Heermann, Johannes - Heptalogus Christi - Das erste Wort.
Text: Luc. 23, 34.
JEsus aber sprach: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.
Die sieben Worte Christi am Kreuz, andächtige Herzen, sind in der Kirche GOttes jederzeit hoch und werth gehalten. Und solches nicht unbillig; denn sie sind für's Erste von einer solchen Person geredet, der keine Creatur unter Engeln und Menschen zu vergleichen ist weder im Himmel noch auf Erden, nämlich von unserm hochgelobten Heiland CHristo Jesu, den uns der ewige Vater mit Ernst zu hören befohlen hat, von dem Er auch bereits im A. T. zu Mose gesagt: Ich will ihnen einen Propheten wie du bist erwecken aus ihren Brüdern und meine Worte in Seinen Mund geben. Der soll zu ihnen reden Alles, was ich ihm gebieten werde. Und wer meine Worte nicht hören wird, die Er in meinem Namen reden wird, von dem will ich's fordern. Diese Person hat eine gelehrte Zunge, weiß mit den Müden zu reden zur rechten Zeit und bringt Worte des ewigen Lebens hervor. Im A. T. waren auf dem goldnen Leuchter in der Stiftshütte sieben Lampen, welche gegen einander leuchteten. Diese Lampen bedeuten nach Meinung der gottseligen Väter die sieben Worte Christi, welche uns, wenn wir in Finsterniß der Trübsal und im Schatten des Todes sitzen, als eine brennende Kerze leuchten und alles in unserm Herzen hell und licht machen. - Die Priester bliesen auf GOttes Befehl vor Jericho die sieben Posaunen des Halljahres, von deren Hall und Schall die Stadtmauern danieder fielen. Hier erhebt der oberste Hohepriester CHristus Seine Stimme wie eine Posaune, von deren Klang billig die dicken, steinfesten Sündenmauern in uns umfallen sollen. Bernhard nennt diese Worte sieben stets grünende Blätter, die unser Weinstock CHristus, als Er an den Pfahl des Kreuzes gebunden war, von sich hat entsprießen lassen.
Ferner sind ja diese Worte die letzten Worte des HErrn vor Seinem Sterben. Und wer weiß nicht, daß man die Worte, welche unsre Eltern oder nahe Freunde kurz vor ihrem Ende reden, hoch zu halten und mit Fleiß zu merken pflegt? Daher sind auch die letzten Reden Jacobs, Mosis, Josuas, Davids, Zacharias, des alten Tobias und andrer heiliger Gottesmänner mit allem Fleiß in der Schrift aufgezeichnet. Ei wie viel mehr will denn dir, christgläubige Seele, obliegen und gebühren, daß du die letzten Reden Christi, der sich mit herzlicher Vatertreue meinet, stets in frischem Andenken habest? - Darum hat der HErr, sagt der heilige Bernhard, den hohen Kreuzesbaum bestiegen, daß Er von Jedermann gesehen würde; hat Seine Stimme erhoben und laut geredet, damit Ihn jedermann hörte, und hat geweint, auf daß Er alle bekehrte. - Grade am Osterfest, da eine überaus große Menge Fremder und einheimischer Leute zugegen waren, hat Er gelitten, anzuzeigen, daß solch Sein Leiden und letzte Reden allen Menschen kund werden sollten.
Endlich sind diese sieben Worte selbst ganz lehr- und trostreich. Hier kannst du hören, wie schwer und groß Christi Leiden gewesen, wie Er dich und alle die Seinen liebe bis ans Ende, und wie du selig fahren und einschlafen kannst. - Darum laßt uns zum Kreuze Christi treten und nicht allein mit unsern Augen Seinen blutrünstigen Leib anschauen, sondern auch mit unsern Ohren in herzlicher Andacht auf Seinen laut redenden Mund Acht geben.
Wer Gottes Mart'r in Ehren hat
Und oft gedenkt der sieben Wort,
Deß will Gott eben pflegen
Wohl hier auf Erd‘ mit Seiner Gnad‘
Und dort im ew'gen Leben.
So wollen wir denn mit einander das erste Wort erwägen als eine treuherzige Fürbitte CHristi für uns am Kreuzesstamm.
O Du hochgelobter Sohn GOttes, Du liebster Bräutigam meiner Seelen, laß mich hören Deine Stimme, denn Deine Stimme ist süß. Amen.
Zunächst fragen wir nun, von wem dies Gebot gethan sei? - Der Text sagt: Jesus sprach. – Es ist also die Person, welche hier betet, CHristus Jesus, GOttes und Marien Sohn, zu dem der himmlische Vater sagt: Du bist mein Sohn. - Siehe das ist mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. - Er ist der Glanz der Herrlichkeit, das Ebenbild des unsichtbaren GOttes, der Erstgeborne vor allen Creaturen. - Durch Ihn ist Alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare. - Er ist's, den alle Engel GOttes anbeten, dessen Stuhl währet von Ewigkeit zu Ewigkeit und das Scepter Seines Reichs ist ein richtiges Scepter. - Er ist's, den der Vater lieb hat und Ihm alles unter Seine Hände gegeben. Dieser dein Heiland, als Er in Seiner größten Angst und Schmerzen steht und mit Händen und Füßen am Kreuze hängt, da nimmt Er das liebe Gebet zur Hand. Warum? Augustin antwortet: CHristus JEsus, der die Barmherzigkeit selbst ist, hat gebetet, damit sich das Elend (oder der armselige Mensch) zu beten nicht schämte. Es hat gebetet der Arzt, auf daß der Kranke auch bete. Der Richter hat gebetet, damit der Beklagte Vergebung und Gnade suchte.
Wohlan denn, liebe Seele, folge auch hierin deinem HErrn JEsu nach. Sprich mit Assaph: Das ist meine Freude, daß ich mich zu GOtt halte und meine Zuversicht setze auf den HErrn HErrn. Und zwar mußt du dein Gebet mit höchstem Fleiß verrichten, weil dies GOtt 1. mit klaren Worten befohlen hat: Rufe mich an in der Noth. Suchet den HErrn, weil Er zu finden ist; rufet Ihn an, weil Er nahe ist. Ja dein Heiland stellt dich gleichsam vor die Himmelsthür und lockt dich, daß du getrost mit dem Hammer des Gebets anschlagen sollst, wenn er spricht: Bittet, so werdet ihr nehmen; suchet so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Wolltest du dies ausdrückliche Himmelsgebot verachten? Steht doch die Erde diesem HErrn zu Gebot und bringt auf Sein Wort Ihm Frucht. Die Sonne gehorcht Ihm und steht stille. Das Feuer ist gehorsam und hält sein Brennen ein im babylonischen Ofen. Ja die unvernünftige Eselin thut gegen Bileam, was ihr der HErr befiehlt. Kurz, alle Creatur gehorcht ihrem Schöpfer. Und du Mensch wolltest allein deinem GOtt widerstreben? Das sei ferne.
Verrichte dein Gebet allezeit mit höchstem Fleiß, denn das ist sehr von Nöthen, du schwebst im Glück oder lebst im Unglück. Bist du im Wohlstand, lege das liebe Gebet nicht weg, sondern rufe GOtt an, daß Er dein Herz vor Hoffarth, Sicherheit und andern Sünden behüte. Hätte Ahitophel, der kluge Hofrath, seine Hände in Demuth gen Himmel aufgehoben und Gott um Seine Regierung und um den Geist der Weisheit angesprochen, so würde er solch bösen Rath wider den unschuldigen David nicht gegeben, noch sein Leben am Strange geendet haben. Bist du aber in hartem Nothstand, mußt mit CHristo am Kreuz von aller Welt verlassen hangen und mit David klagen: Meine Seele ist voll Jammers, so nimm vor allen Dingen das liebe Gebet zur Hand, schreie und seufze so gut du kannst, der HErr, dein GOtt, wolle dir das Kreuz entweder abnehmen, oder nach Seinem väterlichen Willen ein wenig lindern und mindern. Die Poeten melden vom Tantalus, daß ihn Jupiter einst zu Gaste geladen und herrlich tractiert habe. Aber er hing einen großen Mühlstein an einem seidenen Faden über sein Haupt, daß er jeden Augenblick fürchten mußte, der Stein würde ihm auf den Kopf fallen. Geht's nicht auch dir und mir so, liebe Seele, in dieser Trauerwelt? Haben wir gleich bisweilen ein Freudenstündlein wie Tantalus, so ist's doch nicht ganz ohne Furcht, Schrecken und Betrübniß. Warum speist uns aber der fromme GOtt mit so viel Thränenbrot und tränkt uns mit so großem Maß voll Thränen? Gregor gibt eine feine Antwort: Darum werden die Gerechten mit der Kreuzeslast belegt, daß sie darunter schreien, im Schreien aber erhört werden und nach erlangter Erhörung GOtt preisen.
Endlich sollst du dein Gebet jederzeit fleißig verrichten, weil es nicht ohne Nutzen abgeht. Denn der Elenden Seufzer dringen durch die Wolken, spricht Sirach; und des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist, sagt Jakobus. Plinius schreibt, daß der Fisch Echneis zwar klein sei, aber er könne ein Lastschiff in vollem Lauf hemmen und aufhalten. Ach meine Seele, dein gläubiges Gebet kann auch Gott halten, daß er mit Seiner Gnad und Hülfe bei dir auf diesem ungestümen Weltmeer nicht kann vorüber gehen, wie an dem blinden Bartimäus zu sehen ist. Hat nicht Moses mit seinen herzlichen und schmerzlichen Seufzern das rothe Meer zertheilt, das Wasser zu Mauern gemacht und seinem Volk in der äußersten Gefahr einen sichern Paß und Durchgang erbetet? Hat nicht das anhaltende Gebet des Propheten Elias den Himmel viertehalb Jahr eisern gemacht, daß er nicht hat träufeln können? und danach denselben mit seinem Gebet wieder erweicht, daß er milden Regen gegeben? So soll auch noch heute kein gläubiger Seufzer vergeblich sein. Gott wendet sich zum Gebet der Verlassenen. Das werde geschrieben auf die Nachkommen. Wenn du wirst rufen, so wird der HErr antworten; wenn du wirst schreien, so wird Er sagen: siehe, hier bin ich. Darum erröthe die menschliche Faulheit, denn Gott will mehr geben als wir nehmen; Er ist mehr geneigt sich unser zu erbarmen, als wir bereit sind von unserm Jammer und Elend erlöst zu werden, sagt Augustin.
Zum Andern laßt uns betrachten, zu wem der gekreuzigte Ehrenkönig CHristus JEsus in großem Leid Sein Gebet und Flehen richtet. Zu Seinem himmlischen Vater. Ach wie schön fängt Er Seine Fürbitte an. Er spricht nicht HErr, denn das Wort ist etwas hart und schreckhaft, sondern Er sagt Vater, welches der allersüßeste, lieblichste und tröstlichste Name ist. Mit diesem Namen rührte der verlorene Sohn bald des Vaters Herz, daß er allen Zorn fahren ließ. Wenn der gerechte GOtt über das israelitische Volk ergrimmt war, braucht Er gewöhnlich in Seinen Zornreden diese Worte: Ich der HErr rede es; wenn er aber Seine Liebe und Freundlichkeit ihnen zu erkennen geben will, spricht Er: Ich will ihr Vater sein. So will CHristus gleich zu Anfang mit diesem Wort Seinem Vater das Herz bewegen und sagen: ach mein herzliebster Vater neige Deine Ohren zu meinem Schreien, denn Dein Kind will vor Dir beten. Du hast mich aus Deinem Wesen von Ewigkeit gezeuget, ich bin aus Deinem Herzen entsprossen. Du weißt ja, mein Vater, wie Du zu zweien Malen Deine huldreiche Stimme hast vom Himmel schallen und fallen lassen und gesprochen, ich sei Dein lieber Sohn. Ob Du mir gleich jetzt ein sehr Hartes erzeigest und ich so erbärmlich zugerichtet bin, daß ich mehr einem Wurm als einem Menschen ähnlich sehe, so bin ich doch Deiner ewig währenden Vatertreue gewiß und glaube festiglich, daß Du mein Gebet, welches ich jetzt vor Dich bringe, aus väterlicher Liebe erhören und mich meiner Bitte gewähren wirst. Ja Vater, ich weiß, daß Du mich allezeit hörest.
Lerne hier, christliche Seele, von deinem Heiland, zu wem du in der Noth deine Zuflucht nehmen sollst. Nicht zu einem unbekannten GOtt, wie die Athener; nicht zu den gegossenen und geschnitzten Bildern, wie Nebucadnezars Unterthanen, denn solche Götzen sind Silber und Gold, haben Ohren und hören nicht, haben Mäuler und reden nicht, haben Augen und sehen nicht. - Ja schämen müssen sich alle die den Bildern dienen und sich der Götzen rühmen. Suche auch nicht Hülfe bei den verstorbenen Heiligen, in denn Abraham weiß von uns nichts und Israel kennet uns nicht. Viel weniger sollst du dich Rathe erholen beim Satan und bei denen, die in seinem Namen helfen wollen, was dem König Ahasja sehr übel bekam. Willst du aber aus deinem Kreuz gerissen werden, so wende dich mit deinem Gebet zum wahren lebendigen GOtt, der da sagt: Ich der HErr - das ist mein Name, ich will meine Ehre keinem Andern geben, noch meinen Ruhm den Götzen. - Die einem Andern nacheilen, werden groß Herzeleid haben. Wie sagt Sirach? Ich suchte Hülfe bei den Menschen und fand keine. Da gedachte ich HErr an Deine Barmherzigkeit, wie Du allezeit geholfen hast. Bei diesem HErrn, liebe Seele, such Rath und Hülfe in deinem Anliegen, denn Er ist gegenwärtig, und nicht ein GOtt, der ferne ist von einem Jeglichen. Wie tröstlich redet König David: Der HErr ist nahe bei denen, die zerbrochnen Herzens sind und hilft denen, so zerschlagen Gemüth haben. Er ist nahe bei allen, die ihn mit Ernst anrufen und thut was die Gottesfürchtigen begehren. Daher konnte Ihn anrufen Manasse in Ketten, Hiskia auf dem Krankenbett, Jeremias in der tiefen Schlammgrube, die drei Männer im feurigen Ofen, Daniel unter den Löwen, Jonas im Bauch des Wallfisches, Hiob in der Asche, Paulus und Silas im Gefängniß.
Der wahre GOtt ist auch voll Liebe und Barmherzigkeit. Wenn du mit Thränen und Gebet zu Ihm schreist und mit David sagst: HErr hilf mir, denn das Wasser geht mir bis an die Seele; ich versinke im tiefen Schlamm, da kein Grund ist. Darum eile GOtt mich zu erretten, - so wird Er dir mit Seinem tröstlichen Munde antworten: Mein Herz bricht mir, daß ich mich dein erbarmen muß. Fürchte dich nicht, ich bin bei dir; weiche nicht, denn ich bin dein GOtt. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich errette dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.
Endlich ist auch unser GOtt ein allmächtiger GOtt, der thun kann was Er will im Himmel und auf Erden. Seine rechte Hand kann Alles ändern. Er kann auch vom Tode erretten; bei Ihm ist kein Ding unmöglich. Er weiß wohl, wie Er die Gottesfürchtigen aus der Versuchung erlösen soll. Wer hat Lot aus dem Feuer Sodoms, Joseph aus dem Gefängniß, die Israeliten aus dem Diensthause Aegyptens, Jonam aus der Tiefe des Meers, ja Lazarum aus des Todes Gewalt errettet? Das hat der HErr dein GOtt gethan, der da spricht: Ich bin der allmächtige GOtt. - Ist denn meine Hand zu kurz, daß sie nicht helfen könnte? Oder ist bei mir keine Kraft mehr zu erretten? Wer wollte nun bei diesem HErrn nicht Rath, Trost und Hülfe suchen?
Sonderlich aber lerne hier, du betrübte Seele, daß GOtt auch mitten im größten Kreuz dein Vater sei und dich in Seine feurige Herzensliebe geschlossen habe. Hebe deine Augen auf und schaue an deinen gekreuzigten Heiland. Ist auch irgend ein Schmerz wie Sein Schmerz, der Ihn getroffen hat? Sein ganzer Leib ist ausgespannt und so zerdehnt, daß man Ihm alle Rippen zählen möchte. Seine Hände und Füße sind durchgraben und mit Nägeln ans Kreuz geschlagen. Sein allerheiligstes Haupt ist ihm mit Dornen zerstochen, daß das Blut mildiglich hernieder fließt. Er hängt am Holz als ein zerquetschtes Blutwürmlein und sieht Nichts vor Augen als den bittern Tod und dennoch erkennt und hält Er GOtt für Seinen Vater.
O du betrübter Kreuzträger, wie oft denkst und klagst du in deiner Angst mit Hiob: Du mein GOtt bist mir verwandelt in einen Grausamen. Aber sei doch nicht so traurig und zaghaftig, du wehmüthig Herz. Die Noth sei so groß sie immer wolle, so ist und bleibt GOtt doch dein treuer Vater. Ob Er dich gleich ein wenig stäubt, so wendet Er doch Sein väterliches Herz nicht von dir. Höre mit Fleiß an Seine eignen Trostworte: Ich will ihre Sünde mit der Ruthe heimsuchen und ihre Missethat mit Plagen. Aber meine Gnade will ich nicht von ihnen wenden. Sage mir, wo ist ein Vater, der seinen Sohn nicht züchtigt? Der fromme Tobias ward mit Blindheit als mit einem schweren Hauskreuz heimgesucht. Warum? Der Engel sagts klar: Weil du GOtt lieb warst, mußte es also sein. Ohne Anfechtung mußtest du nicht bleiben, auf daß du bewährt würdest. Darum, meine Seele, verwirf die Züchtigung des HErrn nicht und werde nicht ungeduldig über Seiner Strafe. Sprich mit dem lieben Hiob: Selig ist der Mensch, den GOtt straft. Er verletzet und verbindet, Er zerschmeißt und Seine Hand heilet.
Zum Dritten betrachte, was denn der HErr JEsus von Seinem himmlischen Vater bittet. Vergebung der Sünden allen denen, die zu Seinem Kreuzestode geholfen haben. Vergib ihnen, spricht Er, als wollte Er sagen: mein Vater, Du hast mir dies Mittleramt aufgetragen, daß ich durch mein Blut und Tod das menschliche Geschlecht erlösen soll. Siehe meine Schmerzen, schaue an, wie ich so jämmerlich verwundet bin, laß dies mein Leiden und Sterben eine vollkommne Bezahlung sein für die Sünden der ganzen Welt. Der Mensch hat sich zwar von Dir abgewandt, aber lieber Vater, nimm ihn um meinetwillen wieder zu Gnaden auf und an. Siehe wie rinnt mein ganzer Leib von Blut. Ach halte diese meine vergossenen Blutstropfen höher als der Menschen Sünde. Nun ich weiß gewiß, daß Du mir Nichts versagen kannst. Ich und Du sind eins. Darum schließ ich frei, mein Gebet sei erhört, das menschliche Geschlecht versöhnt, die Sünde verziehen und Gnad und Leben wiederbracht.
Hier siehst du klar, liebe Seele, daß der HErr JEsus sei der rechte Hohepriester, der uns mit Gott versöhnt hat, davon David sagt: Der HErr hat geschworen und wird Ihn nicht gereuen: Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchisedek. Bedenke demnach fürs Erste das hohepriesterliche Amt deines HErrn JEsu. Im A. T. hatte der Hohepriester dreierlei zu thun, lehren, opfern und beten. O HErr JEsu, Du oberster Hoherpriester, dies Alles hast Du mit höchstem Fleiß verrichtet. Du hast den Willen und Rath GOttes von unsrer Seligkeit, der sonst Engeln und Menschen ewig verborgen geblieben wäre, aus dem Schoß Deines himmlischen Vaters hervorgebracht und bald im Paradiese dem Menschen offenbart; auch hernach durch die Patriarchen und Propheten solche hochtröstliche Gnadenlehre fortgepflanzt und erhalten, bis Du endlich selbst, da die Zeit erfüllt war, ins Fleisch kommen, in die viertehalb Jahr zu Wasser und Lande in eigner Person umhergezogen, gelehrt und uns Nichts verhalten, was uns zur Seligkeit zu wissen nöthig ist. Bei Deiner Himmelfahrt hast Du ausgesandt Deine Apostel mit dem Befehl: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker. Ja noch auf den heutigen Tag läßt Du uns den Willen GOttes durch Deine Boten verkündigen und gibst ihnen den schönen Credenzbrief: Wer euch höret, der höret mich.
Und dabei ist's noch nicht geblieben. Du trittst selbst auf den hohen Frohnaltar des Kreuzes und bringst ein stattlich Sühnopfer, GOtt dem himmlischen Vater zu einem süßen Geruch, indem Du nicht mit der Böcke oder Kälber Blut, sondern durch Dein eigen Blut einmal in das Heilige eingehst und eine ewige Erlösung erfindest, wie Jesaias geweissagt: Er wird Sein Leben zum Schuldopfer geben für die Sünde. All Fehd‘ hat nun ein Ende. Im A. T. sprengte der Hohepriester siebenmal gegen den Gnadenthron mit Böckleinsblut und versöhnte das Volk. So hast Du auch, HErr JEsu, Dein theures Blut zu sieben Malen von Dir schießen und fließen lassen.
Endlich hast Du auch als der rechte Hohepriester für das menschliche Geschlecht Dein Gebet verrichtet, nicht allein bald nach dem kläglichen Sündenfall, sondern auch kurz vor Deinem Leiden, da Du Dich zu Deinem Vater wendest und sprichst: Ich bitte für die, welche Du mir gegeben hast; und nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden. Ja jetzt, da Du am Kreuze hängst, bittest Du für uns mit starkem Geschrei und heißen Thränen. Als die Kinder Israels mit den Amalekitern kriegen mußten, siehe, da stieg Moses auf die Höhe Raphidim, betete für das Volk und streckte seine Hände empor. Die Männer Hur und Aaron standen neben ihm auf dem Berge und hielten seine schweren Fäuste, daß sie nicht sanken. Also hängst Du, unser Heiland, auf der Höhe des Kreuzes mit ausgestreckten Armen. Zween Nägel halten Dir Deine Hände empor und Du betest herzlich für Dein Volk.
Was hat nun CHristus mit Seinem treuen Gebet erhalten? Er hat am Tage Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert zu dem, der Ihm vom Tode konnte aus helfen, und ist auch erhöret darum, daß Er GOtt in Ehren hatte, sagt die Epistel an die Hebräer. Dessen freue dich, gläubige Seele; denn ist deines HErrn JEsu Gebet wahrhaftig erhört, woran kein Zweifel, ei so hast du nun Vergebung der Sünden und einen gnädigen GOtt im Himmel. Als der Zorn GOttes über die Kinder Israels entbrannte, versöhnte Aaron den HErrn mit einem Opfer. Also da GOtt in Seinem gerechten Zorn ergrimmte wider die Feinde Seines herzgeliebten Sohnes, da opferte CHristus die Farren Seiner Lippen und wandte den Zorn ab. Daß aber diese herrliche Fürbitte uns Gnade erlangt, das siehst du klar aus der Passionsgeschichte. Ist nicht bald darauf der Schächer am Kreuz bekehrt? Hat nicht der Hauptmann sammt vielen von denen, die mit ihm an der Schädelstätte standen, in sich geschlagen und Buße gethan? Sind nicht am großen Pfingsttage an die dreitausend Seelen durch Petri Predigt bekehrt worden? Wurden nicht hernach abermals an fünftausend Menschen gläubig? Ward nicht die Zahl der Jünger sehr groß zu Jerusalem? Ja auch viel Priester wurden dem Glauben gehorsam.
Zuletzt betrachte auch den schönen Trost, der hieraus quillt. Die Hohenpriester im A. T. waren dem Tode unterworfen. Aaron starb und sein Sohn Eleasar kam an seine Statt. Pinehas folgte seinem abgelebten Vater im Amt. Aber CHristus JEsus ist ein ewiger Hoherpriester; denn daß Er gestorben ist, das ist Er der Sünde gestorben zu einem Mal. Daß Er aber lebet, das lebet Er Gott. Der legt noch heute, meine Seele, eine starke Collecte (Fürbitte) für dich ein mit unaussprechlichen Seufzern, zeigt dem himmlischen Vater Seine Wunden, die Ihm deinetwegen geschlagen sind, und Sein rosenfarbenes Blut, das genug für die Sünde thut. Dadurch erlangt Er dir Vergebung der Sünden, Gnade und ewiges Leben. St. Hieronymus sagt: Wie würde es dir, o Mensch, ergehen, wenn nicht CHristus noch täglich in Seiner Herrlichkeit diese Fürbitte wiederholte und spräche: Vater vergib ihnen.
Ach was könnte Tröstlicheres gehört werden? Sündiget nicht, lieben Kindlein. So aber jemand sündigt (aus Schwachheit), so verzage er nicht; denn wir haben einen Fürsprecher bei GOtt dem Vater, Jesum CHristum, der gerecht ist. Und Er ist die Versöhnung für unsre Sünde, nicht allein aber für die unsre, sondern auch für der ganzen Welt. Doch brauche dies Niemand zur Sicherheit, denn CHristus bittet zwar noch heute für die Bußfertigen, aber denen, die in ihrer Bosheit verharren, will Er ein ernster und zorniger Richter sein.
Zum Vierten betrachte, für wen dein Heiland so inbrünstig gebetet habe. Nicht für Maria, Seine herzbetrübte Mutter, die wegen Seines Elends ihre heißen Thränen vergoß; nicht für sich selbst, daß ihm Seine unaussprechlichen Schmerzen gelindert würden; nicht für Seine zerstreuten Jünger, sondern für Seine Feinde, die so grausam mit Ihm gehandelt haben und noch so unbarmherzig mit Ihm umgehen. Vergib ihnen! O Wunder über alle Wunder! Wer kann doch, mein HErr JEsu, diese Deine große Liebe aussprechen? Dein Leib hängt fingernackt und bloß am Kreuze, Deine Hände sind gebunden, Dein Haupt mit Dornen gekrönt, Deine Füße mit Nägeln durchgraben, Dein Mund mit Essig und Galle verbittert und dennoch vergibst Du denen, die Dir solch Leib angethan, mit dem Herzen ihre Sünde und bittest mit dem Munde Deinen Vater für sie! Ist dergleichen zuvor je gehört worden?
Als Gott das israelitische Volk mit Pestilenz heimsuchte, daß innerhalb dreier Tage siebzigtausend Menschen umkamen, da schrie König David mit lauter Stimme: HErr ich habe gesündigt; ich habe die Missethat gethan. Laß Deine Hand wider mich und meines Vaters Haus sein. Siehe wie herzlich betet David für sein Volk, das wegen der Sünde, die er selbst begangen hatte, so schrecklich gestraft ward. Aber Du, HErr JEsu, bittest für die, deren Sünde Du büßest und die Dich ans Kreuz geheftet haben. Wenn Du, lieber Mensch, etwa von Jemand beleidigt bist oder sonst in Noth geräthst, so wirst du entweder ungeduldig und murrst wider deinen GOtt, verfluchst auch wohl mit Hiob und Jeremia deinen Geburtstag, oder begehrst Rache wie Elias, der Feuer vom Himmel fallen und dadurch den Hauptmann mit seinen Soldaten verzehren ließ, die ihn auf des Königs Befehl fangen sollten. Oder so du ja Böses mit Bösem nicht vergelten, sondern etwas gelinder fahren willst, so spinnst du wenigstens einen langen Klagefaden, winselst und weinst, heulest und schreist über das Unrecht, das dir zugefügt ist. David vergab zwar die Lästerworte dem Simei, da es derselbe ihm abbat, aber die Rache befahl er seinem Sohne Salomo. So thut mein und dein Heiland nicht, sondern Er vergißt all Seiner Schmerzen und Schmach und bittet für Seine Feinde. Bernhard sagt: O liebster HErr JEsu, begießest Du Deine Kreuziger mit so viel Gnadenöl, ach wie viel mehr wirst Du Deine Liebhaber mit vollen Strömen Deiner Freud' und Wonne tränken!
Hier möchtest du denken, liebe Seele: Betet CHristus für die so Ihn kreuzigen und erlangt ihnen Vergebung der Sünden, ach so wird mich diese Fürbitte wenig oder Nichts angehen. Weg mit diesen Trauergrillen! Freilich, freilich hast du dich mit allen Menschen dieser Fürbitte zu freuen und zu trösten. Zwar die Juden haben CHristum fälschlich angeklagt, Pilatus hat ihn mit Unrecht zum Tode verurtheilt, die Kriegsknechte haben Ihn ans Kreuz geschlagen. Aber doch hätten sie alle der keines thun können, wenn deine, meine und aller Welt Sünde solches nicht verursacht hätte. Ach, unsre Bosheit ist die scharfe Zornpeitsche, womit Er gestrichen, die spitzigen Nägel, damit Seine Hände und Füße durchstochen, die stachlichte Dornenkrone, damit Ihm Sein Haupt verwundet ist. Daher redet CHristus einen Jeden an und spricht: Mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden und Mühe in deinen Missethaten. Ich, ich tilge alle deine Uebertretung um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht. Und nicht, sagt der HErr: vergib diesen, die mich jetzt kreuzigen, sondern ihnen anzuzeigen, daß Er alle Menschen in dies Gebet einschließe. Darum schließ dich selbst nicht aus, sondern glaube gewiß, GOtt dein Vater werde dich solcher Fürbitte jederzeit fruchtbarlich genießen lassen.
Ach du christlich Herz, laß dies ausbündige Exempel nicht so schlecht vor deinen Ohren vorüber rauschen, sondern laß dirs dienen zu einer steten Nachfolge, und sei bereit seinen Beleidigern zu verzeihen. CHristus sagt selber: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut wie ich euch gethan habe. Hier ruft Bernhard aus: O welch ein Wunder! Die Juden schreien: Kreuzige Ihn! und CHristus betet: Vergib ihnen! Groß ist ihre Bosheit, aber viel größer ist, O HErr, Deine Barmherzigkeit. O Du Brunn aller Süßigkeit, welch ein schönes Exempel der Geduld hast Du uns gelassen! Wir als Erd' und Asche begehren Rache für das, was wir verdient haben und billig leiden, und Du erbittest das Leben denen die Dich tödten, den Frieden denen so Dich verfolgen, den Segen denen welche Dich verfluchen.
O wie treulich vermahnt sich zu solcher Sanftmuth CHristus selbst. liebet eure Feinde, spricht Er, segnet die euch fluchen, thut wohl denen die euch hassen, bittet für die so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. St. Paulus sagt: Lasset die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Ei wie viel weniger sollst du denn das Licht deines Lebens über deiner Feindschaft auslöschen lassen? Bist du doch keine Woche, keinen Tag, keine Stunde, ja keinen Augenblick sicher vor dem Tode. Wie wolltest du aber bestehen, wenn du mitten in deiner Feindschaft vom letzten Stündlein übereilt würdest? Trann, der himmlische Vater würde eben mit dir thun in Seinem gerechten Zorn, wie du deinem Feind gethan, wo du nicht von Herzen ihm seine Fehler vergeben hast. Darum gedenke an das Ende und laß deine Feindschaft fahren, welche Tod und Verderben bringt. Wer lobts nicht an dem jungen König Saul, daß als ihn etliche verhöhnten, stellte er sich wie ein Tauber, der nicht hörte. Wie schön steht's David an, daß er sich an Saul, seinem ärgsten Feinde, obgleich er ihn in seinen Händen hatte, dennoch nicht vergreifen will. Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden GOttes Kinder heißen. Und wenn du denkst: ja er hat mich aber zu hart beleidigt und betrogen und noch keinen gebührlichen Abtrag gethan, fährt dazu immer fort in seiner angefangnen Bosheit, heißt mich gar zum Teufel fahren, - wie kann ich ihm verzeihen? Liebes Herz, laß dich dies zur Rache nicht aufbringen. Weißt du nicht, wie Salomo Spr. sagt: Ein unverdienter Fluch trifft nicht? und das gemeine Sprichwort lautet: wo der Fluch ausgeht, da geht er wieder ein. Der HErr dein GOtt wirds wohl machen, das Unrecht mit Recht ersetzen, und mit Güte vergelten sein jetziges Fluchen, wie König David von dem gleichstimmigen Lästermaul Simei redet. Ja nicht allein verzeihen sollst du deinem Feinde, sondern auch nach Christi Exempel für ihn beten, daß ihn GOtt bekehren und ihm seinen verstockten Sinn, seine lästernde und bissige Hundezunge, sein feindseliges Herz ändern und zu christlicher Liebe neigen und lenken wolle. Gedenke an Moses. Wollten den nicht die Israeliten steinigen? Dennoch betet er sehr herzlich für sie. Schaue an den Samuel. Wie wollte der sich rächen an denen, so ihn des Richteramts entsetzten? Ferne sei es von mir, spricht er, mich also an dem HErrn zu versündigen, daß ich sollte ablassen für euch zu beten und euch zu lehren den guten und richtigen Weg! Wie erzeigte sich Stephanus gegen die so ihn steinigten? Er kniete nieder, betete und sprach: Ach HErr, behalte ihnen diese Sünde nicht! Was that Jacobus, als sie ihn von des Tempels Zinne hinabgestürzt, daß ihm seine Beine zerschmettert waren und er halbtodt auf der Erde lag? Da hob er seine Hände gen Himmel und wiederholte diese Worte Christi: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun. So noch heute ist das eines frommen Herzens Eigenschaft, daß es beim Unrechtleiden nicht zum Zorn, sondern zum Gebet bewogen wird, sagt Gregor. Ach du frommer und sanftmüthiger HErr JEsu, hilf daß ich nach Deinem Exempel all meinen Feinden von Herzen vergebe, auf daß ich desto freudiger vor Deinen Vater treten und beten, möge: Vergib uns unsre Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern.
Zum Fünften und letzten betrachte kürzlich, warum CHristus so herzlich für Seine Feinde gebetet habe. Der Text sagt: Denn sie wissen nicht, was sie thun. Wen meint der HErr JEsus mit diesen Worten? Liebes Herz, daß Seine Fürbitte alle Menschen angehe, hast du zuvor gehört. Deshalb werden hier verstanden nicht allein die Heiden, denen die Lehre vom Messias verborgen war, nicht etliche aus dem jüdischen Pöbelvolk, die CHristum nicht kannten, sondern die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Obersten der Juden, die CHristum aus dem Zeugniß der heiligen Schrift, aus Seinen herrlichen Predigten und hohen Wundern erkennen sollten, wenn sie nicht aus boshaftem Haß und Neid ihre Augen selbst geblendet, ihren Verstand verfinstert, ihre Herzen verstockt und die klare Wahrheit muthwillig verachtet hätten. Darum will sie CHristus nicht ganz und gar entschuldigen, denn ihrer viele sündigten aus lauter Bosheit, wie der HErr spricht: Wenn ich nicht kommen wäre und hätte es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde. Nun aber können sie Nichts vorwenden, ihre Sünde zu entschuldigen. CHristus will sagen, daß ihre Sünde, ob sie zwar sehr groß ist, dennoch zu unterscheiden sei von der Sünde wider den heiligen Geist, welche nicht vergeben werden kann, weder in dieser noch in jener Welt.
Wenn sie demnach ihre Sünde erkenneten, ließens sich herzlich leid sein und suchten Gnade, so könnten und sollten sie kraft dieser Fürbitte Vergebung erlangen. Wohl wußten sie, daß sie an einen unschuldigen Menschen Hand angelegt, aber das wußten sie nicht gründlich, daß Er der wahrhaftige, eingeborne Sohn GOttes war, sondern hieltens für eine Gotteslästerung, wenn Er sich so nannte. Und so ja etliche aus den Vornehmsten noch meinten, Er möchte der Messias sein; jedoch weil sie vom Messias ein weltlich Königreich hofften und bei JEsu keine solche Weltpracht fanden, ist diese Meinung bei ihnen auch wieder verschwunden. Wenn sie nun erkannt hätten, sagt darum St. Paulus, so hätten sie den HErrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Und Petrus sagt: lieben Brüder, ich weiß, daß ihr aus Unwissenheit gethan habt, wie auch eure Obersten.
Deshalb wendet sich CHristus hier zu Seinem himmlischen Vater und will sagen: herzliebster Vater, dies Volk bedenkt nicht, was es für eine schreckliche Sünde an mir begeht, und wie sehr sie Deinen Zorn auf sich laden; meinen, sie haben nur mit einem schlechten Menschen zu schaffen und wissen nicht, daß sie Deinen Sohn, den verheißnen Weltheiland, peinigen und tödten. Darum vergib ihnen solche Missethat und hilf, daß sie zur Erkenntniß ihrer Sünde kommen, ihre Missethat von Herzen und mit Schmerzen beweinen, aus Gnaden Vergebung derselbigen erlangen und der ewigen Verdammniß entgehen mögen.
Hieraus seht ihr, meine Lieben, daß zweierlei Sünde sei. Mancher Mensch sündigt aus Unwissenheit, wie allhier Christi Feinde und Paulus vor seiner Bekehrung, davon er selbst sagt: ich hab's unwissend gethan im Unglauben. Welch eine große Menge ist derer in dieser schlüpfrigen Welt! Wie viele Leute irren und fehlen, fallen und sündigen aus angeborner Schwachheit, ehe sie noch recht erwägen, was sie thun! Ach wie gar bald hat dich der listige Feind aus dem Abgrund der Höllen mit seinem starken Reizen und Locken, und die schmeichelhaftige Welt mit ihren ärgerlichen Exempeln verführt und bethört! Ja solche Sünde, spricht Luther, tragen wir alle am Halse, daß wir leicht und unversehens berückt werden. Dafür hat der Heiland am Kreuze gebetet. Und wenn du dieselbe erkennst, rechtschaffen Reu und Leid darüber trägst und wahre Buße thust, so sollen sie dir um Christi willen verziehen sein, wie die schönen Trostexempel aller bußfertigen Herzen genugsam ausweisen. Etliche Menschen aber sündigen wissentlich, d. h. sie leben aus pur lautrem Vorsatz in öffentlicher Bosheit wider das Gewissen, und ob sie schon ihres teuflischen, grundbösen Vornehmens halber gestraft und treulich davon abgemahnt werden, so schlagen sie doch solches Alles in ein Gelächter, rühmen sich noch viel ihrer Untugend, schmähen und lästern den Geist der Gnaden und wollen sich nicht bekehren; denken auch wohl: hebe Dich von uns, wir wollen, o GOtt, von Deinen Wegen Nichts wissen. Ein solch Früchtlein aus des Teufels Garten war der verstockte König Pharao, welcher Moses und Aaron trotziglich ins Gesicht sagte: Wer ist der HErr, 2 Mor. 5, 2. deß Stimme ich gehorchen muß und Israel ziehen lassen? Ich weiß nichts von dem HErrn, will auch Israel nicht ziehen lassen. - O ihr unbändigen Kinder der Bosheit, die ihr mit Pharao unter einer Sündendecke liegt, bekehrt euch um GOttes willen! Ihr, ja ihr seid's, von welchen St. Paulus sagt: Offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind: Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen; von welchen ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, daß die solches thun, werden das Reich GOttes nicht ererben. Da habt ihr euren Zehrpfennig auf den Weg, ihr halsstarrigen Sünder!
O heiliger Vater, sieh von Deinem Himmelsthron hernieder und schaue an das allerheiligste Opfer, welches der große Hohepriester, Dein allerliebster Sohn Jesus CHristus, für unsre Sünde gebracht bat, und sei gnädig der großen Menge unsrer Missethaten. Siehe, die Stimme des Blutes Christi, unsers getreusten Bruders, schreit zu Dir vom Kreuze und redet besser denn Abels Blut. Wende Deine Augen auf den blutrünstigen Leib Deines Sohnes und schaue an Seine Wunden, damit Er für unsre Sünde vollkommen gebüßt hat. Ach laß uns Seiner Fürbitte genießen und in Kraft derselben ewig selig werden. Amen.