Harms, Theodor - Das Hohelied - Fünftes Capitel.

Gesang: Schatz über alle Schätze -

Vers 1-7

Ich komme, Meine Schwester, liebe Braut, in Meinen Garten; Ich habe Meine Myrrhen sammt Meinen Würzen abgebrochen; Ich habe Meines Seims sammt Meinem Honig gegessen; Ich habe Meines Weins sammt Meiner Milch getrunken. Esset, Meine Lieben, und trinket, Meine Freunde, und werdet trunken. Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Da ist die Stimme meines Freundes, der anklopfet: Thue Mir auf, liebe Freundin, Meine Schwester, Meine Taube, Meine Fromme, denn Mein Haupt ist voll Thaues, und Meine Locken voll Nachttropfen. Ich habe meinen Rock ausgezogen, wie soll ich ihn wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder besudeln? Aber mein Freund streckte Seine Hand durch das Loch, und mein Leib erzitterte davor. Da stand ich auf, daß ich meinem Freunde aufthäte; meine Hände troffen von Myrrhen, und Myrrhen liefen über meine Finger an dem Riegel am Schloß. Und da ich meinem Freunde aufgethan hatte, war er weg und hingegangen. Da ging meine Seele heraus nach Seinem Wort, ich suchte Ihn, aber ich fand Ihn nicht; ich rief, aber er antwortete mir nicht. Es fanden mich die Hüter, die in der Stadt umhergeben, die schlugen mich wund; die Hüter auf der Mauer nahmen mir meinen Schleier.

Wenn ein Christ richtig mit seinem Herzen steht, dann haften die Samenkörner darin, die der HErr Christus hineinlegt, und jeder besondere Bibelspruch wird zu einem besonderen Baum, der seine Früchte trägt, die verschiedenen Gaben und Tugenden, die der heilige Geist wirft, und der HErr freut Sich Seiner eignen Früchte.

Dieser Paradiesesgarten des Herzens ist für Alle verschlossen, und nur wen der HErr Christus als der HErr des Gartens mit hinein nimmt, der kann hineinkommen. Wie so gerne folgt Er der demüthigen Einladung, zu kommen; wie trauert Er, wenn er anklopft und Ihm nicht aufgethan wird! Das ist die Erfahrung, die Er am häufigsten machen muß, wie ein Bettler von der Herzensthür abgewiesen zu werden, und Er läßt Sich es nicht verdrießen, immer und immer wieder anzuklopfen. Wie so gern begiebt er sich hinein, wenn unter diesen beständigen Abweisungen einmal so eine demüthige Einladung kommt. Wir können es nicht genug im Herzen hin und her bewegen, daß wir durch die Bekehrung des HErrn Schwester geworden sind; aber nicht allein in Verwandtschaftsbeziehungen will Er mit uns treten, auch in ein persönliches Verhältniß als unser Bräutigam. Nichts Verächtlicheres, Traurigeres, Widerwärtigeres giebt es ja schon in der Welt, als wenn eine verlobte Braut ihrem Bräutigam untreu wird; wie viel schrecklicher, wenn eine Braut Christi der Welt, der Creatur, dem Mammon anhangt. Als der HErr Sich Seines Gartens erfreut, da sind es zuerst die bittern Myrrhen der Buße, worauf sich Sein Blick lenkt, um sie zu brechen; Myrrhen wachsen zuerst im Paradiesgärtlein; wo die nicht blühen, da kann keine Frucht gedeihen. Dann pflückt der HErr die Würzen, woraus das Salböl bereitet ward; das sind namentlich die Gebete, wenn auch noch so unvollkommen. Der Honig bedeutet das lebendige Gotteswort, was die Seele in sich aufgenommen und verarbeitet hat, und welches nun als beredtes Zeugniß wieder hervor tritt. Was bedeutet hier aber Wein und Milch? Das können wir uns nicht besser auslegen, als wenn wir in 1. Mose 49, 10-12 Christus den großen Friedenskönig beschreiben lassen, der die Freuden in eines begnadigten Sünders Herzen wirkt, die aus Seiner Gerechtigkeit quillen, und die Ihn wieder erquicken. - Esset und trinket, meine Lieben, so fordert Er auch Seine Freunde auf. Er muß sie also wohl mit Sich genommen haben in Seinen Garten. Aber wie können auch sie die Freude des Herrn an den Früchten eines bekehrten Sünders mit genießen? Wir wissen ja, welch ein Segen ein wahrer Christ ist, und wie er auch andere Gottesfinder so fröhlich macht. Um das zu verstehen, brauchen wir uns nicht weit umzusehen. Wie viele Gotteskinder kamen nicht zur Zeit meines Bruders hierher, sich zu erfreuen an seinem frischen freudigen Muth, seinem heiligen Wandel, seinen Gebeten und Gesängen, seinen lebendigen Zeugnissen. Sie wurden trunken von den reichen Gütern aus des HErrn Hause. - Bei diesen Besuchen hat der HErr Christ Seine Lieben mitgebracht. Wie mit meinem Bruder, so geht es mehr oder minder mit jedem wahren Christen: der HErr hat sich in ihm verklärt, daß auch von ihm in irgend einem Maaße eine Verklärung ausgehe. Dieser erste Vers ist auch ein lebendiges Zeugniß, wie lieb und theuer dem HErrn solche Seelen sind, von denen Er Früchte pflückt, und der HErr mag wohl Freude im Himmel haben, aber in einem Menschenherzen, das sich hat retten lassen, noch viel mehr. - Wenn wir nun V. 2 dagegen halten, was Sulamith antwortet, so erschreckt uns das. Sie ist eingetreten in den geistlichen Schlaf. Wie kann es aber möglich sein, so fragen wir billig, daß eine Seele, welche die Himmelskost geschmeckt, die in des HErrn Jesu Arm geruht hat, daß die lau und gleichgültig und sicher wird? Ja, meine Lieben, das ist ein Räthsel, was sich erst im Himmel lösen wird; das ganze Menschenherz ist ein Räthsel voller Gegensäße. Es ist eine Erfahrung, die ich an mir selbst gemacht habe an hohen Festen, oder sonst, da ich gewürdigt ward großer Gnadenerweisungen, da ich erquickt ward zu hoher Freude, so daß ich einen Vorschmack des Himmels empfand. Dann ist gewöhnlich bald darauf der Rückschlag erfolgt, eine Zeit eben so großer Dede und Dürre, desto mehr, je mehr man in der Seligkeit geschwelgt hat. Solche dürre Zeiten sind eine nothwendige Zucht des lieben HErrn, denn das arme Menschenherz kann solch Glück nicht lange vertragen; es ist immer Gefahr dabei, in Lauheit und Trägheit zu verfallen, in Hochmuth und Eitelkeit. Da ich so innig mit meinem Heiland stehe, sagt sich die Seele, bin ich sicher, nicht aus dieser Gemeinschaft heraus zu fallen, und damit ist denn die Schläfrigkeit bald da. Was will Sulamith aber damit sagen: Ich schlafe, aber mein Herz wacht? Wenn auch das Herz schliefe, dann wäre es vorbei mit dem inwendigen Menschen, dann würde Satan es zertreten. Aber der heilige Geist wacht, daß es sich bewußt bleibe. Es ist uns weiter in diesem Verse recht anschaulich bewiesen, daß Sulamiths Herz wacht, denn schliefe es, dann könnte sie ihres Freundes Stimme nicht hören, aber sie hört ganz deutlich, wie er in großer Betrübniß bei ihr anklopft. So ein geistlicher Schlaf ist wie ein traumartiger Zustand, da man wie von unsichtbaren Banden gehalten ist. Der Herr läßt sich nichts verdrießen; er geht durch Kälte und Nachtthau Seiner Braut nach, um sie zu erretten aus dem Teufels Banden. Da steht er vor der Herzensthür und ruft immer herzbeweglicher: Meine Freundin, Meine Schwester, Meine Taube, Meine Fromme, komm, ach komm zu Mir. Ach, sie läßt ihn draußen stehen. In solchen öden Zeiten wird der Christ so bequem, er mag sich nicht rühren und regen; der geistliche Schlaf ist dem alten Menschen ja so süß; er mag nicht den schweren Kampf aufnehmen mit der Welt und der Sünde, mag nicht seinem HErrn nachfolgen durch Dick und Dünn, das Haupt nicht dem Thau, die Locken nicht den Nachttropfen aussetzen, die Füße, die man eben gewaschen hat, nicht dem Besprützen. Die Bequemlichkeit, die Lauheit solcher Zeiten ist durch nichts besser ausgedrückt, als durch V. 3; ja den Rock von Christi Gerechtigkeit hat so eine Seele ausgezogen. In solchen Zeiten wissen wir wohl, daß wir schlafen, aber wir mögen die Augen nicht aufheben, den HErrn anzuschauen. Der thut dann alles Mögliche, uns wieder zu sich zu ziehen, V. 4. Warum macht Er nicht die Herzensthür auf? Das wäre ihm ja ein Leichtes. Er kann sie ja nicht mit Gewalt öffnen, kann ja den Menschen nicht mit Gewalt in den Himmel werfen; Er hat ihm ja die Freiheit gegeben zu wählen, wag Er will, Himmel oder Hölle. Er zeigt sich aber, daß er da sei, so daß die Seele ob dieser ernsten Mahnung erzittert. Er läßt sie auf Seine Hand schauen, auf Seine Führungen, ja auf Seine durchgrabene Hand, für die begnadigte Sünderseele ans Kreuz geschlagen. Sie soll nicht nur Seine Stimme hören; sie soll auch Seine Nähe fühlen. Sie will nicht hören; da kehrt Er ihr den Rücken, zwar nicht auf ewig, sondern um die Seele fühlen zu lassen, was es heißt, ohne Heiland zu sein. Merkt man, daß Er weg ist, dann kann man es nicht aushalten, man muß Ihm nach und Ihn wieder haben. Man könnte sich viele Mühe sparen und viele Unannehmlichkeiten von den Teufelskindern, wenn man immer fest und ruhig sich an seinen Heiland hielte. Nun war es zu spät, V. 5. Die Buße und Reue, die sich nun der Seele bemächtigt, kann gar nicht schöner ausgedrückt sein; sie hatte sich ja mit Myrrhen gewaschen, so floß sie über. Nur in Buße kann der Sünder sich wieder zum HErrn wenden. Wohl hatte der HErr V. 1. in dem Paradiesesgarten der bekehrten Seele zuerst und am liebsten die Myrrhen gepflügt, aber jene Myrrhen waren nicht so bitter, weil damals Sulamith im Gnadenbewußtsein stand. Jetzt stand sie im Sündenbewußtsein, und die Myrrhen troffen. Wenn das Gnadenbewußtsein das Sündenbewußtsein nicht aufwiegt, dann drückt es die Seele tief nieder. Es weiß ein jeder Christ, wie dann der Schmerz die Seele beugt. Aber es half nichts, V. 6, der HErr war weg. Nun sagt Sulamith nicht „Ich“, sondern meine Seele ging hinaus nach Seinem Wort. Soll man den HErrn, nachdem man Ihn verlassen hat, finden in Seinem Wort, dann muß man es lesen und hören mit all seinen Gedanken und Empfindungen, muß sie von allem Andern abziehen; aber doch muß man oft lange suchen, und man findet Ihn nicht, muß schwere Erfahrungen machen. Der Sünder sucht Ihn vielleicht aus Angst vor der Strafe, und findet Ihn nicht. Hat man den Herrn das zweite Mal verloren, dann muß man Ihn viel mehr suchen, und das dritte Mal noch viel mehr. Ich rief, sagt Sulamith, aber Er antwortete mir nicht. Er hört wohl, aber er schließt Seinen Mund; Er will nicht antworten. So macht Er es oft. - Was wir immer haben, das schätzen wir nicht, wie es sich gebührt. So geht es mit einem Lieblingsbuch, mit der Gesundheit, mit den Gottesdiensten. Der HErr nimmt es uns oft eine Zeitlang, damit wir durch Entbehren lernen, welche Schätze wir daran besitzen, und dann desto fester daran halten. So lernt nun auch Sulamith durchs Entbehren, was sie hat fahren lassen. Sie irrt trostlos, V. 7, umher in der Christenheit, in der Kirche; sie wendet sich bald an einen Pastor hier, bald an einen andern dort, und muß sich viele Abweisungen und vielen Spott gefallen lassen. Sie wird nicht verstanden, und besonders die Pharisäernaturen sind so bereit, einen Stein auf sie zu werfen, sie zu Solchen zu stempeln, die dem HErrn die Treue gebrochen haben. Wenn eine Seele erzählt: Ich bin so glücklich gewesen, so innig vereint mit meinem Heiland; und nun fühle ich mich so verlassen und kann mich Seiner Gnade gar nicht getrösten; dann kann das nur verstehen, wer das Alles selbst erfahren; die Meisten sprechen Worte, welche die wunde Seele noch mehr verwunden; sie verstehen solche Seelen nicht recht zu behandeln, weil ihnen das Verständniß und die Liebe fehlt. Simon der Pharisäer Luc. 7, 37, sah erstaunt die Sünderin sich zu deß HErrn Jesu Füßen werfen, und konnte nicht begreifen, daß der HErr sich diese Liebkosungen gefallen ließ. Was würde er aber gesagt haben, wenn sie zurückgefallen wäre und zum zweiten Mal den HErrn gesucht hätte; er würde ihr erzürnt den Schleier vom Haupt gerissen haben. So geschieht es meistens den gefallenen Sündern von ihren Mitchristen. Sie sollten doch billig wissen, daß wenig Christen in ihrer Taufgnade bleiben, Wenige sind, die nie gesagt haben: Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Der HErr will uns in diesem 7ten Verse zeigen, daß wir Ihn nicht bei Menschen suchen sollen. Wenn wir geradeswegs zu Ihm kommen mit immer erneuertem Bitten, dann läßt Er sich finden, und ob wir Ihn zum vierten und fünften Mal suchten. Unsere Untreue hebt eben Seine Treue nicht auf; Er hält uns mit Banden der Liebe. Amen.

Vers 8-17.

Gesang: Valet will ich dir geben -

Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so sagt Ihm, daß ich vor Liebe krank liege. Was ist dein Freund vor andern Freunden, o du Schönste unter den Weibern? Was ist dein Freund vor andern Freunden, daß du uns so beschworen hast? Mein Freund ist weiß und roth, auserkohren unter vielen Tausenden. Sein Haupt ist das feinste Gold. Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe. Seine Augen sind wie Taubenaugen an den Wasserbächen, mit Milch gewaschen, und stehen in der Fülle. Seine Backen sind wie die wachsende Würzgärtlein der Apotheker. Seine Lippen sind wie Rosen, die mit fließenden Myrrhen triefen. Seine Hände sind wie goldene Ringe, von Türkissen. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Sapphiren geschmückt. Seine Beine sind wie Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Füßen. Seine Gestalt ist wie Libanon, auserwählt wie Cedern. Seine Kehle ist süß und ganz lieblich. Ein solcher ist mein Freund; mein Freund ist ein solcher, ihr Töchter Jerusalems. Wo ist denn dein Freund hingegangen, o du Schönste unter den Weibern? Wo hat sich dein Freund hingewendet? So wollen wir mit dir Ihn suchen.

In dem heutigen Abschnitt giebt uns der heilige Geist das schönste und wahrhaftigste Bild deß HErrn Christi, und so muß Er vor unsern Augen schweben. Die Maler können in dem schönsten Bild nur die menschliche Seite des HErrn darstellen. Hier sehen wir den Gottmenschen dargestellt, und nur der heilige Geist kann solch ein Bild malen. Nur der arme Sünder, der sich in seinem Bußschmerz der Gnade des HErrn nicht getrösten kann, nur der kann aus tiefster Seele dem heiligen Geist nachsprechen, wie Er den HErrn beschreibt. - Die Seele, die ihren Heiland verloren, hat vergebens bei verschiedenen Pastoren angefragt, um auf den richtigen Weg geleitet zu werden, aber Keiner kann sie zu ihrem Heiland führen. Wenige begreifen, daß eine Seele zugleich Ihn im Glauben halten und doch verloren haben kann. Es ist nicht so gar oft, daß ein Pastor durch die Selbsterfahrung solcher Zustände in tiefer, tragender Liebe solche wehklagende, umherirrende Seele verstehen, und sie richtig leiten kann. Kein Trostwort der heiligen Schrift haftet bei ihr; das Auge ist gehalten, es sieht nicht die Gnade. - Da wendet die suchende Seele sich V. 8 an die Kinder der Kirche, die Gläubigen aus der Gemeinde, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und bei ihnen findet sie oft mehr Verständniß für ihr Leid, als bei den Pastoren, aber dennoch auch nur sehr selten. Die bittet sie um ihre Fürbitte: wenn ihr euch vor meinem Heiland zusammen findet, dann bringt es vor Ihn, daß hier eine arme Seele so schwer leidet. Dieser Weg, den Sulamith betreten, ist der einzig richtige. Können Menschen sie auch nicht zurechtweisen, so besitzen sie doch die Macht der Fürbitte, und wie groß diese Macht ist, das merken wir alle Tage. Der Fürbitte kann der Heiland nicht widerstehn; Er kehrt um und läßt sich finden. Sulamiths Krankheit ist das Heimweh, eine Krankheit, der der HErr vollständige Genesung verheißen hat. Der Mensch muß aber erst sterbensfrank sein, ehe er recht gesund werden kann. Die Krankheit hört auf, aber die Liebe bleibt. - Die Antwort V. 9, der Kinder Zions, der Gläubigen, folgt nun. Soll das heißen, daß sie den Heiland nicht kennen? Daß nicht, aber es ist ein großer Unterschied zwischen Kennen und Kennen, und zwischen Anschauen und Anschauen. Ein jeder Gläubiger schaut den HErrn an je nach seiner Eigenthümlichkeit. Manche sehen in Ihm hauptsächlich den Propheten, Andere den siegreichen Held, Andere den Hohenpriester, den Welterlöser, das Lamm. Man kann den HErrn von verschiedenen Seiten anschauen, aber man kennt Ihn erst recht, wenn man, wie hier Sulamith, in tiefer Herzensangst sich nach Ihm sehnt, den man verloren hat, wenn man Ihn hat kennen lernen in der eigenen Erfahrung, und Ihn nicht nur angeschaut allein in Seinem Werk, sondern in Seiner Person. Dann ist er so unser eigen geworden im süßesten Liebesgenuß, daß wir Ihn wohl kennen. So kennt Ihn Sulamith, und die Gläubigen, denen sie ihre Angst geklagt, und die sie um ihre Fürbitte gebeten hat, diese Kinder Zions möchten gar gern wissen, wie Ihn denn Sulamith kennt. Sie nennen Sulamith mit Recht die Schönste unter den Weibern, V. 9, denn die schönste Seele ist die, welche in heißen Thränen, in Sündenschmerz und Liebesverlangen sich des himmlischen Trostes nicht erfreuen kann. Nicht die ist so schön, welche in seliger Ruhe sich eins weis mit ihrem Heilande, im Vorschmack des Himmels selig in der Lebens- und Liebesgemeinschaft mit Ihm, für die die Buße mehr in den Hintergrund tritt. Schöner ist die Seele, der in ihrem Sündenbewußtsein das Gnadenbewußtsein entschwunden ist, die sich aber verzehrt in Sehnsucht nach dem HErrn. Eine solche preisen die Töchter Jerusalem schön und fragen sie: was hast du denn an diesem Freund, den wir für dich erbeten sollen? Das ist die Bitte um ein Bild von ihrem Heiland. Da zeichnet Ihn Sulamith. Hier kommt neben V. 10 weiß und roth später in den Türkissen und Sapphiren noch das Blau hinzu. Das sind die heiligen Farben. Das Weiß, die Farbe der Heiligkeit, tritt in desto blendender Reinheit hervor, da der HErr mit dem Sündenkoth der ganzen Menschheit beladen war. Wir wissen, wenn der Mensch sich mit Schmutz wäscht, so hat das die Wirkung der Seife, und so strahlt der HErr so blendend weiß durch das Schlammbad unserer Sünde. Roth ist die Farbe der Versöhnung, und weil der HErr Sein Blut für uns als Lösegeld gegeben hat, darum ist Sein Kleid blutroth, wie Jes. 63 davon sagt; es ist roth gefärbt, damit unsere Kleider weiß würden. Gold, die Treue und Wahrhaftigkeit stellt uns V. 11 dar. Alle Gedanken, die durch Sein göttliches Haupt gehen, enthalten Treue gegen den armen Sünder, den Er nie verläßt. Die Locken des Hauptes bedeuten die edelsten Tugenden, in derem Anschauen wir uns so laben und erquicken; sie erfreuen uns geistlicher Weise, wie im Irdischen die krausen Locken eines Kindes, durch die wir so gern unsere Hand spielend gleiten lassen. - V. 12. Der begnadigte Sünder kann meistens dem HErrn in Seinen Wunderwegen nur nachsehn, aber wer so vertraulich mit Ihm verkehrt hat wie Sulamith, der schaut Ihm ins Angesicht, der sieht Ihm in die klaren milden Augen voller Einfalt, ohne alle Hintergedanken. In Seine Taubenaugen schaut man, wenn die köstlichen Trostsprüche der heiligen Schrift in uns Leben werden, in Seine Augen voll Barmherzigkeit und Langmuth und Geduld. Dem verlangend suchenden Sünder blitzen sie nicht, wie gegen den, den der HErr verwirft. - V. 13 malt uns Seine ewige Jugendfülle, die zum reifen Mannesalter gelangte Jugendschönheit, damit wir uns an Seiner Herrlichkeit erfrischen. Weiter heißt es eigentlich: Lippen wie Lilien, die schönste Blume, sowohl an Gestalt, wie an Duft. Dieser werden Seine Lippen verglichen wegen der herrlichen Worte, die ihnen entströmen. Alle Worte, die Er redet, sind Gnadenworte, vermischt mit Worten des Ernstes, welche die Myrrhen der Buße fordern. Gnadenworte allein würden nicht haften; es muß die Buße daneben gepredigt werden; immerfort vereint Gnade und Buße, damit wir immer mehr zum Bewußtsein unserer Sünde kommen. Hier auf Erden hat der Mensch nie die Gnadenlilien ohne die triefenden Myrrhen der Buße; ihm ist immer süß und bitter vereint. Im Himmel sind die Lilien ohne Myrrhen. V. 14. Blau, die Farbe der Gnade, sehen wir an des HErrn Händen und Leib, den blauen Flecken und Wundenzeichen, die Ihn die Kriegsknechte und wir mit unsern Sündenfäusten geschlagen haben. - V. 15 stellt uns die Erscheinung des HErrn dar in Seiner Majestät, in der Großartigkeit des Libanon. Johannes sieht in der Offenbarung die Füße des HErrn wie glühendes Metall. Ein solches Schauen wäre zu blendend für Sulamith; sie sieht sie als Marmorsäulen, fest stehend, durch nichts irre zu machen. Auf festen Füßen gehet und führt Er nur Wege der Treue. V. 16 spricht von den Worten des Friedens, die Er durch die heilige Schrift redet. Sie sind alle gleich schön, aber die Reden aus Seinem eignen Munde, die wir darinnen lesen, sind uns am lieblichsten und süßesten. - Das ist mein Freund; ja mein Freund ist das, schließt Sulamith. So wird Er auch euch erscheinen, wenn ihr Ihn findet.

Und die Töchter Jerusalems fangen an, V. 17, den Heiland zu suchen, wie Sulamith Ihn kennt, den Freund vor andern Freunden. - Wir sehen daraus, was das rechte Zeugniß, die ächte evangelische Predigt wirkt. Um die im Glauben stehenden Seelen in ihrer Liebesgemeinschaft mit dem HErrn zu stärken, muß man ihnen den Heiland beschreiben, wie Er in unserer Seele lebt, was Er an uns gethan hat und uns sein will. - Sulamith wird bald ihren HErrn halten, inniger und fester als zuvor, denn so zieht Er den begnadigten Sünder am sichersten, wenn er ihn eine Zeitlang verläßt; Er führt durch die Hölle zum Himmel. Amen.

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