Härter, Franz Heinrich - Das göttliche Ansehen der Bibel

Härter, Franz Heinrich - Das göttliche Ansehen der Bibel

Die Bibelgesellschaft hat nur Einen großen Zweck: die Heilige Schrift einfach, unverfälscht und ohne menschliche Zutat Jedem darzubieten, damit die, welche wollen, das wahre Leben aus seiner Quelle schöpfen, und alle Christen, Anfänger wie Geförderte, sich mit diesem himmlischen Manna geistlich ernähren können, um zu wachsen zur göttlichen Größe des vollen Mannesalters Christi; denn der Mensch lebt nicht vom Brote allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes geht1).

Alles, was wir zu sagen haben, beschränkt sich darum im Grund auf Folgendes: Nehmt an das Wort, das euch dargeboten wird; lasst es nicht, wie ein totes Kapital, in euern Häusern liegen, sondern empfangt es in euern Herzen als einen göttlichen Samen, und übt es in euerm Wandel, damit es Frucht bringe für Zeit und Ewigkeit, und an euch in Erfüllung gehe, was der Herr von seinem heiligen Worte gesagt hat2): Denn „gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt, und nicht wieder dahin kommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, dass sie gibt Samen zu säen, und Brot zu essen: also soll das Wort, so aus meinem Munde geht, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, das mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ichs sende.“ Und somit wären wir also fertig, und könnten sogleich zum Schlussgebet übergehen, unsern Gott und Heiland, von dem alle Gnade kommt, anzurufen, dass er dem Worte, welches wir verbreiten, seinen Segen für recht Viele gebe, und dass unsere Bibelgesellschaft den Zweck, zu dem sie gestiftet ist, erreiche an den Seelen, die durch ihren Dienst das Wort Gottes empfangen, zum Preise des Namens Jesu Christi, in welchem allein Heil für alle Menschen ist. Doch halt! Eine Einwendung erhebt sich, und stellt unsere ganze Wirksamkeit in die Frage: Ihr habt euch zur Aufgabe gewählt das Wort Gottes zu verbreiten? Ist denn die Bibel Gottes Wort? Schon früher haben sich mächtige Stimmen erhoben, die das Gegenteil behaupteten, und in neuester Zeit sind ausgezeichnete Männer aufgetreten, die wissenschaftlich dargetan haben, dass man die Bibel nicht eigentlich Gottes Wort nennen darf, sondern dass neben manchem Nützlichen doch auch manches Unnütze, Irrige, Widersprechende darin enthalten ist, welches man nicht als von Gott kommend annehmen kann.

Diejenigen, welche so sprechen, geben zwar zu, dass in der Bibel auch viel Gutes sich finde, aber sie wollen sich nicht unter ihre Aussprüche als unter die göttliche Wahrheit beugen, sondern sich mit ihrer Vernunft darüber erheben und ausscheiden, was sie nicht als brauchbar anerkennen. Für sie gilt es nichts mehr, wenn Christus sagt: „Es steht geschrieben!“ Das ist ihnen kein Glaubensgrund, und darum scheinen ihnen auch die Bibelgesellschaften überflüssig, oder höchstens doch zulässig, gleich andern Vereinen, welche sich bestreben, nützliche Bücher zu verbreiten, die von bloßen Menschen geschrieben sind, ohne besondere Eingebung des Geistes Gottes.

Wenn diese Gegner des göttlichen Ansehens der Heiligen Schrift Recht hätten, so wäre nicht nur unserm Bibelfeste und unserer ganzen Gesellschaft, nebst allen ihren Schwestern, die höhere Weihe genommen, sondern auch unsere evangelische Kirche, ja das Christentum überhaupt, hätte keine sichere Grundlage mehr, und der Glaube an Jesum Christum, auf den wir unsere Seligkeit erbauen, würde in das Gebiet der schwankenden Menschenmeinungen und des Wahnes verrückt, dass wir darin weder Licht, noch Kraft und Trost mehr finden im Leben und Sterben. Das will der Feind; darum sucht er unser Kleinod, die Bibel, uns zu verdächtigen und zu entreißen.

Teure Freunde, die Sache ist sehr bedenklich und wichtig. Es handelt sich nicht nur um die glaubensmutige Fortsetzung unserer Wirksamkeit im Gegensatz mit einer Kirche voller Menschensatzungen, deren Oberhaupt über die evangelischen Bibelgesellschaften das Anathema auszusprechen sich unterstanden hat; es handelt sich auch um die Existenz der ganzen evangelisch-christlichen Kirche, die auf der Anerkennung der Bibel als Gottes Wort beruht, und dadurch gegen alle Menschensatzungen protestiert; es handelt sich aber vorzüglich um der Seelen Seligkeit eines jeden Einzelnen unter uns, der im Glauben an die Heilige Schrift die göttliche Gewährleistung seines Friedens und seiner Hoffnung diesseits und jenseits des Grabes hat.

Darum wollen wir mit nüchternem Ernste und ruhiger Überlegung die Einwendungen der Gegner wider die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift ins Auge fassen, und uns fester als je auf den Fels unseres allerheiligsten Glaubens zu gründen suchen, um, trotz aller Widersacher, uns des Zurufs Christi zu getrösten: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“

Nach einem alten anerkannten Grundsatz kann man keine Streitfrage untersuchen gegenüber denen, die den ersten Grundsatz leugnen, von welchem man ausgehen muss. Wir streiten also nicht mit solchen, die eine Eingebung durch den heiligen Geist geradezu für unmöglich erklären, oder überhaupt keinen heiligen Geist anerkennen, ja wohl gar das persönliche Dasein Gottes leugnen, wie dies im Materialismus und Pantheismus geschieht; diesen sagen wir nur mit der Heiligen Schrift: Du stehst tiefer denn die Heiden3). Die Teufel selber glauben mehr denn du4). Nur Toren können in ihrem Herzen sprechen: Es ist kein Gott5). Ich will nicht mit dir disputieren; frage du das Vieh, das wird dichs lehren6)!

Wenn wir die besondere göttliche Eingebung der Heiligen Schrift behaupten, so tun wir es:

  1. Jenem philosophierenden Unglauben gegenüber, welcher mit scheinbarer Achtung für Christus, sich doch wider die göttliche Offenbarung erhebt, indem er behauptet, die natürliche Vernunft des Menschen stehe ebensowohl unter der Wirkung des Heiligen Geistes in uns, wie in den Propheten und Aposteln, und sei darum ein Richter über die Heilige Schrift;
  2. Dem schwärmerischen Aberglauben gegenüber, welcher vorgibt, eine innere Offenbarung, ein inneres Wort zu haben, das er für höher achtet als das geschriebene Wort Gottes;
  3. Der unwahren Behauptung der römischen Kirche gegenüber, die sich rühmt, eine Überlieferung zu besitzen, ein ungeschriebenes Wort, welches ihrer Geistlichkeit die Schrift erklärt, und die menschlichen Zusätze rechtfertigt, die sie zum Worte Gottes und im Widerspruch mit demselben den Christen zu glauben befiehlt.

Die ersten wollen die Freiheit des Menschen behaupten, ohne sich an Gottes Wort zu kehren; die andern maßen sich die Freiheit an, eine neue, selbsterfundene Ordnung den Menschen als göttlich aufzulegen; die dritten wollen alle Freiheit vernichten unter dem Vorwand einer nicht in der Heiligen Schrift begründeten göttlichen Ordnung. In Jesu Christo aber sind Freiheit und Ordnung wunderbar verbunden; alles harte menschliche Joch nimmt er von uns ab, bietet uns aber dagegen sein sanftes Joch dar, und gibt der Seele Ruhe, die an Ihn als ihren großen Lehrer glaubt, der uns stets auf die Heilige Schrift verweiset.

Wer nun die Bibel angreift, und ihr die göttliche Eingebung streitig macht, nimmt Jesum Christum nicht mehr als Lehrer an, und leugnet seine Wahrhaftigkeit.

Über die Art der göttlichen Eingebung der Heiligen Schrift wollen wir kein System, keine Theorie aufstellen; aber wir erkennen es als eine Tatsache, dass alle Schrift, das heißt die ganze Bibel in der Gesamtheit ihrer kanonischen Bücher, von Gott eingegeben ist; darum haben wir für die Heilige Schrift ein unbegrenztes Zutrauen und eine tiefe Ehrfurcht; wir glauben daran, wie wir an Jesum Christum den Gottmenschen glauben; und so wenig wir es vermögen, zu erklären, wie in dem Einen Christo die Gottesnatur und Menschennatur verbunden sind, so wenig vermögen wir's zu erklären, wie bei der Eingebung der Heiligen Schrift das Göttliche und das Menschliche sich verschmolzen haben; aber dass beide darin vorhanden sind, ist uns heilige Gewissheit des Glaubens, sie ist gottmenschlich, wie Christus selbst.

Da die Heilige Schrift nicht nur für eine gewisse vergangene Zeit, sondern für alle Zeiten, bis an das Ende der Tage gegeben worden, so redet sie auch für alle Zeiten, die bei ihrer Abfassung noch zukünftig waren, und vorzüglich für die letzte Zeit, in der wir leben. Gleich den Geheimnissen in der alten und neuen Schöpfung, erscheint uns auch die Art der Eingebung der Heiligen Schrift als ein Geheimnis; sie ist aus der Kraft des göttlichen Lebens hervorgegangen; wie aber überhaupt das Leben wirkt, kann kein Mensch erklären; doch dass es wirkt, ist für Alle unbezweifelte Gewissheit, denn das Leben zeugt von sich selber. So zeugt auch der Heilige Geist von sich selber, und gibt denen, die seinen Zeugnissen trauen, einen unerschütterlichen Grund des Glaubens, wie denn geschrieben steht 1. Joh. 5,6: „Der „Geist ist es, der da zeugt, dass der Geist Wahrheit ist,“ das heißt: die Gewissheit der Eingebung der Heiligen Schrift wird uns vom heiligen Geist selber dargetan, damit wir zuversichtlich glauben dürfen, dass, was geschrieben steht in der Heiligen Schrift, echte, lautere Wahrheit ist.

Die göttliche Wahrheit bietet uns ein dreifaches Zeugnis dar:

  1. Sie kündigt sich als Wahrheit an im Gewissen eines jeden redlichen Menschen;
  2. Die Gottesmänner älterer und neuerer Zeit haben an dieser Wahrheit festgehalten;
  3. Der wahrhaftige Gott bürgt uns selber dafür in seinem Wort.

Wer diese Zeugnisse aufnimmt, bekommt eine innere Glaubenskraft, die ihm die Bibel unendlich teuer macht; keine menschliche Gelehrsamkeit kann diese Gewissheit geben, keine gelehrten Zweifel und Angriffe vermögen dieselbe zu rauben, wenn ein Mensch sich nicht durch den Selbstbetrug der Sünde des eigenen Herzens dawider auflehnt.

I. Zeugnis für die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift im Gewissen eines jeden redlichen Menschen.

Die Hauptfrage für einen Jeden, der nicht in den Lüsten und Sorgen der Welt so untergetaucht ist, dass er seinen gefährlichen Zustand nicht mehr erkennt, ist die Frage: Was soll ich tun, dass ich selig werde? oder damit gleichbedeutend: Was vermag meiner Seele den Frieden mit Gott zu geben, damit ich Tod, Gericht und Ewigkeit nicht mehr zu fürchten habe?

Die Weisheit dieser Welt, gewöhnlich Philosophie genannt, sucht die Antwort auf diese Frage im eigenen Geist, welcher sich im Wesen des Reiches dieser Welt umhertreibt.

Die göttliche Weisheit, das wahre Christentum, lehrt uns die Antwort aus dem Munde Gottes vernehmen, der als Heiliger Geist sich in der Bibel kund tut, die uns das Gottesreich offenbart.

Würde ein Mensch von Jugend auf der göttlichen Weisheit folgen, so wäre sein Gang geordnet, sein Leben ein richtiger Wandel zum seligen Ziel, durchs Gnadenreich ins Reich der Herrlichkeit, und er könnte in jedem Augenblick mit Freuden sagen: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!“7). Doch die Meisten verlassen in späteren Jahren den kindlichen Glauben an die Heilige Schrift; sie wollen schauen, statt zu glauben. Die Weisheit dieser Welt labt sie und führt sie in die Irre. Da entfernen sich die Menschengeister von Gottes Reich, dem sie im Zustand der Kindheit näher waren, sie gehen hin und wieder auf eigener Spur, und ach! manche gehen trostlos verloren!

Von den Irrenden schauen wohl Viele noch dann und wann in die Zeit zurück, da sie kindlich glaubten, und seufzen:

O der Weisheit, die den Glauben ärmer,
Und die Wahrheit doch nicht reicher macht!

Sie erkennen den Zustand des Glaubens als einen beneidenswerten, aber sie können nicht mehr glauben, weil die menschliche Wissenschaft ihnen den Standpunkt verrückt hat; trostlos stehen die redlichen Zweifler, wie vor einem dunklen Abgrunde. Sie fühlen es, dass sie nicht sind, wie sie sollten; Gottes Gesetz kündigt sich in ihrem Gewissen an, sie ahnen das zukünftige Gericht, und suchen sich mit eigenen Gedanken von Gottes Güte zu beschwichtigen, aber es haftet nicht, es ist ihnen klar, dass der Mensch etwas Höheres bedarf, an das er sich halten könne.

Für solche Seelen ist nun die Bibelgesellschaft, welche ihnen das Wort Gottes in seiner Lauterkeit anbietet, jener Engel, der ein ewiges Evangelium trägt zu verkündigen denen, die auf Erden sitzen und wohnen8).Nimm, so sagt die ewige Liebe, nimm dieses Buch der Bücher, bitte um den heiligen Geist und dann suche und lese ohne Kommentar und menschliche Deutung; es wird nicht an Einem fehlen9). - Und siehe, aus dem stillen, anhaltenden Lesen, mit Andacht und Gebet, geht ein Gnadenwerk hervor, das der Mensch nicht für möglich hielt, das aber als beseligende Gewissheit sich ankündigt, wie die Genesung eines Kranken, der eine Heilquelle benützt.

Auch ich Ärmster darf zum Preise Gottes rühmen: Er sandte sein Wort und machte mich gesund, und rettete mich, dass ich nicht starb10).

Das Zeugnis des Geistes Gottes im Gewissen der Redlichen, welche die Heilige Schrift nicht mit Schalksaugen, sondern mit klarem einfältigem Auge lesen11), ist vielfältig; doch können wir dasselbe zur Übersicht in folgende sieben Punkte zusammenfassen. Die Heilige Schrift lehrt uns:

  1. Die Menschheit ist ein gefallenes Geschlecht, welches durch die Sünde sich selber verderbt; das beweist uns die Geschichte des ganzen Volkes Israel und vieler einzelnen ausgezeichneten Glieder desselben;
  2. Das Gesetz Gottes spricht über jeden Sünder das Todesurteil aus, und ist dabei dennoch heilig, recht und gut;
  3. Kein natürlicher Mensch kann sich selbst vom Tode erretten, denn keiner hat dem Gesetz Genüge geleistet;
  4. Im alten Bund ist eine Erlösung der Menschheit angekündigt; durch den Glauben daran wurden Henoch, Noah, Abraham und andere Fromme der Vorzeit begnadigt, und die Hoffnung auf den zukünftigen Erlöser war ihre Kraft und ihr Trost;
  5. Im neuen Bund ist der Erlöser erschienen, in der Person Jesu Christi, des Sohnes Gottes, der Mensch geworden, und sein Leben für uns und für Viele zur Erlösung gab;
  6. Eine einzige Bedingung ist uns vorgeschrieben, um an dieser ewigen Erlösung Teil zu haben; es ist der Glaube an Jesum Christum, und an die versöhnende Kraft seines Blutes, das uns reinigen kann von aller Sünde;
  7. Wenn dieser Glaube wahrhaftig in uns lebt, so führt er eine völlige Erneuerung unsers Herzens und ganzen Wesens herbei, die sich kund tut in einem gottseligen Wandel, und uns stufenweise im Gnadenreiche auf Erden bereitet zum Eingang ins Reich der ewigen Herrlichkeit, dazu uns Christus berechtigt und berufen hat.

Was die Gnade Gottes an den Gläubigen des alten und neuen Bundes getan, steht in der Heiligen Schrift zum trostvollen Zeugnis für alle Zeiten, und ein jeder nach seiner Seligkeit aufrichtig verlangender Leser derselben zieht daraus den Schluss, dass diese rettende Gnade auch ihm angeboten ist; sein Gewissen treibt ihn, Dem zu trauen, der hohes priesterlich zum Voraus für Alle gebetet hat, die durch das Wort an ihn glauben werden12). Und siehe, das Gotteswerk der Glaubenskraft beginnt auch schon in seiner Seele13); er macht an sich selber die mächtige Erfahrung, von der Jesus Christus weissagend zeugt14).

Hat einmal der Gläubige die Gewissheit seiner Begnadigung ergriffen, so schließt sich ihm wie von selbst die Heilige Schrift nach und nach auch in den Teilen auf, die ihm bis dahin noch dunkel und unzugänglich waren. Die Heilige Schrift hat nämlich das Eigentümliche, dass sie zum Voraus alles dasjenige enthält, was jedes wahre Bedürfnis des innern Lebens befriedigen kann auf allen Entwicklungsstufen des Christentums. Sie ist einem unermesslichen Vorratshause zu vergleichen, in welchem eine Menge von Wandschränken sich finden, deren jeder wieder einzelne Schubfächer hat. Einem Ungläubigen ist Alles verschlossen, und er liest die Bibel nutzlos; denn der Glaube ist der Schlüssel zu allem, was uns die Bibel darbietet. Allein der Anfänger ist noch nicht geschickt diesen Schlüssel überall anzuwenden; ihm gehen zuerst nur die Teile der Schrift auf, in denen das Notwendigste für das beginnende Leben dargeboten wird; die Heilige Schrift nennt es Milch der Lehre15). Wer nun verständig ist, begnügt sich vorerst damit und zerquält sich nicht eigensinnig an dem, was ihm noch verschlossen bleibt. Schon mancher Anfänger hat seine unlautere, ungeduldige Neugierde schwer büßen müssen, weil er sich zutraute und anmaßte, sogleich mit Gewalt aufzubrechen, was ihm für später bestimmt war; mancher hat seinen Schlüssel, den Glauben, darüber verdreht oder zerbrochen; hätte er demütig gewartet, so wäre ihm das Verschlossene nach und nach von selbst mit großem Segen aufgegangen.

Der unbescheidene Anfängersglauben ist immer in Gefahr, entweder in völligen Unglauben zurückzusinken oder in hochmütigen Wahn und gefährliche Schwärmerei sich zu versteigen. Gott widersteht den Hoffärtigen, nur den Demütigen gibt er Gnade; und die Bibel ist das vorzüglichste Gnadengeschenk, darin sich das Wesen Gottes spiegelt, von welchem David so bedeutsam zeugt16): „Bei den Heiligen bist du heilig, und bei den Frommen bist du fromm; bei den Reinen bist du rein, und bei den Verkehrten bist du verkehrt. Du hilfst dem elenden Volk, und die hohen Augen niedrigst du. Denn du erleuchtest meine Leuchte; der Herr, mein Gott, macht meine Finsternis Licht.“

Wenn die Menschen mit Meinungen auftreten, welche die ganze heilige Schrift, oder einzelne Teile derselben tadeln und verwerfen, so soll uns das nicht irre machen; es ist eine Folge ihres natürlichen Unvermögens; sie haben sich vom Stolz ihres unbekehrten oder nur halberleuchteten und wieder verfinsterten Herzens betören lassen, und sich als Empörer aufgelehnt gegen den Ratschluss Gottes, nach welchem die Erkenntnis der Wahrheit stufenweise gehen soll, von Glauben in Glauben17). Da wo der demütige Glaube an Christum, den Allerdemütigsten, mangelt, hängt die Decke vor dem Herzen; wenn es sich aber bekehrt zu dem Herrn, so wird die Decke abgetan18). Die Gotteskinder werden verklärt von einer Klarheit zur andern, als vom Herrn, der der Geist ist. In einer großen Anzahl von treuen Jüngern des Herrn spiegelt sich seine Klarheit mit aufgedecktem Angesicht; und wenn sie gleich auf verschiedenen Stufen dieser Klarheit stehen, so stimmen doch alle wahren Christen darin überein, dass die ganze heilige Schrift Gottes Wort und darum ewige Wahrheit ist.

II. Zeugnisse der Gottesmänner älterer und neuerer Zeit.

Das ist die zweite und zwar geschichtliche Bürgschaft für die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift.

An der Spitze dieser Gottesmänner steht der Wahrhaftige, der Gottmensch Jesus Christus selber, welcher in der Zeit seines Prophetenamtes das ganze Alte Testament beglaubigt hat; denn von demselben redend spricht er19): „Die Schrift kann nicht gebrochen werden!“ - Moses, die Propheten und die Psalmen, sind ihm, auch nach seiner Auferstehung, Bürgen der ewigen Wahrheit20).Im Kampf mit dem Widersacher und Lügner von Anfang hat er keine andere Waffe als die Heilige Schrift. „Es steht geschrieben!“ ruft er ihm drei Mal entgegen, und schlägt ihn damit aufs Haupt21). Und dass David in seinen Psalmen durch Eingebung des Heiligen Geistes geredet hat, bezeugt Christus ausdrücklich, indem er die Schriftgelehrten durch einen einfachen Vers verstummen macht22): „Wie nennt denn David im Geiste Christum einen Herrn, da er sagt: Der Herr hat gesagt zu meinem Herrn: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich lege meine Feinde zum Schemel deiner Füße.“

Dass die Apostel und alle Verfasser des Neuen Testamentes das Alte Testament als Gottes Wort und Werk des Heiligen Geistes betrachteten, wollen wir gar nicht weiter ausführen; denn die Beweise sind zu zahlreich in Matthäus und Johannes, Petrus und Paulus, Jakobus und Judas. Die häufigen Zitate aus den Büchern des alten Bundes sind ein Zeugnis der ewigen Wahrheit, und wenn auch manche Zweifler das apostolische Wort dem Worte Christi hintan setzen möchten, so gibt ihnen Christus, der treue und wahrhaftige Zeuge, doch seine Beglaubigung auf die feierlichste Art, in dem Ausspruch23): „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Also entweder müssen wir Christum und seine Apostel verachten, oder wir müssen annehmen, dass die Schriften des Alten Testamentes, im Lichte des neuen Bundes betrachtet, bei Glaubenssachen entscheidendes Ansehen haben, was aber nur dann möglich ist, wenn sie wirklich vom Geiste Gottes stammen, der nicht irren kann.

Man hat in der neuesten Zeit zu behaupten angefangen, dass die Berufung auf das Ansehen der Heiligen Schrift eine Erfindung des Protestantismus sei, und der römische Papst hat den Grundsatz: Die Autorität der Heiligen Schrift stehe höher als die Autorität der Kirche, als ketzerisch verworfen; lasst uns darum hören, was die ersten Kirchenväter, die Glaubensmänner der ältesten Zeit der christlichen Kirche, von der Heiligen Schrift gesagt haben:

Clemens Romanus, von dem der Apostel Paulus selber schreibt, er gehöre zu seinen Gehilfen, deren Namen in dem Buch des Lebens stehen24), hat eine große Epistel an die Korinthergemeinde gerichtet, und sagt darin Kap. 45): „Forscht sorgfältig in der Schrift, denn es ist die wahrhaftige Weissagung des Heiligen Geistes.“

Ignatius von Antiochien, ein Schüler des Evangelisten Johannes, welcher am Anfange des zweiten Jahrhunderts als Märtyrer starb, sagt in seiner Epistel an die Gemeinde zu Smyrna (Kap. 5): „Wer sich nicht durch die Propheten noch durch das Gesetz Mose, noch durch das Evangelium Jesu Christi überzeugen lässt, der verleugnet den Herrn, und der Herr wird solchen auch verleugnen.“ - Und in der Epistel an die Philadelphier schreibt er (Kap. 5 und 9): „Trachtet nach dem Evangelium, denn in ihm ist die Person Jesu Christi. - Das Evangelium ist die Fülle des Unvergänglichen.“

Polycarpus zu Smyrna, ein anderer Schüler Johannis, ermahnt in seinem Brief an die Philipper (Kap. 3) die Christen, täglich sich zu erbauen auf ihrem Glaubensgrunde, und sagt ihnen nachdrücklich: „Paulus hat euch vollkommen das Wort der Wahrheit gelehrt, und euch Briefe geschrieben, auf die ihr merken sollt, um zu wachsen im Glauben, der euch gegeben ist.“ Und Kap. 11 schreibt er: „Wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden, wie Paulus lehrt?“

Justin der Märtyrer, welcher lange Zeit ein heidnischer Philosoph gewesen, erklärt schon in der Mitte des zweiten Jahrhunderts, dass er und sein Schüler Tatian durch das Lesen der Heiligen Schrift Christen geworden seien25).

„So hohe Dinge,“ schreibt er26), „können nicht durch Menschengedanken erkannt werden, sondern nur durch eine himmlische Eingebung, welche über die heiligen Menschen kam. Sie bedurften keiner Beredsamkeit noch Kunstregeln, sondern überließen nur ihre gereinigten Seelen dem Einfluss des Heiligen Geistes.“

Ähnliches haben Ireneus und Clemens von Alexandrien am Ende des zweiten Jahrhunderts geschrieben; letzterer sagt ausdrücklich27): „Die Ketzerei besteht nicht in diesem oder jenem Irrtum, sondern darin, dass man sich der Autorität der Heiligen Schrift entzieht und in sich selber (in der eigenen Vernunft) den Glaubensgrund sucht. Die solches tun, sind den bösen Schulknaben gleich, welche ihren Lehrmeister vertreiben: man weiß wohl warum!“

Der berühmte Origenes, Schüler des Clemens von Alexandrien, stimmt mit allen vorher Genannten überein. Eine wichtige Stelle aus seinen Homilien28) möchte ich hier besonders hervorheben: „Kein Wort der Heiligen Schrift ist ohne Gottesweisheit; denn da Gott zu den Menschen gesagt hat, 2 Mos. 34,20: dass Niemand vor mir leer erscheine! sollte er etwas reden, das leer wäre? Nehmen ja doch die Propheten, wie sie selber sagen, aus seiner Fülle. Überall, in den Propheten, im Gesetz, im Evangelium, in den apostolischen Schriften, kommt Alles aus dieser Fülle; wer nur Augen hat zu sehen, Ohren zu hören, einen Sinn für die Offenbarung Gottes, der merkt auch das Wehen der Gottesfülle in der Heiligen Schrift.“

„Sollte es dir aber einmal geschehen beim Lesen derselben auf einen Gedanken zu treffen, der für dich ein Stein des Anstoßens, ein Fels der Ärgernis wäre, alsdann klage nur dich selber an! verzage auch nicht darüber, sondern sei gewiss, dass dieser Stein des Ärgernisses solche Gedanken in sich fasst, dass daran in Erfüllung geht, was geschrieben steht: „Wer glaubt soll nicht zu Schanden werden!- Glaube nur und du wirst finden, dass was dir ein Anstoß geschienen hat, ein großer Gewinn für dich geworden ist.“

Zum Schluss dieser Reihe der Zeugen aus frühester Zeit lasst uns noch ein Wort von Cyprian zu Karthago beherzigen, der ebenfalls als Märtyrer starb. Er ermahnt in seiner Epistel stets sich zur Heiligen Schrift zu wenden, um daraus Weisheit, Rat und Leben zu schöpfen. Wenn eine Wasserleitung (so sagt er Epist. 74), in welcher früher das Wasser reichlich floss, plötzlich austrocknet, was macht man? - Man geht zur Quelle!

Alle diese Männer haben vor Constantin dem Großen, der dem Christentum den weltlichen Arm lieh, gelehrt, gewirkt und gelitten. Auch nach ihm, noch im vierten und fünften Jahrhundert gaben einige ausgezeichnete Gottesmänner wie Hieronymus, Chrysostomus und Augustin kräftige Zeugnisse für das göttliche Ansehen der Heiligen Schrift; letzterer sagt sogar ausdrücklich: „Man soll den katholischen Bischöfen nicht beistimmen, wenn sie eine Ansicht haben, die den kanonischen Büchern Gottes zuwider ist29).“

Aber nach und nach ging die Theologie in die Schulgelehrsamkeit oder Scholastik über; statt des Glaubens an das göttliche Ansehen der Heiligen Schrift, wurde das Ansehen von Doktoren aufgestellt, und manche Ursachen vereinigten sich, dem Volk das Licht des Lebens, das geschriebene Wort Gottes zu entziehen; doch treten in den Finsternissen des Mittelalters stets noch einzelne Lichtpunkte hervor, und vom zwölften bis zum fünfzehnten Jahrhundert vernimmt man wieder Stimmen in der Wüste, die auf das Buch der Bücher hinweisen: Peter Waldus, Johann Wiclef, Johann Hus.

Aus dem Allen sehen wir, dass es nicht eine Erfindung des Protestantismus ist, wenn das Ansehen der Heiligen Schrift höher gestellt wird als alle menschlichen und kirchlichen Autoritäten; mag nun der Papst Pius IX (in seinem Hirtenbrief aus Portici) erklären, dass der Bibelglaube eine Plage für die Kirche ist, so klagt er dadurch nicht unsere Reformation, sondern die ältesten Kirchenväter an. Allerdings ist der Bibelglaube eine Plage für das Papsttum, welches gar nicht mehr bestehen könnte, wenn die Protestanten dem Glauben an die Heilige Schrift treuer geblieben wären; allein durch das Abweichen davon und den Widerspruch dagegen haben sie den Feinden der evangelischen Kirche neue Kraft gegeben. Hört nur, was der Ablasskrämer Johann Tetzel darüber sagt, in seinen Thesen, die er wider die Thesen Luthers aufstellt (Thesis 17): „Man muss die Christen lehren, dass die Kirche, als gewisse Artikel in der katholischen Wahrheit, mehrere Punkte festhält, die sich nicht in der Sammlung der heiligen Schriften befinden.“

Die Kirche Christi ist im Glauben an die Heilige Schrift von Anfang an begründet worden, und die Reformation oder Wiederherstellung der Kirche ist aus dem erneuerten Glauben an die Heilige Schrift hervorgegangen. Ich will hier nicht in das Einzelne eingehen, sondern nur darauf hinweisen, dass die evangelische Lehre eigentlich in zwei Hauptstücken beruht:

  1. In der Rechtfertigung des Sünders vor Gott, durch den Glauben an Jesum Christum;
  2. In der Anerkennung des höchsten Ansehens der Heiligen Schrift bei allen Glaubensartikeln.

Aus diesen zwei Grundsätzen sind alle reformatorischen Bestrebungen in Sachsen, in der Schweiz, in Frankreich und namentlich auch in Straßburg hervorgegangen; man kann auf das Entschiedenste behaupten, dass ein Jeder, der nicht die Rechtfertigungslehre und die Autorität der Bibel anerkennt, eben dadurch aufhört ein evangelischer Christ zu sein. Durch die Abschwächung dieser Grundsätze im christlichen Bewusstsein wird der Protestantismus entkräftet; ersterben dieselben im Volke, so sinkt die protestantische Kirche in den Tod.

Der Gehorsam unter die Heilige Schrift machte die Reformatoren frei von der menschlichen Bevormundung. Mit der Heiligen Schrift kämpften sie siegreich wider die furchtbaren Mächte der Welt und Finsternis. Dieser Gehorsam ist aber auch jetzt noch unerlässlich, denn wo kein Gehorsam gegen Gottes Wort ist, kann die Freiheit des Glaubens nicht bestehen. Doktor Luther, der die beseligende Kraft der rechtfertigenden Gnade schon früher (1512) an sich selbst erfahren hatte, sagt im Kampf mit seinen Gegnern (1519): „Man darf keinen Christen zwingen, etwas zu glauben, außer durch die Heilige Schrift, welche ganz eigentlich das göttliche Recht ist.“ In demselben Jahre schrieb Melanchthon (siehe seine Verteidigung gegen D. Eck): „Es gibt nur Eine Schrift vom Himmel eingegeben, rein und in allen Stücken wahrhaftig, welche man die kanonische nennt. Diese ist uns gegeben, damit wir mit ihr, wie an einem Prüfstein, die Meinungen und Aussprüche der Menschen vergleichen.“ Im Jahr 1520 sagte der englische Reformator Tyndal30): „Wenn die Christen die Heilige Schrift in ihrer Muttersprache besäßen, könnten sie selber den Priestern widerstehen. Ohne die Bibel ist es unmöglich, die Wahrheit aufrecht zu halten.“ Und nun entschloss er sich die Heilige Schrift ins Englische zu übersetzen.

Im Jahr 1523, bei einem Religionsgespräch, sagte der Zürcher Reformator Zwingli zu dem päpstlichen Vikar von Konstanz, welcher vorschlug sich auf einige Universitäten zu berufen: „Es ist nicht nötig! wir haben schon einen unparteiischen und untrüglichen Richter an der Heiligen Schrift; dieser kann weder irren noch trügen.“

Calvin, der 1535 als Reformator in Genf auftrat, schreibt (in einer Schrift, die den Titel führt: Gegengift wider die Artikel der theologischen Fakultät in Paris): „Wenn eine Streitfrage entsteht, soll sie nicht nach dem Gutdünken der Menschen entschieden werden, sondern allein nach Gottes Wort. Weil heut zu Tag die Welt in so großer Verwirrung liegt, wegen den Meinungsunterschieden, so gibt es kein anderes Heilmittel: wir müssen zur Schrift unsere Zuflucht nehmen.“

So ist also die Kirche Gottes in älterer und neuerer Zeit darin ganz einstimmig, dass die Heilige Schrift allein die höchste Geltung und Entscheidung hat. - Warum? - Weil die Heilige Schrift das Werk des Heiligen Geistes ist. Die protestantische Kirche ist nicht eine Neuerung. Der wahre Protestantismus, welcher darin besteht, dass die Gläubigen allen schriftwidrigen Irrtümern Widerstand leisten, ist so alt als die Kirche Christi selber. Der Apostel Paulus ist ein Protestant, wenn er schreibt31): „So auch wir, oder ein Engel vom Himmel, euch würden Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht.“

Wo die Heilige Schrift oben an steht, da findet sich auch dieser echt evangelische Protestantismus. Gäbe er die Heilige Schrift auf, so gäbe er sich selber auf und würde ein Unding; wie wir denn in unsern Tagen genug Leute sehen, die sich Protestanten nennen, indem sie wider das Ansehen der Heiligen Schrift sich auflehnen und dadurch die philosophische Negation, die Leugnung der ewigen Wahrheit, als ein auflösendes, tötendes Gift in die Kirche Gottes bringen; denn Christus hat gesagt (Matth. 12, 30): „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“

Wenn die Wirksamkeit der Bibelgesellschaften mächtige Gegner hat, und der Feind Alles versucht, um das Kleinod des Wortes Gottes der Menschheit zu rauben, so können wir dennoch getrost sein, wir haben auch eine große Anzahl treuer und auserwählter Zeugen für uns; und ist uns nur die Heilige Schrift einmal aus Erfahrung in unserm eigenen Gewissen bewährt, so erhebt uns das Zeugnis, das sie von sich selber gibt, über alle Zweifel.

Freilich wird der Unglaube hier einwenden: Der Beweis für die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift durch ihre eigenen Aussprüche kann nicht gelten; denn wie kann man zirkelförmig behaupten: die Schrift ist von Gott eingegeben, weil es darin steht, dass sie von Gott eingegeben sei? - Allerdings, wenn dies der einzige Beweis wäre, so würde er nichts gelten im Angesichte der Widersacher; allein wir haben zwei andere Beweise vorangestellt, den Erfahrungsbeweis und die geschichtliche Beglaubigung. Unser dritter Beweis, von dem wir zuletzt reden werden, ist mehr dazu bestimmt, den Seelen, die noch nicht ganz im Glauben befestigt sind, eine freudige Gewissheit zu geben, damit sie nicht verzagen, wenn sie die zahllosen, oft sehr künstlichen Angriffe wider das Ansehen der Heiligen Schrift vernehmen, sondern sich stets des Wortes Christi getrösten: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“

III. Zeugnisse Gottes in der Heiligen Schrift für ihre göttliche Eingebung.

Wir wollen hier in gedrängter Übersicht nur einige der wichtigsten Aussprüche vernehmen, eingedenk dessen, was Johannes schreibt32): „So wir der Menschen Zeugnis annehmen, so ist Gottes Zeugnis größer; denn Gottes Zeugnis ist das, das er gezeugt hat von seinem Sohn. Wer Gott nicht glaubt, der macht ihn zum Lügner.“

Christus fordert, dass wir seinen Zeugnissen glauben33): „Ich bin es, der ich von mir selbst zeuge, und der Vater, der mich gesandt hat, zeugt auch von mir.“ Er spricht sehr ernst wider die Jünger, welche im Glauben wanken34): „O ihr Toren und trägen Herzens, zu glauben allem dem, was die Propheten geredet haben.“ Und den Sadduzäern, die mit ihren spitzfindigen Fragen kamen, erwidert er trocken35): „Ihr irrt, und wisst die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes.“ Er selber ging, gehorsam dem Wort, seinen ganzen Erdenlauf, von der Krippe bis zum Grab, und was er redete und tat, auch am Kreuz noch, geschah: „Auf dass die Schrift erfüllt würde“36).

Es gibt Gegner des Ansehens der Heiligen Schrift, die behaupten, dass in derselben ihre göttliche Eingebung nicht ausdrücklich gelehrt sei. - Wir begreifen nicht, wie man so etwas aussagen konnte; denn vielfältig ist es bezeugt, dass die heiligen Männer Gottes geredet haben, getrieben von dem heiligen Geist, und dass wir darum ein festes prophetisches Wort besitzen, an das wir uns halten sollen.

Zuerst gibt Christus selber seinen Aposteln die Verheißung37): „Der Heilige Geist wird euch zur rechten Stunde lehren, was ihr sagen sollt!“ Dürften wir nun wohl annehmen, dass die Apostel den heiligen Geist nur für die Augenblicke empfingen, da sie sich vor ihren feindlichen Zeitgenossen zu verantworten hatten, und nicht auch für die Abfassung der Schriften, welche auf lange Jahrhunderte bis an das Ende des Glaubenskampfes den Widerspruch des Weltgeistes auszuhalten bestimmt waren, und welche so wichtig sein sollten zur Erhaltung der seligmachenden Wahrheit, und zur Stärkung der Gläubigen gegen die Verführungskünste der falschen Weisheit? - O gewiss; derselbe Heilige Geist, der die Apostel in alle Wahrheit leitete38), der sie Alles lehrte und sie erinnerte an Alles, das ihnen der Herr gesagt hatte39), waltete auch über der Abfassung der heiligen Schriften des alten und neuen Bundes. - Darum sagt der Apostel Paulus in seiner zweiten Epistel an Timotheus, welche der Zeit nach die letzte ist, die er geschrieben: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben“40); und Petrus erklärt, dass die, so uns das Evangelium verkündigt haben, taten es „durch den heiligen Geist vom Himmel gesandt“41). „Das Geheimnis Christi,“ sagt Paulus, „ist offenbart seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den heiligen Geist42); denn „das in keines Menschen Herz gekommen ist, und das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben, das hat uns Gott offenbart durch seinen Geist, welcher auch die Tiefen der Gottheit erforscht“43). Aus diesen Stellen, die wir noch vermehren könnten, erhellt aufs Deutlichste, dass die Worte der Apostel genau übereinstimmen mit der Verheißung ihres Herrn, die er bei der ersten Aussendung den Zwölfen gab: „Ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“44).

Sind die Apostel im Anfang schon eine Stimme Gottes für die Juden gewesen, so sollten sie es ja auch durch Wort und Schrift für die ganze Menschheit sein; denn der Herr hat zu ihnen an seinem Auferstehungstag gesprochen: „Gleich wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch; nehmt hin den heiligen Geist“45)! Geht hin in alle Welt und lehrt alle Völker“46). Das konnten sie jedoch nicht durch sich selber, sondern sie bedurften dazu der Kraft aus der Höhe, wie auch der Apostel Paulus bezeugt: „Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken als von uns selber, sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott“47); und er erklärt feierlich: „Ich habe das Evangelium von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi“48).

Diese Offenbarung Jesu Christi in den Aposteln, ist aber das Werk des Heiligen Geistes, der den Sohn Gottes in ihnen verklärte, wie verheißen war49): „Derselbige wird mich verklären, denn von dem Meinen wird er es nehmen und Euch verkündigen!“ Was nun der Heilige Geist zur Verherrlichung Jesu Christi den apostolischen Männern verkündigte, das haben einige derselben aufgeschrieben, damit wir für alle Zeiten einen gewissen Grund der seligmachenden Lehre haben. Johannes, welcher zuletzt von allen Aposteln das Wort des ewigen Lebens verkündigte, bemerkt auch ausdrücklich in seinem evangelischen Bericht50): „Diese sind geschrieben: auf dass ihr glaubt, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und dass ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ Am Anfang seiner ersten Epistel aber sagt er51): „Ihr seid wiedergeboren, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem Wort Gottes, das da ewig bleibt… Das ist aber das Wort, welches unter euch verkündigt ist.“

Wir könnten sagen: Das ist das Wort, das euch durch die Bibelgesellschaften dargeboten wird. Wer aber dieses Wort aufnimmt, und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter desselbigen, der wird selig sein in seiner Tat52).

Keine religiöse Überzeugung kann durch Vernunftgründe bewiesen werden. Die wahre Überzeugung vom Christentum ist die Wirkung eines neuen Lebens, welches aus dem Glauben an das Wort der Heiligen Schrift entspringt. So wie das durststillende Wasser und die Quelle, daraus es fließt; das nährende Brot und der Acker, daraus die Frucht erwächst; das erleuchtende und belebende Licht und die Sonne, daraus es uns zuströmt, zusammengehören, so gehören auch das wahre Christentum und die Heilige Schrift zusammen; nimmt man den Glauben an diese hinweg, so wird jenes bald aufhören, wie es schon öfters hin und wieder geschehen ist.

Der Glaube an die Heilige Schrift besteht aber darin, dass wir ihrer Wahrhaftigkeit trauen; weil der Heilige Geist Gottes, der Geist der Wahrheit, sie eingegeben hat. Die Theologie, als Wissenschaft, kann diesen Glauben nicht mitteilen; sie soll aber denselben als ersten Grund annehmen, und immerdar von demselben ausgehend darauf zurückkehren, sonst verliert sie den Boden unter ihren Füßen, und wird aus einer positiven eine negative Wissenschaft, welche nur Zweifel erregt, aber keinen Glauben erzielt, und die Kirche zerstört, anstatt sie zu bauen.

Das Christentum ist Tatsache, Erfahrung und Leben. Der geringste Christ kann mit der Heiligen Schrift alle falsche Wissenschaft widerlegen; wenn Zweifel, Widerspruch und Spott sich gegen die evangelische Wahrheit erheben, die in seinem Herzen lebt, so tritt er getrost mit der Bibel in der Hand wider alle falsche Weisheit und Gelehrsamkeit auf, ruft: Es steht geschrieben! und deutet auf die Stelle des Psalmes, der in 176 Versen das Wort Gottes preist, wo es heißt: „Ich bin gelehrter, denn alle meine Lehrer; denn deine Zeugnisse sind meine Rede“53)! Darum fahren wir auch getrost fort, das teuerwerte Bibelbuch durch unsere Gesellschaft zu verbreiten, und bieten einem Jeglichen, der da will, die Heilige Schrift an als Gottes Wort, darin durch den heiligen Geist der Same des ewigen Lebens liegt.

Teure Seelen, die ihr mit Ernst eure Seligkeit sucht, nehmt diesen Samen in euern Herzen auf und bewahrt ihn. Siehe, der Landmann streut im Glauben die köstliche Saat in den Acker; würde er nicht glauben, so täte er es nicht, und hätte keine Ernte zu hoffen.

Nur der Weg des Glaubens führt zum Schauen! O lasst euch nicht irren durch die, denen das Wort vom Kreuz Ärgernis oder Torheit ist; wäre der Feind noch so mächtig, Fürchtet euch nicht, glaubt nur! Selig, so ruft Er, der Die Wahrheit selber ist, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren54), denn Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!

1)
Matth. 4,4
2)
Jesaj. 55,10-11
3)
Röm. 1, 19. 20
4)
Jak. 2, 19
5)
Psalm 14, 1
6)
Hiob 12, 7-10
7)
Psalm 119,105
8)
Offenb. 14,6
9)
Jesaj. 34,16
10)
Psalm 107,20
11)
Matth. 6,22.23
12)
Joh. 17,20
13)
Joh. 6,29
14)
Joh. 7,17): „So Jemand will des Willen tun, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selber rede.“ Ja, deine Lehre ist Gottes Wort, ist ewige Wahrheit! so ruft der Gläubig-Gewordene voll Freuden aus, und hat nun den einzigen, ganz gründlich überzeugenden Beweis, den Erfahrungsbeweis in seinem Gewissen gefunden; er steht durch Taufe und Glauben im Bunde eines guten Gewissens mit Gott((1 Petr. 3, 21
15)
1 Korinth. 3,2; 1 Petr. 2,2
16)
Psalm 18,26-29
17)
Röm. 1,17
18)
2 Korinth. 3,15-18
19)
Joh. 10,35
20)
Luk. 24, 44
21)
Matth. 4,1-10
22)
Matth. 22,23-44
23)
Luk. 10,16
24)
Phil. 4,3
25)
Dialogus cum Triph. 7.
26)
Cohort. ad gent. 8.
27)
Siehe seine Opp. pag. 756-759.
28)
Hom. II, in Jerem.
29)
Siehe Aug. de unitate eccl., cap. 10.
30)
Tyndal's Works, I, 3.
31)
Gal. 1,8
32)
1 Joh. 5,9-10
33)
Johannes 8,17-18
34)
Lukas 24, 25
35)
Matth. 22,29
36)
Joh. 19,28
37)
Luk. 12,12
38)
Joh. 6,13
39)
Joh. 14,26
40)
2 Timoth. 3,16
41)
1 Pet. 1,12
42)
Ephes. 3,5
43)
1 Korinth. 2,9-10
44)
Matth. 10,20
45)
Joh. 20,21.22
46)
Matth. 28,19
47)
2 Korinth. 3,5
48)
Galat. 1,12
49)
Joh. 16,14.15
50)
Joh. 20,31
51)
1 Joh. 1,3.4): „Was wir gesehen und gehöret haben, das verkündigen wir euch, und solches schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei.“ In der Heiligen Schrift ist das Zeugnis des Heiligen Geistes niedergelegt, als ein lebendiger Same, welcher fähig und dazu bestimmt ist, das Herz, das ihn aufnimmt, zu erneuern und wiederzugebären zum göttlichen Leben. Solches vermag kein menschliches Wort; darum sagt Petrus((1 Petr. 1,22-25
52)
Jak. 1,18-25
53)
Psalm 119,99
54)
Luk. 11,28
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/haerter/haerter-das_goettliche_ansehen_der_bibel.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain