Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 32. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 32. Psalm.

Der angezeigte Psalm ist einer von den sieben Bußpsalmen, und zwar in der Reihenfolge derselben der zweite. Laßt uns ihn in der Kürze andächtig betrachten. Schon der Name „Bußpsalm“ zeigt uns an, von welcher Wichtigkeit derselbe ist. Es heißt da zu Anfang: Wohl dem, dem die Uebertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedecket ist. Wohl dem Menschen, dem der HErr die Missethat nicht zurechnet, in deß Geist kein Falsch ist. In diesen Worten ist enthalten die Antwort auf die Frage: Wie werde ich selig? Auf diese Frage: Wie werde ich selig? habe ich nur eine Gegenfrage: Hast du Vergebung der Sünden? Kannst du darauf antworten: Ja, ich habe Vergebung der Sünden, dann bist du selig. Kannst du nicht der Wahrheit gemäß so antworten, mußt du vielleicht sagen: Ich weiß es nicht, ob ich Vergebung der Sünden habe, oder gar: Ich habe keine Vergebung der Sünden, so antworte ich dir: Du bist nicht selig, du gehst verloren. Wohl dem, dem die Uebertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist, dem die Missethat nicht zugerechnet wird; da wird in dreimaliger Wiederholung immer und immer wieder gesagt: Vergebung der Sünden, und abermal Vergebung der Sünden, und noch einmal Vergebung der Sünden, das ist das Einzige, womit du dich trösten kannst. Hast du Vergebung der Sünden, so bist du selig; hast du keine Vergebung der Sünden, so gehst du verloren. Denn weil hier kein Unterschied ist, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollen, und weil es unmöglich ist, daß der heilige und reine Gott einen unheiligen und unreinen Sünder in den Himmel nehmen kann, so müssen wir rein gewaschen werden von unsern Sünden, sonst können wir nicht in den Himmel kommen. Einige Menschen sagen: Wir haben keine Sünde; das sind die Selbstgerechten; sterben die in diesem Zustande, so gehn sie nothwendig verloren, weil die keine Vergebung der Sünden haben. Und wenn ein Mensch bekennt, daß er Vergebung der Sünden nöthig hat, aber auch zugleich bekennt, daß er sie noch nicht gefunden hat, so geht er ebenfalls verloren, wenn er in diesem Zustande bleibt. Denn das ist es nicht, worauf es ankommt, ob du sagst, ich bin ein Sünder, oder ich bin kein Sünder, sondern darauf kommt es an, ob du Vergebung der Sünden hast. Die Ausdrücke: Die Uebertretungen sind vergeben, die Sünde ist bedeckt, die Missethat wird nicht zugerechnet, bedeuten ein und dasselbe, nämlich: Vergebung der Sünden. Sind die Uebertretungen vergeben, dann wird ihrer nicht mehr gedacht; sind die Sünden zugedeckt, dann sieht man sie nicht mehr; wird die Missethat nicht zugerechnet, dann ist sie vergeben. Aus dem „Wohl dem“ sollst du lernen: Selig der, der Vergebung der Sünden hat. Nun frage dich vor Gottes Augen, ob du Vergebung der Sünden hast. Mußt du dir etwa sagen, daß dir diese Gabe über alle Gaben noch fehlt, dann eile, eile, daß du sie bekommst. Habt aber auch noch Acht auf den Zusatz: In deß Geist kein Falsch ist. Damit will der Psalm anzeigen, daß noch nie ein Anderer Vergebung der Sünden erhalten hat, als der Aufrichtige. Unaufrichtige und Heuchler sind nicht fähig die Vergebung der Sünden zu erlangen und anzunehmen. Wer aber aufrichtig seine Sünden bekennt und demüthig um Vergebung bittet, der erhält, was er gebeten. Diese Vergebung der Sünden nun, die der Mensch zur Seligkeit so unumgänglich nöthig hat, wird also dem Aufrichtigen gegeben; aber es muß der Mensch nicht bloß aufrichtig, sondern auch von Herzen demüthig sein. Denn das habe ich noch immer befunden, Aufrichtigkeit und Demuth wachsen auf einem Stamm, wie umgekehrt Falschheit und Hochmuth auch auf einem Stamme wachsen. Wie ein Mensch aufrichtig sein muß, wenn er Vergebung der Sünden haben will, so muß er auch ebenfalls demüthig sein. Das zeigt David in den folgenden Versen: Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Denn Deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird; darum bekenne ich Dir meine Sünde, und verhehle meine Missethat nicht. Ich sprach: Ich will dem HErrn meine Uebertretung bekennen. Da vergabst Du mir die Missethat meiner Sünde. Der hochmüthige Mensch will seine Sünden nicht bekennen, und indem er seine Sünden nicht bekennen will, spricht er damit die Lüge aus, daß er kein Sünder sei. Darum sage ich: Hochmuth und Heuchelei wachsen immer auf einem Stamm. Denn da der Hochmüthige doch ein Sünder ist, seine Sünden aber nicht bekennen will, so lügt er Gott und Menschen etwas vor, und das ist zugleich Heuchelei, die aus dem Hochmut!) hervorgeht. So lange der Mensch seine Sünden verschweigt, ist es nicht möglich, daß er zur Vergebung und zum Frieden kommen kann. Ist aber der Hochmuth weg, dann heißt es: Ich sprach: Ich will dem HErrn meine Uebertretung bekennen. Da vergabst Du mir die Missethat meiner Sünde. Z. B. du hast einen Menschen beleidigt, du bist zornig gegen ihn geworden, hast ihn gescholten, hast grobe Worte gegen ihn geredet, dein Herz sagt dir: Es ist schändlich, daß du das gethan, dir gilt das Wort Christi: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist ein Todtschläger, dein Gewissen sagt dir: Du mußt ihn um Vergebung bitten. Da antwortet aber das stolze Herz: So weit sollte ich mich demüthigen, und ihm mein Unrecht bekennen? Wenn ich das thäte, so würde er triumphiren und mich in den Staub treten; und noch dazu, er hat angefangen, ich habe nur Gleiches mit Gleichem vergolten. Zwar sagt Gottes Wort: Ihr sollt nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, und rächet euch selbst nicht, meine Liebsten, aber das muß man nicht so genau nehmen. Siehe, das ist dein Stolz, der es nicht leiden will, daß du dich demüthigest; ja, du sprichst wohl gar als ein halber Teufel: Wenn ich meinen Nächsten um Vergebung bitte, so mache ich ihn hochmüthig, und das wollte ich nicht gern. Bist du ein Mensch, an dem der heilige Geist arbeitet, so will ich dir sagen, was die Folge davon ist: So lange du deine Missethat verschweigst, und nicht offen und rund bekennst, liegst du gleichsam auf einem Marterbette, deine Gebeine verschmachten, dein Saft vertrocknet, bis du sprichst: Ich kann es nicht mehr aushalten, ich will hin und meine Sünden bekennen; und auf einmal ist die ganze Last weg. Und mit dem Bekennen vor Gott geht es ebenso. Wer Gott dem HErrn seine Sünden nicht bekennt, der kriegt keine Vergebung der Sünden; und wer den Menschen das Unrecht nicht bekennt, das er ihnen gethan, der erhält auch keine Vergebung der Sünden; und ohne Vergebung der Sünden giebt es keine Seligkeit. Darum ermahnt der Apostel mit solcher Aengstlichkeit: Laßt die Sonne nicht untergehn über eurem Zorn Ephes. 4,26. Denn bist du mit Jemand in Streit, und du stirbst in der darauf folgenden Nacht unversöhnt, so mußt du zum Teufel fahren. So ist es mit dieser und mit allen andern Sünden. Ich will nehmen, es hat Jemand angefangen, sich von ganzem Herzen zu bekehren; von der Zeit an hat auch der Kampf mit der Sünde begonnen; denn mit der Bekehrung muß dieser Kampf beginnen. Aber es ist ein vornehmer oder ein reicher Mensch, er kann die vornehmen Gesellschaften nicht entbehren, er kann das vornehme Leben, die guten Tage nicht dem HErrn opfern. Da ist der Kampf entsetzlich schwer, tausend und aber tausend Vorwände werden gesucht, um die alte Weise, in der man beharrt, zu entschuldigen. Da heißt es wohl, ich muß besser leben, als andre Leute, mein Stand erfordert es, ich muß die weltlichen Lustbarkeiten mitmachen, um die Würde meines Standes aufrecht zu erhalten, das geht nicht anders. Dein Gewissen zwar sagt dir: Alles, was in der Welt ist, Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt, und die Welt vergeht mit ihrer Lust; aber das Gewissen will Gott nicht Recht und sich nicht Unrecht geben, immer wird es wieder still gemacht mit weltlichen Lustbarkeiten. Ist der Mensch ein solcher, an dem der Geist Gottes arbeitet, so kriegt er nicht eher Ruhe, als bis er zu Gott geht und Ihn bittet: Vergieb mir, daß ich der Welt gedient habe mit Augenlust, Fleischeslust und hoffärtigem Leben, es ist Sünde, vergieb es mir. So ist es auch unter uns. Da sind Christen, die äußerlich ein unanstößiges Leben führen, sie huren, stehlen und morden nicht, aber das Tanzen, Saufen, Spielen, Prügeln rc. hört noch mit zu ihrem Christenthum. Ihr Gewissen zwar sagt ihnen, das ist Sünde, das ist Welt- und Teufelsdienst. Aber das wird still gemacht, etwa auf folgende Weise: Das sagt der Pastor alle Sonntage, um uns angst und bange zu machen, um uns die unschuldigen Freuden zu rauben. Ich wüßte nicht, was ich davon hätte, euch unschuldige Freuden zu rauben, wenn es nicht eurer Seelen Seligkeit beträfe. Es wird auch wohl gesagt: In der Bibel steht geschrieben: Freue dich Jüngling in deiner Jugend, und: Du sollst deinen Kopf nicht hängen lassen als ein Schilf. Da merket erstlich den Nachsatz: Und wisse, daß dich Gott um dies Alles wird vor Gericht führen Pred. Sal. 11,10, und zum andern: Habe ich schon von euch verlangt, daß ihr den Kopf hängen lassen sollt? daß ihr an allen Ecken stehen sollt und weinen? Ich predige euch auch: Freuet euch in dem HErrn allewege, und freue dich Jüngling in deiner Jugend; aber das ist keine Weltfreude, sondern Freude in dem HErrn. So wie ein Mensch vom heiligen Geist bewegt wird, und er läßt sich verführen, noch ferner an Tanzgelagen Theil zu nehmen, der kriegt nicht eher Ruhe, das weiß ich gewiß, als bis er dem HErrn seine Sünde bekannt, Ihn um Vergebung gebeten und versprochen hat, daß er es nicht wieder thun will. Und darüber wird Freude sein bei den heiligen Engeln im Himmel. Das ist das Notwendigste, wenn man gegen Gott gesündigt hat, dann die Sünde bekennen; und wenn man gegen Menschen gesündigt hat, diese um Verzeihung bitten. Seht, das ist der ungemeine z. B. mit der Beichte zusammenhängende Segen, daß der Sünder dem HErrn seine Sünden bekennt, und dann den Muth und die Freudigkeit gewinnt, Ihn um Seiner Barmherzigkeit willen, um Vergebung zu bitten. Ohne Bekenntniß der Sünde keine Vergebung! Ich weiß wohl, das gefällt den hochmüthigen Geistern nicht. Dem lieben Gott bekennen sie noch wohl allenfalls ihre Sünden, denn der ist nicht ihres: Gleichen, sondern höher als sie. Aber gegen Menschen die Sünden bekennen, das fällt dem hochmüthigen Menschenherzen ungeheuer schwer, die sind ja ihres Gleichen. Stirbst du aber ohne Bekenntniß und Vergebung der Sünden, so mußt du zum Teufel fahren, und hast auch hier auf Erden keinen Frieden. So hat es auch David erfahren; nicht eher fand er Ruhe, als bis er seine Sünden, die er gegen Uria und Batseba begangen, bekannt hatte. Die scheußlichsten Dinge in Davids Leben fallen gerade in diese Zeit, z. B. die schändliche Behandlung der Ammoniter 1 Chron. 21, 3. Als er aber seine Sünden bekannt und zu Nathan gesagt hatte: Ich habe gesündigt! da sagt Gott zu ihm: Dir sind deine Sünden vergeben 2 Sam. 12,13. Bekenne deine Sünden! So hat's David gemacht, aber er sagt, so machen es alle, die selig werden wollen; denn er fügt hinzu: Dafür werden dich alle Heiligen bitten zur rechten Zeit; darum wenn große Wasserfluthen kommen, werden sie nicht an dieselben gelangen. Das ist der allgemeine Weg für alle Heiligen, wenn sie Vergebung der Sünden haben wollen. David hat seine Sünden bekannt und um Vergebung gefleht, und auf solches Bekenntnis und Gebet ist ihm Vergebung der Sünden geschenkt vom HErrn; die Heiligen müssen es ebenso machen. Lernt hier den rechten Begriff des Wortes Heilige kennen. Man liest so oft in der Bibel das Wort Heilige. Sind das Menschen, die ganz rein und frei von Sünden sind? Hier siehst du's, das sind Sünder, die Vergebung der Sünden haben. Heilige nennt die Bibel nicht die, die keine Sünder sind, sondern die Sünder sind und Vergebung der Sünden empfangen haben. Wer die hat, der ist frei von aller Missethat; ob der Hölle Schrecken, des Todes Rachen, Belials Anfechtungen kommen, sie können ihn nicht überwinden. Vergebung der Sünden ist eine feste Burg und ein sicheres Schloß, darin ruht man so sicher, daß man sagen kann: Du bist mein Schirm; Du wollest mich vor Angst behüten, daß ich errettet ganz fröhlich rühmen kann. Dieser, mein Gott, der mir die Sünden vergeben hat, ist mein Schirm und Schutz, der behütet mich vor Angst. Wovor sollte mir grauen? Wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Mein Gott ist ein gnädiger Gott, Er ist nun mein lieber Vater, keine Scheidewand steht mehr zwischen mir und Ihm. Was sagt denn der liebe Gott dazu? Er wendet sich zu den Menschen und sagt: Ich will dich unterweisen, und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst; Ich will dich mit Meinen Augen leiten. Seid nicht wie Rosse und Maulthiere, die nicht verständig sind, welchen man muß Zaum und Gebiß ins Maul legen, wenn sie nicht zu Dir wollen. Nun kommt also der liebe Gott und sagt zu uns: David hat euch eben Gnade gepredigt, er hat gesagt, daß der Sünder nicht anders selig werden kann, als durch Vergebung der Sünden, er hat Gnade und abermals Gnade gepredigt, er weiß nichts als Gnade, Gnade! Nun hört, Mein Knecht David weiß nichts anders, als Gnade, Ich weiß auch nichts anders, von Gnade muß Ich predigen, Ich will euch unterweisen und den Weg zeigen, den ihr wandeln füllt; was Davids Predigt war, das ist auch Meine Predigt: Gnade, Gnade! Seid nun nicht mehr wie Rosse und Maulthiere, die nicht verständig sind, welchen man muß Zaum und Gebiß ins Maul legen, weil sie nicht zu Mir wollen. Da sind Menschen gemeint, die noch unter dem Gesetze stehn, denen legt Gott Zaum und Gebiß ins Maul, d. h. Er behandelt sie nach dem Gesetz; Vergebung der Sünden kriegen sie nicht, sondern die Peitsche. Willst du zu Gott kommen, so mußt du den Weg gehen, den David ging, den Weg der Vergebung der Sünden aus Gnaden. Der Gottlose hat viel Plage; wer aber auf den HErrn hoffet, den wird die Güte umfangen. Ja, der Gottlose hat nur Plage, das Höchste, was Gott an ihm thut, ist, daß Er ihn knebelt; aber selig kann Er ihn nicht machen, denn es kann Niemand mit der Peitsche in den Himmel gebracht werden. Darum, wenn ein Mensch auch noch so fest geknebelt wird durch das Gesetz, ändern kann das sein Herz nicht, sondern Gnade allein ändert das Herz und erfüllt es mit Liebe und Freude zu Gott. Darum hat der Gottlose viel Plage, aber den Frommen umfängt die Güte des HErrn. Er sagt zum Schluß: Freuet euch des HErrn, und seid fröhlich ihr Gerechten, und rühmet alle ihr Frommen. Weshalb? Ihnen ist Barmherzigkeit widerfahren, sie haben Vergebung der Sünden. Amen.

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