Harms, Claus - Am ersten Weihnachtstage 1835.

Harms, Claus - Am ersten Weihnachtstage 1835.

Ges. 598. Herr Gott, dich loben wir.

Höre, du theure Christenversammlung an diesem Fest, höre einen Theil dieses Gesangs nun auch noch sprechen. Das Wort hat also, wie der Sprechende meint, keinen schwächern Eingang, als da es gesungen ist.

Du König der Ehren, Jesu Christ!
Gott Vaters ew'ger Sohn du bist.
Der Jungfrauen Leib nicht hast verschmäht
Zu erlösen das menschliche Geschlecht.
Du hast dem Tod zerstört sein' Macht
Und all' Christen zum Himmel bracht.
Du sitzest zur Rechten Gottes gleich
Mit aller Ehr' in's Vaters Reich.
Ein Richter du zukünftig bist
Alles, was todt und lebend ist.

Lassen wir es genug sein an dieser Wiederholung. Ja, es hat meine Seele sich mit diesem Wort als auf Flügeln zu dem erhoben, bei welchem ich wollte zuvor noch einmal gewesen sein in seiner Höhe, eh' ich von ihm predigte, um aus recht voller Seele von ihm in dieser Stunde predigen zu können. Von meinem Glauben an ihn, Gemeinde, weißt du, und daß er eben als todte Kohle nicht bei mir lieget; aber heute begehrst auch du ihn mehr als in einiger Wärme nur, begehrst ihn in Gluth, ja in Flammen des Predigers Glauben an Jesum Christ zu sehn, - nicht mit einem unbilligen Begehren. Es ist das Weihnachtsfest, der erste Tag, der erste Gottesdienst an diesem Fest und wie vielmal ich auch schon an diesem Feste die Andacht der Gläubigen geleitet habe, so werde ich doch heute zum ersten Mal als Prediger am ersten Tage Vormittags gesehn. Freilich ist das eine Aeußerlichkeit, auf die nur mäßig zu geben ist, wie ihr auch thut, aber wahr ist es doch, etwas liegt darin und etwas mehr erwartet ihr daraus, sollt es denn auch haben nach dem vollen Maaß, als ich selbst es habe bekommen innerlich und äußerlich.

Wird auch mein Wort ja, das Freudenwort dieser Stunde, ja bei euch antreffen Hörer, die in der Freude schon sind. Wie ist gestern euer Abend gewesen und wie heute euer Morgen? Nicht wahr, ihr seid am Abend, seid am frühen Morgen schon dagewesen, wohin der Prediger euch zu führen beabsichtiget, und es mögen sich wohl finden unter euch, die gern an meiner Stätte hier ständen und redeten in dieser Versammlung gern ihre eigne Seele aus. Fromme, sehet, ich kann nicht sagen: Steigt zu mir herauf, ich selbst möchte euch hören und wir wollen in unsern Bezeugungen einander ablösen. Es geht nicht an. So macht euch Luft, wie ihr könnt und wo; nichts ist leichter gebaut als eine Kirche, wenn es nur an dem Prediger nicht fehlt. Aber der Frohe nimmt doch gern die Freude eines Andern in sich auf, die seinige mit ihr zu mehren. So werdet ihr thun. Eurer der andre Theil - ist's der größere vielleicht? - mag wohl hereingekommen sein, ohne sonderlich etwas empfunden zu haben. Nein, so laßt uns nicht sprechen, - sondern die vor Trübsal, vor Gedrücktheit und Zerknicktheit ihres Gemüths nicht haben zur Freude kommen können und haben es wollen versuchen hier, ob sie hier nicht einmal was sie lange nicht gewesen, frohes Gemüthes würden. Ihr traurigen Brüder und Schwestern, ich sage euch, daß ihr wohlgethan habet. Ja, das Weihnachtsfest ist eine Verkündigung großer Freude, die allem Volk, also auch euch, widerfahren soll. Ich stehe mit diesem Wort auf dem Boden des heutigen Evangeliums schon, daher nichts weiter zur Einleitung, zur Hinführung geredet. Wollen wir etwa zuvor noch einmal uns im Gesang gemeinschaftlich erheben? Ich nenne Vers 6 in 231:

Mein Glaube sei mein Dankaltar: Hier bring' ich mich zum Opfer dar Dir, der Verlassenen Tröster. Ich bete dich in Demuth an; Wer ist, der mich verdammen kann? Ich bin ja dein Erlöster. Von dir strömt mir Gnadenfülle, Ruh' und Stille; Licht und Segen. Find ich, Herr, auf deinen Wegen.

Ev. Luc. 2, 1-14. Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot vom Kaiser Augusto ausging, daß alle Welt geschätzet würde. Und diese Schätzung war die allererste, und geschah zur Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und Jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein Jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das Jüdische Land zur Stadt David, die da heißt Bethlehem, darum, daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertraueten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Heerde. Und stehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude die allem Volk widerfahren wird; Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt, und in einer Krippe liegend. Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerschaaren, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.

Die Engel fuhren wieder gen Himmel, sagt das folgende Wort; und wenn auch dann einer, dann zwei derselben später gesehen worden sind, bei Christi Auferstehung, bei seiner Himmelfahrt, bei mehrern Vorgängen, die in der Apostelgeschichte erzählt werden, so haben wir doch nur diesen einen Gesang von ihnen: Ehre sei Gott in der Höh', und auf Erden Friede den Menschen des Wohlgefallens, wie von Einigen dies Wort gelesen und in unsre Sprache übersetzt wird nicht ohne Gründe. Vor den Hirten sangen sie das, nimmer allein um der Hirten willen, daß die nur es hören sollten; und zu den Hirten sprach der Engel einer: Euch ist heute der Heiland geboren, nimmer allein, die sollten ja nicht allein, die Hirten, den Heiland haben, wie auch ja von dem Engel erklärt worden eine Freude, die allem Volk widerfahren sollte. Davon heißt es nachher: Die Hirten breiteten das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Solch' Ausbreiten dieses Worts acht' ich für die Absicht der Weihnachtsfeier, halt' ich für das Geschäft der Weihnachtspredigt, will es thun, nachdem ich's kann, dem Worte Breite geben, nach dem gegebenen Ausdruck, ob ich es nicht über die ganze Versammlung als einen Himmel ausbreiten könne und über jeden Einzelnen, der hier steht.

Uns ist der Heiland geboren, eine Nachricht, die zu bringen ist:

  • als Evangelium allen Armen am Geist,
  • als Heilmittel allen zerstoßenen Herzen,
  • allen Gefangenen als ihre Erlösung,
  • und den Blinden als gegebenes Gesicht,
  • und den Zerschlagenen als ihre Befreiung;
  • allen aber und jedem als ein angenehmes Jahr des Herrn.

Ich lasse hiermit wie ein Brett auf den Wellen die Theile meiner Predigt treiben auf Aussprüchen Christi, wenn er in der Schule zu Nazareth, ein Prediger selber dort, Luc. 4. von sich sagt nach einem Prophetenwort: Der Geist des Herrn ist bei mir, derhalben er mich gesalbet hat und gesandt: zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu predigen das angenehme Jahr des Herrn. Hierüber hat Jesus selbst gepredigt in der genannten Schule in holdseligen Worten seines Mundes, berichtet Lucas, eine wahre Weihnachtspredigt. - O, hätte der Evangelist uns diese selbst doch dazu gegeben! Er hat es nicht gethan. Versuchen wir es denn am heutigen Fest, auf Christi Predigt in Nazareth zu lauschen. O Jesu, es ist wohl ein starkes Unterwinden zu heißen, wolle du mit uns sein, einen Tropfen Salböls fallen lassen auf den Redenden.

1.

Stehen hier auch gleichwie in der Bergpredigt die Armen voran, einmal von dem Propheten Jesajas schon und zweimal von Christo vorangestellt, wie sollten wir sie denn nicht an dieser Stelle lassen! Rufe ich sie her, mit so viel mehr Liebe in den Ton des Rufes gelegt, als ich selbst vor Jahren bin ihrer einer gewesen und habe noch manchmal Stunden, Tage, da ich recht geistlich arm bin, Nächte kann ich auch nennen. Kommt ihr Armen im Geist und hört es, daß euch der Heiland geboren ist. Eure Armuth, worin besteht sie? Ihr sollt es merken, ein Kundiger redet zu euch. Das ist eure Armuth, daß ihr den Glauben an Christum, ja sogar den Glauben an Gott so wenig klar, so wenig kräftig in eurem Geiste tragt, und zugleich alles in eurem Geist, deß Andere sich freun und sind fröhlich dabei, so trübe, schwach, unfest euch erscheint, und macht euch fast untüchtig zu dem Werk, das euch befohlen ist, zu dem Lauf und Kampf, der euch verordnet ist. Was die Sprache Leben nennt, Gefühl der Kraft, auch wenn sie zur Stunde nicht gebraucht wird, mit Freude verbunden und mit Muth, das ist, was euch fehlet und in diesem Verstande seid ihr arm. Ach, die Armuth im Geist ist aber noch etwas mehr, als was wir nicht haben, sie ist ein wirklich Vorhandenes, gleichwie, wenn das Licht fehlet, die Finsterniß da ist. Bei euch so, ihr habt keinen Glauben d. h. ihr kämpft mit dem Unglauben, kein Vertrauen d. h. ihr geht in Verzagtheit, in Verzweiflung, keine Freudigkeit, keinen Muth d. h. von Unmuth und Trübsinn ist euer Geist erfüllt und neben dem Kummer, dem Schmerz bei Manchen, daß es noch einmal besser gewesen sei, woran ihr nicht leicht denken mögt und müßt doch daran denken. Das ist eben, als wie der Verarmte gegen den jederzeit Armgewesenen seinen Zustand doppelt empfindet und vierfach. Habe ich euch durchschauet? rede ich nicht aus euch? Aber jetzt zu euch und dies Wort: Euch ist der Heiland geboren, der Herausreißer aus der geistlichen Armuth, der sein eigner Verkündiger in Nazareth war, der sich in dieser Stunde hier verkündigen läßt und als Evangelium der Armen. So wahr Johannes der Täufer von ihm gezeuget, daß er Gottes Sohn sei, so wahr bei seiner Geburt der Himmel seine Heerschaaren herabließ, so wahr er von sich gezeuget in Worten und Werken, in Werken, die niemand thut, es sei denn Gott mit ihm, und hat auf sich gewiesen Joh. 16, daß er der Weg, die Wahrheit und das Leben sei und ein Geber der vollen Genüge Joh. 10, so wahr eine ungezählte Menge Menschen an ihrem Geist es erfahren und bis in den Tod hinein es bezeugt haben, daß Jesus ihnen Alles geworden sei, geblieben, und der sie habe vergessen machen alle leibliche Noth, so wahr das, - hört es! - so wahr ist es, daß er heute geboren wird euch Armen im Geist, in dieser evangelischen Festfeier, in dieser evangelischen Festpredigt, in diesen Aufathmungen, die bei euch, Hörer dieses Evangeliums, Statt finden. Oder täusch' ich mich? Geschehen keine Aufathmungen? Ja, ja, sie geschehn und machen Weihnachten hier, hier zu Weihnachten, da Christus geboren worden ist.

2.

Wir tragen das Evangelium unter den Gekommenen umher und soweit in dem Gefäß der Predigt allen gebracht, die geistlich arm sind, halten wir es zweitens, allen zerstoßenen Herzen vor, auf daß sie im Weihnacht ein Weihnachten bekommen, Christum bekommen, der die zerstoßenen Herzen heilt. Es ist Fortschreiten im Ausdruck. Die Armen im Geist beklagen wir, aber des Herz zerstoßen ist, dem noch dies und das zugestoßen ist, in einem Maaß, von der Art, so dicht hinter einander, daß sein Herz wund davon geworden ist, der ist noch beklagenswerther. Ob deren auch unter uns sind? Es möchte nicht befremden, wenn Keiner, indem ja der Kummer die Einsamkeit liebet und das Herzleid von frohen Menschen entfernt hält; allein es ist doch einmal ein Zug in der Christenheit, am Weihnachtsfest Theil zu nehmen und sich mit seinem Schmerz hinzubegeben, wo der Ort und das Wort eine so große Verheißung haben; es möchte daselbst eine Erquickung sein. O, wenn ich sie rufen könnte, die heute andre Wege gehn oder die sitzen bleiben mit ihrem kranken Herzen. Welches die Wunden eures Herzens denn sein mögen: kommt doch, so kommt doch hieher! Allein sie finden sich hier, möge an diesen denn geschehen, was sie als eine Heilung ihrer Wunden zu preisen bekommen. Meine Brüder, meine Schwestern, welcherlei ist es, davon euer Herz ein zerstoßnes geworden? Ach, geht ihr unter den Schrecken Gottes, die auf euch fallen und ihr wißt nicht, woher? Oder sind es traurige Erlebungen, welche ihr auslegt: Das muß ich dafür leiden als wohlverdiente Strafe für die That und die That? Erlebt ihr solches in eurem Hausstande, Unglück auf Unglück - in eurer Familie, Sterben, Verderben und eurer süßesten Freuden Verwandlungen in den herbesten Schmerz? Wie, wenn nun das Herz müßte abgestoßen werden und könnte sich nicht länger halten auf seiner Stelle? Ich will's nicht näher beschreiben, wende das Wort und sage: Euch ist heute der Heiland geboren, und ihr hört ihn selbst zeugen, da er spricht, wie in Nazareth einst: Heute ist die Schrift erfüllt vor euren Ohren, damit daß er da ist, von Gott gesandt, der die zerstoßenen Herzen heilet. Ihr fragt: Auch mein Herz? Ich antworte: Er hat noch keins für unheilbar erklärt. Ihr sprecht: Wie geschieht das? Da muß ich sagen: Das Wie weiß ich nicht, von dem Daß kann ich nur Zeugniß geben, heißt: Jesus hat so Vielen sich bewiesen als heilender Arzt, die ihn anriefen und begehrten seiner; die sagen: Wie es zuging, das wissen wir nicht, aber ein Wort fiel in unsre Ohren, ein Gedanke kam in unser Herz, davor der Schmerz nachließ in dem Augenblick und uns verließ in derselben Stunde und uns stehen ließ in der Verwunderung: so krank und jetzt so gesund! so gedrückt, gepreßt und auf einmal leicht! Herr, dein Wunderthun hat noch nicht aufgehört und Heiland der Menschen zu sein vergissest du auch zur Rechten des himmlischen Vaters nicht, kommst noch herab wie einst! und die nicht Kraut und Pflaster heilte, denen hilfst du mit deinem Wort, mit dir!

3.

Alles rechte, ächte Christenthum ist Erfahrung, Erlebung und wenn solches erfahren, erlebet wird, dann ist's in der Seele Weihnacht. Möchte es in diesem Sinne Weihnachten werden für alle zerstoßenen Herzen und - drittens, als eine Erlösung erscheinen allen Gefangenen! Ja, ich fahre fort, theure Christen, obgleich ich weiß, daß ich für Manchen ein verdecktes Evangelium predige, 2. Cor. 4, Geheimnisse predige, die es aber nicht sind in dem Verstande, wie in einer neulichen Epistel, über welche die Prediger als Haushalter gesetzt sind, aber Geheimnisse doch für alle, die des Erfahrungschristenthums ermangeln der Zeit nach, dieweil sie noch nicht genug kommen, um Erfahrungen dieser Art zu machen. Weswegen kommen sie nicht? Mit dieser Frage sind wir wieder in des Vortrages Spur. Sie können nicht, Weil sie gehalten werden, von Banden gehalten werden, Gefangene, die es wohl wissen, daß sie es sind und Andre, die es gar nicht wissen. O, was ist es anders, kraft dessen der Unglaube sich noch so bei Kräften erhält in unsern Tagen? und bietet dem Glauben noch die Spitze, - was ist es anders, wenn die Gläubigen immer noch wie eine Secte erscheinen, Act. 28, der an allen Enden widersprochen wird, Christus ein Zeichen, Luc. 2, dem widersprochen wird, - und was liegt zum Grunde, daß so viel Menschen sich behelfen mit einer Religion, die wider alle Vernunft läuft, ob sie gleich sich bereden, daß ihre Religion die Vernunft selbst sei, die Wahrheit selber? Dieses liegt zum Grunde, daß sie wohl merken: Wenn ich ein Christ werden will, so muß ich ein anderer Mensch werden, kann ich in der Lebensart, bei den Freuden, unter den Menschen, in dem Besitz nicht bleiben. So werden die Menschen gefangen gehalten in Banden, und Jahre gehen hin, ach, sie werden nur immer fester in ihrem verkehrten Sinn. Legt alle, die ihr dies Wort höret, die Hand auf's Herz, daß sich scheiden die Gläubigen und die Ungläubigen. Ihr letztern, o möchtet ihr doch nicht lieber an Christum glauben? O singt nur ernst und anhaltend die erste Zeile von Vers 4 in 208: Mich halten schwere Bande - mich halten schwere Bande - so bei Tage und bei Nacht, wo ihr gehet und steht. Der Erlöser wird euch hören und die zweite Zeile auch singen lassen: Du kommst und machst mich los. Unser Text und dritter Theil: zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen.

4.

Und den Blinden das Gesicht. Wir unterschieden vorhin unter den Gefangenen, die es wohl wüßten, daß sie es seien, und die es nicht wüßten. Letztere werden hier gemeint. Ob ihrer auch Einige zur Festfeier gekommen sein sollten? Ja; denn Weihnachten zieht ja alle Menschen an, das Fest, welches Jedermann etwas bringet bis zu dem Kinde, das noch auf dem Arm getragen wird. Und wie durch leibliche Gaben, fahr' ich fort, in den Kindern das Verlangen nach höheren Gaben aufzuwecken gesucht wird, so bei denen, die, obwohl alt, doch von Christo nichts wissen. Christus wird ihnen vorgestellt, ob nicht in Wirkung dieser Vorstellung ihnen die Augen für Christum aufgehen und die Blinden das Gesicht bekommen. Christus ist Gesang, ist Predigt zu Weihnacht. Die Bezeugung durch den Täufer Johannes am Sonntag vorher: Ein Wort aus meiner Predigt vom vorigen Sonntag: diesen Johannes achtet man hoch, den rechtschaffnen Mann, den ernsten und furchtlosen Mann, der anstatt eines Widerrufs in einem Schreiben sein abgeschlagenes Haupt auf der Schüssel dem schwachen und daher grausamen Herodes geschickt. Ja, den Zeugen achtet man, hingegen das Zeugniß verachtet man. Es achten oder verachten, doch heißt es Weihnacht: Euch ist heute der Heiland geboren, der Himmel hat sich über Bethlehems Feldern aufgethan und Engel herabgelassen mit dieser frohen Botschaft. Die Klarheit des Herrn hat die Hirten umleuchtet, daß sie sich fürchteten. Möchte die Klarheit auch euch umleuchten und in des Lichtes Kraft euch das Gesicht gegeben werden. Ihr begehrt ein anderes Licht, wie es aus Gründen aufleuchtet? Nein, heute nicht von unten Licht, sondern von oben; ihr begehrt ein Licht aus Beweisen? Nein, wir können nur weisen: Christi ist die Erde voll, Christi sind die Kirchen voll, Christi sind die Häuser voll, Christi auch so viele tausend Herzen, - und der mit dieser Verkündigung eben vor euch steht, der möchte sein Herz euch zeigen können und sagen: Mein Herz ist seiner so voll, daß daneben zur Stunde auch nichts anderes Raum hat als, meine lieben Gemeindeglieder, als das Verlangen brennend und hell: Ach, daß ihr sähet, den ich sehe: Jesum, mitten unter uns getreten, und kennetet ihn, daß er es ist, Jesus der Christ, von den erbarmenden Gott uns zu Allem gemacht; der auch die Blinde sehend macht. Herr, wenn du selbst ein Zeichen darin wolltest thun! Ich weiß nicht besser von ihm zu zeugen, versteh's nicht, ihn klarer zu zeigen.

5.

Aber das Wort soll auf andern Pfad noch treten. Die Freude, die allem Volk widerfahren soll, besteht nach Christi eigner Erklärung ferner darin, daß die Zerschlagenen frei und ledig sein sollen. Wieder zu den Zerstoßenen, zu den Gebeugten und Geknickten und Gedrückten will die Botschaft gehen. Hier sind die Zerschlagenen genennet. Sollen wir Unterschied setzen, so möcht' es dieser sein: ein größeres Schmerzmaaß, ein schneidenderes Gefühl, wie wenn ein Starker festhält, daß der Unglückliche sich unter seinen Händen nicht rühren kann, und ein anderer Starke theilt Schläge aus. Wem ist so zu Muth? und bei wem gehet das so zu? Heißet ihr es Schicksal? heißet ihr es nicht richtiger eure Sünden, die euch so festhalten, und eure Sünden, die euch so schlagen? Ich suche, welchen so ist, unter denen, die vor der Ewigkeit stehen ihren Jahren nach und möchten heute zum letzten Mal Weihnacht halten: o macht euch die Ewigkeit nicht bange? Ich suche, welchen so ist, unter denen, die noch vor dem Leben in der Zeit stehen, da sollen sie noch erst hinein, da sollen sie noch erst hindurch: o werdet ihr nicht bange, daß es nimmer gut geht, da ihr solchen Anfang gemacht habt? Die ihr vor jenem Leben und die ihr vor diesem Leben bange seid und eure Vorstellungen sind Bloßstellungen zarter Stellen an euch, auf welche Peitschen und Scorpionen hauen, - wann soll das enden? Weihnachten kann es enden? Allem Volk und jedem Volk soll die Freude widerfahren, daß der Heiland geboren ist. Das Wort geht durch alle Zeiten; und wenn es zur Weihnachtsfeier wieder in unsern Kirchen dahertönt, so ist's ein Geborenwerden des Heilands von Neuem. Die ihn noch nicht haben, die sollen ihn jetzt erhalten und ihn erhält, wer ihn haben will. Der Glaub' an ihn, daß er es sei, ist beides in Einem, die Bedingung und die Gewährung; er kommt, wenn wir glauben und schon mit dem Glauben ist er da und verrichtet, was sein Heilandswerk ist: dies, daß er die Zerschlagenen frei und ledig macht. Ja, du und du, zerschlagen über und über, und weißt dich zu kehren, kehre zu ihm dich auf diesen meinen Rath, ein Erfahrner sprichts; dann hast du ein freies, lediges, fröhliches Weihnachtsfest,

6.

und eine neue angenehme Zeit gehet bei dir an. Der Predigt letzter kurzer Theil und letzter Bestandtheil der Weihnachtsfreude, wie wir sie auslegen nach Christi eignem Wort ist: das angenehme Jahr des Herrn. Wenn alle Armen am Geist Evangelium hören, alle zerstoßenen Herzen geheilt werden, alle Gefangenen erlöst werden, alle Blinden das Gesicht bekommen, alle Zerschlagenen frei und ledig werden, da ist ja eigentlich der Predigt nichts mehr übrig, als nach dieser Aufzählung die Summen zu nennen, welche ist: das angenehme Jahr des Herrn. Es sind keine Veränderungen, bei welchen Derjenige davon schweigt, in welchem sie vorgehn; es sind keine Erfahrungen, mit welchen er an sich hält, der sie macht; sondern der Mund spricht's, das Angesicht thut es kund, das neue Leben legt's zu Tage, daß das alte Leben mit seinen Sünden und Nächten jetzt vergangen und der Tag Christi angebrochen sei. Seht zu Hause im Kalender zu, der Thomastag ist Dienstag gewesen, der kürzeste Tag, benannt mit dem Namen eines lange ungläubig gebliebenen Jüngers; Weihnachten, drei Tage darnach, wehrt der langen Nacht und läßt das Licht höher aufgehn. Seht noch einmal zu: der gestrige Tag heißt Adam, Eva. Warum sind sie so nah vor Weihnachten gerückt? Das bedeutet: Als Kinder der Menschen durch Adam hören wir auf, als Kinder Gottes durch Christum fangen wir neu zu leben an. Christus in uns geboren, wir in Christo geboren, so kommt wieder, was Adam verloren und von dem an hat Gott ein Wohlgefallen an uns Allen. Ehre sei Gott in der Höh', und auf Erden Friede den Menschen des Wohlgefallens! Tön' es fort, ich mache Ende, tön' es in unsern Herzen ewig fort. Amen.

Quelle: Harms, Claus - Des Christen Glauben und Leben

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/harms_c/harms-dcgul03.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain