Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - III. Abraham in seinem gestörten Verhältniß mit Lot.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - III. Abraham in seinem gestörten Verhältniß mit Lot.

Was uns die Wallfahrt durch diese Welt so schwer, das Leben in dieser Welt so bitter, und die Zustände unsrer gegenwärtigen Zeit so unleidlich macht, meine Freunde! ist es nicht besonders auch dies, daß die Welt eine Welt des Streites, des Haders, des fortdauernden Unfriedens ist? Wir gestehen aber, es würde tausendmal besser, es würde gut werden, wenn Einigkeit im Geist und Brudersinn das Band würde, welches alles umschlänge, und welches der Apostel das Band des Friedens, ja das Band der Vollkommenheit nennt.

Was uns dagegen den Himmel so köstlich und so süß macht und unsern Blick oft mit unwiderstehlicher Sehnsucht zu ihm hinzieht, ist es nicht dies, daß dort das Geschrei der Uneinigkeit gänzlich verstummt, daß dort alles sich in seligem Einklang und in ungestörter Harmonie bewegt? Wie wir denn auch in einem unsrer Sterbelieder singen:

Welt, in dir ist Sturm und Streit,
Unruh, Falschheit, Zwistigkeit;
In dem Himmel allezeit
Friede, Freud' und Seligkeit.

Im Anfang, da Gott den Menschen aufrichtig erschaffen, ist es nicht also gewesen, und so soll es auch zuletzt nicht bleiben, wenn Christus der Herr - der Hirte Aller und aller Reiche - Gottes und seines Gesalbten worden sind. Seitdem es dem Feinde gelungen, sein giftig Unkraut auszustreuen, und der Mensch das Herz, das Gott gehören soll, auf diese Welt und auf seine Eigenheit setzte, ist auch der bittere Quell des Neidens und Zürnens überall, wo die Eigenheit sich verletzt fühlt, eröffnet und zu einer dunkeln Strömung feindseligen Hasses angewachsen. Darum reget sich in jedem Menschen, Fleisch vom Fleisch geboren, von Natur, wenn sein Recht beleidigt und sein Eigenthum gekränkt wird, ein heftiger Widerstand und das Verlangen, Böses mit Bösem, wenn nicht selbst zu vergelten, doch vergolten zu sehn. Darum wird es dem Natursinn nicht blos schwer, sondern durchaus unmöglich, der Losung: Zahn um Zahn und Auge um Auge, zu entsagen, dem aber den linken Backen darzubieten, der uns einen Streich auf den rechten giebt. (Matth. 7, 38.)

So beuge sich denn, was Mensch geboren, vor der heiligen Größe des Mensch gewordenen Gottessohnes, der das vermochte! Er hat das Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet (Hebr. 12, 3), er schalt nicht wieder, da er gescholten ward, er drohte nicht, da er litte (I. Petr. 2,23.), und unter den Martern des Kreuzes konnte er für seine erbitterten Feinde und für das ihn höhnende Volk um Vergebung bitten!

Gemeinde des Herrn! du bist gewohnt, deinem anbetungswürdigen Erlöser kniegebeugt das Opfer deiner Bewunderung zu bringen, und du thust Recht daran: aber thue es auch mit innerer Beschämung über dich selbst, mit jener, wie sie Petri Herz durchdrang, als er ausrief: Herr, gehe hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch. Das ist derselbe Petrus, der später schrieb: Wenn ihr um Wohlthat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott, denn dazu seid ihr berufen. Sintemal auch Christus gelitten hat für uns, und uns ein Vorbild gelassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen. (1.Petr. 2, 26.) Wenn einmal diese Nachfolge das Grundgesetz meines Lebens geworden und nun nicht ich lebe mehr, sondern Christus lebet in mir, dann lerne ich auch, nicht auf das sehen, was mein eigen, sondern auf das, was des andern ist, der Geist der Gnade wandelt die ungeläuterte Naturkraft um, und je völliger das Regiment Jesu Christi in der Seele wird, desto völliger erfüllt sich der himmlische Gruß, der bei der Geburt des Heilands Frieden auf Erden verkündete, auf den Tag hin, wo alles dem Friedefürsten unterthänig geworden und unter sein Panier gesammelt, im Reiche eines ewigen Friedens lebt.

Dieser Arbeit seines Geistes in uns wollen wir auch heute eingedenk und gewiß sein, er sei auch in unsrer Mitte mit seinem: Friede, Friede sei mit euch!

l. Mose 13,1-13.

Also zog Abram heraus aus Egypten mit seinem Weibe und mit allem, das er hatte, und Lot auch mit ihm, gegen den Mittag. Abram aber war sehr reich von Vieh, Silber und Gold. Und er zog immer fort von Mittag bis gen Bethel, an die Stätte, da am ersten seine Hütte war, zwischen Bethel und Ai, eben an dem Ort, da er vorhin den Altar gemacht hatte. Und er predigte allda den Namen des Herrn. Lot aber, der mit Abram zog, der hatte auch Schaafe und Rinder und Hütten. Und das Land mochte es nicht ertragen, daß sie bei einander wohneten, denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht bei einander wohnen, und war immer Zank zwischen den Hirten über Abrams Vieh und zwischen den Hirten über Lots Vieh. So wohnten auch zu der Zeit die Kananiter und Pheresiter im Lande. Da sprach Abram zu Lot: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten, denn wir sind Gebrüder. Stehet dir nicht alles Land offen? Lieber, scheide dich von mir. Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten; oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. Da hob Lot seine Augen auf und besah die ganze Gegend am Jordan. Denn ehe der Herr Sodom und Gomorrha verderbte, war sie wasserreich, bis man gen Zoar kommt, als ein Garten des Herrn, gleich wie Egyptenland. Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog gegen Morgen. Also schied sich ein Bruder von dem anderen, daß Abram wohnte im Laude Kanaan und Lot in den Städten derselben Gegend und setzte seine Hütte gen Sodom. Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den Herrn.

Wir haben zuletzt Abraham gesehn in seinem Pilgerleben. O treffliche Fußstapfen, die uns sein Zug nach Kanaan hin, und durch Kanaan hindurch hinterlassen hat! Er zog einem, ihm noch unbekannten Vaterlande entgegen: o daß doch auch wir das Ziel unsrer Pilgerbahn nie aus den Augen verlören und die allertheuerste Verheißung, einzukommen zu der Ruhe unsres Gottes, nicht versäumten, und unser keiner dahintenbliebe! An der Verheißung hangend, wird er die Gemeinschaft der Kananiter und baute dem Herrn Altäre, und predigte den Namen des Herrn: o daß doch auch wir mitten in dieser argen und versuchungsreichen Welt des Gottes unsres Bundes nimmer vergäßen, und unter aller Arbeit und Zerstreuung des Lebens treuen Umgang, auch am Hausaltar, mit ihm pflegten!

Heute nun erblicken wir ihn in andern Verhältnissen. Die Pfade seines Pilgerlebens gehn mit den Wegen andrer zusammen, und das nicht allem, sie verschlingen sich mit denselben, sie durchkreuzen sich, sie stoßen widerwärtig gegen einander. Da stellt uns Abraham eine Tugend dar, die man recht eigentlich eine christliche nennen muß, und deren Uebung der Herr und seine Apostel auf's nachdrücklichste einschärfen: Friedfertigkeit! Der Herr schätzet sie so hoch, daß er selbst unter den Seligpreisungen der Bergpredigt das Wort gesprochen: selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. (Matth. 5, 9.) Und der Apostel ruft: ist's möglich, so viel an euch ist, so haltet mit allen Menschen Frieden (Röm. 12, 18.), und anderwärts: jaget nach dem Frieden gegen Jedermann. (Hebr. 12, 14.) Sei es uns darum recht willkommen, hier in der Anschauung eines lebendigen Beispiels, in dem Verhalten des Vaters der Gläubigen, eine Unterweisung zu empfangen, wie wir diese theure Christenpflicht zu üben haben. Wir fragen: wie unterweiset und mahnet uns Abraham in seinem gestörten Verhältniss mit Lot? und wir verweilen bei einer dreifachen Betrachtung:

  1. zuerst über die Störung, welche eingetreten war,
  2. sodann über den Weg, auf welchem Abraham sie beseitigt,
  3. endlich über die Gesinnung, welche ihm Kraft dazu verleiht.

1.

Einer Hungersnoth wegen hatte sich Abraham für einige Zeit aus Kanaan entfernt und nach Egypten begeben. Von da wieder in das Land der Verheißung zurückkehrend, setzte er mit Lot seine Wanderungen fort; beide zahlreiche Heerden von Schaafen und Rindern mit sich führend. Da mochte nun das Land es nicht ertragen, daß sie bei einander wohnten, denn ihre Habe war groß und konnten nicht beieinander wohnen und war immer Zank zwischen den Hirten über Abrahams Vieh und zwischen den Hirten über Lots Vieh. So wohnten auch zu der Zeit die Kananiter und Pheresiter im Lande. Versetzen wir uns in die einfache Lebensweise der damaligen Hirtenvölker! Weide und Wasser: das waren die ganz unerläßlichen Bedingungen, an welche das Gedeihen der umherziehenden Heerden geknüpft war. Aber Abrahams und Lots Heerden waren zahlreich, des Wassers war oft ein Mangel, die fruchtbaren Weideplätze wurden immer beschränkter. Unvermeidlicher Streit, der sich über diese Weiden und über die Benutzung des Wasservorraths der im Morgenland so seltenen Brunnen entspann. Dazu kam noch, daß auch die ursprünglichen Einfassen, die Kananiter und Pheresiter, ihr älteres Besitzrecht behaupteten. So konnte es auf die Dauer nicht bleiben. Das enge Zusammenwohnen und Zusammenwandern wurde zu einem wahrhaft beengenden, und wenn das Land es nicht zu ertragen vermochte, so vermochte es noch weit weniger die, durch die täglichen Zerwürfnisse bedrängte Seele Abrahams.

Ist es nicht noch immer so? Weide und Wasser im weitesten Umfang des Wortes - geht es darum nicht meist immer und müssen wir diese nicht fortwährend als Störer des Friedens ansehn? Ich verstehe darunter aber alle äußern Güter des Lebens, das Mein und Dein, kurz das, was man in unseren Tagen die materiellen Interessen zu nennen pflegt; wo diese berührt werden, und in feinerer Gestalt, wo das vermeintliche Recht sich in seinen lauten Forderungen gekränkt, die Ehre in ihren hochmüthigen Ansprüchen sich verletzt sieht, wo Jemand einen Vorrang, nicht allein im Geschäftsverkehr, sondern auch im Wissen und Können gewinnt, sehet, da ist der Anlaß zu geheimem Groll, zu offenbarem Hader da, sehet hier den Heerd, von welchem zu aller Zeit die Flamme der Zwietracht und des Streits aufschlägt. Und nun in unserer Zeit vollends! Sie ist im natürlichen Gang der Dinge von der einfachen Weise der alten Zeit so weit abgekommen; die Verhältnisse sind ungleich verwickelter, die Bedürfnisse unendlich vervielfältigt, verfeinert, verkünstelt; der Erwerb ist nicht so einfach an die Natur und an die ersten Erzeugnisse der Erde gewiesen, wie es in den Tagen des Erzvaters war; die Stände haben sich ausgebildet, sie stehen schroffer gegen einander, der Unterschied zwischen reich und arm schneidet sich immer schärfer ab: Geliebte, was läßt sich da anderes erwarten, als dieses, daß die Veranlassung zu Reibungen, zu Störungen und Rissen weit größer ist? Wenn ich richtig sehe, da wurzelt der eigentliche Jammer der Gegenwart, und was unter diesen Unruhen, unter diesen Aufständen im Verborgenen spielt, es ist gewiß, die bedeutendste Rolle dabei hat das Mein und das Dein, der scheele, neidische Blick, den die Besitzlosen auf das Eigenthum der Besitzenden richten, das communistische Wesen, die Gier nach Anderer Habe und Gut, die heimliche Hoffnung, auf irgend eine Weise, wenn die Unordnung den Gipfel des Umsturzes erreicht hat, zu gewinnen, um hoch aufzukommen, mit Einem Worte, das Verlangen nach Weide und Wasser.

Eins nur, Geliebte, laßt uns nicht übersehen! Wir haben bisher von den Veranlassungen geredet, die zu Friedensstörungen in den äußeren Lagen und Zuständen liegen, und doch ist es das arge Herz, das ungenügsame, eigenliebige, habgierige, rechthaberische Herz, das wir anklagen, das wir verurtheilen müssen. Thun wir das in rechter Wahrheit und in scharfem Ernst! das sind böse Gäste, die der Mensch in diesem seinem Herzen beherbergt. Was ist es denn mit dieser Ungenügsamkeit, welche die Bevorzugung Anderer nicht ansehn kann ohne Neid? Was ist es mit dieser Unart, die so eifersüchtig auf ihr Recht und auf ihre Ehre hält und jeden Blick, jedes Wort des Nächsten darauf ansieht, ob sie nicht etwa eine Beleidigung enthalten? Was ist es mit jener Empfindlichkeit, die, leicht gereizt, bei jedem vielleicht nur eingebildeten Unrecht zornig ausbricht oder grollend sich in sich selbst verschließt: - was ist es damit? Ein verkehrtes, unseliges Wesen, das durchaus alle herzliche Gemeinschaft, alles friedliche Zusammenleben zerstört. Da liegt die Ursache, weshalb so viele gespannte Verhältnisse entstehen, Freundschaften sich auflösen, Familien zerfallen, die innigsten Bande zerreißen, weßhalb so unsäglich viel Kummer und Gram, Schaden und Unglück aufkommt. Die ihr hiebei laut aufseufzen möchtet, weil das Trauergemälde eurer häuslichen Zerworfenheit, eures nachbarlichen Streits vor euch hintritt, schlaget doch, wie jener Zöllner, an eure eigene Brust! Gewiß, da, in eurer Brust, liegt die böse Wurzel der neidenden, hadernden Feindschaft, deren Dorngesträuch auf allen Wegen den Fuß verletzt, da fließt die trübe Quelle, aus der sich viele Unglücksbäche ergießen! Erkenne es: ohne beschämende Erkenntniß der Sünde, die der Leute Verderben, kein Heil! Bekenne es: ohne aufrichtiges Selbstgericht keine Genesung! Kämpfe dagegen: ohne sofortiges Ersticken des Feuers, das unter der Asche glimmt, wirst du der Flamme nicht Meister werden! Und was wünschte ich mehr, als daß wir alle in dieser Arbeit, in der heiligen Arbeit des Streits gegen uns selbst nicht lässig wären? wie sicher, wie unausbleiblich würde der Stachel der Zwietracht gebrochen sein!

2.

Doch wir kehren zu unserer Geschichte zurück und sehen den Weg, auf welchem Abraham die entstandene Störung beseitigt. Da sprach Abraham zu Lot: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten. Laß nicht Zank sein! Er nennt, was sich eingeschlichen hat, mit dem rechten Namen, und decket das Gehässige, das Sündliche auf, das darin liegt. Es ist ihm ein Jammer damit, er kann's nicht länger ertragen, es muß ihm Einhalt geschehn. Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir und dir! O ihr Ehegatten, ihr Geschwister, ihr Nachbarn, ist eine Mißhelligkeit unter euch eingedrungen, lasset dies Wort doch Eingang finden in eure Herzen! Hat es einmal in euren Herzen Wohnung gefunden mit seinem milden Ton, dann wird es auch über die Lippen kommen, und wenn ihr dann mit dieser Bitte: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen uns, euch selbst dem Unversöhnlichen nähert, er wird dagegen sich nicht verhärten können. Warum das kurze Leben sich gegenseitig verbittern? Warum Verbindungen, die euch durch gegenseitige Liebe so glücklich machen könnten, trüben und zu gegenseitiger Qual umschaffen? Es ist doch nichts Geringes, wenn gerade die, die sich die Nächsten sind, die einer des andern Last tragen, die als Gehülfen um einander sein sollen, wie das göttliche Segenswort, über den Ehestand gesprochen, lautet, sich feindlich entzweien; wahrlich, ihr bauet euch damit eine Hölle auf Erden. Nehmet Abrahams Wort in's Herz und auf die Lippen: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir und dir!

Indeß, Abraham gehet noch weiter. Er fährt fort: stehet dir nicht alles Land offen? Lieber, scheide dich von mir. Willst du zur Rechten, so will ich zur Linken, oder willst du zur Linken, so will ich zur Rechten. Welche Nachgiebigkeit! das ehrwürdige Haupt der Familie überläßt dem jüngeren Gliede unbedingt die Wahl seiner künftigen Niederlassung. Der ältere, obgleich durch das Wort des Herrn in den alleinigen Besitz des Landes Kanaan gesetzt, verzichtet auf seinen Vorzug und sein Recht, damit nur, da die äußere Gemeinschaft nicht länger bestehen kann, die innere nicht untergehen möge. O ihr Christenherzen, bedenket doch, was euch hier vorgezeichnet ist! Habet ihr ein Erbe zu theilen, euch aus einander zu setzen mit den Eurigen, ein zweifelhaft gewordenes Recht mit eurem Nachbar zu ordnen, einen, über das Mein und Dein, über Wasser und Weide ausbrechenden Zwist zu schlichten, suchet doch nicht alle Strenge eures Rechts, beherzigt Abrahams Verhalten, beherzigt des Apostels Wort an die corinthische Gemeinde: Es ist ein Fehler unter euch, daß ihr mit einander rechtet. Warum laßt ihr euch nicht viel lieber Unrecht thun? Warum laßt ihr euch nicht viel lieber übervortheilen? (4. Cor. 6, 7.)

Und dann noch ein Andres! Auch aus einem höhern Gesichtspunkte legte Abraham die Wahl in die Hände Lots, er legte die Entscheidung damit in die Hand des Herrn. Ernste Gemüther möchten ja so gern bei allem ihrem Wählen, oh zur Rechten oder zur Linken? des Willens ihres Gottes gewiß werden, und sie kennen kein tieferes Anliegen, als daß sie doch den Weg, den sie betreten, mit der vollen Zuversicht wandeln, es sei dies der richtige, der gottwohlgefällige Weg. Wie ringet doch oft in zweifelhaften Fällen das Herz darnach, daß erfüllt werden möge, was im Psalter verheißen ist: Ich will dich mit meinen Augen leiten, ich will dir den Weg weisen, den du wandeln sollst! Der eignen Entscheidung gänzlich entsagend, will Abraham in der Wahl, die Lot trifft, den Wink des Herrn, einen Fingerzeig von oben erkennen, weß Weges er wandeln soll.

Lot wählet; und wie bemerkenswerth, wie warnend ist das: er wählet nach irdischen Rücksichten. Er hob seine Augen auf und besah die ganze Gegend am Jordan. Denn ehe der Herr Sodom und Gomorrha verderbte, war sie wasserreich, bis Man gen Zoar kommt, als ein Garten des Herrn, gleichwie Egyptenland. Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan. Jedes Wort ist inhaltvoll. Er hob seine Augen auf, - vielleicht wie David zu den Bergen, von welchen ihm Hülfe kommt? Nein, er ließ sie über das Land hin schweifen und besah, seinen Vortheil zu prüfen, die ganze Gegend am Jordan. Noch prangten dort die Städte Sodom und Gomorrha, mitten in einem blühenden, fruchtbaren Gefilde, das, damals als ein Garten des Herrn, gleichwie Egyptenland, durch die jährlich austretenden Wasser des Jordan befruchtet ward, und jetzt, nach dem Untergang Sodoms, den Spiegel des todten Meers bildet. In diesen Garten setzte Lot seine Hütten, da war Weide und Wasser. Nicht lange, so zog er ganz in Sodom ein und bewohnte dort ein eignes Haus. Aber, o der unglückseligen Wahl! die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den Herrn; sie quälten, wie es 2. Petri 2, 3. heißt, die gerechte Seele Lot's von Tag zu Tag mit ihren ungerechten Werken, und Lot mußte noch den Einbruch der schreckensvollen Strafgerichte erleben, wodurch der Herr Sodom umstürzte. Zu solch heillosem Ausgange führte es, als Lot nur seinem eignen Willen und seinem eignen Vortheil folgte, ohne den Willen des Herrn zu befragen. Bedenket das doch alle, die ihr vor einem Wechsel eurer Lebenswege stehet, und befraget doch, wenn eure Zukunft sich neu gestaltet, wenn ihr eine Verbindung knüpft, wenn ihr euch einen Gefährten eures Lebens wählet, wenn ihr euch für euren Berufskreis entscheidet, fraget doch vor allem, fraget kindlich nach dem Willen des Herrn! O vermöchte ich doch mit dieser meiner Stimme die Taufende zu erreichen, welche jährlich aus unserm deutschen Vaterlande einen neuen Wohnort jenseits des Meeres aufsuchen! Ziehet ihr denn, möchte ich sie fragen, mit wahrhaft getroster Zuversicht hin? o daß ihr doch nicht einem abenteuerlichen Drange einer Lust in's Weite hinaus folgtet! o daß ihr doch nicht von bloß äußerlichen Rücksichten euch leiten und von der trüglichen Hoffnung auf leichtern Erwerb euch verleiten ließet! o daß ihr doch eure Augen aufhöbet zu dem Herrn, eurem Gott, und wie einst Israel nicht von dannen zöget, bis die Wolkensäule sich vor euren betenden Augen erhebet! daß ihr nicht ohne Gott wähltet und von hinnen zöget! Nur dies giebt Freudigkeit, Zuversicht und getrosten Muth.

3.

Wir haben aber noch eine bedeutende Frage zu beantworten, und das ist die: wodurch gewann denn Abraham solch ein Herz voll Nachgebens, voll Güte und Frieden? Wir kehren deshalb noch einmal zu unsrer Geschichte zurück, um Antwort darauf zu finden. Und wir finden sie in den Worten, die er seiner Bitte: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir und dir, hinzugefügt: denn wir sind Gebrüder. Der leiblichen Abstammung nach, Lot, seiner Schwester Sohn, durch die Bande des Blutes mit ihm verbunden. O wie schmerzlich ist das doch, Geliebte, wenn das Feuer der Zwietracht diese theuren, heiligen Bande versengt und verzehrt! Darf da ein Opfer zu groß sein, das wir nicht gern brächten, um den Segen brüderlicher Eintracht zu erhalten? Sollten wir um ihn zu bewahren, nicht dem Frieden aus allen Kräften nachjagen, wie die Schrift sagt? Und sie sagt auch: Siehe, wie sein und lieblich ist es, daß Brüder einträchtig bei einander wohnen, denn daselbst verheißt der Herr Segen und Leben immer und ewiglich (Ps. 133.). - Wir sind Gebrüder! O wenn wir das so recht nach der Wahrheit empfänden, welche Theilnehmung, welche Schonung, welcher Sinn des Erbarmens und des Friedens würde dann uns beleben, wie würde die Liebe, die thatkräftige Liebe alles Unebne ausgleichen und die rechte Gemeinsamkeit stiften! Haben wir nicht alle, fraget der Prophet, Einen Vater? hat uns nicht Ein Gott geschaffen? Warum verachten wir denn einer den andern? (Mal. 2, 10.) Wir sind Gebrüder, wohlan, lasset uns auch brüderlichen Sinnes pflegen!

Indeß, dies Wort hat in Abrahams Mund noch eine höhere Beziehung. Wir sind Gebrüder, sagt er und meint es nicht blos im natürlichen, sondern auch im geistlichen Sinn. Wir gehören zu derselben Familie, die der Herr von der Welt erwählt und reichlich begnadigt hat; wir sind Kinder eines Gottes, der sich in der zuvorkommendsten Liebe zu uns herabgelassen hat, getragen von denselben Armen der unverdientesten Gnade und Barmherzigkeit. Theure Freunde, das ist es, darauf beruhet alles. Wenn das unsern Herzen tief eingeprägt ist, wie Gott sich unser angenommen, wie er uns, die wir alles Ruhmes mangeln, ganz und gar, und die wir täglich viel sündigen und wohl eitel Strafe verdienen, Gnade und Erbarmung erweiset, o das schaffet ein demüthiges, ein anspruchloses, ein weiches, ein friedfertiges, ein alles überwindendes, ein in Schonung, Sanftmuth, Billigkeit überfließendes Herz. Wir sagen und hören allgemein, welch eine unaussprechlich schwere Aufgabe es sei, den untern Weg, den Weg der Güte zu betreten, von seinem Rechte abzustehn, dem Gegner die brüderliche Hand zu reichen, dem Widersacher willfährig zu werden, dem Feinde aufrichtig zu vergeben und wahrlich, zu so hohen Dingen bringt es auch niemand aus eigner Kraft. Dahin aber bringt es, ich sage es mit voller Ueberzeugung, wer es sich demüthig bewußt ist, daß er Barmherzigkeit empfangen und rein und lauter aus Gottes Barmherzigkeit lebt und athmet. So wie ich das in ganzer Wahrheit empfinde, bei meiner schweren Verschuldung die Liebe Gottes empfinde, welche mir in Christo alle meine Sünden vergeben, alle meine Gebrechen heilt und mich mit Gnade und Barmherzigkeit krönt (Ps. 103, 3.) und mich Staub und Asche täglich, stündlich trägt, duldet, verschont, und so wie diese Empfindung gegenwärtig, herrschend, innig lebendig in mir ist, so wird auch in dies neue Herz die Liebe ausgegossen und im Innern die Kraft mächtig, daß ich, dem zehntausend Pfund erlassen, meinem Mitknecht die hundert Groschen erlassen und ihm die Liebe erweisen kann, die alles trägt, alles hoffet, alles duldet, alles verzeiht.

Sitzen hier vielleicht grollende Ehegatten, getrennte Brüder, hadernde Freunde, im Streit begriffene Nachbarn, - sehet hier, woher ihr Kraft nehmen könnt, euch heute noch die Hände der Versöhnung zu reichen! Untersuchet nicht, wer zuerst und am meisten gefehlt, nein! lasset die Liebe Gottes mächtig in euch werden, lasset sie euch überwältigen, drängen, treiben, und ist diese heute, in dieser Stunde, in diesem Hause des Friedens mächtig in euch geworden, wahrlich, dann wird auch euer Haus nicht länger eine Stätte des Haders und des Zankes bleiben, es wird ein Heiligthum des Friedens werden. Amen.

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