Harnack, Theodosius - X. Bedenkt das Ende.
Zum Schluss des akademischen Halbjahrs.
Predigt am ersten Sonntage nach Trinitatis.
Gnade sei mit Euch Allen und Friede von dem, welcher ist der Anfang und das Ende, von Jesu Christo, unserem Herrn, dem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Geliebte in dem Herrn! Das Evangelium des vorigen Sonntags (Joh. 3,1-15) forderte uns auf, das ewige Leben zu ergreifen, indem die Stimme dessen, der vom Himmel gekommen ist und der im Himmel ist, uns dazu Mut und Freudigkeit geben wollte durch Vorhalten der Wiedergeburt, als der einzigen aber wahrhaftigen, als der notwendigen aber gottgewirkten, als der geheimnisvollen aber kenntlichen und zuverlässigen Bedingung zum Eingang in das Reich des Lebens. Dieselbe Aufforderung ergeht an uns an dem heutigen Sonntage, jedoch von einer ganz andern Seite her. Eine Stimme aus dem Reiche des Todes und der Hölle predigt uns das Ende der Dinge dieser Welt und den unseligen Ausgang eines Lebens ohne Gott und ohne Wiedergeburt. Während jenes Wort uns sagte: Gott ist es, der da wirkt durch seinen Geist das Wollen und das Vollbringen; ruft uns dieses zu: Schafft eure Seligkeit mit Furcht und Zittern, und irrt euch nicht, denn Gott lässt sein nicht spotten. So haben wir denn keine Entschuldigung. Nicht bloß lockt uns freundlich der Himmel mit der Gnade Gottes, es mahnt uns auch ernst die Hölle an die Gerechtigkeit Gottes, und treibt uns, das Ende zu bedenken, um klug und geschickt zu werden zum Reiche des Herrn.
Uns aber, den Genossen der Hochschule, sei diese Mahnung doppelt wichtig, da wir heute zum letzten Mal in diesem akademischen Halbjahr, das seinem Ende naht, unsern Gottesdienst halten. Denn jedes Ende eines bestimmten Lebensabschnitts, jeder Ruhepunkt in demselben soll und teils erinnern an das Ende, mit welchem die erste Hälfte der Geschichte unseres Lebens abschließt, die diesseitige, vorbereitende und entscheidende, und welches uns einem neuen Lebenslaufe übergibt, dem jenseitigen, auf ewig entschiedenen; teils soll es uns mahnen nach der ewigen Ruhe der Heiligen zu trachten, die Gott bereitet hat seinem Volk.
So möge denn das heutige Evangelium, trotz seiner abschreckenden Todesgestalt, ja eben wegen derselben, uns allen ein recht willkommener Bote sein, und uns unter Gottes Segen zum Hören und Aufnehmen bereiteten und gesammelten Herzens finden. Es steht aber geschrieben
Luk. 16,19-31.
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären, und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde, und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich aber, dass der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch, und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf, und sah Abraham von ferne, und Lazarum in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner, und sende Lazarum, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche, und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus das gegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet und du wirst gepeinigt. Und über das Alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass die da wollten von hinnen hinab fahren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselben hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten auferstünde.
Sprich, geliebte Gemeinde, kennst Du ein Wort der heiligen Schrift, das schärfer und schneidender hineinführe in den großen Leichtsinn und in die mannigfaltige Lust des Weltlebens, als dieses Wort? Wie es dasteht und Dich anschaut so ernst und doch so wehmütig, so rücksichtslos und schonungslos, und doch so besorgt und teilnehmend, dass Du ihm unmöglich widerstehen kannst; ja dabei so unbeweglich, dass keine Kunst der Deutung auch nur einen Buchstaben daran verrücken kann! Wahrlich, wer nicht ganz verblendet und verhärtet ist, wer nur noch ein wenig Ernst, ich sage nicht Glauben, im Herzen hat, er muss die gewaltige Kraft und die erschütternde Wahrheit dieses Evangeliums fühlen! Seht nur was es alles in sich enthält: Reichtum und Armut, Pracht und Dürftigkeit, Wohlsein und Krankheit, Ansehen und Verachtung; doch nicht bloß das, weiter noch Unglauben und Glauben, Gottvergessenheit und Gottseligkeit, Lieblosigkeit und Erbarmen; endlich: Leben und Sterben, seliges Ende und Begrabenwerden, Himmel und Hölle, ewiges Leben und ewige Pein! - Unmöglich können wir diese Fülle unseres Textes bewältigen und alles Einzelne erschöpfen. Wir heben deshalb nur die Hauptgedanken desselben heraus, und fassen diese zusammen in dem mahnenden Ruf:
Bedenkt das Ende!
Diese Mahnung ist gleich notwendig, ob wir dabei auf den herrschenden Weltsinn sehen, der das Ende nicht bedenkt, oder auf das unerwartete Ende blicken, das gewiss über ihn hereinbricht, oder endlich auf den verachteten Trost merken, der uns allen doch gegeben ist.
Heiliger Herre Gott! Erbarme Dich unser! Gib uns Deinen heiligen Geist, dass er uns das Ende heilsam bedenken lehre, und erhöre uns, wenn wir gemeinsam Dich bitten: lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not; lass uns nicht verzagen vor der tiefen Hölle Glut; lass uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost! Herr, erbarme Dich unser. Amen.
1.
Bedenkt das Ende! Bedarf es noch einer besonderen Mahnung daran bei Solchen, die durch Alles, was sie umgibt, was sie haben und sind, an das Ende und den Tod erinnert werden? Herrscht er nicht mit unumschränkter Gewalt und eisernem Zepter auf Erden über alles Fleisch? Zielen nicht alle Dinge auf ihn hin, als auf ihre letzte Folge und Frucht? Wird nicht mit jeder Not und Krankheit, jedem Kummer und Schmerz, jeder Lust und Freude dem Leben Abbruch getan und dem Tode Bahn gemacht? Sind also nicht alle Leiden und Freuden nur Vorboten und Gehilfen des Todes, der am Ende selbst das Leben verschlingt? Betrachtet die Güter der Erde, die Lüste der Welt, das Treiben der Menschen, betrachtet Euch selbst nach Euerm leiblichen Leben, - es ist alles Tod vom ersten Augenblick des Daseins an. Mitten in der Unbeständigkeit dieses irdischen Lebens, für sich allein angesehen, besteht nur eins unwandelbar und fest, das ist der Tod, um den sich alles Leben wie im Strudel in immer engeren Kreisen bewegt, bis er es hinabgezogen in seine Verwesung und sein Verderben. „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen.“ Dennoch bedarf es recht ernst und dringend der Mahnung: „Bedenkt das Ende.“ Warum? Darauf antwortet unser Evangelium, indem es uns einen Mann vorführt und schildert, der nicht sein Ende bedachte.
„Es war aber“ so beginnt es „ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.“ Seinen Namen nennt der Herr nicht, denn er hatte keinen im Reiche Gottes, keinen neuen Namen, angeschrieben im Buche des Lebens; er hatte nur einen Namen in dieser Welt und für dieselbe. Mit wenigen Zügen wird uns sein Wesen und Treiben geschildert, und sowohl das, was der Herr von ihm sagt, als auch das, was er verschweigt, was uns aber der Ausgang seines Lebens offenbart, zeigt uns in ihm das vollendete Bild eines Weltmenschen. Er ist im Besitz großer irdischer Güter, doch deshalb geht er nicht verloren. Denn der rechtmäßige Reichtum, an welchem nicht die Verwünschungen der Betrogenen, die Tränen der Witwen und Waisen, oder das Blut der eigenen Seele klebt, ist eine Gabe Gottes, die wir brauchen sollen zu seiner Ehre und zum Frommen des Nächsten. Aber wenig Reiche gebrauchen so der ihnen zugefallenen Güter, die Meisten sind Sklaven derselben, weshalb auch der Herr sagt: „Ein Reicher wird schwerlich in das Reich Gottes kommen.“ So auch der reiche Mann im Text: „Er kleidete sich köstlich und lebte herrlich.“ Der Eitelkeit also, der Üppigkeit und dem Genuss opfert er seine Zeit, seine Kräfte, seine Mittel. Wie nun sein äußeres Leben war, so war auch sein inneres, sein Herz; und dieser Reichtum an gehegter und gepflegter Lust, die von einer Sünde zur andern eilt, während sie den Armen vor der Tür darben lässt, die alle Dinge nur schätzt nach dem Vergnügen, das sie dem eignen Ich gewähren, die das Irdische zu dem Mittelpunkt macht, um den sich das ganze Dasein bewegt, dieser Reichtum erfüllte und beherrschte ihn, und versetzte ihn wie in einen Rausch, dass er nicht gedachte des Endes seiner Wege.
Ach, meine Lieben, was uns hier geschildert wird, das ist die Krankheit unseres Geschlechts, das ist der Weltsinn, der Tausende und aber Tausende beherrscht mitten in der Christenheit. Und wenn auch die Begüterten und die Begabten vorzugsweise sich ihm hingeben, er fehlt keineswegs auch unter den Armen und Schwachen. Er ist an kein Alter, kein Geschlecht, keinen Stand und keine Verhältnisse gebunden. Der ganze Inbegriff des Weltwesens, die Meinungen und Urteile der Welt, ihre Kräfte und Erkenntnisse, ihre Macht und ihr Einfluss, ihre Ehre und ihre Schmach, hat das Herz der Leute so ergriffen und geknechtet, es so erfüllt und gesättigt, dass sie nur dafür Sinn und Urteil, Lust oder Unlust, Hoffnung oder Besorgnis haben. Nach Gott fragen sie nicht, sein Wort ehren sie nicht, seine Gegenwart fürchten sie nicht, der Ewigkeit gedenken sie nicht. Und es ist der Fluch dieser Gesinnung, dass alles Wahre, Ewige, Bleibende ihr um so ferner rückt, je fester und begieriger die Menschen sich dem Schein und der Nichtigkeit hingeben; so wie sie umgekehrt immer fester von der Welt umstrickt werden, je ferner Gott ihrem Bewusstsein entrückt. Zuletzt erblindet ihre Seele und wird stumpf gegen alles Wahre und Heilsame; es bleibt ihnen nur die Welt und ihre Lust. Das ist dann ihr Gott und ihre Religion geworden.
Geliebte in dem Herrn, das sind die Grundsätze, das ist das Leben der Christen, in Masse angesehen; sie sind nicht mehr christlich gesinnt, sondern weltlich und heidnisch; ja die Heiden werden am Tage des Gerichts wider uns Zeugnis ablegen. Dieser Weltsinn verschließt das Herz vor Gott und seinem Wort, macht es hart gegen den Nächsten und seine Not, und verstopft das Ohr gegen die laute Predigt, die uns der Tod zuruft: „bedenkt das Ende.“ Um sie nicht zu hören, um nur nicht einen wahren Blick in die Leere und Öde des eignen Innern zu tun, suchen sie sich zu zerstreuen, herrlich und in Freuden zu leben, und atemlos nachzujagen dem Genuss gröberer oder feinerer Art, je nach der Stufe der Bildung und dem Maß der Mittel. Und nun vergegenwärtigt Euch das Getreibe und Elend der Welt, das daraus entsteht: welche Lüste der Eitelkeit, welche Begierden des Ehrgeizes, welche List und Gewalt der Selbstsucht, ja welche unaussprechliche Sünden und Schanden, die offen zu Tage liegen; und wie viele verbirgt die Verborgenheit, der Anstand, oder auch ein frommes Gesicht!
Doch meint nicht, als ob der eitle und genusssüchtige Weltsinn sich bloß in grober Weise und an den äußern, niedern Dingen der Welt offenbare; er wirft sich auch auf die höhern, geistigen Gegenstände, um seinen Genuss zu erhöhen; ja auch das genügt ihm zuletzt nicht mehr, er zieht auch das Höchste, die christliche Wahrheit, in seine Zauberkreise hinein. Sie öffnen dem Evangelium das Herz oder den Verstand, um erhabene Empfindungen zu genießen, oder geistreicher Gedanken sich zu erfreuen. Sie öffnen ihre Hand zu Werken der Wohltätigkeit, denn auch das ist eine Art von Vergnügen.
Aber wo es ein wirkliches Opfer gilt für den Bruder um Gottes willen, oder wo es gilt nicht geistreich zu sein, und diesem Götzen der Zeit abzusagen, wo es vielmehr darauf ankommt, die eignen Gedanken und Irrtümer zu verleugnen, die Sünde zu kreuzigen, das Ich in den Tod zu geben, da zeigt sich gleich dieselbe Art und Natur des Weltsinnes, dem unser Evangelium zuruft: Du gehst einen schlüpfrigen und gefahrvollen Weg, bedenke das Ende. - Du willst Christo und seinem Wort höchstens einen Platz neben den andern Dingen, neben Deinen Gütern oder Deinen Gaben einräumen, und er will der Herr allein sein. Du willst Dein Gutes genießen in diesem Leben, aber nicht sein Gutes empfangen, ehren und gebrauchen. Du fürchtest das Urteil dieser Welt, und Dir bangt nicht vor dem Urteil Gottes. Das Wirkliche, Wahrhaftige, Gewisse, worauf Du allein baust, wonach Du begehrst, woran Du Lust hast, das ist diese Welt, die Dinge außer Dir, oder Dein Geist in Dir. Darum bist Du der reiche Mann! Doch bedenke das Ende, auf dass dich nicht, der Du seinen Sinn teilst, auch sein Los treffe. Denn es kommt die Stunde für uns alle, der furchtbar ernste Augenblick des Todes, wo die Dinge, die unsere Seele erfüllen wie Nebel zerrinnen, wo die Welt, der wir uns verkauft haben, uns verlässt, und wir unwiderstehlich fühlen, dass wir nichts sind; da brauchen wir eine starke Stütze in unserer Ohnmacht, ein helles Licht in unserer Nacht, einen mächtigen Trost in unserer Verlassenheit. Da müssen wir entweder selbst Gott sein, um aus Nichts etwas zu schaffen, oder wir müssen den wahrhaftigen Gott für uns haben, wenn nicht das unselige Ende unser Los sein soll, das zwar unerwartet, aber gewiss über den beharrlichen Weltsinn einbricht.
2.
„Es begab sich aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß; der Reiche aber starb auch und ward begraben.“ - Welcher Gegensatz! Dem Armen, nicht weil er arm war an Gütern, sondern weil er reich war in Gott, stehen die Boten Gottes zur Seite in der Stunde seiner Erlösung; sie geleiten und tragen seine Seele in die ewigen und heiligen Hütten. Der Reiche starb und ward begraben: in zwei Worten sein ganzes, unermessliches Elend. Das Leben hat er verlebt, nun verstirbt er im Tode und geht verloren in Ewigkeit.
Den Weltmenschen ist kein Gedanke lästiger als der Tod, und mit Recht, denn dieser nimmt ihnen Alles, woran ihre Seele hängt, vernichtet ihre Pläne und Werke, zerstört ihre Lüste und Freuden, ja er macht ihrem ganzen Leben ein Ende. Und wenn er nun unerwartet an sie herantritt und sie allein findet in ihrer Eitelkeit und Genusssucht, wenn er unbestechlich und unbarmherzig das Leben von ihnen fordert, da wird ihr glänzendes Elend offenbar. Mit dem Schein und der Täuschung hat es nun ein Ende, unabweisbar und unentrinnbar tritt nun die Wahrheit, die ganze volle Wahrheit vor die Seele, und mit ihr das unwillkommene und unerwartete, aber verdiente und unabwendliche Ende mit Schrecken. Der stolze Baum ist gebrochen und gefallen; und wie er fällt, so bleibt er liegen.
Geliebte in dem Herrn, bedenkt das Ende! d. h. flieht die Welt, fürchtet das Gericht, bittet um ein seliges Ende. Denn es gibt auch einen unseligen Tod, und je weniger Ihr seiner gedenkt, um so unerwarteter und gewisser kann er Euch treffen. Es ist nicht wahr, was der Weltsinn sagt, und wovon er sich so gern überreden möchte: dass man bloß zu sterben brauche, um selig zu werden. Es ist dem Menschen gesetzt einmal zu sterben und danach das Gericht. So gewiss der Tod der Sünde Sold ist, so gewiss bringt er nichts als Elend und Verderben, wenn er uns ergreift mitten im weltlichen Leben ohne Gott und Christum, ohne Buße und ohne Glauben. Mag auch das Krankenlager ein schmerzensreiches und der Todeskampf ein schwerer sein, wenn wir nur Christum im Glauben ergreifen, dann ist der Tod dennoch ein seliger. Umgekehrt dagegen mag er noch so schmerzenslos und ruhig, noch so schön und friedevoll sein für das menschliche Auge, deshalb allein wird uns der Tod noch zu keinem Boten des Lebens. Vollends aber ist es ein verderblicher Irrtum, zu meinen, der Tod sei der schönste, wo man vom Sterbebette aus auf sein Leben ruhig zurückblicken, und sich das Zeugnis geben kann, stets seine Pflicht erfüllt, im Leben viel Gutes getan, und sein Gewissen nicht mit Sünden belastet zu haben. Ist dem wirklich so, fragen wir, warum dann noch der Tod? Ach, geliebte Gemeinde, wir sollen die Toten nicht richten, sondern sollen sie der Gnade Gottes befehlen, der sich das Gericht vorbehalten hat; aber uns selbst, diesen Weltsinn in unserem Herzen, sollen wir bei Zeiten richten und verurteilen, auf dass wir nicht in der Ewigkeit, an dem Orte erwachen, wohin der Herr den reichen Mann in unserem Evangelio gelangen lässt, der mit solchen Gedanken gestorben sein mochte! Hier auf Erden finden wir ihn nicht mehr; er ist begraben nach Stand, Ehren und Würden. Man redet noch eine Zeitlang von ihm; auch das verstummt alsbald; seine Geschichte in der Zeit ist zu Ende, er beginnt sein Leben in der Ewigkeit. Und wo finden wir ihn hier?
„Als er nun in der Hölle und in der Qual war“? spricht der Herr! Wie schaurig ernst reden diese Worte zu uns! So ganz als ob es sich von selbst verstände, dass er an diesen Ort hin gehört! Meine Lieben, es muss entsetzlich sein, nachdem man sein Lebenlang mit der Sünde gespielt, mit dem Tode gescherzt, an die Hölle nicht geglaubt, sondern sie verlacht hat, - nun auf einmal in ihrem Bereich zu erwachen, umgeben von ihrer Qual und Pein, umringt von ihren Gebietern und Bewohnern, selbst einer der letzteren, ein Verlorener in Ewigkeit. Es gibt eine Hölle, und weil es eine gibt, so ist es nötig und heilsam für uns, es zu wissen. Darum sagt es uns der Herr klar und bestimmt. An diesem Wort brechen sich die Lehren des Unglaubens: „alle Sünde soll vergeben und die Hölle nicht mehr sein;“ an diesem Wort scheitern alle falschen, eingebildeten Hoffnungen auf Seligkeit. Es gibt eine Hölle, und sie ist die Qual, nicht bloß eine Qual, sondern die einzige, die der Rede wert ist. Denn alle Leiden und Übel hienieden können uns zum Heil dienen. Es gibt nur Ein Leiden und Ein Übel, das ist die Verdammnis und die unvergebene Sünde, mit der wir sie verdienen. Erkennt, wie der Weltsinn sich selbst betrügt. Die Ewigkeit hat nicht bloß einen Himmel, sie hat auch eine Hölle; denn Gott der Herr zwingt Niemanden zur Seligkeit. Wer aber seinem Willen bis ans Ende widerstrebt, wer ihm nicht die Ehre geben und von ihm Heil und Leben nehmen will, an dem erweist sich Gott der Herr dennoch in seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit, und nimmt sich selbst die Ehre. Ein solcher mag nicht und kann auch nicht in den Himmel kommen. So ist alles Gericht zugleich ein Werk des Menschen, der es sich selbst bereitet und auf sich herabruft, und eine Ordnung Gottes, die über ihn hereinbricht und die ewig nicht gebrochen werden kann. Und worin besteht die Qual der Hölle? Der Reiche litt Pein in der Flamme und begehrte seine Zunge zu kühlen mit einem Tropfen Wassers. Von Gott verlassen und von der Erde verlassen, ist er hingegeben. dem Durst und der Begierde seines Weltsinns, und den Anklagen, den Entschuldigungen und den Foltern seines Gewissens. Seine Seele dürstet und verschmachtet nach den Dingen dieser Welt, aber für ihn ist weder im Himmel, noch auf Erden, noch in der Hölle das Wasser zu finden, das diesen Durst lösche. Und im Widerspruche mit dieser bleibenden Begierde hat sich dennoch sein Urteil über das Wort Gottes ändern. müssen. Er muss es als wahr anerkennen, er muss Gott als den gerechten und guten anerkennen, sein Los als ein verdientes; in dem Maß als die Begierde sich steigert, muss er sie und sich verdammen, kann aber dennoch von ihr nicht lassen. In diesem innern Widerspruch, in dieser Verzweiflung empfindet er die tiefste Qual und Unseligkeit. Das ist die Hölle der Seele, die zu ihrer notwendigen Folge die Hölle des Leibes hat, den Ort empfindlicher und schwerer leiblicher Schmerzen und Qualen. Und über dies Alles ist zwischen ihm und dem Himmel eine große, ewige Kluft befestigt, die auch die Qual des reichen Mannes verewigt. Jahrtausende laufen ab, aber die Unseligkeit endet nicht; eine Ewigkeit nach der andern wird dahinrollen, aber der Wurm stirbt nicht und das Feuer erlischt nicht. Der Rauch seiner Qual steigt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Geliebte Gemeinde! Bedenke solch Ende, auf dass es nicht über Dich komme, ehe Du es erwartest. Es herrscht heut zu Tage weit und breit ein Leichtsinn und eine Weichlichkeit, die sich alles Ernste und Strafende im göttlichen Wort wegempfindelt und wegdeutet; die sich ihren eigenen Gott und ihre eigene Ewigkeit gemacht hat nach ihres Herzens Gelüste, also, dass sie gar bald meint fertig werden zu können mit dem Tode, und dem Gericht, und der Hölle! Das ist nicht der Weg zum Heil. Darum fliehe ihn. Suche aber und ergreife den wahren und starken Trost, den so Viele verachten, den auch der Reiche noch in der Hölle nicht genügend finden will, und der doch allein uns aus dem Gericht retten kann, weil er uns den Weltsinn nimmt, der ins Verderben führt.
3.
Ihr erwartet vielleicht von einem außerordentlichen Mittel zu hören, und ich nenne Euch ein altes und bekanntes das Wort Gottes. Wem dieses aber zu gewöhnlich dünken sollte, der sehe zu, ob seines Herzens Gedanken nicht dieselben sind, wie die des Reichen. Dieser ist für seine Brüder besorgt, die er noch in dieser Welt hatte; er bittet, ihnen einen Bußprediger aus dem Reiche der Toten zu schicken, damit sie nicht kämen an denselben Ort der Qual. Als ihm darauf erwidert wird: „sie haben Moses und die Propheten, lass sie dieselbigen hören“, da antwortete er: „Nein, wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“ Was liegt in diesen Worten anders, als eine Verachtung der von Gott zu unserem Heil verordneten Gnadenmittel; was anders als eine verdeckte Anklage gegen Gott, der noch nicht genug getan haben soll, um uns zu erretten? Das Wort ist ja so gewöhnlich, so einfach, dabei so dunkel, so voller Widersprüche, sagen sie; die es uns predigen, sind voller Sünde und Schwachheit; wer kann dadurch zur Buße und zum Glauben kommen? Es muss vielmehr etwas Außerordentliches geschehen, dann werden wir Buße tun!
Eine andere Antwort auf diese Selbstrechtfertigung des Weltsinns gibt es nicht, denn die, welche dem Reichen gegeben ward: „Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Toten auferstände.“ Meint Ihr, diese Antwort sei keine richtige? Seht, sie hat die Probe bestanden; denn was der Reiche verlangte, das ist ja uns geboten. Es ist wirklich etwas Außerordentliches geschehen; nicht bloß ist ein Toter auferstanden, sondern Gott selbst ist Mensch geworden, Christus ist zur Hölle gefahren und wieder auferstanden von den Toten, in dem heutigen Evangelio reden zwei Stimmen aus dem Reiche der Toten zu uns, - und dennoch, wer glaubt solcher Predigt? Gewiss, über wen das Wort Gottes, Moses und die Propheten, die Evangelisten und Apostel, nicht ihre Gewalt ausüben, wer sich von diesem lebendigen und kräftigen Worte nicht züchtigen und zur Wahrheit leiten lässt, den wird kein Wunder im Himmel oder auf Erden von seinem Unglauben und seinem Weltsinn bekehren.
Achtet darum, Geliebte in dem Herrn, auf das kräftige und lebensvolle Wort Gottes, als auf den ewigen und starken Trost Eurer Seelen. Das Wort Christi hören mit offenem Herzen, mit gesammelten Gedanken, mit wiederholter Betrachtung und Anwendung auf sich selbst; von dem Worte sich strafen, von seinem Licht sich erleuchten, von seiner Kraft sich beleben und heiligen, von seinem Trost erquicken lassen, das heißt das Ende recht bedenken; davon hängt am Ende das Stehen oder Fallen ab, der Himmel oder die Hölle, das Leben oder die Verdammnis. Mag sonst uns der Gang durch dieses Leben gewiesen sein, wie er will: durch Armut oder Reichtum, durch Freude oder Trübsal, durch Ansehen oder Niedrigkeit - wenn wir nur immer und überall das Wort Gottes hören und tun, so sind wir auch immer auf dem Wege, der zum Leben führt. Denn das Wort Gottes gibt uns einen andern Halt und Mittelpunkt für Zeit und Ewigkeit, denn der Tod ist. Es gibt uns Jesum Christum, den Todestod, den Fürsten des Lebens, den wahrhaftigen Gott und das ewige Leben. Und so furchtbar der Tod und das Ende ist ohne Christum, mit ihm ist es der Anfang der Seligkeit, der Eingang zum Frieden und zur schauenden Gemeinschaft mit Gott.
Das Wort Gottes nimmt uns aber auch den Weltsinn und gibt uns einen neuen Sinn und ein neues Herz, indem es in uns Buße und Glauben wirkt. Und so unmöglich es ist ohne Glauben Gott zu gefallen, so gewiss ist es, dass alle, die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.
Geliebte Gemeinde! Wo wir um Gottes Wort versammelt sind, wie hier und jetzt, da gilt es nicht das Angenehme sondern das Heilsame zu hören. Es kommt darauf an, dass wir das Ende bedenken, um den Weg aus unserem Lode zum Leben zu finden, zu wandeln, zu behaupten. Seht darauf Euer Leben an! Fragt Euch ob Ihr das neue Herz, habt, das die Buße und den Glauben erfahren; ob Ihr den Ernst habt, dem Weltsinn zu sterben und Christo zu leben; ob Ihr die Gewissheit habt, dass Eure Sünde vergeben ist, und dass der Tod Euch, wo er Euch auch fände, bereit findet zum seligen Abschied. Ach! bedenkt das Ende d. h. flieht die Welt, fürchtet das Gericht, glaubt an das Wort! -
Wir schließen heute für eine Zeitlang unsere Gottesdienste, indem wir dem Herrn danken für die Gabe seines Worts in dem zurückgelegten akademischen Zeitraum. Waltet es Gott, so beginnen wir dieselben wieder mit dem Anfang des kommenden, neuen Halbjahrs. Bis dahin kann gar Mancher von uns den entscheidenden Schritt aus der Zeit in die Ewigkeit getan haben. Möge ihm dann in der schweren Stunde das heutige Wort vor die Seele treten, ihn zu mahnen mit seinem Ernst, ihn zu erquicken mit seinem Trost und Segen.
Ja, lasst uns Alle wachen und beten, bis der Herr kommt. Lasst uns mit Furcht und Zittern das Ende bedenken, auf dass wir selig werden. Denn die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. Amen.