Zuletzt angesehen: Differenzierte Behandlung

Differenzierte Behandlung

Differenzierte Behandlung

Wer sich mit einer anderen Ansicht auseinandersetzt, muß versuchen, diese andere Ansicht sorgfältig zu erfassen, um ihr gerecht zu werden und um sie dort, wo sie korrekturbedürftig ist, treffend widerlegen zu können. Manche ersparen sich diese Mühe und fertigen die andere Ansicht sehr grob ab - wobei dieses „grob“ sowohl die undifferenzierte Art als auch die Wahl der Ausdrücke bedeuten kann.

„Differenzieren“ bedeutet eigentlich „unterscheiden“. Es geht also darum, ob Unterschiede wahrgenommen und bei der Darstellung/Widerlegung berücksichtigt werden.

Betrachte die folgenden Texte und beurteile sie! Versuchen sie zu differenzieren, oder fertigen sie pauschal ab?

47 „Wir versuchen immer wieder, dem Leiden vorzubeugen, uns gegen das Leid abzusichern. Aber in Wirklichkeit wissen wir genau, wie ohnmächtig und sinnlos solche Versuche sind. Die hochtrabenden Höhenflüge von Wissenschaft und Technik haben kein Gramm Leid aus dieser Welt weggeschafft. Hilflos stehen wir vor unheilbaren Krankheiten und unvorhergesehenen Katastrophen.“

48 „Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, wodurch Ordnung entstehen kann:

  • Durch einen ganz unwahrscheinlichen Zufall. …
  • Durch Wissen, Intelligenz, Information. Eine intelligente, mit den nötigen Hilfsmitteln ausgestattete Person stellt Ordnung her.
  • Durch Energie, durch Ausprobieren. An sich unwahrscheinliche Ereignisse werden wahrscheinlich, wenn nur genügend viele Versuche stattfinden.

Die erste Möglichkeit wird im Rahmen der Wissenschaft beiseitegelassen. Die beiden anderen Möglichkeiten sind in der Praxis nie völlig isoliert anzutreffen: es gibt nur Kombinationen von beidem. Denn man kann weder Ordnung nur mit Hilfe von Wissen (ohne jegliche Energie) herstellen, noch ist die Durchführung von Versuchen ohne jegliches Wissen denkbar. Aber das Schwergewicht kann verlagert werden. So kann Wissen teilweise durch Energie ersetzt werden. Ein solcher Ersatz liegt der Evolutionstheorie zugrunde. Nach dieser Theorie entstand die Welt der Organismen nicht durch ein direktes Eingreifen einer intelligenten und über Energie verfügenden Person, sondern durch ein Zusammenwirken von Bedingungen, Mechanismen, Faktoren und viel Energie (also durch etwas weniger Intelligenz und dafür mehr Energie).“

49 „Der alte Schopenhauer, gewiß alles andere als ein Sanguiniker, hätte sich angesichts solcher als ernsthafte Wissenschaft ausgegebenen Bemühungen wohl nur schwerlich eines mitleidig-verächtlichen Lächelns erwehren können. Aber was soll's? Der Zufall, das haben inzwischen selbst die meisten treugläubigen Darwinianer allmählich selbst einsehen müssen, mag schon zu ihres Meisters Zeiten kein sehr überzeugender Alleskönner gewesen sein, doch heute hat er als die schöpferische Kraft einer Höherentwicklung mit Sicherheit vollends ausgespielt!“

50 „… Sie stehen durch ihre Beziehung zu Jesus in einem Stand der Heiligkeit. Die Heiligkeit kommt von Jesus selbst, sie ist nicht etwas, was durch besondere religiöse Leistungen erworben wurde. Folglich können alle, die in einer solch engen Beziehung zu Jesus stehen - und das heißt ja eigentlich, Christ zu sein -, als 'Heilige' bezeichnet werden.

Das also meint das Neue Testament, wenn es von 'Heiligen' spricht. Bereits im zweiten Jahrhundert wird der Kreis derer, die als 'Heilige' bezeichnet werden, stark eingeschränkt auf solche, die sich in herausragender Weise bewährt haben, nämlich durch ein Martyrium. Dieser Bedeutungswandel … welche zwei verschiedenen Konzepte hinter der Terminologie des Neuen Testaments und der späterer Jahrhunderte stehen: einerseits Geheiligtsein aufgrund des Opfers Jesu, das im Bewußtsein der eigenen Sündhaftigkeit angenommen werden muß - andererseits Heiligsein aufgrund einer eigenen Leistung, nämlich der eigenen Standhaftigkeit.“

51 „Die ganze Heiligenverehrung ist aufgebaut auf die Phantasie von Menschen, die selber eine solche Frömmigkeit für sich und für die Masse wollten.“1)

Lösungen

1)
47 ist zu pauschal, 48 versucht zu analysieren, 49 stellt die Gegenposition als unverständlich hin. 50 macht die dahinterstehenden Konzepte sichtbar, 51 nicht.
Solche ausgewählten Kurztexte bringen natürlich eine Verkürzung mit sich; mitunter kann es im weiteren Zusammenhang noch sorgfältigere Analysen geben, die eben in dem gerade ausgewählten kurzen Abschnitt nicht erkennbar sind. Doch hier geht es uns ja nicht um die Beurteilung bestimmter Bücher, sondern um das Einüben der Anwendung bestimmter Prüfmethoden.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/g/graf-stuhlhofer/graf-stuhlhofer-differenzierende_behandlung.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain