Harms, Claus - Winter- und Sommer-Postille - Am sechsten Sonntage nach der Erscheinung Christi.

Harms, Claus - Winter- und Sommer-Postille - Am sechsten Sonntage nach der Erscheinung Christi.

Viele klagen, daß es immer schlechter werde in der Welt, daß man Treue und Redlichkeit, Liebe und Frömmigkeit seltener finde wie ehemals, daß man häufiger von Wortbrüchigkeit und Unkeuschheit höre, daß der Eigennutz weiter um sich greife und die wohlwollenden Triebe des Herzens ersticke, daß der mächtige, für klug ausgeschrieene Unglaube durch Hülfe der Vornehmen den schwachen, einfältigen Aberglauben vom Thron gestoßen, welcher nur noch einen geringen Anhang unter den Niedrigsten im Volke habe, so daß nun die Menschheit würde mit Scorpionen gezüchtiget werden, anstatt vorher mit Peitschen, während des Aberglaubens Regierung. So klagen viele.

Lasset mich wünschen, meine Zuhörer, wünschen, daß des Bösen weniger werde, - so wird ja auch des Übels weniger in der Welt! - daß das Gute besser werde, daß die Zahl der Redlichen sich vermehre, daß die Liebe, dieß vollkommenste Band, uns alle immer enger verbinde und unsre Leiden mildre, unsre Lasten erleichtre, unsre Freuden erhöhe! Wünschen lasset mich, daß besonders die Religion ihre Kraft an uns zeige und ihren Segen über uns ausschütte! Die Quelle ist geöffnet, der Weg zu ihr gezeigt, o möchten doch immer mehr Dürstende gefunden werden, die hingehen und sich Erkenntniß, Stärkung, Ruhe, - die sich einen himmlischen Sinn, ein neues Leben trinken an dieser himmlischen, lebendigen Quelle.

Hier im Tempel Gottes, am Tage seiner Verehrung, wird dieser Wunsch ein Gebet, - ein Gebet zu dir, liebreicher Vater, zu dem wir unsre Hände aufheben dürfen sonder Zweifel, - ein Gebet zu dir, Jesus Christus, der du mit segnender Gegenwart erfreuen willst, wo Christen versammelt sind. Wir bitten nicht um Erdenglück, um deinen Beistand bitten wir

zu allen Guten,
zu jeder Tugend,
zum himmlischen Wandel auf Erden.
Lenke, lenke du unsern Blick in jene Höhen,
wenn er sich an niedern, irdischen Dingen weidet!
Führe, führe du uns auf die ebene Bahn,
wenn wir verderbliche Wege wandeln!
Wecke, wecke du die schlummernde Kraft,
daß wir uns nicht der Trägheit ergeben,
sondern in rüstigen Kampf, in heiligen Eifer,
von dir unterstützt
dem Argen widersteh'n und uns unbefleckt erhalte!

Wir wollen unter dem Beystande Gottes unsre Andacht fortsetzen unter Anleitung unsers Textes. 2. Thess. 3, 5.

Der Herr richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu der Geduld Christi.

Der Herr richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu der Geduld Christi, er lenke euren Sinn auf die Erwägung der Liebe, die Gott euch erzeiget, und zur Betrachtung der Standhaftigkeit im Guten, die Christus bewiesen hat, - das ist der fromme Wunsch und zugleich die treue Ermahnung des Apostels Paulus. O sie sind wahr und eindringlich, diese Worte in dem Munde dessen, der uns sein Inneres, die Gewalt der Begierden, die Schwäche und den Wankelmuth des Herzens, den Kampf des auswendigen und inwendigen Menschen so offen dargelegt, so treffend geschildert hat. (Röm. 7) Wer wird mich erlösen, ruft er aus im Gefühl des Bedrängnisses, wer wird mich erlösen von dem Leibe des Todes, von der Begierden verderblichen Herrschaft? Ich danke Gott, erwiedert er in froher Besinnnug, es ist geschehn durch Jesum Christum, unsern Herrn. Er hat mich ergriffen, da ich todt war in Sünden, und mich in ein neues gottgeweihtes Leben geführt. Ich jage dem vorgesteckten Ziel nach, dem herrlichen Kleinod: Gottes Wohlgefallen - ein hohes Ziel, ein saurer Weg für mich Schwachen! aber Gott rief: Laß dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft soll in dir, Schwachem, mächtig seyn. So bin ich geliebet worden, und so will ich wieder lieben, daß nichts mich scheiden soll von Gott, nicht Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwerdt, mit ihm werde ich in dem allen weit überwinden! - Dieser Paulus, Freunde, der so bekannt war mit dem menschlichen Herzen, der sich des Weges seiner Heiligung so klar bewußt war, der mit so vieler Begeisterung die Hülfe Gottes und Jesu rühmt, die er erfahren hatte, dieser Paulus ermahnt die Gemeine zu Thessalonich, sich vor dem Argen zu hüten, und den christlichen Vorschriften gemäß zu leben, und setzt in seiner frommen Sprache hinzu: Der Herr richte eure Herzens zur Liebe Gottes und zu der Geduld Christi. Er hatte ja an sich selber erfahren, woher ihm Aufmunterung, Stärkung, Friede und Seligkeit geschenkt worden. Wie sehr verdienen also seine Worte nicht sowol verstanden als vielmehr erwogen und beherziget, nicht sowol erklärt als vielmehr untersucht und ergründet zu werden! Wohlan, meine Zuhörer, unsre Betrachtung in dieser Stunde sey der gedachte apostolische Wunsch selbst:

Der Herr richte eure Herzen zur Liebe Gottes und zur Geduld Christi.

Unser Nachdenken verweile

  1. zuerst bey der Liebe Gottes, daß wir sehen, wie sie allein die Herzen gewinnt;
  2. dann bey der Geduld der Standhaftigkeit Christi, daß wir erkennen, wie dieses Beispiel uns zu gleicher Standhaftigkeit stärket; es wird sich darauf
  3. endlich zeigen lassen, wie aus solcher Einsicht und Erkenntniß das Gebet entspringe: Gott wolle unsere Herzen so lenken, daß seine Liebe und Jesu Geduld unser beständiges Augenmerk seyen.

Und dabei fliehe, was die Zeit
Nur angeht und nicht ewig ist!
Zu klein sey uns zu dieser Stunde
Jedweder Erdgedanke!
Jetzt fühlt es unser Herze ganz,
Daß es im Staub ein Fremdling ist!
Laß, Herr, zu unserm Vaterlande
Hinauf die hohe Seele steigen;
Hinauf zu Gott! hinauf zu Gott!!

I.

O wol, Brüder! hier gelingt uns die Erhebung zu Gott. In seinem Hause sind wir von dem Staube getrennt, welcher uns draußen beschwert; in diesen Augenblicke der gemeinschaftlichen Andacht vermögen wir die Fesseln des Irdischen abzustreifen: - der entlastete freye Geist schwinget sich himmelwärts zum Vater der Geister, von dem er gekommen ist, zu dem er dereinst auch wiederkehren wird. In dem seligen Gefühl, daß er nicht der Erde, sondern dem Herrn Himmels und der Erde verwandt sey; im frohen Bewußtseyn, daß er nicht der sichtbaren Welt, sondern der unsichtbaren Welt angehöre, vergißt er Erdentand und Plage, und verweilt droben, betrachtend, sinnend, anbetend - ach, und seine irdische Hülle, die er verlassen zu haben scheint, möchte ihrem Geist nacheilen, die Augen wenden sich zum Himmel, die Hände heben sich, gefaltet, auf.

Allein, wir wollen es gestehen, solche Geisteserhebungen sind selten und vorübergehend. Der Blick kehret bald zur Erde wieder herab, und die Hände greifen zur gewohnten Arbeit. Weit entfernt uns dessen zu schämen, halten wir es im Gegentheil nicht für den kleinsten Ruhm, thätige Bürger dieser Welt zu seyn, Gewerbe, Nahrung und Handthierung zu treiben. Nur leider! ist es oft der Fall, daß, sowie die Augen ein zeitliches Gut ansehen, sowie die Hände es zu ergreifen streben, auch der Geist herab - in den Dienst der sinnlichen Lust gezogen wird! Gottesvergessen hängt der Mensch dem Gott Mammon an, als wenn der mit seiner veränderlichen Gunst ihn ewig glücklich machte! Gottesvergessen sucht er die Freundschaft der Angesehenen und Mächtigen, der Götter der Erde, als wenn ihre Ämter und Würden wahre Würde geben, als wenn ihr Wort Hülfe in jeder Noth wäre! Gottesvergessen sucht er sein Glück in der Befriedigung seiner Lüste und Begierden, und macht den Bauch zu seinem Gott! Gottesvergessen laßt er den Muth sinken, wenn sich ihm Hindernisse entgegenstellen, wirft er sein Vertrauen weg, sobald es ihm übel geht, verliert er Glauben und Hoffnung, wenn seine blöden Augen das Gewünschte und Ersehnte nicht in handgreiflicher Nähe sehn! Das sind die Wege, auf welchen der Mensch sich von Gott entfernt. Er wird geblendet von dem Glanz dieser Welt, er wird von seiner Lust gereizt und gelocket - und verlocket zur Sünde, zum Laster, zur Sicherheit in Sünde und Laster. Und geschiehet dieß am grünen Holz, d. h. bey Christen, die zur Erkenntniß höherer Güter und reinerer Freuden gelangt sind, was soll am dürren werden, bey Christen, die nie, in keinem Gebete, die Wonn' und Seligkeit geschmeckt haben, welche außerhalb dieser Welt zu finden ist!

Verlassen wir diesen Gedanken. der jeden Menschenfreund mit Wehmuth und Trauern erfüllt, und wenden wir uns zu der erfreulichern Betrachtung dessen, was Gott thut, um die Irrenden zurecht zu führen, die Sünder zu bekehren, sie alle, die Abtrünnigen, wieder an sich zu ziehen. Nicht wahr, er zeigt sich als den starken eifrigen Gott, als den Rächer des Bösen? - Allerdings eine kräftige, wirksame Vorstellung, vornämlich geschickt, den Sünder zittern zu machen auf seinem Wege und ihn, wie mit Gewalt, vom Frevel zurück zu halten. Die strafende Gerechtigkeit Gottes ist zu vergleichen dem Schwerdt der weltlichen Obrigkeit, welches dieselbe freylich nicht umsonst trägt, indem es grobe Übertretungen der Gesetze verhütet, übrigens aber nicht Bürgersinn und Vaterlandsliebe hervorbringt; eben so wenig gebiert die Furcht vor Gott jenen kindlichen Sinn, der uns allein aufmuntern kann, den gerechten Richter um Vergebung unsrer Fehler zu bitten und durch ihm geweihte Gesinnungen sein Wohlgefallen zu suchen.

Oder können wir glauben, daß Gott die Lasterhaften gewinne durch jenen Befehl: „Ihr sollt heilig seyn, denn ich bin heilig?“ Wahr ist es, die Heiligkeit Gottes ist ein hoher, ernster Gedanke, der uns das Ziel zeiget, zu dessen möglichster Annäherung uns die Zeit der Ewigkeit verliehen ist, und der dadurch die niedern Begierden dämpfet und dem Gemüthe Abscheu wider die eitlen Sündenfreuden einflößt. Aber fragt euch selbst, ob ihr im Gefühl eurer Sündhaftigkeit Gott, den Heiligen, denken könnt? ob ihr vor Gott, dem Heiligen, eure Schwachheiten und Fehltritte bekennen möget? und doch ist dem Heiligen und Gerechten keiner derselben verborgen: er ist allwissend: wir können ihm nicht entgehen: er ist allgegenwärtig. Was bleibt dem Menschen übrig? Er unterdrückt und vermeidet den Gedanken an Gott, so schmerzhaft für ihn, und trinkt aus dem Sündenbecher den lebenswierigen Rausch, oder er heftet seinen Blick trostlos an die Erde und verseufzt sein Leben.

Nicht also. Richte dich auf, schüchternes Herz: Gott ist die Liebe! Kehre um, Sünder: Gott ist die Liebe! Hast du nicht gelesen in der Schrift: „Er will das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen und das glimmende Tocht nicht auslöschen?“ Jes. 42,3. Hast du nicht gelesen, daß er spricht: „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe?“ Hesek. 33, 11. Kennest du, in der Christenheit Geborner, im Christentum Unterwiesener, des Christentums Sinn und Bedeutung nicht? Eine Anstalt ist es für Sünder - und wir sind allzumal Sünder; ein Mittler ist aufgetreten, der das Widerstreben, die Feindschaft der Menschen gegen Gott und gegen das Gute aufhebe, der die verlorne Unschuld, die befleckte Reinheit der Seele wieder herstelle, der den Richter als liebevollen Vater und die Menschen als Gegenstände seiner Erbarmung, ja seines Wohlgefallens zeige, wenn dieselben mit reuigem Herzen sich zu ihm wenden, wenn sie ihn wiederum lieben von ganzer Seele. O haltet diesen Sinn, diese Absicht des Christentums fest, und lasset euch weder vom Eigendünkel, noch von der klügelnden Klugheit anders bedeuten. Diese Absicht ist eben so wahr als erfreulich. Ja, „es ist gewißlich wahr und ein theures, werthes Wort, daß Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.“ Tim. 1,15. „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebogen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Joh. 3, 16. Sagt, was kann merkwürdiger seyn, als wie Gott dem wachsenden Verderben einer Welt Einhalt that? Was kann rührender seyn, als daß er seinem Eigensten seinem Geliebten, seinem Sohn, das große, schwere Geschäft der Welterrettung auftrug? Was kann uns mehr Vertrauen einflößen, als diese väterliche Herablassung, die Last des selbstgeschaffenen Elends der Sterblichen wegzunehmen? Was kann uns mehr zur Dankbarkeit verpflichten, als die zuvorkommende Vergebung und Versicherung seiner ewigen Liebe? Und dieses kindliche Aufmerken auf die Veranstaltungen Gottes zum Heil der Menschen, diese Rührung, dieß Vertrauen, diese Dankbarkeit - es ist Gegenliebe, die das Herz entflammt. O nähret sie, die heilige Flamme, die das Böse mit der Wurzel vertilgt, die die Sünde im Keim vertilgt, die die Fesseln des Irdischen sprengt Und die Seele zum liebenden Vater drängt! Da ist keiner, der Gottes Kinder verdamme, denn sie bewahren die heilige Flamme!

II.

Sehet die Tugend als eine zarte Pflanze an. Der Boden, welcher sie tragen soll, ist durch die Gottesliebe gereinigt; das allzeit rege Bewußtsein derselben ist erwärmender Sonnenschein; die Gebete der Liebe sind milder Thau. Also gedeihet die Tugend. Wenn noch die schwüle Sinnlichkeit herrschte, so würde die zarte Pflanze versengen, in der brausenden Leidenschaft würde der schwache Stamm brechen, aber die Gottesliebe dämpft den Brand und wehrt dem Sturm, und macht es kühl und still in den Seelen der Kinder Gottes. - Aber warum eilet Gott nicht mit ihnen aus dem bösen Leben? so könnten sie triumphiren und prangen mit der Krone des bessern Lebens!

Haben sie denn schon die Anfechtung erduldet? Sind sie denn schon bewährt erfunden? Ein solcher Mann nur wird selig gepriesen! Einem solchen nur wird jene Krone zu Theil! Jac. 1,12.

Es ziehen Gewitter auf, und es wird abermal heiß. Ein Kampf beginnt mit bangen Sorgen, mit nagenden Zweifeln, mit abmattender Angst. Es erheben sich Stürme, und die stille Seele wird wieder aufgeregt, sie soll sich halten gegen die störende Gewalt des Schicksals, gegen die Anfeindungen und Verfolgungen böser Menschen. Nennt mir Eines Menschen Tugend, die nie gefährdet wäre - vom Druck der Armuth, wider Gott zu murren, oder von der gemeinen Verehrung des Reichthums, stolz und vermessen zu werden, oder von Krankheitsschmerzen, bittre Klagen auszustoßen und ungerecht gegen andre zu seyn? Wer hätte nie gewankt auf dem Wege der Pflicht, wenn dieser Weg sich durch irgend ein Mißgeschick furchtbar engte! Wer hätte nie sich müde und laß gefühlt in einem gemeinnützigen Geschäft, wenn dasselbe nicht nach Wunsch von Statten ging! Wessen Glaube wäre in seinem Leben nie irre geworden an der waltenden Vorsicht beym Anblick einer leidenden Unschuld oder eines glücklichen Bösewichts! Wen sollte nie Furcht ergriffen haben, wenn er um seiner Rechtschaffenheit und Tugend, um seines Glaubens und seiner Gottesfurcht willen, Ehre, Gut, Gesundheit, Leben aufs Spiel setzen mußte! - Freunde, ist es schon nichts Geringes, sich loszureißen von der Sünde und ein wahrer Christ zu werden, wahrlich, so ist es ein Großes, sich fortwährend von der Sünde fern zu halten und ein wahrer Christ zu bleiben, zu bleiben im Geräusche der Welt, unter den Rosen des Glücks, auf der Dornenbahn des Unglücks, auf allen Seiten gelockt von verführenden Stimmen, allenthalben verfolgt von laurenden Widersachern! Geduldiges, festes Ausharren, unerschütterliche Sündhaftigkeit im Guten wird nun verlangt.

Siehe, kämpfender, ringender Christ, Jesu Christi Beyspiel strahlt dir entgegen! Von ihm lerne geduldiges Ausharren und Standhaftigkeit! Er ist versucht, wie du, in allen Dingen, doch ohne Sünde. Bewunderst du nicht seinen hohen Entschluß, ein Volk zu retten, welches nicht einmal geneigt war sich retten zu lassen? Die Seinen nahmen ihn nicht auf, und dennoch glaubte er sich gesandt vornehmlich zu den verlornen Schafen vom Hause Israel. Rührt es dich nicht, zu sehen, wie unablässig er arbeitet an dem übernommenen Werk, unter neidischen Landsleuten, unter argwöhnischen Fremden in beständigen Reisen, hier ausweichend einer Lebensgefahr und dort wieder in unbekannte Gefahren hineingehend? Er klagt: „Des Menschensohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.“ Erschüttert dich nicht sein Eifer und der Fluch der Verachtung, wenn jemand ihn abmahnte von dem beschwerlichen Geschäft und der gefahrvollen Lehre? „Hebe dich, Satan, von mir! du meinest nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ Erstaunest du nicht über den Gleichmuth und die Geduld, mit welcher er die Verunglimpfungen seiner Gegner ertrug? „er schalt nicht wieder, wenn er gescholten ward“ -über die Seelenruhe, die ihn an den Ort seiner letzten Qual begleitete? „wir müssen gen Jerusalem gehen“ - - über seine gottergebene Fassung in Gethsemane? „nicht mein, sondern dein Wille gescheht - über seine Festigkeit vor dem Richter? „du sagst es, ich bins“ - unbeweglich, unerschütterlich, bis er sagen konnte am Kreuzesstamm. „es ist vollbracht“ ausrufen konnte; „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ - Spreche, wer Christ ist und ein fühlendes Herz hat, ob nicht dieses hohe Beyspiel der Standhaftigkeit Christi sein Gemüth ergreife? ob er sich nicht ergriffen, aufgemuntert, bewegt und gestärkt finde, als sein Jünger in seine Fußstapfen zu treten? ob er nicht mit Christo verachten könne alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, wenn er einen andern als Gott anbeten soll? ob er nicht mit Christo aufopfern könne, wenns seyn muß, Ruhe und Bequemlichkeit, Lebensgenuß und Freude, in dem Geschäfte, das der himmlische Vater aufgetragen hat? ob er nicht mit Christo laut und öffentlich die Wahrheit reden und jede Winkelrede verschmähen könne? ob er nicht mit Christo der Tugend treu seyn könne in Leiden, gehorsam dem Willen Gottes in Prüfungen, unermüdet in seiner Arbeit, unverdrossen in seinem Beruf bey anscheinender Vergeblichkeit? - unbeweglich, unerschütterlich, standhaft, bis er mit Christo sagen kann. „es ist vollbracht“ ausrufen kann: „Vater, in deine Hände befehl' ich meinen Geist!“ Warum sollten wir es nicht können! Was Christus konnte, ist uns nicht unmöglich. Vergieb, Gottessohn, wenn Unziemlichkeit darin liegt, uns dir zu vergleichen ! Hast du den Schwachen deine Kraft zugesagt, so erwartest du auch deine Werke von ihnen; werden wir durch den Glauben an dich der göttlichen Natur theilhaftig, so müssen wir auch derselben gemäß zu leben im Stande seyn. Wir reden in der Sprache gläubiger Christen. Ja göttliche Kraft fühlen wir in uns, und darum achten wir uns göttliches Geschlechts geworden zu seyn, darum schlägt unser Herz dir vertraulich, zuversichtlich entgegen, obwol du erhöhet bist über alles im Himmel und auf Erden. Du warst so menschenfreundlich, als du hienieden lebtest, als du die Menschen lehrtest, daß sie Kinder des Vaters seyen, dessen Sohn du seyst: du wardst wie ein andrer Mensch, als du zeigen wolltest, daß ein Mensch, und wie ein Mensch göttlich denken, göttlich handeln kann und durch Verleihungen himmlischer Gaben, durch die Gabe deines Geistes erhobst du selber uns zum Gefühl der Kraft, mit welcher wir standhaft dem Argen widerstehen, und, gleich dir, jedem Feind unsrer Tugend Trotz bieten können.

III.

Daß doch alle merkten auf die Liebe Gottes, die Geduld Christi! Aber es giebt Lasterhafte, die geflissentlich solche Betrachtungen meiden: es giebt Leichtsinnige, die nur einen flüchtigen Blick dahin werfen, wo sie lange verweilen sollten; es giebt Stolze, die im Vertrauen auf eigene Kraft fremde Aufmunterung, fremden Beystand verschmähen; es giebt Schwache, welche unvermögend sind, aus dem Kreise der täglichen Erfahrung zu treten und Wahrheiten zu fassen, die weder gesehen, noch gehört, noch berechnet werden: es giebt endlich Kaltsinnige, welche nur erschreckt, nicht gerührt werden können, welche stets erschüttert, nicht bloß bewegt werden müssen: wer nimmt sich ihrer an? wer verwandelt den Kaltsinn in zartes Gefühl, die Schwachheit in tiefere Einsicht, den Stolz in christliche Demuth, den Leichtsinn in heiligen Ernst, die Lasterliebe in Gottesliebe? O sicher, wessen Herz erwärmt ist von der Liebe Gottes, wessen Wille gestärkt ist durch Aufsehn auf Jesum, der wird sprechen, beten: Der Herr richte ihre Herzen zur Liebe Gottes und zur Standhaftigkeit Christi! Das kannst du, Gott, der du die Herzen in deiner Gewalt hast und sie wie Wasserbäche leitest: das thust du, Gütiger! Sehet euch um, Freunde, wie Alles euch gleichsam mit Fingern auf die göttliche Güte hinweiset. Gott segnet euch z. B. im Zeitlichen; meinet ihr dann, er gebe euch einen verdienten Lohn und Mittel zu einem unthätigen Leben? Nein, er will euch damit locken, daß ihr glauben sollt, er sey der rechte Vater. Oder er entzieht euch seinen Segen; meinet ihr dann, er wolle euch von sich weisen? Nein, er will euer Herz von der Welt auf sich, von den irdischen Dingen auf seine himmlischen Schätze richten. Er schickt euch Leiden; meinet ihr dann, er zürne und strafe? Nein, er will euch eure Hülfsbedürftigkeit und seine hülfreiche Liebe kennen lehren: „Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten, daß du mich preisen sollst!“ Er hat euch sein Wort gegeben; meinet ihr, daß das Wort allein verständig, fromm und selig mach? Nein, sondern das Wort soll euren geistlichen Verstand wecken, euch den Weg zur Frömmigkeit zeigen und euch die Seligkeit verheißen, die von der Gottesliebe den Frommen bereitet ist, - und dieß geschieht, wenn ihr nicht bloß leset, sondern auch suchet und forschet in der Schrift, dann knüpft sich an das sichtbare Wort der unsichtbare Geist, der Geist des Vaters, der euer Inneres heiliget und vornämlich eure Herzen zur Liebe Gottes richtet.

Der Herr richtet unsere Herzen, indem er mit dem Sichtbaren Unsichtbares verknüpft, dieses durch jenes erklärt, dieses durch jenes uns nahe bringt, ja ans Herz legt, - und wir beten, daß es geschehen möge. Lasset mich noch einer Verknüpfung des Sichtbaren und Unsichtbaren gedenken, des Abendmahls, welches die Herzen eigens auf Jesum und seine Sündhaftigkeit richtet. Das Auge siehet Brod und Wein, aber der Gläubige genießt in dem feierlichen Augenblick den Leib und das Blut Christi, des ersten Überwinders. Ein hoher Genuß!

Möchten sie kennen,
die Christen alle,
den hohen Genuß!
unterscheiden lernen
den Leib des Herrn!

Es ist des Glaubens erhabenste Lehre,
es ist des frommen höchster Gedanke:

„das Irdische ist
„nicht bloß irdisch,
„sondern des Himmlischen
„Zeichen und Widerschein.“

Zum Himmel wallet
den schmalen Weg,
sich windend durch Lebensdornen,
wer isset des Herrn Leib,
wer trinket des Herrn Blut
im Sacrament des Altars.
Wir träten an solchen Tisch nimmermehr
und kennten himmlische Speise nicht,
hätte er nicht geduldig und standhaft
seinen Leib gegeben
und sein Blut vergossen – für uns,

Euch , die heute hingehn,
(das Mahl ist bereitet)
zu feiern des Herrn Tod,
zu schließen neu den Bund,
zu knüpfen neu das Band,
das euch bindet an Jesum -
euch sey gesegnet das Mahl.
Es labe das matte Herz,
es nähere den frommen Sinn,
es mehre des Glaubens Kraft,
daß ihr heimgeht vom Altare
mit dem festen, lebendigen Vorsatz
standhaft im Guten zu sehn, wie's der Herr war!

Wir alle, Freunde, o laßt uns alle, als Jünger des Einen großen Meisters, den lebendigen Vorsatz fassen, ihm nachzustreben auf der Tugendbahn, und, wenn wir stille stehen oder wanken, durch die Erwägung seiner Geduld und Standhaftigkeit neue Stärke und frischen Muth uns sammeln zum weitern Lauf! Lasset uns alle, Kinder Eines Vaters, beständig eingedenk seyn der Liebe des Vaters! Ach, und wenn die Weltliebe wieder groß wird im eitelen Herzen, wenn nichtige Dinge das Gemüth zu besitzen anfangen, wenn ein Wirbel der Begierden irdischen Staub aufwirft vor unsern Augen, daß wir nicht mehr die warnenden Winke der Freundes sehen; wenn das Geräusch der Welt so laut wird, daß wir den leisen Zuruf des Gewissens nicht mehr vernehmen: - Herr, Herr, dann richte du selbst unsere Herzen zur Liebe Gottes und zur Geduld Christi! Amen!

Quelle: Harms, Claus - Winter- und Sommer-Postille

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