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Heliand - 09 - Simeon und Anna

Heliand - 09 - Simeon und Anna

Das Jahr schritt fürder,
bis das Friedenskind Gottes vierzig zählte
der Tag' und Nächte. Zu tun lag da ob,
dort zu Jerusalem ihn darzubringen
in den Waltenden Weihtum. Denn ihre Weise war,
der Leute Landbrauch, nicht lassen durft' es
der Hebräerinnen eine, wenn zuerst ihr ward
ein Sohn geboren, alsbald ihn dort
im Hause Gottes dem Herrn darzubieten.
Da gingen die Guten, Joseph und Maria,
von Bethlehem beide mit dem Neugebornen,
dem heiligen Christ, das Gotteshaus zu suchen
in Jerusalem, die Schuld zu entrichten
dem Waltenden im Weihtum, der Weise gemäß
des Judenvolkes. Sie fanden einen guten Mann,
gar alten, beim Altar und edelgebornen.
Er hatt' im Weihtum so viel Winter und Sommer
gelebt im Lichte und Gott gelobt
mit lauterm Herzen, hatte heiligen Geist
und seligen Sinn; Simeon hieß er.
Ihm hatte geweissagt des Waltenden Kraft
vorlängst, nicht lassen sollt' er des Lebens Licht,
von der Welt sich nicht wenden, eh' der Wunsch ihm erfüllt sei,
den Christ selber mit Augen zu sehen,
den heiligen Himmelskönig. Da ward ihm das Herz hoch-
freudig in der Brust, als er den Gebornen bringen
gewahrte ins Weihtum. Dem Waltenden dankt' er,
dem allmächtigen Gotte, daß sein Aug' ihn ersah.
Er ging ihm entgegen, begierig umfing ihn
der Alte mit Armen und erkannte sie all,
die Zeichen und Bilder, und dazu das Gotteskind,
den heiligen Himmelskönig. Da sprach er: „O Herr,
nun bät' ich dich gerne, da ich ein Greis bin,
daß du deinen holden Knecht hingehen ließest,
in deinen Frieden fahren, wie meine Vordern taten,
von dieser Welt hinweg, da mir mein Wunsch erfüllt ist
am liebsten der Tage, daß ich meinen Trost ersah,
den holden Herren, der mir verheißen war
so lange Zeit. Du bist ein mächtig Licht
allen fremden Völkern, die zuvor des Allwaltenden
Kraft nicht erkannten! So ist deine Kunft
zum Gericht und zum Heil, mein Herr und Gott,
Israels Abkommen, deinem eigenen Volke,
deinen lieben Leuten.“ Erläuternd sprach dann
beim Altar der Alte zu der edeln Jungfrau,
sagt ihr für sicher, ihr Sohn sollte
der Menschen manchen auf diesem Mittelkreis
den einen zum Fall sein,, den andern zum Trost;
den Leuten zur Liebe, die seine Lehre hörten,
und denen zum Harme, die nicht hören wollten
Christi Lehre. „Kummer noch empfindest du,
Harm in deinem Herzen, wenn sie dein holdes Kind
mit Waffen verwunden; das wird ein Werk dir sein,
schwer zu verschmerzen.“ Wohl verstand die Getreue
des weisen Mannes Worte.

Auch ein Weib kam gegangen,
ein altes, in das Heiligtum, Anna geheißen,
die Tochter Phanuels; sie hatte freudig dem Herrn
zu Dank gedient, die Ehre bedenkend.
Nach dem Magdtum mußte sie, seit sie dem Manne ward
ehlich anvermählt, die edle Frau,
mit dem Gemahle vieler Mühen walten
sieben Sommer lang. Dann versehrte sie Kummer,
da des Messenden Macht die Vermählten schied,
ein widrig Geschick. Witwe war sie dann
im Friedenstempel bis zum vierundachtzigsten Jahre
ihrer Lebenszeit und verließ den Tempel nicht,
dem Herrn getreulich bei Tag und Nacht,
ihrem Gotte, dienend. Die kam gegangen
in derselbigen Zeit, und sieh, sie erkannte gleich
das heilige Gotteskind und kündete den Helden,
dem Volk am Fronaltar die fröhliche Botschaft:
„Genaht ist euch nun aus der Not Errettung,
des Himmelskönigs Hilfe. Der heilige Christ,
der Waltende selber kam in dies Weihtum,
die Leute zu erlösen, die nun lange harrten
in diesem Mittelkreis, so manches Jahr,
bedrängt und bedürftig. Der Dinge nun
mögen sich freuen der Menschen Geschlechter!“
Das Volk im Weihtum jauchzte, da es die Freudenmäre
von Gott hörte sagen.

Die Schuld geleistet hatte
nun die Jungfrau im Heiligtum, wie es hieß im Gesetz,
und in der blinkenden Burg die Bücher wiesen,
der Heiligen Handschrift. Nach Hause gingen da
von Jerusalem Joseph und Maria,
die hehren Hausgenossen; sie hatten den Himmelskönig
stets zur Gesellschaft, den Sohn Gottes,
der Menschen Mundherrn.

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