Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Zweiundzwanzigste Betrachtung.
Du liebst mich, Jesu, gabest dich
Zum Opfer für die Sünden;
Wo ist größ're Liebe je,
Größre Huld zu finden? -
Du hast's getan, dich bet' ich an,
Du König der Erlösten,
Dein will ich, im Tode mich,
Glaubensvoll getrösten.
Du riefst mit Macht: Es ist vollbracht! -
Du hast dein teures Leben,
Mein Versöhner, göttlich frei
Für mich hingegeben!
Hochheilige Tat! - Des Höchsten Rat
Will ich in Demut ehren!
Der Erwerber meines Heils,
Wird mir's einst erklären.
Text: Joh. 19,30.
Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! - und neigte das Haupt, und verschied.
Mit Rührung und Wehmut standen wir im Geiste unter dem Kreuz und sahen den Heiligen sterben, sahen ihn seine Liebe noch im Todeskampfe bewähren. Nun lasst uns, in frommer Betrachtung, die Segnungen seines Todes erwägen. Die Beantwortung der Frage:
Was ruft und der Tod Jesu zu?
wird sie uns alle vergegenwärtigen.
Der Tod Jesu ruft uns zu:
- Auch für dich ist es vollbracht!
- Du bist mit Gott versöhnt!
- Sterbe der Sünde, und lebe dem Gekreuzigten!
- Harre aus, gleich ihm, bis an das Ende!
I.
Seit das Menschengeschlecht durch die Sünde den Seligen-Zustand der Unschuld verlor, ist es tiefer und immer tiefer gesunken. Die Geschichte des jüdischen Volkes, so wie die Geschichte aller übrigen Völker, hat die Wahrheit der Schriftstelle bezeugt: Des Menschen Dichten und Trachten ist böse von Jugend auf! - und das namenlose Elend, unter dem das Menschengeschlecht seufzt, hat mit gleicher Macht bestätigt, dass die Sünde der Leute Verderben ist! - Das Gesetz auf Sinai gegeben, hat Unmögliches nicht verlangt, aber es hat die Schwachheit des Menschen zum Guten gezeigt, und einen schärfern Gegensatz zwischen dem, was sein sollte und was war, hervorgerufen; durch das Gesetz erst ist die Sünde in ihrer ganzen Macht erkannt worden. Die Sünde, sagt Paulus, ward nicht erkannt, ohne durch das Gesetz, da aber das Gesetz kam, ward sie lebendig. - Der Mensch war abgefallen von Gott, und sein Tun war Gott widerstrebend. Die Erkenntnis dieses Abgefallenseins von Gott, musste ihn mit Angst erfüllen, denn er erkannte sich dann auch als fluchwürdig, sie musste ihn selbst zur Verzweiflung treiben, da er das Gesetz nicht ganz zu erfüllen vermochte und außerdem keine Rettung für ihn zu finden war. Da aber die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weib, und unter das Gesetz getan, auf dass er sie, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen.
Was von keinem der Menschen zu irgend einer Zeit je geleistet wurde, was von keinem je geleistet werden kann, das hat er vollbracht. Sein heiliger Wandel, stellt die vollkommenste Erfüllung des Gesetzes dar. Er, der heilig war, unschuldig, unbefleckt und von den Sündern abgesondert, dennoch aber allenthalben versucht, wie wir, hat jede Versuchung, jeden Angriff des Bösen, die Welt mit ihrer Lust überwunden, und somit besiegt, was wir nicht zu bekämpfen vermochten. Er hat das Gesetz erfüllt, das Werk der Erlösung vollbracht; vollbracht ist es auch für dich, für uns alle.
II.
Was wir der Strafe würdig zu erdulden gehabt hätten - hat er erduldet, er hat für uns den bitteren Kelch des Leidens geleert. Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Christus hat für unsere Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass er uns Gott opferte. Christus hat und erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns. Er ward das Opfer für alle vor ihm, für alle nach ihm. Darum hat auch die Welt keiner Opfer mehr nötig, wie sie sonst dergleichen, im Gefühl ihrer Verworfenheit, Gott darbrachte. Er ist das ewige Sühnopfer, der Hohepriester, der nur einmal eingegangen ist in das Heilige und hat eine ewige Erlösung gefunden. Seine Aufopferung, seine Hingebung, bringt zugleich, die beste aller Gaben, eine neue Menschheit. Durch seine Lehre, sein Leiden, seinen Kampf und seinen Tod sind auch wir entsündigt, die Scheidewand, welche das endliche Geschöpf von dem Unendlichen trennt, sinkt nieder, wir kehren in Vaters Arme zurück, als ein Gegenstand seines Wohlgefallens. Es ist für uns vollbracht, wir sind mit Gott versöhnt.
Versöhnt bist auch du, so ruft uns sein Tod zu. Versöhnt mit Gott ist jeder, der an den Erlöser glaubt. - Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Derselbige ist die Versöhnung für unsere Sünder, nicht allein aber für die unsere, sondern auch für der ganzen Welt.
In Vaters Armen weiß das Herz von keinem Abstand mehr. Sind wir versöhnt mit Gott; so muss auch jede Furcht verschwinden. Gott liebt mich wieder, so bald ich sein bin und zu ihm zurückkehre. Aus Gnaden fällt die Strafe der Sünde weg. Während ich ohne Versöhnung, bei allem Streben nach dem Guten, mich von ihm verworfen glauben müsste, da mein Gutsein doch immer so unvollkommen bleibt, weiß ich nun, dass er meine Schwachheit nicht ansieht und mir vergibt, wenn ich zu ihm komme, ja dass er mich liebt, als wenn ich von Sünden und Flecken rein wäre. Wir sind versöhnt und haben keine Strafe der Sünden zu fürchten. Wie das Gesetz den Ernst des Richters verkündete und eben deshalb Unruhe und Streit anrichtete, so verkündet mir das Evangelium die Liebe des Vaters und ist die Botschaft der Friedens. Wir sind versöhnt und von Gott geliebt. Die völlige Liebe treibt aber die Furcht aus. Jesus hat uns erlöst vom zukünftigen Zorn.
Es gibt Stunden, wo es dem Menschen bange wird um seine Seligkeit, wo ihn die Erinnerung an alles Gute, was er tat, nicht erhebt, wo nur Eines klar vor ihm steht, dass er Sünder ist; und wo ihn dieses Gefühl zermalmen und vernichten will - o, in solchen Augenblicken wird erst ganz die Wonne des Trostes empfunden: ich bin mit Gott versöhnt, in solchen Augenblicken unaussprechlicher Sehnsucht nach Gnade, Vergebung und Erlösung, da erhebt es die Seele und erfüllt sie mit nie geahnter Freudigkeit, sagen zu können: Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns!
Wir sind versöhnt, das gibt dem Herzen Ruhe. Zwar kann die Sünde nicht ungeschehen gemacht werden, aber für den Gläubigen gewinnt die Vergangenheit eine andere Gestalt, es ist alles neu geworden, und selbst das Leiden, das unzertrennlich an die Folge der Sünde geknüpft ist, erscheint nicht mehr als Strafe, sondern nur als weises Erziehungsmittel der ewigen Liebe, im Guten zu stärken, zu erhalten. Vergeblich suchen wir wahren, dauernden Frieden der Seele, ohne diese stärkende Gewissheit. Ewig bleibt dem Menschen sein unendlicher Abstand von Gott fühlbar; ewig bleibt die Erkenntnis dessen, was wir sind, und dessen, was wir sein sollten, tieferschütternd und betrübend, und das Gefühl kann durch nichts ausgetilgt werden, als durch den Glauben an die versöhnende Gnade Gottes in Christo. Wir bedürfen dieses Trostes, wir müssen ihn haben, in der Armut unseres Tuns, er ist allein rettend, wenn der Stolz seine Torheit erkennt, wenn die Angst der Sünden uns ergreift. Aber Ringen nach Vollendung, ist die Aufgabe des Christen; stehen bleiben, bei diesem Trost uns einwiegen lassen, in träge Ruhe, das dürfen wir nicht. Der Tod Jesu ruft und gleich laut und vernehmlich zu:
III.
Sterbe der Sünde, lebe dem Gekreuzigten! Er hat unsere Sünde selbst getragen an seinem Leib, auf dem Holz, auf dass wir der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Er hat sich für uns selbst gegeben, auf dass er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit, und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken. Ja er ist darum für alle gestorben, auf dass die, so da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. - Kann es nun, Geliebte, einen vernehmlicheren Zuruf geben? Nicht uns, ihm sollen wir leben. Aufopfern sollen wir unsern Willen, dem seinigen.
Innig verwebt mit dem Menschen, ist das Bestreben, nicht nur etwas zu gelten, sondern selbst mehr zu gelten, als er wirklich ist. Diese Mangelhaftigkeit ist an keinen Stand, an kein Geschlecht gebunden, überall findet sie sich. Die einen rühmen sich ihrer Rechtschaffenheit, andere ihrer Klugheit, noch andere ihrer Macht, selbst auf den vergänglichsten Flitter legt der Mensch Gewicht, als ob ihm dadurch Vorzüge verliehen würden, und wird so immer mehr ein Sklave der Eitelkeit, des Stolzes. Diese Gesinnung muss sterben. Demut ist das Kennzeichen des Christen. Der sich selbst erniedrigte bis zum Tod am Kreuz, ward uns ein Vorbild. Leben wir dem Gekreuzigten, so müssen wir demütig sein.
Im Bund mit Eitelkeit und Stolz wandelt die niedrige Selbstsucht; sie begehrt, entfremdet dem Geist der Liebe, nur das Ihre. Darum facht sie Streit an und huldigt dem Zorn und dem Hass. Nie befriedigt, kämpft sie immer um neuen Gewinn für sich selbst und wirft mit den Waffen der Ungerechtigkeit jedes Bollwerk nieder, das der Befriedigung ihrer unersättlichen Begierde einen Damm setzen will. Frohlockend erbeutet sie sich einen Gewinn aus dem Elend von Tausenden, das sie nicht rührt. Aber Christensinn ist das nicht. Liebend war das Tun des Erlösers, liebend starb der Gekreuzigte und Liebe ist sein Wille an uns. Wer der Sünde stirbt und dem Gekreuzigten lebt, darf auch nur der Liebe leben; denn spricht er: So ihr meine rechten Jünger seid, so habt ihr Liebe untereinander. - Die Liebe ist aber die Feindin aller Selbstsucht, und wo die erstere ihre Wohnungen des Friedens baut, findet die letztere keine Zufluchtsstätte. Indem der Mensch dem Stolz und der Selbstsucht frönt, dient er nur seinem eigenen Willen, nur von ihm ist er regiert; er lebt nur sich selbst, lebt nur seinen Trieben und Begierden, und an Beherrschung derselben ist nicht zu denken. Dem ungezähmten Trieb aber, der leidenschaftlichen Begierde, der unreinen Lust folgen, ist Sünde. Wer dem Gekreuzigten leben will, muss sie überwinden und beherrschen. Nicht Schaden an seiner Seele zu nehmen, das ist des Christen erste Sorge. Der Gekreuzigte rief uns zu: Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewänne, und nähme doch Schaden an seiner Seele, - leben wir ihm und folgen wir seinem erhabenen Beispiel, so müssen wir auch besiegen, was uns verführen, was uns von ihm entfernen will, es sei so lockend und reizend als es wolle.
Die höchste Aufgabe treuer Jünger des Herrn ist es, von sich sagen zu können: So lebe ich, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. - Solchem erhabenen Ringen widerstrebt aber tausendfach der Hang zum Vergänglichen in uns, der uns zur Erde zieht; die Macht des bösen Beispiels außer uns, der Widerspruch, vielleicht selbst der Hohn, den unser ernstes Beginnen findet. Mit jedem Schritt, mit welchem wir mutig auf der Bahn der Vollendung vorwärts dringen, wächst die Vielseitigkeit des Streits, und außer dem Schmerz des Lebens, den fast jeder zu erfahren hat, wächst dem mutigen Kämpfer für Tugend und Wahrheit, noch ein vielfaches Leid zu. Doch wir sollen nicht müde werden im Kampf.
IIII.
Harre auch du aus, gleich ihm, bis an das Ende; ruft uns der Tod Jesu zu. Ich bin, so spricht er selbst, nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. So wissen wir es ja, im Dienst des Herrn ist Kampf unvermeidlich, unausweichbar. Die Liebe, die sich hingibt, und die Selbstsucht, die das Ihre erstrebt, müssen sich ewig kämpfend begegnen. Der Hang zum Vergänglichen und das ernste Gebot, nach Vollkommenheit zu ringen, können sich nie befreunden. Das Übersinnliche kann ohne Streit auf dem Gebiet des Sinnlichen nie eine Stätte finden. Dem Kampf ausweichen, das können wir nicht wollen, nur, dass wir ausharren bis an das Ende und den guten Kampf kämpfen, der uns die Krone des Lebens erwirbt, das sei unsere Sorge! - Harre aus mit Mut, er, dem alle Gewalt gegeben ist, im Himmel und auf Erden, ist mit dir; er ist mit dir bis an der Tage Ende!
Harre aus in Hoffnung, ruft sein Tod uns zu. Was uns als Nacht erscheint, kann der Herr in Licht verwandeln; was wir jammernd beklagen, kann der Herr in Freude verkehren; was wir schmerzlich beweinen, kann zu Frohlocken und Jauchzen uns führen. Jesus stirbt, die Erde verhüllt sich in Nacht und die Natur trauert, wie die, welche ihn lieben. Wie bald ist es anders! - Der dritte Morgen graut und in Licht ist alle Nacht umgeschaffen. Der gestorben war, ist auferstanden, der Getötete und Begrabene steht als Sieger über Tod und Hölle, als Fürst des Lebens und der Seligkeit, über der Ruhestätte, die ihn erst noch barg. Wer Christ ist, darf nicht verzagen, nicht die Hoffnung aufgeben.
O, Jesu, zum Segen für uns gingst du in den Tod; mit tiefgerührter Seele erkennen wir das! Wir haben dir nichts zu geben, als ein ungetreues Herz; denn nur du kannst geben, beglücken und beseligen. Doch versucht sei das Stammeln des Dankes, des unaussprechlichsten Dankes für deine Liebe. Dank dir, dass du uns errettet; Dank dir, dass du uns versöhnt, dass du die Kindschaft uns erworben hast! Ach, nimm sie hin, unsere Herzen, die wir dir als Zeichen unseres Dankes darbringen! Heilige uns alle zu einem Volk, das dir wohlgefällig ist, Hilf uns, Herr, dir nachfolgen! Hilf uns kämpfen und im Kampf ausharren bis an das Ende, damit wir einst, wie du, vollenden und durch Nacht zum Licht hindurchdringend, ewig bei dir sind, ewig deiner Herrlichkeit uns freuen! Amen.