen es wohl, aber sie finden es nicht; nur wer aus dem Tode in’s Leben dringt, findet das Paradies. O im Blick auf jenes obere Paradies sollten wir Alles für gering achten. Was findet man darin? In der Offenbarung Johannis steht: das Holz des Lebens stehe im neuen Jerusalem, auf den beiden Seiten des lebendigen Wasserstroms. Das haben wir einst verloren, und sollen es wieder finden. In diesem obern Paradiese ist auch der Schächer, der durch die Kraft des Blutes JEsu Christi hinein kam, und zu welchem der HErr am Kreuze sprach: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese seyn!“ Wer überwindet, der wird dort den Schächer finden und die vielen Seelen, die schon längst hineingekommen sind und noch hineinkommen werden. Aber nicht nur das, sondern wir werden JEsum Christum selbst dort finden, wie Er sagte: „du wirst mit Mir im Paradiese seyn“, oder: „Ich will ihm geben von dem Lebensholz im Paradiese Gottes.“ Ich will ihn in meine selige Gemeinschaft nehmen. Da werden wir Leben und volle Genüge haben.

Wie gut ist’s überwinden!
Die Worte sind gewiß:
Man wird zu essen finden
Vom Holz im Paradies;
Man traue dem Versprecher
Auf sein Verheißen nur;
So gibt Er, was der Schächer
Vom Kreuzholz her erfuhr.

O liebe Zuhörer! euch Allen und mir wünsche ich Nichts, als daß wir wie der Schächer, wenn wir einmal unsere Arbeit niederlegen und zu dem Frieden Christi in’s Paradies eingehen, ausrufen mögen:

Nun hab’ ich überwunden
Kreuz, Leiden, Angst und Noth;
Durch Seine heil’gen Wunden
Bin ich versöhnt mit Gott.

Daß wir doch Alle den Eingang erlangen möchten in das Paradies unseres Gottes und Heilandes! Der HErr schenke uns Allen den Sinn, Ueberwinder zu werden, daß wir nicht träge, noch dem Fleische weich seyen, und uns von keinem Ding aufhalten lassen, damit Niemand unsere Krone nehme. Er gebe uns, daß wir vergessen, was dahinten liegt, und uns strecken nach dem, was vor uns ist, nach dem himmlischen Paradiese, daß wir unser Angesicht strack’s nach Jerusalem richten!

Schenke, HErr! auf meine Bitte
Mir ein himmlisches Gemüthe,
Einen königlichen Geist,
Mich als Dir verlobt zu tragen,
Allem freudig abzusagen,
Was nur Welt und irdisch heißt.

So will ich mich selbst nicht achten,
Sollte gleich der Leib verschmachten.
Bleib’ ich JEsu doch getreu!
Sollt’ ich keinen Trost erblicken,
Will ich mich damit erquicken,
Daß ich meines JEsu sey.

Amen!

1)
25. Juli
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