Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 90. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 90. Psalm.

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Dieser Psalm ist überschrieben: Ein Gebet Moses, des Mannes Gottes; und ihr sehet daraus, daß dieser Psalm der allerälteste ist, denn während die übrigen Psalme von David, Salomo rc. verfaßt sind, ist dieser von Mose, dem Manne Gottes. Wann Moses zuerst diesen Psalm vor Gott gesungen hat, wissen wir nicht. Erzählt wird in den jüdischen Büchern, daß er ihn zu der Zeit gesungen habe, als die Pestilenz unter Israel wüthete und Aaron sich zwischen die lebendigen und todten Juden mit dem Rauchfaß gestellt und geräuchert habe, während Moses betete, und so sei der Pestilenz Einhalt gethan. Diesen Psalm sollte billig jeder Christ auswendig wissen. Er paßt so recht für den letzten Sonntag des Jahrs und hebt an mit den Worten: HErr, Gott, Du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden, und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist Du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der Du die Menschen lässest sterben, und sprichst: Kommt wieder Menschenkinder. Da steht in großartiger Einfachheit der ewige Gott, der unsere Zuflucht für und für ist, und daneben die armen, irdischen, vergänglichen Menschenkinder, von denen es heißt: Der du die Menschenkinder lässest sterben und sprichst: Kommt wieder Menschenkinder. In derselben Einfachheit heißt es dann weiter: Denn tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, und sind wie ein Schlaf; gleich wie ein Gras, das doch bald welk wird, das da frühe blüht und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und verdorret. Da steht neben einander: Der ewige Gott, vor dem tausend Jahre wie ein Tag sind, vor dem es keine Zeit gibt, und die sterblichen Menschen, die da sind wie ein rauschender Strom und wie ein verwelkendes Gras. Stelle dich auf eine Brücke und schaue den unter dir dahinfließenden Strom an, eine Welle treibt die andere. So ist es mit den Menschenkindern. In wenigen Jahren sind ganze Geschlechter dahin geschwunden und man kennt sie nicht mehr. Wie Gras verdorren sie, wie Blumen verwelken sie. Wie so nichts sind doch die Menschenkinder gegen den ewigen Gott. Lernt doch daraus, daß Gott unsere Zuflucht ist und wir nur auf Ihn unsere Zuflucht stellen sollen. Willst du dich auf Meereswogen verlassen? Das sind die Menschenkinder. Oder auf Gras, das bald verwelkt? Das sind die Menschenkinder. So lerne weiter: Verflucht ist, wer sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für des HErrn Arm! Verlaß dich auch nicht auf Könige, denn auf Menschen ist gar kein Verlaß. Warum thust du's denn doch? warum verläßt du dich auf Menschenweisheit, Vernunft, Geld, Kraft und Hülfe? Kannst du dich aber nicht auf den Besitzer verlassen, wie viel weniger noch auf das, was Einer besitzt. O daß du lerntest, den HErrn deine Zuversicht nennen! Dieselbe Schrift, die, da sagt: Verflucht ist, wer sich auf Menschen verläßt, die sagt auch: Gesegnet ist der Mann, der sich auf den HErrn verlässet. Heute kannst du dich auf den HErrn verlassen, morgen kannst du dich auf den HErrn verlassen und über ein Jahr auch noch, in guten und bösen Tagen bleibt Er derselbe. Dein Gott ist der allmächtige, und dieser allmächtige Gott ist die Liebe. Aber warum hat es denn Gott gemacht, daß der Mensch sobald davon muß? Das ist eine der thörichsten Fragen, die es gibt. Gottes Wille war das nicht, Er hat die Menschen auch nicht so geschaffen, daß sie bald davon müßten. Denn der Gott, der sie gut geschaffen hat, der hat ihnen auch Unsterblichkeit geschenkt; sie sollten nicht sein wie Gras, das bald verdorret, wie Meereswogen, die dahin rauschen wie wilde Wellen und vergehen. Wäre der Mensch heilig und rein geblieben, wie hätte er denn sterben können? Gib Gott nicht die Schuld von dem Jammer der Menschen; nein, die Schuld liegt allein an den Menschenkindern. Es heißt weiter in unserm Psalm: Das macht Dein Zorn, daß wir so vergehen, und Dein Grimm, daß wir so plötzlich davon müssen. Denn unsere Missethat stellst Du vor Dich, unsere unerkannte Sünde in das Licht vor Deinem Angesicht. Darum fahren alle unsere Tage dahin durch Deinen Zorn; wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz. Also sehet, den Tod haben wir schmecken müssen seitdem die Sünde zwischen uns und Gott steht. Ueber diese Sünde zürnt Gott, und Sein Zorn macht, daß wir so schnell davon müssen. Leset ihr nicht in der heiligen Schrift, als Gott die Menschen geschaffen hatte und sie in das selige Paradies setzte, daß Er sagt: Das alles ist dein. Vom Baume des Lebens sollt ihr essen, auf daß ihr nie sterbet; nur von dem Baume der Erkenntniß des Guten und Bösen sollt ihr nicht essen, sonst müßt ihr des Todes sterben. Und siehe, der Mensch hat gesündigt und gegessen von der verbotenen Frucht, und seit der Zeit ist der Tod und der Jammer in der Welt. Die Folge der Sünde war erstlich: Sie mußten das Paradies verlassen und dann: Noth und Tod, Kummer und Angst. Und die Sünde ist noch immerdar, weil wir Sünder sind, müssen wir sterben. Darum predigt nichts so gewaltig von der Sünde als der Tod. Keiner ist unschuldig, das lerne vom Tode. Das Kind in der Wiege, welches du unschuldig nennst, warum muß es sterben? Weil es ein Sünder ist. Wenn es das nicht wäre, so könnte es nicht sterben. Der Jüngling in der Blüthe seiner Jahre, warum muß er sterben? Weil er ein Sünder ist. Der Mann, im besten Lebensalter, warum muß er sterben? Weil er ein Sünder ist. Und der Greis mit dem weißen Haupte, warum muß er sterben? Weil er ein Sünder ist. So sind alle vom Säugling in der Wiege bis zum Greise mit dem weißen Haupte, Sünder, und weil sie das sind, darum müssen sie alle sterben. Es ist lächerlich, wenn die Menschen die Sünde wegleugnen wollen. Man kann sie nur hinweisen auf die Leiche des Säuglings und des Greises und dann verächtlich ansehen. So gewiß wie du sterben mußt, so gewiß bist du auch ein Sünder. Ja die Sünde ist die Ursache unseres Todes, sie ist es, die uns entsetzlich arm und elend macht, die Sünde in uns, über die der Zorn Gottes auf uns herab kommt. Alles andere ist nichts. Der Psalm sagt weiter: Unser Leben währet siebenzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig; und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon. Ja, das ist auch Armuth, daß wir in 70, 80 Jahren davon müssen und daß das köstlichste Leben Mühe und Arbeit ist. Doch was ist das gegen den Sündenjammer? Denn ohne Sünde wäre unser Leben keine Mühe und Arbeit, währte nicht 70 oder 80 Jahre, sondern ewig. Darum ist nur ein Wort schrecklich, das Wort: Du bist ein Sünder! Denn aus der Sünde kommt Noth und Tod, Mühe und Arbeit, Elend und Jammer. Um der Sünde willen ist der Zorn Gottes da und mit ihm der Fluch, es währt nur 70 bis 80 Jahre, dann kommt der Tod und mit ihm das Gericht. Aber wenn ich das alles bedenke, so muß mich Bewunderung und Staunen ergreifen über das, was der Psalm weiter sagt: Wer glaubt es aber, daß Du sehr zürnest und wer fürchtet sich vor solchem Deinem Grimm: Das ist gerade das Entsetzliche: Man sieht die Sünde und ihre Wirkung in und um sich, aber Keiner merkt darauf. O des schauderhaften Leichtsinns und der grenzenlosen Flüchtigkeit, täglich vom Tode umgeben und doch nicht darauf geachtet! Mit grenzenlosem Leichtsinn sehen die Menschen ihre Nebenmenschen in das Grab legen und sie taumeln hinterher. Sie sehen wie die Sünde die Menschen elend macht und doch können sie nicht davon lassen, obgleich sie sich dadurch in die Hölle stürzen. Gott mag bitten, so viel Er will: Bekehrt euch! - der Teufel hat sie ergriffen und zieht sie in die Hölle. Du kannst heute die Menschen bitten und flehen, daß sie nicht saufen, spielen, brüllen und huren sollen, und morgen wälzen sie sich wieder in Sünden und Schanden. Kannst ihnen heute sagen: Ihr müßt euch bekehren, - werden sie auch dadurch gerührt, so ist morgen alles wieder vergessen. Das ist der entsetzliche Leichtsinn. Darum fleht der Psalm weiter: Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Ja, wer das doch beten lernte und sich täglich den Tod vor die Augen stellte! Wer doch täglich daran gedächte: Du mußt sterben, so gewiß wie du ein Sünder bist, ob heute oder morgen oder über ein Jahr, das ist einerlei. Warum bedenkst du das nicht und lernst selig sterben? Bedenkst du es nicht, so mußt du sterben wie ein Vieh und wirst gewiß dem Satan in den Rachen springen. Warum bedenkst du nicht, was zu deinem Frieden dient? Nachdem der Psalm so gesprochen hat bittet er nun um das^ was uns armen Sündern allein nöthig ist: Gnade, Gnade! Es heißt: HErr, kehre Dich doch wieder zu uns, und sei Deinen Knechten gnädig. Fülle uns frühe mit Deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Lebenlang. Gnade, worin besteht die? In der Vergebung der Sünden. Fülle mich frühe mit Deiner Gnade, denn ich stehe als ein Sünder auf und darum bedarf ich Vergebung der Sünden. Fülle mich spät mit Deiner Gnade, denn am Abend bin ich auch ein Sünder und brauche wieder Vergebung der Sünden. O laß das mein täglich Brot sein: Gnade, Gnade! Wer das recht erkennet und glaubt: Ich habe Vergebung der Sünden, mit dem wird es anders. Dann zeigt der HErr Seine Ehre und Rechte, den heiligt Er und der kann sagen: Ich liebe die Sünde nicht mehr, ich will ihr nicht mehr dienen, HErr Jesu Dir lebe ich, HErr Jesu Dir sterbe ich, HErr Jesu Dein bin ich todt und lebendig. Aber Du, mein HErr und Gott, mußt mir beistehen und darum flehe ich: HErr, mein Gott, sei mir freundlich und fördere das Werk meiner Hände bei mir. Ja das Werk meiner Hände wollst Du fördern. Hast Du durch Gottes Gnade Vergebung der Sünden, dann ist Er dir freundlich und fördert deinen Weg und dein Werk, und dann bist du ein seliger Mensch, weil du einen freundlichen Gott hast und ihm nachfolgst, bis du einst im Himmel Sein Angesicht ewiglich schauest. Amen.

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Vorlesung am Sonntag nach Weihnachten 1862.
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