Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am Charfreitage.

Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am Charfreitage.

Evang. Luc. 23,33 - 49.

Jesus am Kreuze.

Sieh Deinen Heiland sterben, o Seele, sag Ihm Dank,
Sieh Gottes Sohn und Erben, wie Ihn die Liebe drang!
Wie Er bedeckt mit Wunden für Seine Mörder bat!
Ach Jesus ist gebunden für unsre Missethat!

Betrachte Seine Schmerzen, wie Er Sein Blut vergießt!
Sieh, wie aus Jesu Herzen uns Heil und Gnade fließt!
Er stirbt für unsre Sünden, Er löset unsre Schuld;
Am Kreuze Jesu finden wir Friede, Trost und Huld.

O Vater unsers Herrn Jesu Christi! führe Du uns zum Kreuze Deines lieben Sohnes, und zeige uns Jesum in Seiner Martergestalt, wie Er für uns leidet und stirbt, unsre Sünden trägt, unsre Schuld bezahlt, und uns Leben und Seligkeit verdient! Dein heiliger Geist führe uns in die Wahrheit des Wortes vom Kreuz, und lasse uns in Seinen Wunden lesen unsre Gnadenwahl und alles Heil, das uns durch Seinen Tod von Dir geschenket ist. Amen.

Heute stehen wir auf Golgatha, und sehen den großen Sterbenden, der für Alle starb, der den Tod tödtete, und Leben und unvergängliches Wesen an's Licht brachte. Lasset uns heute mehr als je aufs Wort merken, auf das Wort vom Kreuze, das eine Thorheit den Einen, ein Aergerniß den Andern, uns aber Gotteskraft und Weisheit ist. Lasset uns nichts wissen, nichts sehen, als Jesum am Kreuze! Wir wollen die ganze Geschichte, was am Kreuze mit Ihm vorging, so wie es Lucas beschreibt, betrachten bis zu Seinem ewig belebenden Tode.

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißet Schädelstätte, (Golgatha) kreuzigten sie Ihn daselbst, und die Uebelthäter, einen zur Rechten und einen zur Linken.

An dieser Stätte, wo die Todtenschädel und Knochen der ärgsten Verbrecher, die am Holz des Fluches hingerichtet worden waren, überall umherlagen, und zwischen zwei Uebelthätern in der Mitte wollte der Vater Seinen Sohn für Sünder sterben lassen, als wäre Er der größte. Also hat Gott die Welt geliebt. Kann auch ein größeres Wunder der Liebe genannt werden? - An Händen und Füßen durchbohrt, an Nägeln in der Luft schwebend und hangend: ist auch ein Schmerz wie dieser Schmerz, auch eine Schmach wie diese Schmach! So, so mußte unsere Sünde gebüßt, so, so unsre Schuld bezahlt, so, so Gott versöhnt werden! Solche Sünder sind wir, daß ein solches Versöhnopfer für uns dargebracht
- daß das heilige, unschuldige Lamm geschlachtet werden mußte!
- Und da ist kein Mensch von allen Kindern Adams, der nicht Schuld und Ursach dieses Todes wäre, der nicht mit seinen Sünden Ihm diese Schmerzen, diese Schmach zugezogen hätte; der nicht sagen und bekennen müßte: Ach, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben Dir erreget das Elend, das dich schläget, und das betrübte Marterheer. rc. Aber es ist auch kein Mensch auf Erden, der nicht dadurch versöhnt wäre, und, wenn er nur glaubt und das Kreuz umfängt mit Reu und Zuversicht, nicht auch sagen könnte: In Ihm halbe ich Gerechtigkeit und Stärke, Sein Tod ist mein Leben; meine Sünden, ja meine Sünden hat Er gebüßt und hinweggenommen, und mich von Gericht und Hölle erlöset. Das gewährt der Glaubensblick auf Jesum am Kreuze Jedem, der da ernstlich aus den Stricken der Sünde und des Satans heraus und ganz selig werden will. Und was sagt Jesus in dieser entsetzlichen Lage, am Kreuze hangend - was ist Sein erstes Wort?

Jesus aber sprach: Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. So kann nur die Liebe, die vom Himmel kam, lieben und beten - fürbitten für die ärgsten Feinde und Mörder. Wer so versöhnlich bitten konnte, der konnte die Welt versöhnen. Das ist wahrhaftig die erlösende Liebe, der opfert ein reines Opfer, genugthuend für Alle. Dies mußte den Vater versöhnen; diese Bitte mußte erhört werden - für Alle; denn Er bat für Alle, denn Alle kreuzigten Ihn mit ihren Sünden. - Die Juden und Heiden, die Ihn an's Kreuz schlugen, waren nur unsere und aller Menschen Stellvertreter, die vollzogen, was wir verursacht haben, und um unsertwillen geschehen mußte. Darum sagt Paulus: „Da wir noch Feinde waren, sind wir Gott Versöhnt durch den Tod Seines Sohnes, wie vielmehr werden wir leben, da wir versöhnt sind.“ Röm. 5, 10. Es ist also kein Zweifel, diese Fürbitte Jesu darf sich Jeder zueignen, der an Ihn glaubt, und Vergebung seiner Sünden sucht. Wer sie aber sich zueignet und dadurch Gnade und Vergebung erlangt hat, wird auch ebenso geneigt dadurch gemacht werden, für seine Feinde dasselbe zu thun, was Christus für ihn gethan hat; wenn auch die Nägel, womit der Feind Ihn durchbohrte, noch in den Händen und Füßen stecken. Laßt uns an Andern üben, was Er an uns gethan!

Und sie theilten Seine Kleider, und warfen das Loos darum. Er hing also bloß am Kreuze, aller Seiner Kleider beraubt - wie ein gewöhnlicher Missethäter - warum doch das? Um uns die Kleider des Heils und den Rock der Gerechtigkeit zu verdienen, daß wir unsere Blöße decken, und ein Ehren- und Hochzeitskleid erlangen möchten, womit wir vor Gott bestehen, und in den Himmel eingehen, zum Hochzeitsmahl des Lammes erscheinen könnten; dann, um alle Sünden zu büßen, die die Menschen mit Eitelkeit in Kleidern und Unanständigkeit oder Unreinigkeit ihres Leibes begehen.

Und das Volk stand und sah zu, und wußte wohl kaum, was es denken sollte. - Es hatte so viel gehört von Seinen Wundertaten und Heilungen, halte wohl auch Seine Predigten gehört, daß Er redete - nicht wie die Schriftgelehrten, sondern wie Einer, der Gewalt hat; hatte öfter ausgerufen: Das ist wahrhaftig der Prophet, der in diese Welt kommen soll - ja wohl gar: Hosianna dem, der da kommt im Namen des Herrn! Es standen wohl Viele da, die Er von Krankheiten und Seuchen geheilt oder von Teufeln befreit hatte - und nun sehen sie Ihn am Kreuz unter Missethätern hangen als einen Fluch und Auswurf der Menschheit, denn nur solche schlug man an's Kreuz. Das Volk stand und sah zu; - o daß alles Volk der Erde da stehen und stehen bleiben möchte - sehen und erkennen möchte, was da geschieht, was der Vater im Himmel thut, wie Er uns liebt, daß Er Seinen einigen Sohn uns schenkt, und für uns sterben läßt; wie der Sohn uns liebt, daß Er für uns ein Fluch wird, um uns vom Fluche zu erlösen. Da seht hin, Alle, die ihr selig werden möchtet, und sehet zu, was Er für euch leidet; wie Er eure Schulden bezahlt, und durch Seine Wunden euch heilet; wie der Hirt für die Schafe sein Leben läßt, um ihnen ewiges Leben zu geben; wie der Herr für die Knechte stirbt, um ihnen ewigen Lohn und die Kindschaft zu erwerben. O wenn wir jetzt so bei Seinem Kreuze stehen, und zusehen könnten wie jenes blinde Volk, was würde das uns austragen! Im Geiste können wir es; und wenn wir Ihn lieben, so müssen wir wohl und können nicht anders, als wie hingegossen seyn an Sein Kreuz, denn unser ewiges Heil hangt da. Die Sonne der Gerechtigkeit geht da auf. Da heißt es:

Ich bin durch manche Zeiten,
Wohl gar durch Ewigkeiten,
In meinem Geist gereist:
Nichts hat mir's Herz genommen,
Als da ich angekommen
Auf Golgatha; Gott sey gepreist!

Auf diesem Flecke steh ich,
Von dieser Stelle geh ich,
Nun nimmermehr zurück.\
Er heft' all meine Blicke
Auf Seine Marterstücke,
Bis ich mich dort an Ihm erquick'.

Und die Obersten spotteten Sein auch sammt ihnen, und sprachen: Er hat Andern geholfen, Er helfe Ihm selber, ist Er der Christ, der Auserwählte Gottes. Also Vornehme und Geringe, Oberste und der Pöbel - Alles spottet Sein! Kein Mitleiden, kein Erbarmen mit dem Mitleidigsten und Barmherzigsten! Keine Liebe zu dem Liebendsten. Wie hat Er geliebt! ist umhergegangen, und hat wohlgethan, und alle vom Teufel Ueberwältigten befreit, wie sie selbst bezeugen, aber mit Spott: Andern hat Er geholfen! - Ach hätte Er sich da geholfen vom Kreuze herab, wie Er es hätte thun können, so wäre uns ja nicht geholfen. Aber um Andern, um aller Welt zu helfen, half Er sich selbst nicht - trotz des Spottes. Unter solchem Spott stirbt kein armer Sünder, kein Missethäter, kein Dieb und Mörder.

Es verspotteten Ihn auch die Kriegsknechte, traten zu Ihm, und brachten Ihm Essig und sprachen: Bist Du der Juden König, so hilf Dir selbst. Es sollte keine Gattung von Menschen fehlen, die Seiner nicht spottete; Alle mußten das Ihre beitragen, um Ihm den Tod zu verbittern. So wollte es Gott, so wollte Er es - für uns, daß wir Seine unaussprechliche Liebe sehen möchten in Seinem Leiden und Sterben. Was hat Er den Soldaten zu Leide gethan, daß sie Seiner so spotten? Er hat des Hohenpriesters Knecht geheilt - Er hat sie geliebt, und beschlossen, auch für sie zu sterben; darum waren sie von der Hölle entzündet, Ihn zu lästern.

Es war auch oben über Ihm geschrieben eine Ueberschrift mit griechischen, lateinischen und hebräischen Buchstaben: „Dies ist der Juden König.“ So war denn die Bibel, das Evangelium schon in den drei Hauptsprachen der Welt verkündigt und öffentlich angeschlagen am Kreuze. Denn Jesus, der Juden König, der Messias, der Christ, der Gesalbte, am Kreuze sterbend für die Welt - das ist ja der Inhalt des ganzen Evangeliums. Das konnten alle Juden, alle Griechen und Römer lesen und verstehen, die bei dem Kreuze vorübergingen. So wollte es Gott; so mußte Pilatus schreiben und es so geschrieben lassen, so unangenehm es den Hohenpriestern war. Nun wird es fast in allen Sprachen der Welt gelesen. O möchte es auch von allen Völkern geglaubt werden!

Aber der Uebelthäter Einer, die da gehenkt waren, lästerte Ihn und sprach: Bist Du Christus, so hilf Dir selbst und uns. Wie gesagt, es durfte an keiner Gattung schlechter Menschen fehlen, die Ihn nicht lästerte - es mußten Alle das Ihre beitragen, Ihm wehe zu thun und zu kreuzigen - sogar der Uebelthäter, der Gehenkten Einer! Dieser Mensch wollte nur vom Kreuz, von seiner wohlverdienten Strafe, aber nicht von der Sünde und dem ewigen Tode erlöset seyn. Darum wurde Ihm nicht geholfen. Seine Bitte war eine Lästerung, eine Versuchung. Und welcher Schmerz für den Heiland, daß selbst Sein Mitgekreuzigter in seiner Todesstrafe nicht zur Erkenntniß, zur Reue und Buße kommt, nicht glaubt, daß Er ihm auch hatte helfen können! Solche Härte und Blindheit des menschlichen Herzens mußte der Erbarmer neben sich am Kreuze sehen, und dessen Spott ertragen. Wie tausendfach wurde Sein Herz verwundet, wie tausendfach Sein Leiden vermehrt, aber darum reichlich und tausendfach unsere Schuld gebüßt, ein überschwänglicher Segen für uns erworben. Nimm, gläubige Seele! nimm Alles für dich, denn es ist Alles für dich geschehen, es ist dein, ewig dein, was Er gelitten hat!

Da antwortete der andere, strafte ihn und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammniß bist? Und zwar wir sind billig darinnen; denn wir empfahen, was unsere Thaten werth sind; dieser aber hat nichts Ungeschicktes gehandelt. Beide Schacher am Holz des Fluches, beide todeswürdige Verbrecher, und wie verschieden in ihrer Gesinnung und Erkenntniß! Der eine lästert, spottet des Heiligsten; der andere prediget, bekennt, bereut seine Schuld, und giebt Zeugniß der Unschuld des Gerechten. Welch ein Unterschied ist also unter den Sündern, wenn sie auch dieselbe Schuld begangen haben. Wir urtheilen nach der äußern That, Gott sieht das Herz an. Welche Freude muß das für den Heiland gewesen seyn, noch einen Sünder am Kreuze zu bekommen, ihn reumüthig, gläubig, und so freimüthig im Bekenntniß zu sehen! welche Freude für die Engel!

Und er sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst. So wandte er sich, nachdem er den Mitschuldigen bestraft, belehrt, sich selbst angeklagt, Jesum als den Gerechten bekannt hat, so wandte er sich nun voll Zuversicht zu Ihm, und bat Ihn keine kleine Bitte, sondern um das Größte und Höchste - um das Himmelreich, obwohl er die Hölle verdient zu haben glaubte. Er, der Schacher, war der Einzige, der in diesen Umständen, in dieser Erniedrigung und Verwerfung Jesu, an Ihn glaubte, und es laut bekannte. Nicht nur die ganze Nation, sondern alle Priester und Häupter des Volkes Israel lästerten Ihn, selbst die Freunde, die Jünger standen von ferne, und wagten es nicht, dem Kreuze sich zu nahen. Die Vertrautesten - die beim Kreuze standen, schwiegen, und wagten es nicht, Ihm Zeugniß zu geben - aber der Schacher tritt hervor, und bekennt Jesum, da Alle lästern oder läugnen oder schweigen. Niemand glaubt an Ihn; Niemand bekennt Ihn, Alles ist gegen Ihn, nur Einer glaubt und bekennt. - Wenn Alle, wenn Viele glauben und bekennen, ist es leichter, sich anzuschließen und mit zu glauben und zu bekennen. Aber in solcher allgemeinen Widrigkeit gegen Ihn von Seite der Angesehensten und Größten so wie der Niedrigsten dennoch glauben und bekennen, das ist der größte Glaube, das schönste Bekenntniß.

Und Jesus sprach zu ihm: Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn. So schnell macht der ungefärbte Glaube selig - so plötzlich versetzt er in das Himmelreich; so bald wird er erhört, und geschieht ihm wie er geglaubt hat. Sieh, der Heiland hatte am Kreuze in Seiner Schmach und Erniedrigung schon das Recht, die Macht, gläubigen, bittenden Sündern das Himmelreich auf der Stelle zu schenken, und sie mit in den Himmel zu nehmen - todeswürdige Verbrecher selig zu machen. Sollten wir jetzt zweifeln daran, nachdem Er es vollbracht hat, und mit Preis und Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist, alle Gewalt im Himmel und auf Erden in Seinen Händen hat? Nein, es darf kein Sünder, wie groß und schwer seine Sünden seyn mögen, mehr verzweifeln; er kann Gnade finden, den Himmel ererben, wenn er nur seine Sünde bekennt, sich gläubig zu Jesu wendet, und mit Zuversicht um Gnade und Seligkeit fleht. Er wird erhört, so wahr Jesus am Kreuze starb, und dem Schächer das Paradies zusagte. Welcher Trost im Sterben, einen solchen Heiland haben, der da sagt: Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben, wird den Tod nicht schmecken, der ist vom Tode in's Leben durchgedrungen. - Jesus nimmt die Sünder an, und ißt mit ihnen, sagten Seine Feinde in Seinem Leben. - Jesus hat die Sünder an- und in's Paradies mitgenommen auch im Sterben am Kreuze. Das sehen wir, und glauben daher: Jesus nimmt auch noch im Himmel die Sünder an und auf in den Himmel, so lang ein Sünder auf Erden ist und glaubt. Hat Er doch gesagt: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen, ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten, auf daß ihr auch seyd, wo ich bin.“ Sagt doch die Schrift: Er ist hingegangen, um vor dem Angesichte Gottes für uns zu erscheinen - uns zu vertreten, für uns zu bitten. Jesus ist immer Einerlei - wie Er hier war auf Erden im Leben, Leiden und Sterben - den Sündern zugethan - so ist Er noch und bleibt es ewig in Seiner Herrlichkeit.

Und es war um die sechste Stunde, und es ward eine Finsterniß über das ganze Land, bis an die neunte Stunde. Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels zerriß mitten entzwei. Die Sonne verbarg ihr Angesicht vor der gräulichsten That, die je auf Erden geschah - da der Fürst des Lebens getödtet, das unschuldige Lamm Gottes geschlachtet ward, der Heiligste wie der ärgste Missethäter hingerichtet ward. Da mochte sie nicht zusehen. Das Licht der Welt löscht aus, darum darf auch die Sonne nicht ihren Schein geben; freilich nur drei Stunden lang - die Sonne muß wieder aufgehn, wieder leuchten; Christus das Licht der Welt muß wieder auferstehen und erscheinen aller Welt, um Alle zu erleuchten, die in diese Welt kommen. Der Vorhang, der so schwer und dick war, daß ihn zwölf Männer kaum aufziehen konnten, reißt von selbst entzwei, das Heiligthum ist offen - der Herr ist von der alten Hütte gewichen, und will nicht mehr wohnen im Tempel von Menschenhänden gemacht - Er will nun im Geist und in der Wahrheit angebetet werden, will nun nicht mehr hinter dem Vorhang, sondern in den Herzen der Gläubigen wohnen, sich ihnen selbst offenbaren, und sie zu Priestern und Königen machen.

Und Jesus rief laut und sprach: Vater! in deine Hände befehle ich meinen Geist. Und als Er das gesagt hatte, verschied Er. Er hatte die dreistündige Finsterniß, die ein Bild von Seiner innern Finsterniß und Verlassung war, wo Er ausrief: Mein Gott, mein Gott! warum hast Du mich verlassen? durchgemacht, welches gewiß noch das Schwerste und Bitterste war, sich vom lieben Vater im Himmel verlassen fühlen zu müssen; aber Er hatte es Alles vollbracht; der bitterste Kelch war bis auf die Hefe, auf den letzten Tropfen ausgetrunken - da konnte Er nun laut rufen und sagen: Vater! in deine Hände befehle ich meinen Geist - nun nimm mich heim! ich habe ausgerichtet, wozu Du mich gesandt hast. Wie Er Seinen Geist im Sterben in die Hände Seines Vaters übergab, so können wir, wenn wir sterben, unsern Geist, wie die ersten Gläubigen, z. B. Stephanus, in Seine Hände befehlen und aufgeben. Er ist nun dort zur Rechten des Vaters, um Alle, die an Ihn glauben, und im Glauben an Ihn ans der Zeit gehen, aufzunehmen; ihren Geist in Seine Hände, die für uns durchbohrt sind, zu empfangen. Wir wissen, wohin? in die Hände dessen, der für uns starb, und uns Leben und Seligkeit erwarb. Sein Verscheiden, Sein Geistaufgeben räumt alle Schrecken des Todes weg, tilgt die Furcht des Todes, und macht ihn uns freundlich - macht das dunkle Todesthal helle; zeigt uns den gebahnten Weg durch Tod und Grab in's ewige Leben; öffnet uns die Thüre und den seligsten Eingang in das Himmelreich, welches uns die Sünde verschlossen hat.

Laß Dein Herz mir offen stehen,
Oeffne Deiner Seiten Thür;
Dahinein soll mein Herz gehen,
Wenn ich keine Kraft mehr spür‘.

Da aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen. Diese Wirkung hatte der Tod Jesu auf diesen Heiden gemacht, während die Juden erbittert und verstockt blieben, da ihr König und Messias für sie starb. Ein Schacher wird bekehrt und selig, ein Heide, roher Krieger, wird erweckt und gläubig, bekennt die Unschuld Jesu, und beweist damit, daß der Tod Jesu ihm die Augen geöffnet und das Herz hingenommen habe. Es war nicht leicht, das auszusprechen von einem Gekreuzigten, im Angesichte der ganzen Nation, die Ihn verdammte, lästerte und tödtete. Er aber glaubte, darum redete er und fürchtete sich nicht, die Wahrheit, die er tief gefühlt haben muß, zu bekennen, so weit er sie erkannte. Sollte er nicht nachher zur vollen Erkenntniß gekommen sein? Es ist nicht zu zweifeln, wem erst der Tod Jesu die Augen geöffnet hat, der ist fähig, alle Wahrheit zu erkennen. Die Legende sagt es und heißt ihn Longinus. O daß alle Soldaten auf Ihn schauten, und glaubten an den, den sie in diesem Hauptmann und mit ihren Sünden auch durchstochen haben?

Und alles Volk, das dabei war und zuschaute, da sie sahen was da geschah, schlugen sie an ihre Brust, und wandten wieder um, als hörten und sähen sie Ihn nun nicht mehr. Und welche Freuden der Auferstehung und des Wiedersehens bereitete ihnen Sein Tod! welchen Frieden, welche Geistesfülle, die Er aus dem Grabe mitbrachte!

Nicht nur auf den Hauptmann - auch auf alles Volk, das Ihn sterben sah, machte es tiefen Eindruck. - Laß die Pharisäer und Hohenpriester lästern und verdammen; laß sie Ihn an's Kreuz schlagen und tödten - gerade diese Erniedrigung wird Seine Erhöhung, wie Er voraus sagte: Wenn ich erhöht seyn werde, will ich Alle an mich ziehen. Sein Tod ist's, der Seelen zieht. Wenn sie auch Alle vorher dachten: Unsre Priester und Aeltesten müssen doch Recht haben; müssen doch etwas an Ihm gefunden haben, was des Todes werth ist - so denken sie jetzt, nachdem sie Ihn selbst gehört und gesehn haben, wie Er betet für Seine Feinde, wie er den Schacher in den Himmel mitzunehmen verspricht, wie Er Seinen Geist in die Hände des Vaters übergiebt mit Mark und Bein durchdringender Stimme, daß die Felsen spalteten und der Golgatha bebte, da ging es ihnen durch's Herz, sie erkannten nun: Das ist ein ganz Anderer, als unsre Priester sagen; so ist noch kein Mensch gestorben - ach man hat den Heiligen in Israel gekreuzigt - wir haben uns versündiget sie schlugen an ihre Brust, es reute sie, sie thaten Buße, sie erkannten die schrecklichste der Sünden am Heiligsten begangen - reumüthig, klagend, seufzend; verließen die Schädelstätte, die heilige Leiche, und kehrten zurück - und was wird zu Hause in ihren Herzen vorgegangen seyn? was wird der Anblick des Todes Jesu in ihnen hinterlassen haben?! dasselbe muß er auf jeden Gläubigen wirken, der ihn heilsam betrachtet, und denkt: für mich! für mich! O daß wir nicht öfter zum Kreuze gehen und Ihn sterben sehen! O du glückliches Volk, das du Ihn sahest am Kreuze! wer beneidet dich nicht? wer möchte nicht dabei gewesen sein?

O drückten Jesu Todesmienen
Sich meiner Seel' auf ewig ein!
O möcht der Blick auf Sein Versöhnen
In meinen Blicken sichtbar seyn!
Denn ach, was hab ich Ihm zu danken!
Ich koste Ihm Sein theures Blut.
Das heilt mich Seinen armen Kranken,
Und kommt mir ewiglich zu gut.

Ein Blick im Geist auf Jesu Leiden
Macht's blödste Herze wohlgemuth;
Die Ursach wahrer Geistesfreuden
Ist, wenn Sein theu'r vergossnes Blut
Versöhnend in die Herzen fließet,
Die Salbung Leib und Seel' durchdringt,
Die Glaubenshand Sein Kreuz umschließet
Und uns Sein Anblick Friede bringt.

An Seinem Kreuze mich zu letzen,
Das war so, was ich gerne hätt ,
Wie eine Biene mich zu setzen
Auf meines Heilands Marterstatt .
O Jesu! nimm zum Lohn der Schmerzen
Mich Armen an, so wie ich bin.
Ich setze Dir in meinem Herzen
Ein Denkmaal Deiner Liebe hin.

Es standen aber alle Seine Verwandten von ferne und die Weiber, die Ihm aus Galiläa waren nachgefolgt, und sahen das an. Die Freunde, die Jünger stehen ferne - wagten sich nicht näher hin, haben Ihn aber doch noch so lieb, daß sie nicht ganz wegbleiben können, müssen doch Seinen Ausgang sehen - ach mit welchen Gefühlen - sie hofften, Er werde Israel erlösen, und nun stirbt Er wirklich - da sehen sie Ihn Sein Haupt neigen - und todt am Kreuze hangen. Das größte Glück, der größte Segen und Gewinn schien ihnen da das größte Unglück und ein ewiger Verlust und Schaden zu seyn. Wie werden ihre Herzen zerrissen gewesen seyn auch von Reue über ihre Sünden, womit sie den Lebenden beleidigt haben! Wie wird ihr Glaube geschwunden seyn, als wäre Er ihnen nun ganz genommen,

Wir stehen Ihm auch ferne - seinem Tode um achtzehn hundert Jahre ferne, und haben Ihn doch so nahe, als stürbe Er diesen Augenblick - und Sein Tod, Sein Verdienst, Seine Gnade und Liebe ist doch so unser, wie Er denen gehörte, die Ihn damals mit Glauben sahen. Noch leichter haben wir zu glauben, da wir Seine Auferstehung und alle Folgen Seines Todes wissen: daß die Welt erlöst, die Sünde getilgt, der Schlange der Kopf zertreten, der Tod getödtet, das Leben wiedergebracht und Gott versöhnt ist. Tod^ wo ist dein Stachel nun? Hölle, wo ist dein Sieg? Werfet euch Alle nieder vor dem Kreuze, betet an, lobet, preiset den Vater, der Seines eingebornen Sohnes nicht verschonet, sondern Ihn uns geschenket und mit Ihm Alles gegeben hat! Amen.

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