Wieviel kann beim anderen vorausgesetzt werden?

Wieviel kann beim anderen vorausgesetzt werden?

Beim Argumentieren ist immer der Gesprächspartner mitzubedenken. Der Forscher, der - z.B. in einem Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift - mit seine Fachkollegen kommuniziert, wird viele Grundbegriffe nicht erklären müssen; er kann auch all das unter den Fachleuten als richtig Anerkannte voraussetzen. Er kann es sich also ersparen, die Richtigkeit jeder seiner Aussagen zu beweisen, und muß trotzdem nicht befürchten, daß ihm „Unwissenschaftlichkeit“ vorgeworfen wird.

Ähnlich ist es, wenn Christen miteinander sprechen. Das gemeinsam Anerkannte - z.B. daß die Bibel Autorität besitzt - braucht nicht mehr bewiesen zu werden. Die Diskussion kann aber z.B. darum gehen, was die Bibel zur Frage des Verhaltens des Christen gegenüber dem Militärdienst sagt. Die verschiedenen Positionen werden dann - ausgehend von biblischen Aussagen - ihre Position als „biblisch“ darzulegen versuchen. Also: Ausgehend vom gemeinsam Anerkannten nähert man sich dem Umstrittenen.

Wenn ein Christ mit einem Nichtchristen spricht, kann er weniger als anerkannt voraussetzen, als er das gegenüber einem Gleichgesinnten tun könnte.

Wir werden im folgenden evangelistische/apologetische Texte betrachten und prüfen, wieviel sie voraussetzen - und fragen, ob das beim Zielpublikum tatsächlich vorausgesetzt werden kann.

Also: Was wird vorausgesetzt?

Wird der - andersdenkende - Gesprächspartner/Leser das Vorausgesetzte akzeptieren?

90 „Der Unterschied zwischen Buddha, Mohammed und Christus ist … auch der Unterschied in bezug auf das Leben. Es ist der Unterschied der Sündlosigkeit. … Erhebliche Sünde gab es auch im Leben Mohammeds, dieses Sohnes der arabischen Wüste, Sohn einfacher und ärmlicher Eltern. Sein Leben, auch die Zeit, da er als Begründer des Islam tätig war, ist von schweren sexuellen Verfehlungen belastet. Selbst seine Anhänger haben ihm deswegen ernsthafte Vorwürfe gemacht. Völlig anders ist es bei Jesus Christus. …. Christus blieb rein von jeder Beschmutzung durch die Sünde. Selbst seine Feinde, die Schriftgelehrten und Pharisäer, fordert er heraus und fragt sie: 'Wer kann mich einer Sünde zeihen?' Keiner konnte es, obwohl sie sein Leben fortwährend bespitzelten und argwöhnisch beobachteten. Sie mußten trotzdem verstummen. Machen wir uns klar: Keine Lüge, keine Lieblosigkeit, nicht eine Ungerechtigkeit, kein böses Wort, kein Neid, keine Unreinheit gab es in seinem Leben. Und doch begegnete ihm dies auf Schritt und Tritt in seinem Umgang mit den Menschen.“ „1)

91 „Eines der besten Argumente für die Auferstehung Jesu ist die simple Frage: Was geschah mit dem Leichnam? … Wir wollen die wichtigsten Theorien auf ihren Wert hin untersuchen. … Der Leib blieb im Grabe. … Schließlich läßt diese Theorie auch die Ausflüchte der jüdischen Führer unerklärt. Warum verfaßten sie eine so primitive Geschichte, daß die Jünger den Leichnam gestohlen hätten, wenn er doch noch da war? Wenn man einfach hätte sagen können: 'Seht doch, da liegt er, der tote Jesus!'2)

Betrachte die folgenden Texte: Wo wird zuviel - nämlich die Anerkennung der Richtigkeit und Echtheit der historischen Aussagen der Bibel - vorausgesetzt? Wo wird dagegen vom Standpunkt des Zweiflers ausgegangen?

92 „Warum höre ich immer Christen, die erfüllten Prophezeiungen als Beweis für die Inspiration der Bibel anführen? … Durch die Vorhersage von Personen, Orten und Ereignissen, Hunderte von Jahren bevor sie eintreffen, zeigt die Bibel eine Kenntnis der Zukunft, die zu genau ist, um als gute Vermutung abgetan zu werden. Durch Beispiele erfüllter Prophezeiungen legt die Schrift ein starkes Zeugnis für ihre eigene Inspiration ab. Ein Beispiel dafür wäre die Prophezeiung des Königs Cyrus (Jes. 44,28; 45,1). Der Prophet Jesaja, der um 700 v.Chr. schrieb, sagt Cyrus namentlich als den König voraus, der sagen wird, Jerusalem solle aufgebaut und die Fundamente des Tempels sollen gelegt werden. … So sagte Jesaja voraus, daß ein Mann namens Cyrus, der erst 100 Jahre später geboren werden sollte, den Befehl geben würde, den Tempel wieder aufzubauen, der zu Jesajas Zeit noch stand und erst über 100 Jahre später zerstört werden sollte. … Es gibt in der Tat buchstäblich Hunderte von Prophezeiungen, die künftige Ereignisse vorhersagen. … Gott hat mit Hilfe der erfüllten Prophezeiungen genügend Zeugnis für seine Existenz und für die göttliche Inspiration der Schrift abgelegt.“3)

93 „Die Hypothese, die Jünger hätten sich den Auferstandenen nur eingebildet, … wollen wir … auch vom Text selbst her argumentieren:

Ich möchte zunächst einmal nur einige Züge aus dem Osterbericht des Lukasevangeliums herausheben:

- nach Lk 23,56 bereiten die Frauen Spezereien und Salben;
- nach Lk 24,3 finden sie den Leib nicht vor und sind ratlos;
- nach Lk 24,4 erschrecken sie vor den Engeln;
- nach Lk 24,11 halten die Jünger die Nachricht von der Auferstehung für ein Märchen;
- nach Lk 24,12 wundert sich Petrus über dies alles.

Zwischenfrage: Verhalten sich so Leute, die die Auferstehung erwarten, die sie wollen, ja die sie für möglich halten? Daß sich Petrus als eine der Säulen des Urchristentums im Blick auf Jesu eigene Ankündigung seiner Auferstehung 'unsterblich blamiert', erhöht noch die Glaubwürdigkeit dieser Schilderungen. Zudem: wenn man andere Leute unbedingt - ohne Rücksicht auf die Wahrheit - von einem Sachverhalt überzeugen will, präsentiert man ihnen dann die eigene anfängliche Skepsis ('ratlos', 'erschrecken', 'Märchen', 'sich wundern')?“4)

94 „Hinter Jesus Christus stehen erfüllte Prophezeiungen, hinter den Religionsstiftern steht keine einzige. … Schon rund 700 Jahre vor Christi Geburt wurde sein Geburtsort prophezeit. Beim Propheten Micha lesen wir im 5.Kapitel: 'Und du Bethlehem Ephratha, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Ewigkeit her gewesen ist.' … Wie wir alle wissen, haben sich diese Prophezeiungen in jener hochheiligen Nacht erfüllt. … Ist es Zufall, daß ausgerechnet Jesus in Bethlehem geboren wird?“5)

95 „Die Entstehungsdaten der paulinischen Briefe … Einige Forscher unserer Tage sprechen Paulus noch den Epheserbrief ab, weniger den zweiten Thessalonicherbrief. Mehrere vertreten die Ansicht, daß die Pastoralbriefe (1. und 2.Timotheus- und Titusbrief) in der jetzigen Form nicht von des Paulus Hand stammen. Ich erkenne sie alle als paulinisch an. Aber selbst die restlichen acht paulinischen Briefe genügen an sich für unseren Zweck. Ihnen sind die Hauptargumente unseres späteren Kapitels 'Die Bedeutung des paulinischen Zeugnisses' entnommen. …
6.Kapitel
Die Bedeutung des paulinischen Zeugnisses
… Galater … 1.Korinther … Kolosser … Römer … Philipper … 1.Thessalonicher … Wir brauchen nur einmal den Abschnitt über die Ethik im Römerbrief (12,1-15,7), wo Paulus die praktischen Folgerungen, die sich aus dem Evangelium für das Leben der Gläubigen ergeben, zusammenfaßt, mit der Bergpredigt Jesu zu vergleichen, um zu sehen, wie der Apostel durch und durch erfüllt ist von den Lehren seines Herrn. … 2.Korinther …“6)

96 „Immer wieder wird von den Verfechtern der Reinkarnation behauptet, diese sei Bestandteil der Lehre Jesu und der frühen Kirche gewesen; zudem werde sie durch die Aussagen der Bibel gestützt. … In diesem Zusammenhang verdienen vier Texte aus der Bibel im besonderen unsere Aufmerksamkeit. … 'Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.' … Aus den Fragen wird klar: Nikodemus verstand, daß Jesus von einer Wiedergeburt in diesem Leben sprach - und nicht von Reinkarnation, …“7)

Lösungen

1)
90: Hier wird nicht nur die Verläßlichkeit der ntl. Berichte in historischer Hinsicht vorausgesetzt, sondern auch in deren religiösen Urteilen. Diese Voraussetzung werden Andersdenkende nicht ohne weiteres zugestehen. (Wenn sie alle historischen und religiösen Aussagen des NT akzeptieren würden, wären sie zumindest keine „Andersdenkenden“ mehr, vielleicht sogar schon selbst Christen.)
Die Darstellung Mohammeds sollte quellenmäßig belegt werden - als bloße Behauptung wird das ein Moslem nicht ohne weiteres akzeptieren.
2)
91: Hier wird vorausgesetzt, daß der Skeptiker die Richtigkeit der Evangelienberichte anerkennt - dann braucht man ihm aber die Auferstehung auch nicht mehr beweisen. Wer die Hypothese Der Leib blieb im Grabe vertritt, wird manche Einzelheiten der Evangelienberichte bloß als spätere, erdichtete Versuche ansehen - etwa die Bestechung der Grabwächter (nach Mt 28,11-15).
(Zum 'Leichen-Herzeige-Argument' vgl. Text 81 und die Lösung dazu.)
3)
92: Hier wird bereits vorausgesetzt, daß diese Vorhersagen wirklich auf den um 700 v.Chr. lebenden Jesaja zurückgehen. Genau diese Vorhersagen sind ein Grund für viele Theologen, diesen Teil des Buches (Jesaja 40 bis 55) einem späteren Propheten („Deuterojesaja“) zuzuschreiben. Diese Schwierigkeit haben wir bei vielen Prophezeiungen, daß ein skeptischer Betrachter daran zweifeln könnte, ob sie nicht vielleicht erst nach dem Ereignis aufgestellt wurden („vaticinia ex eventu“).
4)
93: Es wird hier auch mit der Möglichkeit gerechnet, daß die Evangelienberichte verfälscht sein könnten, und es wird die Unwahrscheinlichkeit dieser Möglichkeit dargelegt.
5)
94: Hier wird vorausgesetzt, daß der Leser von der Verläßlichkeit der ntl. Berichte überzeugt ist. Das ist aber bei einem Angehörigen einer anderen Religion bzw. bei einem Skeptiker nicht unbedingt der Fall.
6)
95: Die Argumentation geht von dem gemeinsam Anerkannten, den allgemein als echt angesehenen Paulusbriefen, aus - wobei der Autor selbst auch die anderen Paulusbriefe als echt ansieht.
7)
96: Hier wird zwar in gewisser Weise mit Bibelversen argumentiert, aber hier geht es um die Auslegung dieser Verse: die Andersdenkenden behaupten (unabhängig davon, inwiefern ihnen die Bibel als Autorität gilt) ein bestimmtes Verständnis dieser Verse; gegen dieses Verständnis wird nun argumentiert. Diese Vorgangsweise ist durchaus in Ordnung, nicht zu verwechseln mit einem vorschnellen Rückgriff auf die Bibel.
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