Harnack, Theodosius - XII. Halte, was du hast!

Harnack, Theodosius - XII. Halte, was du hast!

Predigt am Sonntage nach dem Reformations-Fest.

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, und der da ist, und der da kommt, und von Jesu Christo, der uns geliebt hat und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut, und der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern. Amen.

Wenn ich Dich, Evangelisch-Lutherische Gemeinde, mit diesem Gruß aus der Offenbarung des heiligen Evangelisten Johannis begrüße, so möchte ich damit sogleich an dem heutigen Sonntage nach der Feier unseres Reformationsfestes Deine Aufmerksamkeit hinlenken auf dieses letzte Buch des Neuen Testaments, und besonders auf die strafenden und tröstenden Sendschreiben des Herrn, welche er durch seinen Apostel an die sieben Gemeinden Klein-Asiens gerichtet hat. In diesen Gemeinden und der eigentümlichen Beschaffenheit einer jeden derselben hat uns Johannes, erleuchtet vom Heiligen Geist, mit prophetischem Adlerblick die verschiedenen innern und äußern Gestalten und Entstellungen, die mannigfachen Gefahren und Versuchungen der christlichen Kirche geschildert, wie diese zu allen Zeiten deutlicher oder undeutlicher hervorgetreten sind, und wie sie sich innerhalb der einzelnen Kirchengemeinschaften wiederholen. Es kann kaum ein Zustand, kaum eine Gefahr oder Verirrung des Gemeindelebens namhaft gemacht werden, für welche nicht diese Sendschreiben ein Wort der Aufmunterung und des Trostes, oder der Strafe und der Warnung enthielten. Wie sollten wir deshalb nicht jetzt, in einer Zeit ausgesprochenen Notstandes unserer Kirche, heute, wo die Glocken, die uns zur Feier der Reformation versammelten, kaum noch verhallt sind, wie sollten wir nicht unsere Kirche und uns persönlich im Lichte dieser Gottesworte beschauen und prüfen?

Denn das ist gewiss, wir leben in einer Zeit, in der die Gleichgültigkeit gegen den evangelischen Glauben, oder das Tändeln mit ihm ein Ende hat; in der wir vielmehr bereit sein müssen, Rechenschaft zu geben von unserm Glauben vor Gott, vor uns selbst, und vor jedem, der da Grund fordert unserer Hoffnung. Darum sollen wir insbesondere hier, wo wir vor dem Angesichte des lebendigen Gottes versammelt sind, unser Auge nicht nach außen hin lenken, sondern vornehmlich unter uns und in uns blicken; ein Jeder soll sich selbst, sein Wesen, seine Gesinnung, sein Verhältnis zu Christo und zur Kirche Christi forschen und prüfen, und bereit sein zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt. Lasst uns denn allen Ernstes und aufrichtig die Hand in den eigenen Busen stecken, und wenn wir sie, wie einst Moses, bedeckt mit Aussatz herausziehen, - es ist gut, denn der verborgene Schaden wird ans Licht gezogen; es ist gut, denn wir haben einen Arzt, der nicht bloß die Aussätzigen rein, sondern sogar die Toten lebendig macht.

Eine Zeit, wie die unsrige, ist reich an großen. Versuchungen, die den Segen der göttlichen Gnadenheimsuchung unwirksam machen und uns rauben wollen. Sie ist reich besonders an der Versuchung, zu viel auf Andere, zu wenig auf uns selbst zu sehen; zu sehr unseren Blick von dem Äußern fesseln und von dem Innern abziehen zu lassen; reich an Versuchungen zu stolzem Richten und fleischlichem Eifern nach außen, und zu falscher Sicherheit, verblendeter Selbstrechtfertigung und gefahrvollem Selbstvertrauen nach innen. Nicht Deshalb aber züchtigt uns die Gnade Gottes, damit wir, die wir Staub und Asche, die wir Sünder und Übertreter sind, ihrer nicht achten, oder gar uns unterfangen, mit der Majestät Gottes uns zu messen, und seinem Drohen Leichtsinn, Übermut oder Sicherheit entgegen zu setzen, indem wir uns unter dem Schutz selbstgemachter Blitzableiter geborgen wähnen. Nicht darum; denn nur ein Schlag von dem Allgewaltigen, vor dem das Erdreich zittert, die Berge schmelzen und das Meer flieht, und unser Haus liegt in Trümmern. Vielmehr sollen wir vor ihm unser stolzes Haupt beugen, unser trotziges und verzagtes Herz demütigen, und vor ihm stille sein, um zu hören, was er aus dem Donner zu uns redet.

Alles Fleisch sei stille vor dem Herrn, denn er hat sich aufgemacht und redet in seinem Tempel!

Der da wandelt unter den sieben goldenen Leuchtern, er wandelt auch durch unsere Reihen. Wie werden wir es aufnehmen, wenn er uns vorhielte die Torheit und Trägheit unseres Herzens, nicht zu glauben seinem Wort der Wahrheit? Wenn er uns sagte, dass wir nun die Früchte der zahllosen Sünden ernten, die wir gesät haben, und noch fortwährend säen? Wird unser Herz brennen vor Unwillen und Zorn, oder vor Scham und Reue?! Was werden wir antworten, wir, die wir so bereitwillig Steine gegen Andere aufheben, wenn der Herr uns von abtrünnigen Sündern, von Männern des Todes erzählte, und dann hinzufügte: „der Mann bist Du?“ Würden wir der harten Rede den Rücken wenden, oder mit David bekennen: ich habe gesündigt wider den Herrn?! Wenn er zu uns redete, wie dort bei der Stiftung des heiligen Mahls zu den Jüngern, und spräche: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch; Einer unter euch wird mich verraten;“ wie fände uns solch Wort? Würden wir rechts und links blicken, oder würde sich unserem Herzen die Frage: „Herr, bin ich's,“ mit ihrem vollen Gewicht entwinden?! - Wenn er endlich nach unserm heutigen Evangelio (Matth. 22, 1-14) einträte zu sehen, ob wir alle mit dem hochzeitlichen Kleide geschmückt sind, und uns ins Herz riefe den Spruch: „Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt;“ würden wir, stolz auf den eingebildeten Schmuck eigener Gerechtigkeit, unbekümmert sein um seine Wahl, oder besorgt um die Gewissheit des Gnadenstandes ihn fragen: Herr, wenn nur Wenige, bin auch ich es?! Wie jeder von uns antworten oder fragen würde, ich kann es nicht wissen. Eins aber weiß ich; das, was ich sage ist nicht bildlich geredet, wie es Manchem erscheinen möchte. Es ist reine Wirklichkeit; denn der Herr ist in unserer Mitte, er redet zu uns laut und vernehmlich von einem Ende des Landes zu dem andern. Eins weiß ich gewiss; je nachdem wir in der einen oder der andern Weise antworten, je nachdem wird uns das Gericht zum vollen Verderben gereichen, oder auch Ströme der Gnade und des Segens über uns ergießen; je nachdem wird entschieden über unseren Tod oder unser Leben. Denn das ist die Natur aller Heimsuchungen Gottes, dass sie gesetzt sind den Unbußfertigen zum tiefern Fall, den Bußfertigen zum Auferstehen; Jenen zum schleunigen Verlieren dessen, was sie noch haben, Diesen zum festeren Besitzen und Halten dessen, was ihnen gegeben ist. Und darauf kommt es an, dass wir wirklich haben, was in dem Gottesgerichte besteht, und dass wir halten und bewahren, was wir empfangen haben. Seht, meine Teuren, so ist unsere Zukunft in unsere Hand gelegt; wie wir uns betten, so werden wir auch liegen!

Aber noch fehlt viel, dass die Stimme Gottes uns wirklich ins Herz getroffen und zu Boden geworfen, wie den Saulus auf dem Wege nach Damaskus, und uns die Frage entpresst hätte: Herr, was willst Du, dass ich tun soll? Noch hat Gott, der Barmherzige, nicht zu uns sprechen können: weil Du dich vor mir demütigst, so ist auch deine Sünde und Strafe von dir genommen, und du sollst nicht sterben;“ denn noch fürchten und ehren wir nicht Gott, den in seinen Gerichten Heiligen und Gerechten; noch ist viel zu viel unerkannte und unbekannte Sünde und Schuld unter uns.

Darum lasst uns den rechten Weg einschlagen, lasst uns unter die gewaltige Hand Gottes uns demütigen, mit bußfertigem Herzen hören, was der Geist den Gemeinden sagt, und so gesinnt ein Wort aus dem Schreiben des Herrn an die Gemeinde zu Philadelphia vernehmen. Vom Lichte dieses Worts wollen wir näher unsere Zustände beleuchten, die Gabe und die Aufgabe unserer Kirche bestimmen lassen. Wir finden es in der Offenbarung Jesu Christi, gegeben dem heiligen Evangelisten Johannes, daselbst Kap. 3,11:

Siehe, ich komme bald. Halte, was du hast; dass Niemand deine Krone nehme.

Dein Wort, o Herr, lass allweg sein
Die Leuchte unseren Füßen.
Erhalt' es bei uns klar und rein,
Hilf, dass wir draus genießen
Kraft, Rat und Trost in aller Not,
Dass wir im Leben und im Tod
Beständig darauf trauen.
O heil'ger Geist, Dein göttlich Wort,
Lass in uns wirken fort und fort
Glaub', Lieb', Geduld und Hoffnung. Amen.

Das Wort, in welchem der ganze Inhalt unseres Textes sich ausprägt, es ist der Zuruf des Herrn: Halte, was du hast. Ihm geht vorher die Verheißung: Siehe, ich komme bald; und an ihn schließt sich die Warnung: stehe zu, dass Niemand deine Krone raube. Demnach wird auch uns und unserer Kirche aus diesem Wort entgegengerufen:

Halte, was du hast!

Es verlangt von uns Antwort auf die beiden darin beschlossenen Fragen:

  1. haben wir auch, was wir halten sollen bis der Herr kommt? Und
  2. halten wir auch, was wir haben sollen, damit Niemand unsere Krone raube?

1.

Da der Zuruf: halte, was du hast, in unserem Text zunächst mit der Verheißung der baldigen Ankunft des Herrn begründet wird, so ist mit dieser Verbindung schon jeder Zweifel darüber abgeschnitten, was denn eigentlich das sei, und worin es bestehe, was wir haben sollen, wenn der Herr kommt. Es ist das, wonach er fragen wird am Tage. der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, wo er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters zu richten den Erdkreis, und zu geben einem Jeglichen nach seinen Werken: Preis, Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber Trübsal und Angst, Ungnade und Zorn denen, die der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit und der Unwahrheit.

Wir können viel haben von den Gütern oder dem Elend dieser Erde: Reichtum, Ehre, Macht, oder Armut, Trübsal und Not. Beides aber soll und wird vergehen mit der Welt und Allem, was in der Welt ist; danach fragt das Gericht nicht. Wir können reich ausgestattet sein mit den natürlichen Geistesgaben, und Großes leisten in den Gewerben, Künsten, Wissenschaften; aber auch diese Besitztümer helfen uns im Gericht nichts. Endlich haben wir alle ausnahmslos von Natur ein Herz voll Sünde und Schuld, voll Unglauben und Ungehorsam, aber das grade müssen wir verloren haben, es muss uns nicht gegeben, sondern vergeben und genommen sein, wenn das Gericht nicht sein Todesurteil über uns sprechen soll! Was ist es denn, das wir haben müssen?

Nichts, Geliebte in dem Herrn, was wir von Geburt haben, oder von der Welt erhalten können, sondern nur das, was Gottes Gnade allein uns geben kann, und was wir durch die Wiedergeburt allein erhalten. Es ist der, den uns der Vater gegeben, Christus Jesus, Er nur Er; unser Herr und Gott, unser Schatz und unsere Perle muss er geworden sein. Er, und mit ihm Gottes ewiges Erbarmen; Er, sein Blut und seine Gerechtigkeit; Er, sein Wort und sein Geist, muss im Glauben, im bußfertigen und lebendigen Glauben, unser Eigentum geworden sein. Im Glauben können und sollen wir ihn haben; im Glauben allein ist er unser seliger Besitz; durch den Glauben will er sich uns vermählen und verbinden. Gottes Augen sehen und fragen nach dem Glauben; und wer Glauben hat, d. h. Glauben an Jesum, und Jesum durch den Glauben, der kommt nicht ins Gericht, sondern der ist schon vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Von diesem Besitztum reden auch die unserem Texte vorangehenden Verse. Da spricht der Heilige zur philadelphischen Gemeinde: ich weiß deine Werke. Siehe ich habe Dir gegeben eine offene Tür; und du hast eine kleine Kraft, du hast mein Wort, meinen Namen. Und weil du behalten hast das Wort meiner Geduld, so will ich auch dich behalten vor der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Erdkreis, zu versuchen alle, die auf Erden wohnen. In diesen Worten wird es uns deutlich gesagt, was wir haben müssen, um zu bestehen in jeder Zeit der Versuchung, besonders an dem Tage des Herrn. Es ist „eine offene Tür“ in das Heiligtum freier, göttlicher Gnade. Welch großes Recht! Welch hoher Besitz! Freier, unmittelbarer Zugang zum Gnadenthron des dreimal Heiligen, den uns keine Sünde und Schuld des Herzens, keine Macht und falsche Lehre der Welt, keine List und Gewalt Satans verwehren oder verschließen kann. Allezeit offene Arme grundlosen Erbarmens und vollständiger Vergebung, in die wir uns gradeswegs und freudig hineinflüchten können kraft des Verdienstes Jesu Christi, und ohne irgend eines andern Mittlertum weiter zu bedürfen. Es ist ferner „eine kleine Kraft.“ Keine Kraft, ausreichend die Tür eigenmächtig aufschließen und erstürmen zu können, das vermögen auch nicht die Pforten der Hölle? aber doch eine Kraft, eine Gotteskraft in den Schwachen, stark genug, um vor der Tür zu liegen, und mit Bitte, Gebet, Geschrei und Tränen anzuhalten, bis die Tür geöffnet wird; aber doch eine Kraft, hinreichend um zu wandeln den Weg des Friedens, um aus- und einzugehen durch die Tore der Gerechtigkeit, wie Kinder im Vaterhause, und um zu genießen alle Rechte und Gaben des Hauses. Endlich ist es „Gottes Wort und Christi Name:“ das teure, selige Evangelium von Gottes Bund und Treue, von unserer Versöhnung und Erlösung; das Wort, in welchem alle Schätze der offenen Gnadentür uns dargeboten werden, und welches sich an uns als eine Gottes kraft zur Seligkeit erweist, wenn wir daran glauben. Und nun die Krone von Allem, der hochgelobte Name des Herrn, angebetet von allen Engeln und Erzengeln, von den Auserwählten allen vor Gottes Thron, der uns Heil und Leben erworben, verbürgt, bereitet hat, und in dem uns Alles gegeben ist, was wir zu unserer Seelen Seligkeit bedürfen: Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.

Das sind die kostbaren Besitztümer in himmlischen Gütern, die uns gegeben sind und deren wir schlechterdings bedürfen, die durch Buße und Glauben uns zu eigen geworden sein und die wir haben müssen, wenn die Ankündigung von der Ankunft Christi zum letzten Gericht, wenn die ihm bahnbereitenden Gerichtszeiten uns zur frohen Verheißung und nicht zur Drohung gereichen sollen. Diese Güter, wir Alle können sie haben; unsere Kirche hat sie lauter und rein. Sind sie auch unser Eigentum?

Verschlossen, unerreichbar sind uns die Güter nicht. Allen können sie zu eigen werden. Gott der Herr will, dass allen Menschen geholfen werde, dass sie Alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Seine Tür ist Allen offen, sein Gastmahl ist stets Allen zu Dienst. Alle lässt er einladen: Kommt es ist Alles bereit; seht und schmecket wie freundlich der Herr ist. Keinen will er ausstoßen, der zu ihm kommt; am wenigsten die Armen, die Krüppel, die Lahmen, und die auf den Landstraßen und an den Zäunen liegen. Für Alle hat er ein Herz, für Jeden seine Tafel Raum. Alle will er speisen und tränken mit den ewigen Gütern seines Hauses. Wer sie nicht hat, darf sich nicht beklagen, aber er kann sich auch nicht entschuldigen; am wenigsten wir, die wir Glieder der Lutherischen Kirche sein wollen.

Denn unsere Kirche - das sei gesagt zur Ehre Gottes und zu unserer Beschämung - besitzt alle diese Gaben des Heils und Lebens rein und unverfälscht; denn sie ist die Kirche des reinen, alleinigen Gotteswortes, des schriftgemäßen, von den Satzungen menschlicher Überlieferung und menschlicher Vernunft gereinigten Bekenntnisses. Daran aber muss es uns zunächst liegen, zu erfahren und des gewiss zu sein, ob die Kirche, zu der wir uns bekennen, uns den herrlichen Schatz der Gottesgüter durch Hinzutun oder Hinwegnehmen nicht verkümmere; ob sie selbst auch im vollen Besitz desselben sich befinde; oder ob sie es verschuldet, wenn ihre Glieder nicht haben, was sie halten sollen bis der Herr kommt? Diese Fragen verweisen uns aber auf das Bekenntnis unserer Kirche. Denn im Bekenntnis ihres Glaubens legt eine jede Kirche offen vor und gibt ihren Gliedern, was sie hat. Was sie nicht bekennt, das hat sie auch nicht; und was sie nicht hat, das kann sie nicht bekennen. Vergleichen wir nun unser Bekenntnis mit dem Worte der heiligen Schrift, so ist es ein reiner Wiederhall aus gläubigem Herzen, der hier auf die Stimme Gottes antwortet. Seit dem Wormser Reichstag, wo jene Fragen zuerst erhoben wurden, ist es noch keinem Widersacher innerhalb oder außerhalb unserer Mauern gelungen, Gottes Wort gegen dies Bekenntnis als Zeugen vorführen zu können. Aus der Schrift kann es nicht angetastet und widerlegt werden. Unsre Kirche ruht also auf dem Felsen göttlichen Worts, und hat somit alle in ihm enthaltenen Gnadenschätze. Fehle ihr denn auch noch Manches Andere; Vieles darf sie nicht haben wollen, ohne mit Gottes Wort in Widerspruch zu treten, und auf Anderes verzichtet sie noch, so lange sie geführt wird den Weg der Anfechtung, Prüfung und Geduld, und so lange sie es nicht zugleich mit dem Worte Gottes, das ihr über Alles geht, besitzen kann. Hat sie aber nur das Wort Gottes rein und ungebunden, so kann sie zeitweilig auf Manches, ihr Wünschenswerte, noch verzichten; weil sie ihr Vertrauen nicht auf Wagen und Rosse, nicht auf irdische Macht und Herrlichkeit setzt, sondern auf den Fels göttlichen Bundesworts, und auf ihn allein.

Wollet Ihr ein treues Bild von dem Wesen und den Führungen unserer Kirche, so lest das Schreiben des Herrn an die Gemeinde zu Philadelphia. Jedes Wort ist hier für uns von Bedeutung. Oder welcher Kirche ist gegeben eine offene Gnadentür, wenn nicht dieser, die eben deshalb geschmäht wird, weil ihre Losung die freie Gnade ist, die Rechtfertigung allein aus dem Glauben, ohne irgend welches Werk des Gesetzes? Von welcher aber gilt auch mehr das Wort, dass ihre Kraft vor den Augen der Welt eine kleine ist? Ja sie möchte so gern aus der peinlichen. Enge in die volle, freie, evangelische Weite kommen, zu einer ihrem innern Wesen würdigen, äußern Stellung, zu einer größeren Lebendigkeit, Regsamkeit und Wirksamkeit gelangen, zu einer Stadt auf dem Berge werden, und von ihren schweren äußern und innern Anfechtungen und Versuchungen befreit sein. Doch dazu ist ihre Kraft noch eine kleine. Aber sie hat genügt und sie genügt, um auszuharren bei dem Herrn, ihm vorzuhalten das feste Wort seiner Verheißungen, und dennoch bei ihm zu bleiben, ob auch Leib und Seele verschmachten. Darum gilt auch von ihrem Bekenntnis, dass sie darin sein Wort in Ehren gehalten und seinen Namen nicht verleugnet hat. Denn sie kennt und lehrt keinen Mittler, kein Heil, keine Gerechtigkeit, keinen Weg, keine Wahrheit, kein Leben außer oder neben Christo, sondern Alles und in Allen Christus. Jesus allein, das ist ihre Predigt, ihre Ehre, ihr Ruhm. Wenn aber leider viele ihrer Glieder, ja sogar ihrer Diener anders lehren und leben, so verleugnen sie den Namen des Herrn und den Glauben, den diese Kirche sich bis zur Stunde in ihrem Bekenntnis bewahrt hat; so schlagen sie sich selbst zu den Feinden ihrer eignen Kirche, und verschulden die schwersten der vielen Anfechtungen und Prüfungen, denen diese ausgesetzt ist.

Auch darin gleicht unsere Kirche der philadelphischen Gemeinde, dass sie die schwergeprüfte ist, dass ihr Glaube im Warten geübt wird, dass sie das Evangelium als ein Wort der Geduld Christi lernen muss. Geduld hat sie lernen müssen unter schwerem, unaufhörlichem Kreuz; Geduld unter dem Abfall ihrer Glieder, Geduld unter den Lügen und Lästerungen, dem Hohn und Wüten ihrer Feinde. Geduldig hat sie sich fügen müssen in die geheimnisvollen, dunklen Demütigungswege des Herrn; geduldig hat sie sich gegen alles Sehen und Erfahren nur im nackten Glauben halten müssen an das Wort und den Namen Jesu; und so ist ihr ganzer Weg von Anfang an gegangen durch böse und gute Gerüchte, durch viel Wachen und Gebet, durch Leiden und Trübsal, durch Stillesein, Warten, Hoffen. Aber sie hat auch unausgesetzt reichlich erfahren die überschwängliche Geduld ihres Herrn und Hauptes mit ihrer Schwachheit und ihren Übertretungen. Des Herrn Geduld mit ihr, das ist ihr Anker und Trost; ausharrende Geduld von ihm zu lernen, das ist die Schule ihrer Führung. Und wir erwähnen dessen nicht, um zu schwächlichem Mitleid gegen unsere Kirche aufzufordern, nein, die wahrhaft Mitleidigen, die glauben, beten, kämpfen und leiden mit ihr; vielmehr sagen wir's, um auch dies Zeugnis für ihre göttliche Abstammung nicht zu verschweigen. Wäre sie von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb, so könnte sie sich nicht so heimatlos in der Welt fühlen! Darum selig die Kirche, die wie ihr Herr auf dieser Erde nicht hat, wo sie ihr Haupt niederlege; selig ist sie, wenn sie dennoch fest bleibt bei dem Wort, und seinen Namen nicht verleugnet. Und unsere Kirche ist eine solche! Gestatte mir, Lutherische Gemeinde, die Zeit, Dir zum Beleg für alles Gesagte, in kurzem, treuen Auszug unsere Augsburgische Konfession vorzulesen, damit Du im übersichtlichen Zusammenhange erfahrest, was unsere Kirche glaubt und bekennt, und was sie verwirft, damit Du wissest, welche Güter sie Dir bietet.

„Wir lehren - so beginnt unsere Konfession - mit der gesamten Christenheit ein einiges göttliches Wesen, in der Person des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.“

„Wir bekennen, dass nach Adams Fall alle Menschen in Sünden empfangen und geboren werden, und dass diese Erbsünde wahrhaftig Sünde sei und alle unter Gottes Zorn verdamme, die nicht wiedergeboren werden.“

„Wir halten von Christo, dass er wahrer Mensch und wahrer Gott in Einer Person sei; dass er durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen mit Einem Opfer alle Sünden, die Erbsünde und die Tatsünde, getilgt, und Gottes Zorn versöhnt habe; und dass er, sitzend zur Rechten Gottes, lebt und regieret in Ewigkeit.“

„Wir bekennen, dass wir Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unserer Werke Wert und Verdienst, sondern allein aus Gnaden erlangen, und um Christi willen durch den Glauben vor Gott gerecht geschätzt werden.“

„Wir lehren, dass der Glaube aus der Predigt des Evangeliums kommt, wozu Gott das Predigtamt eingesetzt hat; und dass Gottes Wort und Sakrament die Mittel sind, wodurch er den heiligen Geist gibt, der in uns den lebendigen Glauben wirkt, welcher die von Gott gebotenen, guten Werke hervorbringt.“

„Wir lehren, dass allezeit Eine, heilige, christliche Kirche, die Versammlung der Gläubigen, sein und bleiben müsse, und dass ihre Wahrheit und Einheit nicht in der Gleichförmigkeit der Zeremonien und der äußern Verfassung, sondern in der reinen Predigt des Evangeliums, und in der schriftgemäßen Verwaltung der Sakramente bestehe, deren Kraft und Wirkung durch die heuchlerischen, falschen Christen, die es geben oder nehmen, nicht aufgehoben wird.“

„Wir erkennen die Notwendigkeit der Taufe zur Seligkeit, und lehren, dass man auch die Kinder taufen soll.“

„Wir lehren, dass im heiligen Abendmahl der wahre Leib und das wahre Blut Christi wahrhaftig unter der Gestalt des Brotes und Weins gegenwärtig sei, da ausgeteilt und empfangen werde zur Erweckung und Stärkung des Glaubens, und dass nur dem gläubigen Gebrauch das Abendmahl zum Segen gereiche.“

„Wir lehren, dass Alle, die aus der Taufgnade gefallen, durch Buße und Glauben Vergebung der Sünden erlangen mögen, dass wir uns aber nicht aus eigener Vernunft noch Kraft bekehren können, sondern dass solches allein der heilige Geist mittelst des Evangeliums zu wirken vermag.“

„Wir gestatten nur ordentlich berufenen Predigern das öffentliche Lehramt in der Kirche, und halten auf gute, menschliche Ordnungen des Gottesdienstes und der Kirche, soweit sie ohne Sünde zu halten sind, und nicht zur Seligkeit nötig geachtet werden.“

„Wir lehren, dass der Hausstand, der ehrbare Beruf, die weltliche Obrigkeit von Gott seien, und halten die Gottesfurcht und Liebe, womit man darin lebt, arbeitet, dienet und duldet, für rechtes, Gott wohlgefälliges Christentum.“

„Wir fordern alle guten Werke, aber nicht um damit Gnade zu verdienen, sondern um durch solche Früchte des Glaubens Gott zu loben, zu ehren und zu danken.“

„Wir ehren die Heiligen, die im wahren Glauben gelebt, und gedenken ihrer, um unseren Glauben zu stärken, aber wir rufen sie nicht an, und suchen nur Hilfe bei dem einigen Mittler, dem Herrn Jesu Christo, und lehren, dass er wiederkommen wird am jüngsten Tage zu richten die Lebendigen und die Toten.“

„Und wie wir nun also dem reinen göttlichen Wort und christlicher Wahrheit gemäß lehren und glauben, auch keine andere Lehre auf unsere Nachkommen vererben wollen, so haben wir auch das christlich - kirchliche Leben nicht abgeschafft, sondern menschliche Satzungen abgetan, die zu Missbräuchen wider das Evangelium ausgeartet sind.“

„Deshalb entziehen wir den Christen nicht mehr den Kelch im Abendmahl, denn das ist wider die klaren Worte der Einsehung und gegen den Gebrauch der alten christlichen Kirche.“

„Wir wehren nicht den Pfarrherren ehelich zu werden, denn das Verwehren ist wider den heiligen, geordneten Ehestand, und wider die Ordnung der alten Kirche.“

In Übereinstimmung mit der alten Kirche halten wir nicht die Messe, dass sie uns oder Anderen, Lebendigen oder Toten ein Versöhnungsopfer für die Sünde sei, denn das raubt dem alleinigen und vollgültigen Opfer Jesu Christi seine Ehre.“

„Wir halten die Privatabsolution für nötig und tröstlich, und die Privatbeichte für heilsam und nützlich, aber wir fordern nicht Erzählung aller Sünden in der Beichte, denn das ist unmöglich, und ist eine unevangelische Belastung der Gewissen.“

„Wir achten das Leben nach Klostergelübden nicht für christliche Vollkommenheit, oder als könne man damit Gnade verdienen, denn das ist wider die Wahrheit des Evangeliums und wider den Ursprung des Klosterlebens.“

„Wir gestatten den Bischöfen nicht sich weltliche Gewalt anzumaßen, noch den Christen neue Lasten der Traditionen, als da sind: Fasten, Orden, Zeremonien usw. aufzuerlegen, denn das widerstrebt der christlichen Freiheit und verleitet zur Werkheiligkeit. Vielmehr unterscheiden wir geistliche und weltliche Gewalt, und lehren dem Evangelio gemäß und mit der alten Kirche, dass keine Gewalt der andern ins Amt greifen soll, und dass die Gewalt der Bischöfe in der Predigt des Evangeliums, in dem Vergeben und Behalten der Sünden (Amt der Schlüssel), und in der Verwaltung der Sakramente bestehe.“

„Daraus - so schließt unsere Konfession mag Jedermann erkennen, dass wir in der Lehre und den Zeremonien nicht halten wider Gottes Wort, noch wider die heilige und rechtlehrende, katholische und apostolische Kirche. Denn das ist öffentlich, dass wir mit höchstem Fleiß gewehrt haben, dass nicht neue, unchristliche Lehre bei uns gelehrt und angenommen werden möchte. Doch sind wir über das Alles willig, aus göttlichem Wort der heiligen Schrift weiteren Unterricht anzunehmen und zu geben.“

Das ist der Glaube unserer Kirche! Festgegründet in dem klaren Wort der heiligen Schrift, übereinstimmend mit der Lehre der Propheten und Apostel. Nach Anhören eines solchen Bekenntnisses müssten wir Gott und seinem Worte die Ehre nehmen, wenn wir noch sagen wollten, unsere Kirche sei nicht im Besitz jener ewigen Glaubensgüter, durch welche die Seelen errettet werden, und im Gerichte Gottes bestehen können. Nein, wenn ihr zugerufen wird: „Halte, was du hast“, so hat sie auch, was sie halten soll bis der Herr kommt.

Aber haben auch wir es, die wir ihre Glieder sein wollen? Das genügt nicht und errettet uns noch nicht, dass wir einer solchen Kirche angehören. Zwar macht der Glaube unserer Kirche selig, aber wir werden nur selig, wenn wir glauben, wenn dieser Glaube auch wirklich unser Leben und Bekenntnis ist. Darum ist die Frage von großer Wichtigkeit: haben wir, die wir hier versammelt sind, haben die Gemeinden unserer Zeit, in diesen Landen, solchen Glauben samt den Gütern, die ihm gegeben sind?

Teure Gemeinde! Sagte ich Ja, die Aufrichtigen in Deiner Mitte müssten schmerzlich beklagen, dass nicht einmal mehr von der Kanzel die Wahrheit zu vernehmen ist; und ich selbst würde das Recht, das mir die Kirche und diese Stätte vor Dir zu reden gibt, zur Unwahrheit missbrauchen. Sagte ich Nein, Vielen wird es eine harte Rede dünken. Und doch muss ich der Wahrheit gemäß Nein sagen, und Gott den Herrn bitten, er möge es verhüten, dass Du dagegen Dein Herz verschließt, und Dir die Augen auftun, dass Du sehen mögest Deine Sünde, Deine Krankheit, Dein Verderben. Wie wir dies Nein aufnehmen, davon hängt es ab, wie ernst und aufrichtig wir es mit uns selbst, mit unserem Heil, mit unserer Kirche, mit dem gegenwärtigen Strafgericht und mit unserer Zukunft meinen.

Nein, wir haben selbst nicht, was wir halten sollten, darum kann es uns so leichten Kaufs genommen werden; wir können es nicht auf die rechte Weise vertreten, denn wir haben selbst die Güter unserer Kirche schmachvoll zertreten. Wer würde es sonst wagen dürfen sie auch nur anzutasten?! Hiermit aber deckt sich vor unseren Augen der tiefe, todbringende Herzschaden auf, die eigentliche, selbstverschuldete Quelle aller Leiden und Drangsale. Gehet, sucht, wo. werdet Ihr den Glauben finden, wie ihn Gottes Wort predigt, wie ihn unsere Kirche bekennt, wie ihn unsere Vorväter hatten? Wir haben nicht mehr diese Güter als unser selbsteignes Besitztum. Einige kennen sie nur von Hörensagen; die Meisten kennen sie nicht einmal so; und Viele machen sich's zur Aufgabe, sie als Torheit, als Kindermärlein zu belächeln, zu bespotten, zu verachten. Die Wenigen unter uns, die sie haben, wie vereinzelt, wie verkannt stehen sie da; und sie beklagen gerade am meisten ihre Gebrechlichkeit und Schwachheit. Oder wenn wir Glauben hätten, dürfte da eine solche Lauheit und Kälte zu finden sein; dürfte da ein solcher offen zu Tage liegender Mangel zu spüren sein an den Gott wohlgefälligen Ehren des christlichen Hausstandes, des christlichen Berufslebens, des christlich- kirchlichen Lebens? Wenn der Glaube unter uns heimisch wäre, würde Gottes Wort so unbekannt und ungebraucht sein, so gleichgültig übersehen und so missbraucht werden können, als es geschieht; würde das freimütige Bekenntnis, der Zeugenmut, die den Glauben zieren, uns fehlen dürfen? Ach, meine Lieben, die schwere, vor Gott dem Herrn, vor unserem eignen Heil, vor unseren Vorvätern und Nachkommen nicht zu verantwortende Sünde, die Sünde des Nichtglaubens und Unglaubens, des Nichtgebrauchs und des Missbrauchs der heiligen Schrift, sie hat uns allgemach in so tiefen Schlaf gewiegt, dass wir unsere Schuld und unser Los nicht einmal mehr erkennen, geschweige denn beklagen und beweinen. Nur Gottes Gerichte können uns noch aufrütteln und wecken, wenn sie es können!

Gelingt es ihnen nicht uns zu erwecken und zur Buße zu führen, dann gehen wir auch verloren; verloren, wie wir's verdienen, verloren durch eigene Schuld. O so lasst uns doch nicht murren, wenn wir endlich in dem verderblichen Sündenschlaf gestört werden; lasst uns nicht murren, wo wir billig und heilsam gezüchtigt werden von Gottes Hand. Ein Jeder murre vielmehr über seine Sünde. Nur eins kann uns gründlich helfen, uns in den Besitz der verlorenen Güter setzen, wenn wir das Leiden erkennen als eine gerechte Strafe Gottes, der uns in Gnaden heimsucht; wenn wir umkehren zu ihm, den wir verlassen, um weinend und bußfertigen Sinnes sein Antlitz voll Huld und Vergebung zu suchen.

„Herr, Herr Gott, das macht Dein Zorn, dass wir so vergehen, und Dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen; denn unsere Missetat stellest Du vor Dich, unsere unerkannte Sünde in das Licht Deines Angesichts. Aber wer glaubt es, dass Du so sehr zürnst? Wer fürchtet sich vor solchem Deinem Grimm, und wem wird Dein Arm geoffenbart? Herr, kehre Dich doch wieder zu uns, und sei Deinen Knechten gnädig; erfreue uns nun wieder, nachdem Du uns so lange plagst, nachdem wir so lange Unglück leiden. Fülle uns frühe mit Deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Lebelang.“ (Psalm 90.)

Christliche Gemeinde! Glauben wir noch an einen lebendigen Gott, der sein nicht spotten lässt; glauben wir noch an die Majestät, Heiligkeit und Gerechtigkeit eines persönlichen Gottes, die wir ungestraft nicht verletzen dürfen, - o so lasst uns eilen seinem Zorn zu entrinnen und unsere Seele zu erretten; lasst uns vor ihm zu ihm fliehen, der in Christo Jesu viel Vergebung und Gnade hat. Und wollt Ihr Eurer selbst nicht achten,. nun so blicket doch auf Eure Kinder und Nachkommen. Welcher Zukunft gehen diese entgegen, was soll aus ihnen werden? Was habt Ihr für ein Recht, sie mit Euch verloren gehen zu laffen? Wollt Ihr, dass Eure Kinder einst darüber weinen sollen, dass Ihr nicht christlich-evangelische Vater- und Mutterpflicht an ihnen geübt, dass Ihr nicht durch das Vorbild christlichen Glaubens und Lebens ihnen vorgeleuchtet, dass Ihr ihnen nicht für die Zukunft den reinen, evangelischen Glauben gesichert, und nicht für ihre unsterblichen Seelen gesorgt habt, die Euch doch dazu, dazu vornehmlich anvertraut waren! Wollt Ihr, dass Eure Kinder Eure Verkläger vor Gottes Thron werden? Ihr könnt, Ihr dürft es nicht wollen! Darum aber Grund und Aufforderung genug für Euch selbst und Eure Nachkommen vor dem Herrn zu erscheinen in Reue und Buße, und ihn zu bitten, dass er Euch wieder zu eigen geben wolle die herrlichen Glaubensgüter seines Heils, die er unserer Kirche gegeben, und die wir verloren haben. Ihm lasst uns huldigen aufs neue als unserem Könige; ihn anerkennen als den, der über uns Gewalt hat zu erretten und zu verderben; ihm unsere Herzen darbringen, damit wir nicht mehr uns selbst leben, sondern dem, der für uns gestorben und auferstanden ist; ihm unser ganzes Leben in Dienst stellen und zu einem heiligen, lebendigen Opfer begeben, damit auch wir wieder hätten, was des Haltens wert ist, und was wir halten sollen zu jeder Zeit und um jeden Preis, bis er kommt; damit wir als lebendige Glieder unserer Kirche im lebendigen Glauben hätten eine allzeit offene Gnadentür, ohne die wir schlechterdings nicht leben können, hätten sein teuer-wertes Wort als unser Eigentum, hätten seinen selig machenden Namen, als den alleinigen Grund unseres Heils; hätten endlich eine kleine Kraft um auch halten zu können, was wir haben sollen, damit Niemand unsere Krone raube!

2.

Der Ruf des Herrn: „Halte, was du hast“, er fordert uns auf Rede zu stehen auf die zweite Frage, die in ihm liegt: „Halten wir auch, was wir haben sollen?“ Lasst uns auch diese noch in der Kürze beantworten.

Halte was du hast, d. h. halte fest die Krone, die dir gegeben; halte fern, wodurch sie dir geraubt werden könnte; halte aus im Kampf für dieselbe. Die Krone, die unserer Kirche gegeben, und die wir als ihre Glieder festhalten sollen, wir wissen's, sie besteht darin, dass diese am Worte Gottes fest und unbeweglich hält, und ein reines und gutes Bekenntnis vom Wort besitzt. Dies von einer Zeugenwolke aus der alten und neuen Zeit der Kirche abgelegte, und mit vielem Zeugenblut versiegelte Bekenntnis nicht aus dem Auge zu lassen, um dasselbe uns immer dichter zu scharen und zu sammeln, es festzuhalten im Glauben, im Wachen, im Beten, es zu betätigen in allen Verhältnissen des Lebens, das ist unsere Aufgabe, daran hangt das Heil unserer Seele, daran das Bestehen der Kirche Christi unter uns, das muss unsere Hauptsorge sein! Doch vergessen wir nicht, unsere Kraft ist eine kleine, unsere Schwachheit eine große; und wenn es allein an unserem Halten läge, wir würden bald verlieren, was wir haben. Die Gefahren der Trägheit und Sicherheit, der Feigheit und der Verwegenheit sind zu groß, als dass wir ihrer Herr werden könnten. Darum gilt es, allezeit wach zu sein, offene Augen zu haben für die eigenen Schäden und Gebrechen, Sünden und Übertretungen, und betende Herzen, die brünstig zu dem rufen, in dessen Hand allein unser Heil geborgen und unverlierbar ist, und der allein uns unsere Krone erhalten kann. Wenn er uns hält, Jesus Christus, der Anfänger und Vollender unseres Glaubens, in dessen Hand die sieben Sterne sind, den Himmel und Erde anbeten, und vor dem die Hölle sich fürchtet, dann bleiben wir auch fest; Niemand kann uns aus seiner Hand reißen. Lassen wir aber von ihm, so lassen wir auch von unserem Heil und unserer Kraft, und wir haben Alles verloren. Halte, was du hast, das heißt also vornehmlich, sei getreu deinem Herrn, der dir Treue erwiesen bis in den Tod; hange an ihm wie die Rebe an dem Weinstock, wie das Glied an dem Leibe, bleibe bei ihm in Glauben und Gebet, und halte ihn fest bei seinem unwandelbaren Wort; denn er hält dich bei deiner rechten Hand, er lässt dich nicht fallen, er leitet dich nach seinem Rat und nimmt dich endlich mit Ehren an.

Aber auf diesem Gange lagern Feinde die Menge. Feinde im eignen Herzen, Feinde auf der Erde, Feinde unter dem Himmel. Da sind ausgelegt die Netze der Sünde, der Welt und des Teufels; die Netze falscher Lust und Begierde, falscher Lehre, unrechten Gottesdienstes; da tun sich hervor heimliche und offene Lockungen, Versuchungen und Anfechtungen. Ihnen gegenüber ruft uns unser Text zu: halte fern von dir, und wehre mit dem Schwert des göttlichen Worts Allem, was deine Krone rauben will. Hier gilt's heiligen Kampf zu führen, die heiligen. Kriege des Herrn, den guten Kampf des Glaubens nach außen und innen, des gewiss, dass der Glaube der Sieg ist, der die Welt überwunden hat und überwindet. Wie hart und schwer hat unsere Kirche unausgesetzt zu kämpfen gehabt, was hat sie ausstehen müssen bis in unsere Tage hinein; dennoch hat sie gehalten, was sie hat, die Kämpfe sind wohl überstandene, das Wort ist ein behaltenes geblieben; sie hat ferngehalten von sich jedwedes Bündnis mit den Feinden, die offen oder verdeckt ihr den rechten Glauben, das lebendig machende Wort, die reine Lehre rauben wollten. Vieles, was schon verloren zu sein schien, ist wiedererhalten; Vieles, was schon in ihr innerstes Heiligtum meinte eingedrungen zu sein, ist wieder ausgestoßen worden. Und dieser Kampf wird und darf nicht aufhören bis zur ewigen Ruhe der Heiligen, denn die Krone ist eine zu herrliche, als dass sie nicht angefochten werden sollte, und ihr Besitz ein zu hoher, als dass er nicht mit Gut und Blut verfochten und festgehalten zu werden verdiente.

Wollen wir lernen, wie wir halten sollen solch Kleinod unserer Kirche und wie für dasselbe kämpfen, so haben wir nur abermals auf unsere Augsburgische Konfession zu sehen. Mit der einen Hand halten hier unsere kampferprobten Glaubensväter unerschütterlich fest an dem Worte Gottes, und stählen durch dasselbe die andere Hand, um mit ihr unermüdlich dem Andrang der Irrlehre und der Missbräuche zu wehren, und die Mauern Zions zu verteidigen. So will's der Herr, so soll's geschehen; tun auch wir also?

Ach, wir haben schon schmerzlich beklagen müssen unsere Glaubenslosigkeit, und hier angelangt müssen wir hinzufügen, dass in dem Maß vom Kampfe nicht mehr die Rede sein kann, in welchem der Glaube aufgegeben wird. Denn wofür soll gekämpft werden, woher soll der Mut, die Ausdauer im Kampf kommen? Doch ja, es wird unter uns gekämpft; aber man bekämpft den Glauben der eignen Kirche! Oder wo das nicht geschieht, da bekämpfen wir die Sünde und die Irrlehre höchstens in ihrer groben Gestalt und Erscheinung, liebäugeln dagegen mit ihr, wenn sie sich in das Gewand eines Lichtengels hüllt! Oder wir bekämpfen die Ausartungen des Christentums und verwerfen oft mit ihnen das Christentum selbst. Eben deshalb ist aber auch dieser Rest von Kampf ein lahmer, ohnmächtiger, erfolgloser. Soll ich Beispiele beibringen, so sei daran erinnert, wie kaum eine Sünde namhaft gemacht werden kann, die wir nicht durch schön klingende Namen zu beschönigen wüssten. Doch noch näher zur Sache! Wir nennen uns Bekenner der Augsburgischen Konfession. Wie stehen wir zu ihr? Unsre Augsburgische Konfession bekämpft z. B. die Gelübde des Mönchtums, wir erkennen sie auch nicht an; aber ehe wir es uns versehen, so haben wir uns in solchem Kampf auch losgesagt von der geistlichen Armut, die der Herr selig preist, und von der Keuschheit der Seele im Gehorsam unter das Wort der Wahrheit, zu der der Apostel Petrus ermahnt. Unsere Augsb. Konfession bekämpft die Anbetung der Heiligen, und wir auch. Aber dafür verehren wir unsere Heiligkeit oder Rechtlichkeit und dienen uns selbst. Unser Bekenntnis verwirft allen äußern Werk- und Zeremoniendienst, als einen vor Gott verdienstlichen; wir fasten, wallfahrten auch nicht, aber statt dessen meinen wir durch unsere Werke und Tugenden vor Gott gerecht werden zu können. Endlich weiß unsere Augsb. Konfession von keinem andern Mittlertum, als dem Jesu Christi; auch wir verwerfen alles menschliche, stellvertretende Priestertum, aber an Stelle desselben erklären wir uns selbst für unsere eignen Mittler vor Gott. Nein, meine Brüder, so kämpft man nicht recht, wenn man den Wahnglauben auf Kosten des Glaubens zum Besten des Unglaubens bekämpft; so wehrt man nicht den Feind ab, wenn ihm die Haupttore verschlossen, aber Seitentüren offen gelassen werden, durch die eindringend er seines Sieges um so gewisser ist. Niemand aber wird gekrönt, er kämpfe denn recht; er habe denn bis aufs Blut widerstanden im Kampf wider die Sünde, er habe sie denn bis auf die Wurzel verfolgt und ihr in keiner Gestalt, unter keiner Bedingung Raum und Zugang gestattet. Nur dieser Kampf ist gemeint, wenn uns zugerufen wird: Halte, was du hast, damit Niemand deine Krone raube!

Doch wir mögen einmal so gekämpft haben, wir mögen fern gehalten haben, den nach unserer Krone gelüstete, aber wir tun's jetzt nicht mehr; die Kraft ist gebrochen, der Eifer erkaltet, die Ausdauer erlahmt, und wir haben vom Kampf uns zurückgezogen. Auch so halten wir nicht, was wir haben. Es gilt auszuhalten im Kampf für den und mit dem, der für uns ausgehalten bis zum letzten Atemzuge. Es gilt nicht zu weichen, wenn auch die Feinde zahlreich und mächtig sind, wenn auch der Kampf dauernd und schwer ist, wenn auch Tausende zur Rechten und Zehntausende zur Linken fallen? Einer fällt nicht. „Das Reich muss uns doch bleiben.“ Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg; und wir mit ihm, wenn wir halten, was er gegeben, wenn wir uns täglich stärken an seinem Wort, wenn wir uns erlaben an seinem Mahl, und aus der Fülle seiner Kraft nehmen Kräfte des ewigen Lebens, Beharrlichkeit, Geduld und Hoffnung der Heiligen. Dann ist auch unser die Verheißung, dass wir, hoffend auf den Herrn, laufen und nicht matt werden, kämpfen und nicht müde werden sollen, so lange, bis es uns vergönnt ist das müde Haupt zu neigen, das enge Kampfkleid abzulegen, den Staub von den Füßen zu schütteln, hier abgelöst und aus der kämpfenden zur triumphierenden Gemeinde versammelt zu werden.

Christliche Gemeinde! Wir haben vernommen das Wort des Herrn: Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass Niemand deine Krone raube! Lasst uns zurückkehren zum Herrn, ihn gemeinsam bitten, dass er uns gebe, dessen wir in seinem Gericht bedürfen, und was er unserer Kirche so reichlich geschenkt hat. Und wenn wir sie wieder erhalten haben, die teuren Güter des Heils, dann lasst uns festhalten im Glauben und guten Bekenntnis, fernhalten Alles unter uns und außer uns, was uns diese Gabe rauben will, und aushalten im Kampf, bis auch unser Stündlein schlägt. Und dann gebe es der Herr uns Allen mit der apostolischen Glaubenszuversicht zu scheiden, die angesichts des Todes bekennen darf: „ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr, der gerechte Richter an jenem Tage geben wird; nicht mir aber allein, sondern allen, die seine Erscheinung lieb haben.“ Amen.

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