Hofacker, Ludwig - Predigt am dritten Sonntage nach Epiphaniä

Hofacker, Ludwig - Predigt am dritten Sonntage nach Epiphaniä

Wie unser tägliches Leben und äußerer Beruf ein Gottesdienst werden müsse.

Text: Joh. 2,1 - 11.

Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Cana in Galiläa; und die Mutter JEsu war da. JEsus aber und Seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. Und da es am Wein gebrach, spricht die Mutter JEsu zu Ihm: Sie haben nicht Wein. JEsus spricht zu ihr: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was Er euch saget, das thut. Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt, nach der Weise der jüdischen Reinigung; und giengen je in einen zwey oder drey Maaß. JEsus spricht zu ihnen: Füllet die Wasserkrüge mit Wasser. Und sie fülleten sie bis oben an. Und Er spricht zu ihnen. Schöpfet nun, und bringet es dem Speisemeister. Und sie brachten es. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wußte nicht, von wannen er kam (die Diener aber wußten es, die das Wasser geschöpft hatten), rufet der Speisemeister dem Bräutigam, und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind, alsdann den geringern; Du hast den guten Wein bisher gehalten. Das ist das erste Zeichen, das JEsus that, geschehen zu Cana in Galiläa, und offenbarete Seine Herrlichkeit. Und Seine Jünger glaubeten an Ihn.

Wir treffen heute den Heiland auf einer Hochzeit an. Es gibt Leute, welche sich fast daran ärgern, und denken: was thut doch der Heiland auf einer Hochzeit? schickte sich das auch für Ihn? Es gibt aber wieder Andere, die sich darüber freuen und sprechen: da sieht man deutlich, daß die finstern Köpfe Unrecht haben, die sich ein Gewissen daraus machen, an allerhand Lustbarkeiten Theil zu nehmen, ein heiteres Christenthum, sagen sie, das ist dem Heiland angenehm, keine Kopfhängerey. Antwort: wenn der Heiland auf die Hochzeit zu Cana gegangen wäre, um sich dort zu belustigen, so hätten Diejenigen Recht, die sich an Ihm ärgern; und die leichtsinnigen Weltlinge, die sich heitere Christen nennen, hätten auch Recht, wenn sie sich auf Ihn berufen. Aber hatte der Heiland diese Absicht? Unser Evangelium belehrt uns eines ganz Andern. Hier offenbarte Er das erste Mal Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit. Dieß war Seine Hauptabsicht.

Es gibt Leute, welche meinen, auf eine Hochzeit tauge das Christenthum nicht, wenn man sich auch allenthalben als Christ, als Nachfolger JEsu beweise, so sey es doch billig, bey einer Hochzeit oder einer andern dergleichen Gelegenheit eine Ausnahme zu machen. Wenn sie deßhalb etwas Unanständiges, Unchristliches, Sündliches an sich und Andern bey solchen Gelegenheiten bemerken, so sind sie viel nachsichtiger in ihrem Urtheile als sonst. Da heißt es, man muß dieß zur Hochzeit rechnen, das geht in die Kirchweih, das geht in den Herbst u.s.w. Sie meinen, es gebe Zeiten und Umstände, wo es eher erlaubt sey, ein Narr oder ein Heide zu seyn als zu andern Zeiten. Manche ziehen das Christenthum noch enger zusammen, und verlegen es bloß in die Kirche, oder in eine andere christliche Versammlung; im Hause, bey'm Handwerke, hinter dem Pfluge, da brauche man das Christenthum nicht; da sey man ein Hausvater oder eine Hausmutter, ein Handwerksmann, ein Bauer u.s.w., aber kein Christ. Wer aber kein Christ ist hinter dem Pfluge, der ist auch keiner in der Kirche; denn das Christenthum ist nicht ein Rock, den man nach Belieben aus- und anziehen kann.

Aber wie muß man es denn machen, um in seinem täglichen Leben und äußern Beruf, der ja meistens gar keinen Bezug auf's Himmlische hat, ein Christ zu seyn? Antwort: Man muß seinen äußeren Beruf und die Vollkommenheiten des täglichen Lebens zu einem Gottesdienste machen. Dieß will ich weiter ausführen, indem ich zeige:

wie unser tägliches Leben und äußerer Beruf ein Gottesdienst werden müsse.

Ich will reden:

  • davon, was das heiße: sein tägliches Leben und seinen äußeren Beruf zu einem Gottesdienst machen;
  • was es für ein Segen sey, wenn man dieß thue.

Liebreicher Gott, wir kennen Deine Wege nicht, weil wir von Natur blind sind. „Lehre uns thun nach Deinem Wohlgefallen, denn Du bist unser Gott, Dein heiliger Geist führe uns auf rechter Bahn!“

I.

Wenn man an Christus statt an die Menschenkinder die Bitte richtet, daß sie doch ihrer Seelen Heil bedenken, und zur Hochzeit des Lammes kommen möchten: so hat man häufig Gelegenheit, die Bemerkung zu machen, daß sie sich entweder laut mit Worten, oder nur in ihrem Inwendigen vor ihrem eigenen Gewissen mit ihrer äußeren Lage entschuldigen. Ich kann mich, heißt es dann, mit dieser Sache nicht einlassen, ich habe einen Acker gekauft, ich muß hinausgehen und ihn besehen; oder: ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, ich muß hingehen, sie zu besehen; oder: ich habe ein Weib genommen (Luc. 14,18.20.); oder: ich habe ein großes Gut und Vermögen umzutreiben, ich muß meine Gedanken hierauf richten; oder: ich bin ein armer Mann, ein armes Weib, ich habe genug zu thun, um nur für das tägliche Brod zu sorgen; oder: ich bin ein Dienstbote, ich habe einen unruhigen Dienst, ich kann keine Zeit für das Geistliche erübrigen; oder: mein Ehegatte, mein Nachbar wird von einem feindseligen Geiste gegen mich umgetrieben, wie könnte da ein Segen vom Wort Gottes aufkommen in meinem Herzen? Kurz, meine Verhältnisse machen es mir unmöglich, mich zu bekehren. Ein Geistlicher - meint ein Mancher - hat in dieser Hinsicht eine günstige Lage, denn sein Beruf bringt es schon mit sich, daß er mit Gottes Wort sich beschäftige, für seine und seiner Beichtkinder Seligkeit sorge, aber ich - wo sollte ich Zeit hernehmen zu diesem Geschäfte? Diese und dergleichen Vorwände und Entschuldigungen sind unter den Menschen sehr gewöhnlich, und wenn sie einen solchen Grund ihrem eigenen Gewissen entgegen gehalten, oder den Ruf zur Bekehrung, der von Außen her an sie ergieng, auf diese Art abgewiesen haben, so pflegen sie im Wahne zu stehen, sie hätten eine äußerst trifftige Entschuldigung vorgebracht, gegen welche jeder billige Mensch nichts mehr einwenden könne.

Aber, lieber Mensch, wenn du deine äußere Lage zum Vorwande deiner Unbußfertigkeit machst, so fällt die Schuld der letzteren auf Gott zurück. Denn wer hat dich in deinen Beruf und in deine Lage hereingesetzt? Wer hat das Gebot gegeben: im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brod essen? Wer hat dich arm oder reich gemacht? Ist's nicht Gott? Siehe, auf Gott wirfst du die Schuld deiner Unbußfertigkeit, wenn du sie auf deine äußere Lage legst. Und der Gott, der da will, daß allen Menschen geholfen werde, der eben, um ihnen zu helfen, Seines eingebornen Sohnes nicht verschonet hat, sondern hat Ihn für uns dahingegeben in Noth und Tod - dieser Gott soll schuldig daran seyn, daß du dich nicht bekehrst, und also verloren gehest? Das sey ferne! Nein, du selber bist der Mann des Todes! Du bist in irdischen Sinn versunken; deine Neigung, deine Liebe geht auf die Welt, und was von der Welt ist, und willst dir nicht einmal aus diesem Elende helfen lassen. Wenn das Wort Gottes Wurzel fassen will in dir: so kommen die Dornen des vergänglichen Mammons und die Sorgen und Wollüste des Lebens und das Geschwätz und das Weltleben, und diese Dinge ersticken den guten Samen in dir, und du lässest ihn ersticken. Hierin liegt die Schuld deiner Unbußfertigkeit, nicht aber in deiner äußeren Lage.

Daß aber die Menschen ihre Gottlosigkeit gerade mit ihrer äußeren Lage entschuldigen mögen, kommt daher, weil sie ganz falsche Vorstellungen vom Leben in Gott und vom äußeren Leben haben, und es als etwas Bekanntes voraussetzen, daß gottselig leben in dieser Welt, und seinem irdischen Berufe obliegen, zwey ganz verschiedene Dinge seyen, daß ein Mensch seyn und ein Christ seyn, das Leben in dieser Welt und das Leben für die Ewigkeit, etwas Verschiedenes, ja Unvereinbares sey. Dieser Wahn ist ziemlich allgemein unter den Menschen. Was denken sich die Meisten unter wahrer Frömmigkeit? Verstehen sie nicht eine Gemüthslage darunter, wo man an gar nichts mehr denke als himmlische Dinge, wo man sich um das Irdische gar nichts mehr bekümmere, also fast untüchtig werde zu jeder Besorgung eines andern als eines geistlichen Geschäfts? Zwar haben die lauen und weltlich-gesinnten Christen, und die neueren aufgeklärten Lehrer eines heitern Christenthums, von welchem ich oben im Eingange geredet habe, dieser Vorstellung ziemlich Abbruch gethan, und viele Menschen durch ihren Wandel und durch ihre Worte auf das Gegentheil, nämlich auf die Ansicht gebracht, daß die Liebe zur Welt und zu dem, was dem Fleische gefällt, sich wohl mit dem wahren Christenthum reimen lasse, ja nach dem Willen Gottes dazu gehöre. Aber doch steckt jenes Vorurtheil, daß der irdische und himmlische Beruf eines Menschen sich nicht mit einander vereinigen lassen, noch in Vielen, und muß entstehen bey allen denjenigen, welche zwar den rechten Begriff von der Größe des himmlischen Berufs haben, aber dabey die irdischen Verhältnisse nicht auf Gott zurückführen, sondern sie nur als etwas Zufälliges, als einen Tummelplatz unserer Leidenschaften und unseres Eigenwillens betrachten.

Von diesem Vorurtheil ist es hergekommen, daß bald einige Jahrhunderte nach Christi Geburt in der Kirche die Meinung herrschend wurde: wer wahrhaftig gottselig leben wolle, der könne sich unmöglich mehr mit irdischen Geschäften einlassen; er müsse sich aus dem Geräusch der Welt entfernen, und in die Einsamkeit gehen, um dort seine ganze Zeit auf Gebet, Betrachtung der heiligen Schrift und andere Andachtsübungen zu verwenden. So ist es zuweilen gekommen, daß Ehegatten, die durch den Heiligen Geist zum Trachten nach dem Reiche Gottes erweckt worden waren, aus einander gegangen sind, der Mann rechts in die Wüste, die Frau links in die Wüste, haben sich von ärmlicher Kost genährt, und ihre ganze Zeit im Gebetsumgang mit Gott zugebracht, auch wohl einander die Tage ihres Lebens nicht mehr gesehen. Das hieß man ausgehen aus der Welt. Allein das rechte Ausgehen aus der Welt steht nicht darin, daß man in die Wüste geht, wo man sich selber auch mit hinaus nimmt, sondern darin, daß man seinem Pharisäer und seinem Sadducäer, und seinem falschen Propheten, und seinem Antichrist, und seinem Weltling, den man im eigenen Herzen herumträgt, täglich abstirbt, welches mitten im Geräusche und Sturme des Lebens geschehen mag, und nicht durch Rennen und Laufen, sondern durch Gottes Gnade und Erbarmung vollbracht wird.

Glaubet aber nicht, liebe Zuhörer; daß es jetzt keine Leute mehr gebe, die ihr Christenthum in der Wüste führen möchten, wie in den ersten Jahrhunderten. Wie mancher Anfänger im Christenthum seufzt noch jetzt in seinem Inwendigen: ach! wenn ich nur ein eigenes Häuschen hätte, ein eigenes Stübchen, wo ich einsam und allein seyn könnte! da wollte ich mich hineinsetzen und Welt Welt seyn lassen; da wollte ich mich einzig mit dem HErrn beschäftigen; wie fromm wollte ich werden! Aber durch meinen äußeren Beruf werde ich immer gestört; ich werde durch allerhand vorkommende Umstände aus der Andacht des Herzens herausgerissen; ich werde zu viel herumgestoßen in dieser Welt, und kann nicht so fromm seyn, als ich wünschte. - O! lieber Mensch, du solltest Gott danken, daß du nicht so fromm seyn kannst, als du wünschtest; das ist dir gerade gesund, wenn du ordentlich herumgestoßen wirst; so offenbart sich, was in deinem Herzen steckt; so wirst du vielleicht noch tüchtig zum seligmachenden Glauben, zum Glauben an Den, der die Gottlosen gerecht macht. Siehe, wenn du das falsche Bild von Frömmigkeit, das du in dir hast, könntest wahr machen an dir selbst: wer könnte dann noch bleiben vor deiner großen Gerechtigkeit? - Was muß man zuweilen für Bemerkungen an Krankenbetten machen! Wenn ein Vater, eine Mutter, ein Sohn oder Tochter, oder sonst ein Anverwandter, krank oder todtkrank ist, was thun die Gesunden, wenn es anders ehrsame Leute sind? Antw.: sie entfernen vom Kranken Alles, was ihn an seinen irdischen Beruf und Sorgen erinnern könnte. Nun! das ist recht gut; so bekommt der Geist Gottes eher Raum, die Seele des Kranken auf ihren eigenen Zustand und auf ihr Verhältniß zu Gott aufmerksam zu machen. Aber wenn dann der Kranke, der vielleicht seinem äußeren Beruf in der Furcht Gottes obgelegen, der vielleicht über seine äußeren Angelegenheiten fleißig mit dem HErrn geredet, und den Willen Gottes auch in seinen häuslichen und andern Geschäften zu treffen gesucht hatte; ich sage: wenn ein solcher Kranker auf seinem Todtenbette noch nach der oder jener irdischen Angelegenheit fragen will; was wird ihm entgegnet? Da kommt die Antwort: laß das fahren, du sollst an nichts Irdisches mehr denken; du hast nun nichts zu thun, als für deine Seele zu sorgen, gerade wie wenn das Sorgen für die Seligkeit ein Geschäft wäre, das man besorgen kann, wie ein Taglöhner seine Arbeit besorgt. O liebe Zuhörer! die Gottseligkeit ist kein Gewerbe; auch liegt es nicht an Jemands Wollen oder Laufen, sondern einzig und allein an Gottes Erbarmen.

Von diesem Vorurtheil, daß man den himmlischen und irdischen Beruf einander als verschieden entgegensetzt, kommt es her, daß viele Menschen sich selber für wahre Christen halten, die es doch nicht sind, und bey welchen der Lebenswandel vom Gegentheile Zeugniß gibt. Weil sie nämlich wohl einsehen, daß das, was sie sich unter Frömmigkeit denken, nämlich ein Herzenszustand, wo man im Blicke auf das Unsichtbare alle irdischen Verhältnisse vergißt und geringschätzt, in dieser armen Welt nicht ausführbar ist, indem die Nothdurft unseres gebrechlichen Leibes und oft heilige Pflichten für den Nebenmenschen unsern Blick immerdar wieder von der Höhe auf den Boden herabziehen, so haben sie einen andern Ausweg gefunden. Sie bilden sich nämlich ein, Gott, der ja unser irdisches Elend, unsere Nothdurft und Gebrechlichkeit wohl kenne, treibe es mit Seinen Forderungen auch nicht auf das Höchste, sondern Er sey zufrieden, wenn man gewisse Zeiten zum Dienst Gottes, und die übrige Zeit zum Dienst des Eiteln anwende. Die erste und Haupt-Zeit, die zum Gottesdienst nach der Meinung dieser Menschen bestimmt ist, ist der Sonntag. Des Sonntags gehen sie also zur Kirche, etwa in eine christliche Versammlung; erbauen sich wohl noch aus einem geistlichen Buche; in den übrigen Tagen bekommt der HErr etwa noch eine Viertelstunde des Morgens und eine Viertelstunde des Abends, wenn anders die Geschäfte nicht zu dringend sind, und vor und nach dem Essen noch ein paar Augenblicke. Das ist der Gottesdienst dieser Leute. Glaubet nicht, liebe Zuhörer, daß ich diese Uebungen tadeln wollte; sie sind sehr gut und heilsam; wollte Gott, die Christen möchten sich sämmtlich zu diesen Uebungen bequemen! Es würde mehr Gottesfurcht in der Welt seyn, als gegenwärtig vorhanden ist. Das ist also nicht fehlerhaft, daß man dem Andenken an den HErrn, dem Gebet, der Betrachtung des Wortes besondere Zeiten widmet; aber das ist fehlerhaft, wenn man meint, dadurch sey Gott abgefertigt, die übrige Zeit gehöre dem Dienst der Welt und der Eitelkeit. Und das meinen Viele. Mit Macht stürzen sie sich, wenn sie ihrer Schuldigkeit gegen ihren Schöpfer Genüge gethan zu haben glauben, in das irdische Leben hinein; denken nun hinfort an nichts mehr als an's Irdische, bis wieder die Zeit zum sogenannten Gottesdienste kommt; ja sie erlauben sich Ausbrüche der Sünde, und geben sich ganz den finstern Bewegungen ihres Herzens, den Einflüssen der Geister der Bosheit preis, ohne Wachsamkeit, ohne Anhangen an Gott und ohne Aufmerksamkeit auf die Stimme des Geistes der Wahrheit. Kaum hat ein solcher Mensch den Heiland zu Gast gebeten und gesprochen: „komm, Herr JEsu! sey unser Gast, und segne, was Du bescheret hast“, so setzt er sich zu Tische und fängt etwa Zank über dem Essen an, oder er erlaubt sich Unmäßigkeit im Essen und Trinken, was die Bibel „Fressen und Saufen“ heißt. Eben hat er gebetet: „vergib mir meine Schulden, wie ich vergebe meinen Schuldigern“, so fängt er an, über seinen Nächsten zu schmähen oder über ihn zu afterreden, oder seine Laune und seinen Grimm an ihm auszulassen, und meint doch, er sey ein rechter Christ. Das gibt sonderbare Christen. Da kann man Christen sehen, die armen Erdwürmern oder grimmigen Löwen, oder wüthenden Hunden gleich sind, welche jeden Vorübergehenden beißen, oder unersättliche Geizhälse, oder Fresser und Säufer oder Betrüger u.s.w., und meinen doch, sie seyen Christen. Warum? Sie geben in ihrer Blindheit Gott, was Gottes ist, und so gebühret nun nach ihrem Wahn auch dem Fleische, was des Fleisches ist. O mein lieber Zuhörer! meine nicht, als ob du über diesen Irrthum so weit erhaben seyest. Er steckt viel tiefer, als sich viele Menschen einbilden. Was für ganz andere Leute sind wir oft in der Kirche als außer der Kirche, in einer christlichen Versammlung oder Gemeinschaft als in unserem Hauswesen, zwey Tage vor dem Genuß des heiligen Abendmahls als in der übrigen Zeit!

Ich hoffe, liebe Zuhörer, ihr sehet ein, daß das wahre Christenthum nicht darin bestehet, daß man sich aus der Welt entferne, aber auch nicht darin, daß man sechs Tage lang ein Heide sey und am siebenten ein Christ seyn wolle. Nein! das Christenthum und der äußere Beruf gehören zusammen; beide müssen so mit einander verwoben werden, daß du am Werktage so gut ein Christ bist als am Sonntage, und hinter dem Pfluge so gut, als wenn du auf den Knieen liegst und betest. Wie mag Solches zugehen? Der Heiland sagt: „trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, so wird euch das Uebrige Alles zufallen.“ Der himmlische Beruf ist also der vorzüglichere, der irdische aber ist der geringere. Damit nun der irdische nicht den himmlischen verdränge, denn solches kann er leicht thun in uns, die wir Fleisch sind von Fleisch geboren: so muß der irdische in die Natur des himmlischen verwandelt, oder, wie ich oben gesagt habe, unser tägliches Leben und äußerer Beruf muß ein Gottesdienst werden. Dieß wird aber geschehen, wenn wir des Wort des Apostels in Ausübung bringen lernen: „Alles, was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut Alles im Namen des HErrn JEsu, und danket Gott und dem Vater durch Ihn.“

Sehet, liebe Zuhörer, Gott hat ein Jedes unter uns in die äußere Lage, in die Verhältnisse, in den Wirkungskreis gesetzt, wo wir uns eben jetzt befinden. Manchmal setzt sich auch ein Mensch durch seinen eigenen Willen in eine Lage und Beruf hinein, ohne Gottes Führung: aber Gott läßt es ihm zu, und macht im gerade die Lage, in die er sich durch seinen Eigenwillen selbst hineingeführet hat, zu einer Erziehungsanstalt für die Ewigkeit. Anders verhält es sich freilich da, wo ein äußeres Verhältniß an sich schon sündig ist; hier hat der Mensch so bald als möglich auszutreten, und seine Seele zu erretten: denn Gott ist nicht mit ihm. Aber wo dieß nicht der Fall ist, da sollen ihn eben sein tägliches Leben und die darin sich ereignenden Umstände zu Gott führen und im Anhangen an Gott befestigen. So ist es der Wille Gottes. Gott hat in die Vollkommenheiten des täglichen Lebens so viele Beziehungen auf Ihn verflochten, daß ein aufmerksames Herz dadurch unaufhörlich auf den HErrn zurückgewiesen wird. Wie viel Gelegenheit, an Gott zu denken, findet nur z.B. ein Landmann in seinem irdischen Berufe, in den Dingen, die ihn umgeben! Wer läßt die Pflanzen aus der Erde wachsen? wer gibt Regen und Sonnenschein? wer gibt das Gedeihen zum Vieh? wer gibt Kräfte zur Arbeit? wer beschert das tägliche Brod? ist nicht jeder Grashalm, der aus dem Boden wächst, ein Fingerzeig, der zu Gott hinauf weiset? So ist es aber in jedem ehrlichen Stande. Wer schickt dem Kaufmann die Käufer zu? Wer gibt dem Handwerksmann Arbeit und somit sein tägliches Brod? Wer schickt dieses oder jenes Leiden? Ist's nicht Gott? Und was will Er damit? Das sind lauter Fäden, die Er an unser irdisches Leben knüpft, um uns dadurch nach Oben zu ziehen. Ein solcher Faden war die Anwesenheit des Heilandes auf der Hochzeit zu Cana; ein neuer Faden war die Noth, die bey den Brautleuten entstand; und ein dritter Faden war die herrliche Hülfe durch den Sohn Gottes! O, wer hierauf genugsam merkte! Wie würde ihm Gott allenthalben begegnen, der Gott, ohne dessen Willen kein Haar von unserem Haupte fällt!

Aber nicht nur Er begegnet uns in unserem täglichen Leben; wir sollen auch Ihm begegnen darin, und das gibt erst die rechte Haltung in unser irdisches Leben. Ein Jeder soll in seiner Art, in seinem Wirkungskreise, in seinen Umständen, in seinen Widerwärtigkeiten Treue und Geduld beweisen in der Kraft, im Namen JEsu, um JEsu willen soll er sich darin vor Sünden und Versäumnissen hüten, und sich dazu Weisheit und Kraft von Oben erbitten, damit er, wenn der Heiland kommt, als treuer Haushalter erfunden werde, und Er ihm sagen könne: „ey! du frommer und getreuer Knecht, in Wenigem, im Irdischen, im täglichen Leben, in geringen Umständen (die der hoffärtige Weltgeist weit übersieht) bist du getreu gewesen; ich will dich über Viel setzen: gehe ein zu deines Herrn Freude.“ So wird das Leben wahrhaft christlich.

Wenn also eine Magd die Stube auskehrt oder ihren Stall reinigt, so kann sie solches thun in Unmuth, im Murren, im Knechtsgeiste um des Lohnes willen, aus Gewohnheit, und in diesem Falle wird sie durch ihr Geschäft von Gott abgeführt, wenigstens nicht zu Ihm hingezogen; sie kann es aber auch thun um des HErrn willen; sie kann es aus Liebe und Gehorsam gegen den Heiland thun, der sie in solchen Beruf gesetzt hat; sie kann dabey um des HErrn willen Fleiß und Treue und Genauigkeit beweisen, und so nicht nur ihr Auskehren und Reinigen, sondern alle ihre übrigen Geschäfte dem Heiland heiligen. Ist sie auf diesem Punkt bey ihren Geschäften, so wird ihr ganzer Beruf zur wahren Förderung ihres inneren Wachsthums, und sie ist, wenn sie das niedrigste Geschäft in diesem Sinne vollbringt, dem HErrn angenehmer, als wenn sie zu der Zeit, wo sie solches Geschäft hätte thun sollen, auf ihren Knieen gelegen und gebetet hätte. Und wenn eine Hausfrau Kinder hat, und muß diese Kinder waschen, und ihre Kleider flicken, und ihren Unarten wehren, und muß nebenbey noch kochen, und ihrer schweren Haushaltung vorstehen, wo zuweilen Eines um das Andere daherstürmt: so hat sie allerdings in ihrem täglichen Leben viel Reizung zur Ungeduld und zu allerhand Ausbrüchen übler Laune. Aber so wie sie sich besinnt, und den festen Schluß in sich faßt und spricht in ihrem Herzen: Du hast mir diesen Stand angewiesen, lieber Heiland, und weil diese Sachen von Dir kommen, so will ich es nun versuchen um Deinetwillen, ob ich nicht Treue und Fassung und Geduld darunter beweisen und behaupten kann; gib mir nur Weisheit dazu und Kraft aus Deinem Heiligthum in dieses mühselige Leben und Treiben herein! Und sie geht hin und greift in JEsu Namen das Werk, wozu sie Gott bestimmt hat, wieder frisch an; siehe, so thut sie einen Gottesdienst und ist so fromm, wie wenn sie in der Kirche wäre und hätte die schönsten Rührungen in ihrem Herzen. Und wenn ein Weber hinter seinem Webstuhl sitzt, und wirft sein Weberschifflein hin und wieder, und denkt bey sich selber in seinem Herzen: „es ist zwar eine etwas langweilige und ungesunde Arbeit um das Weben; auch ist der Verdienst nicht eben groß: aber wenn ich Dir nur in meinem geringen Theile durch mein Weben Ehre machen könnte, großer Heiland, so würde ich mich überglücklich schätzen. Ach! gib mir doch die gehörige Weisheit und Treue, daß ich dem, der sein Tuch bey mir weben läßt, mein Geschäft so gut und genau als möglich besorge; auch bewahre mich davor, daß ich ihm durch Unachtsamkeit oder durch Eigennutz Nichts veruntreue“; - ich sage, wenn ein Weber so denkt, und wendet also um JEsu willen den größtmöglichen Fleiß auf seine Arbeit: so macht er aus seinem äußeren Berufe einen wahren Gottesdienst und aus seiner Webstube eine Kirche und ein Heiligthum Gottes. Und wenn ein Bauer seine Stiere zu Markt treibt, und er befiehlt dich Sache vorher dem Heiland, und ist es ihm um des Heilandes willen darum zu thun, daß er doch bey'm Verkaufen ja nicht lügen, nicht übermäßig loben, keine unnützen Worte machen, sondern seine Rede möchte ja, ja! nein, nein! seyn lassen, und möchte lieber Schaden leiden als seinem Nächsten Schaden zufügen - Alles aus Gehorsam und aus Liebe zum Heiland - so hat er aus seinem Handel einen Gottesdienst gemacht. Braucht's noch mehr Beispiele? Ich hoffe, ihr verstehet jetzt wohl, was ich meine. Alle Arbeit, bey einem jeden Beruf, er mag Namen haben, wie er wolle, muß vor dem HErrn geschehen; denn nicht das, was man thut, es sey so hoch oder niedrig, als es wolle, sondern der Sinn, mit welchem man es thut, gibt allein vor Ihm den Ausschlag. Sehet, so kann man aus Allem einen Gottesdienst machen, aus Essen und Trinken, Schlafen und Wachen, Reden und Schweigen, Laufen und Sitzen, Arbeiten und Ruhen, ja, was sage ich: so müssen Denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten, zum Vorschub dienen, und weder Teufel noch Welt kann das hindern. Und wenn wir auch tausend Fehler in diesen Uebungen machen, was nicht anders seyn kann; denn unsere besten Werke sind nicht vollkommen gut, sondern sämmtlich mit Beweisen unseres Falles und unseres Elendes durchwirkt: so treiben ja die Fehler und sündlichen Schwachheiten, die ein Christ an sich bemerkt, ihn wieder zu Gott, so daß er Tag und Nacht nicht aus der Schule kommt. Ein solches Leben heißt man ein christliches.

Nun lasset uns

II.

sehen, was es für ein Segen sey, wenn es so bey uns werde.

Wenn Jemand seinen äußeren Beruf und seine irdischen Verhältnisse aus diesem Gesichtspunkte ansehen, und in eine solche geistliche Uebung einführen lernt: so hat er einen gesegneten, seligen Stand. Zwar, das darf man nicht verhehlen, auch ein Christ hat bey dem Allem ein mühevolles Pilgerleben und manche bittere Erfahrung darin. Die Himmlischen nennen dieses Leben die große Trübsal (Offenb. 7,14.), und dieß ist es auch. Je mehr ein Mensch mit seinem Sinne von der Welt geschieden wird, desto mehr fühlt er hienieden den Druck der Fremdlingschaft. Aber dessen ungeachtet hat ein Christ viel Trost in aller Mühe und Arbeit. Wenn man seinen Lauf mit dem Heiland und zur Ehre des Heilandes vollenden möchte, so spricht der Geist der Wahrheit dem Herzen manch' süßes Trostwort zu. Da öffnen sich Wasserquellen in der Wüste und das Brod vom Himmel stärkt die ermatteten Kräfte bis zur Heimath hin: denn der Herr läßt es den Seinigen nicht an dem fehlen, das sie bedürfen (Ps. 23.). Der Gang eines Christen ist bey aller Mühe ein gesegneter Gang.

So sind die Gottlosen nicht. Sie fühlen die Plage dieses Lebens zehnfach, „sie haben viel Plage“, spricht der Herr. Wenn ein Mensch sein irdisches Leben und seinen äußeren Beruf ohne Gott führt, so ist eitel Unsegen in seinen Wegen. Welch' ein stumpfes, kaltes, langweiliges, todtes Gewohnheitsleben führen die meisten Menschen! Es ist kein Licht und keine Kraft weder in ihrem Aufstehen noch in ihrem zu Bette gehen, weder in ihrem Arbeiten, noch in ihrem Ausruhen, sie wissen nicht, wozu sie in der Welt sind, außer etwa zum Abschaffen oder Absorgen, um ihr Brod zu erwerben, und ihre übrigen thierischen Bedürfnisse befriedigen zu können. Dazu kommen viele Plagen. Der Eine ist arm, wie viel Noth hat er dadurch! Ein Anderer ist reich; wie viel macht ihm das Sorgen! Der Eine will erwerben und gewinnen; aber heute entschlüpft ihm dieser Vortheil, morgen ein anderer; heute heckt er einen klugen Plan aus, morgen wird ihm seine Rechnung durchgestrichen. Und wenn ihm auch Manches gelingt, so bleibt doch die Begierde seines Herzens ungestillt, weil der Geiz unersättlich ist. O! da ist eitel Herzeleid! Ein Anderer trägt es in seinem Leben hauptsächlich auf Gemächlichkeit, Bequemlichkeit, auf sogenannten Lebensgenuß an. Aber, o besondere Einrichtung Gottes! der Weg zu diesem Ziele führt die meisten Menschen durch lauter Ungemächlichkeit, Unbequemlichkeit, Anstrengung. Und wie viele Dinge sind, die hindernd und hemmend im Wege stehen! Ein Anderer wird wieder von einer andern Hauptbegierde umgetrieben: aber er trifft auf lauter Hindernisse und Anstöße. So wird man mürrisch, verdrossen, neidisch, streitsüchtig, sucht die Schuld da und dort, verachtet, haßt seinen Nächsten, betrachtet ihn als bloßes Mittel, um seine Zwecke durch ihn zu erreichen, tritt ihm feindselig entgegen, wenn solches nicht gelingt, tröstet sich zuletzt mit seinem Verstande, mit seiner Geschicklichkeit, mit seiner Rechtschaffenheit, macht aber eben, nachdem man sich getröstet hat, einen Mißgriff, ärgert sich darüber, stürzt sich wieder mit neuer Wuth in seine Geschäfte; kurz - der Gottlosen Weg ist lauter Unsegen, Unfrieden von Innen und Außen, eitel Unfall und Herzeleid. Es ist ein Jammerleben, wenn man ohne Christus lebt!

Doch die Menschen haben Auswege erfunden. Weil nämlich dem Fleische, das im täglichen Leben und Umtrieb seine Nahrung sucht, eben darin fast beständig etwas zuwiderlaufen und wehe thun muß, so suchen sie sich auf andere Weise schadlos zu halten. Es gibt allerhand solche Auskunfts- und Erholungs-Mittel. Diejenigen, welche Geld haben, suchen ihre Entschädigung für die Plage des Lebens im Essen und Trinken, oder besser: ich Fressen und Saufen. Andere wollen sich mit allerhand Liebhabereien des Lebens Bitterkeit versüßen. Die, welche kein Geld haben, müssen sich meistens mit der Hurerey begnügen, entweder mit der feineren oder mit der gröberen, welch' letztere jedoch immer der ersteren nachfolgt. So gibt es Leute, die aus Fressen und Saufen und allerhand Reizungen des Geschmackssinns ein Gewerbe machen, die den Tag für verloren achten, an welchem sie von diesem Geschäfte abgehalten wurden; so gibt es Eigengefällige, die ohne sonstige Rücksicht ihren Liebhabereien nachhängen; so wird Unzucht getrieben in Worten, in Gedanken, mit Augen, mit losen oder doch faulen Gesprächen, in der That außer und in dem Ehestande (denn auch im Ehestande kann man Hurerey treiben). - Alles, damit man sich das arme, ungesegnete Leben ein wenig versüße. Obendrein hat man zu eben diesem Zwecke, sich des Lebens Bitterkeit zu versüßen, noch erfunden andere Dinge. In den Städten gibt es Schauspiele, allerhand Reizungen der Neugierde, der Augenlust, der feineren Fleischeslust, deren Befriedigung sie zum guten Ton rechnen, allerhand Verbindungen, Zusammenkünfte, wo, wie sie sagen, auf geistigen Genuß angetragen wird. Das nennen sie die Würze des Lebens. Aber wenn das Fleisch, wenn der Hochmuth, die Lästersucht, die Fleischeslust u.s.w. ihre Nahrung nicht dabey finden: so haben sie wenig sogenannten geistlichen Genuß dabey. In den Dörfern gibt es auch solche Zusammenkünfte; man erzählt abgeschmackte oder sündliche Geschichten; man schmäht über Abwesende; man hetzt die Menschen hinter einander, um die teuflische Freude zu haben, einem Kriege zuzusehen; man vergnügt sich in allerhand unzüchtigen Worten, oder es gibt andere Lustbarkeiten, hin und wieder eine Hochzeit, die Kirchweihe, und Anderes dergleichen. Dieß soll die Entschädigung für die Plage des Lebens seyn, welche allerdings schwer auf ihnen lastet, weil sie dieselbige ohne den Heiland tragen.

Aber was sind es für Entschädigungen? Wenn die Brautleute in Cana keine Freunde des HErrn JEsu gewesen wären, und also den Heiland nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen hätten: wie wäre es dabey zugegangen? Man hätte sich niedergesetzt; man hätte gegessen, getrunken, gescherzt, gelacht, sündliche und faule Geschwätze geführt (denn bey solchen Gelegenheiten halten sich auch sonst ernsthafte Leute auffallendere Ausbrüche ihrer Thorheit zu gut): aber auf einmal wäre der Wein ausgegangen. Welch' ärgerliche Unterbrechung! Gesetzt aber, der Wein wäre auch nicht auf die Neige gegangen, welch' ein Ende hätte es genommen? Der Speisemeister sagt es selber: man hätte sich endlich betrunken; da wäre dann die natürliche Wildheit, Rohheit und Gemeinheit der Natur herausgebrochen; man hätte vielleicht zuletzt einander bey den Haaren gepackt, und einander die Strafe des wüsten Lebens selbst auf den Rücken zugemessen. Aber wenn auch dieses nicht geschehen wäre, was hätte man endlich vom ganzen Handel gehabt? Wäre etwas gewonnen gewesen für die Ewigkeit, oder nur auch für das Leben in dieser Zeit? Hätte nachher der arme Hausvater seine Lebenslast leichter getragen? Hätte nachher der Mensch, der in einer unfriedlichen Ehe lebt, sein Kreuz lieber auf seinen Rücken genommen? nein! die ganze Ausbeute wäre darin bestanden, daß man nachher hätte sagen können: es gieng recht vergnügt zu; wir haben viel gelacht und allerhand Possen getrieben, auch recht gut gegessen und getrunken, daß man also nachher wieder etwas mehr Stoff zur Unterhaltung und zum faulen Geschwätz gehabt, und noch überdieß eine Saat weiter ausgestreut hätte auf die künftige Ernte des Verderbens (Gal. 6.). Sehet, das sind die besten Sachen, die die Welt hat. Da ist man arm im Reichthum, freudenlos in der sogenannten Freude; da muß man ein ungesegnetes, gemeines Leben führen, und wenn man demselben einen noch so vornehmen und geistreichen Anstrich gibt.

Hingegen, wenn man in Christo lebt, und mit Ihm und für Ihn arbeitet, und sich erholt, so wird Alles ganz anders. Das Schwere wird erträglich, das Bittere genießbar, und das Süße noch süßer. Wie wahrhaft freudenreich mag es auf dieser Hochzeit in Cana zugegangen seyn! Die Gegenwart JEsu verscheuchte wohl alles Unanständige, Gezwungene und Gezierte; wie wird Alles vom Geiste einer anständigen Heiterkeit durchdrungen gewesen seyn! Können wir uns es anders denken? Und als sich Noth bey den Hochzeitleuten einstellte, weil es anfieng, an Wein zu gebrechen; als sie in eine Ehrenverlegenheit kamen um ihrer Armuth willen: mit welcher Zuversicht konnte sich Maria an ihren Sohn wenden, und wie herrlich half Er! Sehet, das heißt gelebt! Wenn man Christum bey sich hat: so ist man reich auch in der Armuth, getrost auch in der Verlegenheit; man ist entfernt von aller Niederträchtigkeit und Gemeinheit, auch wenn man einen groben oder geflickten Rock auf dem Leibe trägt.

Würden wir aus den täglichen Vorkommenheiten unseres Lebens und Berufs einen Gottesdienst machen, das heißt: würde das unsere erste Sorge seyn, daß wir den Heiland bey uns hätten, und würden wir sodann um des Heilandes willen Treue beweisen in unsern geringen Sachen: wie gesegnet würde unser Gang durch dieses arme Leben werden! Da würde unser Christenthum nicht aus so vielen abgerissenen Bruchstücken bestehen, zwischen welche hinein wieder ganze große Parthieen von allerhand fremdartigen Dingen, von Lauheit, Trägheit, Zerstreuung, allerhand beschämendem und ärgerlichem Ausbruch des in uns wohnenden Verderbens anzutreffen sind; es würde Alles mehr in Einem Zuge fortgehen; die Treue, die man um JEsu willen in kleinen Sachen beweist, würde sich als ein Faden durch unsern ganzen Lauf hinziehen, und unserem Lauf das unverkennbare Siegel eines Christenlaufes aufdrücken. Wie weit würden wir dann auch im täglichen Leben von dem ungläubigen und unseligen Treiben und Jagen entfernt seyn, wo man aus Eigennutz oder sonst einer unreinen Triebfeder Alles wo man aus Eigennutz oder sonst einer unreinen Triebfeder Alles aufbietet, um nichts zu versäumen, und doch oft das Beste versäumt! Wie würden wir in friedsamer Stille das Unsrige schaffen, und das Uebrige getrost Gott anheimstellen! Da fänden wir täglich Gelegenheit genug zum Danken, zum Lob der Güte Gottes, zum Bitten und Flehen, und diese Gelegenheit dürfen wir nicht erst aus der Kirche holen; sondern dein Säen, dein Ernten, dein Dreschen, dein Vieh, dein Weben, deine Kinder, dein Kochen, dein Waschen, dein Wasserholen, dein Dienen und Befehlen, dein Sonntag und Werktag, dein Sommer und Winter, dein Arbeiten und die Erholungen, die dir Gott gönnt und beschert, Alles würde dich zu Gott führen! DA könnten wir auch unser Herz kennen lernen; da hätten wir täglich viel Anlaß zur Buße und zur Bitte um Vergebung der Sünden. Sehet, das hieße christlich leben.

So lange man freilich durch wahre Buße und Bekehrung keine wahre Herzensfreude an JEsu erlangt hat, ist es unmöglich, in solchen seligen Christenstand zu kommen. Denn wie kann man dem Heiland etwas zu Gefallen thun, wenn man Ihn nicht kennt oder nicht liebt! Aber fange nur einmal Jemand mit den geringen Uebungen des täglichen Lebens an, und suche, wo nicht aus Liebe zum Heiland, doch aus Gehorsam gegen Ihn, in diesem oder jenem Stück, wo er Sünde bey sich vermerkt, dieselbige zu meiden, und hingegen Treue im Kleinen zu beweisen: so wird er an der Hand des treuen Gottes weiter geleitet werden; Gott wird ihm unter solchen Uebungen Erkenntniß seines Herzens und Buße schenken, und nachher auch den Reichthum der Erbarmungen JEsu eröffnen. Wer aber das nicht will, der muß bleiben ein herumgeworfenes, herumgestoßenes, herumgetriebenes, herumgescheuchtes, armes Geschöpf, welches Essen und Trinken und sonstige sinnliche Genüsse als sein elendes Theil dahinnimmt, und in der Ewigkeit nichts hat. Amen!

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