Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - IV. Was ein Erweckter hört und sieht.

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - IV. Was ein Erweckter hört und sieht.

Spr. Sal. 20,12.
„Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.“

Neues und Unerhörtes wird den Erweckten geoffenbart. Zwar haben wohl Manche unter ihnen in früher Jugend schon Worte des Lebens vernommen, aber meistens wieder vergessen oder nicht verstanden; Andere aber, besonders in unsern Tagen, haben durch treulose Lehrer das Wort verfälscht gehört, und sind mit Zweifeln dagegen erfüllt worden. Die Vielen, zu welchen die Sendboten des Evangeliums erst kommen, und die es nun zum ersten Mal vernehmen, sind gewöhnlich die Zugänglichsten für die gute Botschaft, weil sie nicht nötig haben durch manche Zweifel sich hindurch zu winden; an ihnen geht der Ausspruch des Herrn in Erfüllung: Es werden kommen von Morgen und von Abend, von Mitternacht und von Mittag, die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes. Und siehe, es sind letzte die werden die Ersten sein, und sind Erste die werden die Letzten sein1).

Eine erweckte Seele kann sagen: Der Herr Herr hat mir das Ohr geöffnet, ich bin nicht ungehorsam und gehe nicht zurück2)? Ja! Ich bin berufen, doch ich weiß ja nicht wohin mich wenden, in der Finsternis, die mich umgibt! Ei, hast du nicht gehört wie geschrieben steht: Dass dich Christus erleuchte? Bitte nur um Licht, es bleibt nicht aus! - Und während die Seele fleht, dämmert schon das Licht von oben; es geht ganz sanft dem genesenden Auge auf, dass es um sich zu schauen vermag. Das ist das Werk der zuvorkommenden Gnade, und eine fortgesetzte Wundertat des Herrn, durch seinen heiligen Geist, der dem Menschen das Ohr öffnet zum Vernehmen des Gnadenrufs, und das Auge zum Schauen seines Lichtes, laut unsers Textes: „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr!“

Wenn einem Menschen Ohr und Auge durch die Gnade des Herrn geöffnet ist, so ist er wahrhaft erweckt.

Nun ist ihm eine neue Welt aufgegangen; er hört und sieht, was er vorher nie verstanden; dies ist es was wir nun betrachten wollen; also:

Was ein Erweckter hört und sieht.

1. Was hört er?

Die Weckstimme ist sehr verschiedenartig, je nach dem der Schlummernde hart oder leise schläft; bei dem ersten muss sie oft bis zum Donnerton sich steigern; bei dem letzten ist ein ernstlich milder Ruf schon genug; doch in beiden Fällen bekommt die Seele die Gewissheit: der Ruf gilt mir! - Da weicht die bisherige Gleichgültigkeit, und sie merkt auf, wenn der Geist Gottes sie belehrt: Du bist in einem verlornen Zustand, kehre um, denn du bist abgewichen von Gott und eilst dem Verderben zu! Der Weg, worauf du wandelst, ist der breite Weg. Du gingst bisher im Irrtume dahin; gedankenlos im Tod gebunden, hast du deine Gnadenzeit verloren und verträumt. Kehr um, und suche nun den Weg der Wahrheit und des Lebens, der dir in Christo Jesu aufgeschlossen ist!

In dem Erweckungsruf vereinigen sich Gesetz und Evangelium; beides predigte unser Heiland, und zwar das Gesetz schärfer als Mose, aber das Evangelium lag in seiner Person, zu heilen das zerschlagene Herz. Darum, als Petrus vor ihm im Schiffe niederfallend ausrief: Herr, gebe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch! konnte er ihm tröstend antworten: Fürchte dich nicht, denn von nun an wirst du Menschen fangen3). Und was Petrus an sich erfahren, das wiederholte sich immer wieder; jeder Erweckte der mit Schrecken frug: Was soll ich tun? hörte die Antwort: Fürchte dich nicht, glaube nur! das heißt: Widerstrebe nicht mehr, und zweifle nicht; deine Sünden sind zwar groß und unzählig, aber größer noch und unerschöpflich ist die Gnade, nimm sie gläubig an und halte sie fest; wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm. Das ist je gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort, dass Jesus Christus gekommen ist in die Welt die Sünder selig zu machen. Gehorche nur dem Wort Gottes, welches den Glauben dir anbietet als einziges Rettungsmittel, so wirst du es erfahren, welche Kraft darin liegt eine ganze Sünderwelt vorn Verderben zu erlösen, und wirst auch den Andern sagen können: Wen da dürstet der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst4).

Mit der Gnadenbotschaft, die durch die Seele dringt, wird aber nicht bloß das Ohr geöffnet, sondern das Auge wird fähig auch das Gnadenlicht zu ertragen: denn wie jenem Bartimäus auf seine gläubige Bitte hin die leibliche Blindheit wich, so auch die geistliche Blindheit bei dem Erwachenden. Und wenn nun diese gewichen ist:

2. Was sieht er?

Zuerst blickt er nach oben, woher das Licht kommt; da schaut er in Dämmerschein das Heil der Welt, von welchem allein alles wahrhaftige Licht ausgeht; und in diesem Licht erkennt er dreierlei, nämlich: seinen verlornen Zustand, den Rettungsweg und das himmlische Ziel; und weil er diese drei auf einmal sieht, so lässt ihn der erste nicht mehr trostlos, sondern er fühlt in sich den Trieb mit Macht dem Verderben zu entfliehen.

Freilich bemerkt er an sich selber die Spuren des Todesübels, das ihn wie ein Aussatz angefressen hat; sein Sündenelend, dass er früher gar nicht gewahr wurde, erscheint ihm nun in seiner Größe, und das heilige Gottesgesetz kündigt ihm an, dass seine Schuld einer Versöhnung bedarf. - Lasst euch versöhnen mit Gott! so ruft die Stimme des Heiligen Geistes; und mit Dank gegen die ewige Barmherzigkeit, preiset er den, der in Christo die Welt mit sich versöhnte, und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat.

Ihm wird jetzt klar, wie rings umher in der Welt der Tod herrscht um der Sünde willen, und wie der furchtbare Fürst der Schrecken so große Gewalt hat. Wenn wir nicht dem Fürsten des Lebens angehören, sind wir verloren, denn das Gesetz kündigt uns an, dass wir als Schuldbeladene in das Gebiet des Todes gehören; aber welche der Sohn frei macht, die sind recht frei; diese Befreiung ist möglich, denn uns ist ein Rettungsweg aufgeschlossen.

Der liegt vor dem Erweckten im Licht des Evangeliums. Zwar sieht er wohl, wie er auf dem breiten Wege der Welt steht, unterhalb der weiten Pforte; aber durch dieselbe kommt ein Lichtstrahl bis zu ihm, der ihn auffordert: Trachte nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit. Das ist aber der Wille Gottes, dass ihr eingeht durch die enge Pforte; denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit der zur Verdammnis abführt, und ihrer sind viele die darauf wandeln; und die Pforte ist enge und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer die ihn finden.

Diesem göttlichen Befehl zu folgen wird jetzt des Erweckten Lebensaufgabe; denn wenn er zum Ziel gelangen will, wohin das Wort ihn weist, darf er nicht müßig die Gnadenzeit verlieren, und er erkennt, mit seinem gefallenen Naturstand, die Notwendigkeit sich zum Herrn zu bekehren, der ihn in die himmlische Heimat beruft. Selig sind, die zu dem Abendmahl der Hochzeit des Lammes berufen sind; das sind wahrhaftige Worte Gottes! - So schließt sich alles in der Gnadenordnung an die Erweckung an; das höchste Ziel, das Jerusalem das droben ist, wird sogleich angekündigt, und die Möglichkeit und Notwendigkeit dies Ziel zu erreichen, wenn die Einladung soll in Erfüllung gehen, bekommt ihre ganze Bedeutung; aus der Herrlichkeit winkt die Krone.

Ja, wenn die Seele wahrhaft erweckt ist, kann sie nicht mehr träge zurück bleiben. - Aber sie hat bis jetzt noch keinen Schritt getan; wird sie das Ziel erreichen? Manches Hindernis ist zu überwinden, manche drohende Gefahr zu bestehen; dazu kommt der krankhafte Zustand der Seele, und die Mattigkeit welche sie schwer darnieder hält. Sie hört, sie sieht, sie will! In den Erweckungszeiten ist es Vielen ein Ernst. - Viele sind berufen; wer wird zu den Auserwählten kommen?

Nur die treuen, die demütigen Seelen, die sich selbst vergessend, dem eigenen Leben entsagend, beharrlich wandeln himmelan!

Himmelan geht unsre Bahn.
Wir sind Gäste nur auf Erden,
Bis wir dort im Kanaan
Durch die Wüste kommen werden.
Hier ist unser Pilgrims-Stand,
Droben unser Vaterland.

Himmelan! ach Himmel an!
Das soll meine Losung bleiben.
Ich will allen eiteln Wahn
Durch die Himmelsluft vertreiben.
Himmelan steht nur mein Sinn,
Bis ich in dem Himmel bin.

1)
Luc. 13,29-30
2)
Jes. 50,5
3)
Luk. 5,10
4)
Offenb. Joh. 22,17
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