Göbel, Karl - Jakobs Kampf und Sieg.

Göbel, Karl - Jakobs Kampf und Sieg.

(Neujahrspredigt).

Die Neujahrsnacht wird von den Menschenkindern auf die verschiedenste Weise zugebracht. Von Vielen wird sie vertanzt und verjubelt, wozu doch eigentlich gar keine Ursache vorhanden ist, es müsste denn die sein, den Schmerz über verlorene Lebenszeit in Lustigkeit übertäuben, oder die Angst vor dem um einen Schritt näher gerückten Tod verdecken zu wollen. - Andere bringen die Neujahrsnacht im gemütlichen Familien- oder Freundeskreise feierlich zu und gedenken der vergangenen Zeiten und der abwesenden Lieben, oder der dunklen Zukunft. Wer möchte gegen solche gemächliche Feier etwas einwenden, wenn dabei nur das Wort des Herrn nicht vergessen wird: Habt allzeit Salz bei euch! - Noch andere bringen die Neujahrsnacht im Elend, in der Verbannung, im Gefängnis, oder auf dem Kranken- und Sterbebett zu. Das ist dann freilich eine trübe, schmerzliche Feier, bei der Festschmuck und Gratulationen nicht stattfinden, oder nicht helfen. - Auf eine nicht minder ernste Weise, ohne dass es indes zum Sterben kam, hat der Erzvater Jakob eine wichtige, entscheidende Nacht seines Lebens, von der sich ein neuer Lebensabschnitt datiert (also gleichsam eine Neujahrsnacht), zugebracht, nämlich im Kampf, im heißten leiblichen und geistigen Kampf. Davon redet unser Text:

Und Jakob blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sah, dass er ihn nicht übermochte1), rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk seiner Hüfte ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel (Gotteskämpfer); denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob hieß die Stätte Pniel (Angesicht Gottes); denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Und als er vor Pniel überkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
1. Mos. 32,24-31.

Es ist eine rätselhafte, und, wenn wir aufs Äußere sehen, in ihrer Art einzige Geschichte, welche der Text uns erzählt. Wenn wir indes auf die inneren Erlebnisse sehen, die durch den Kampf Jakobs abgebildet werden, ja bei demselben wirklich vor sich gingen, werden wir finden, dass zwar ein großes, aber Gott sei Dank nichts weniger als selten vorkommendes Wunder an Jakob geschah. Was dem Jakob widerfuhr, ist nämlich ein Ereignis, was jedes Menschenkind innerlich erlebt, das vom Tod zum Leben, von der Sünde zur Gnade, von der Finsternis zum Licht durchdringt. Der innerliche Vorgang, der durch den äußeren Kampf vorgestellt wird und ihm wirklich zur Seite ging, war nichts anderes als Jakobs Wiedergeburt; und eben darum, weil mit dieser Nacht ein neuer Lebensabschnitt beginnt, weil er von da an in einem neuen Leben wandelte, haben wir jene Nacht seine Neujahrsnacht genannt; wir hätten sie auch seine Geburtsnacht nennen können, denn der Israel des neuen Menschen wurde in ihm geboren; oder endlich seine Weihnacht, denn der wider ihn war, wurde für ihn, der Immanuel, Gott mit uns, erschien ihm von Angesicht und segnete ihn. Wir betrachten also:

Die Wiedergeburt des Erzvaters Jakob;

und zwar

  1. seinen Kampf,
  2. seinen Sieg,
  3. seinen Segen.

I. Und Jakob blieb allein (V. 24).

Diese Worte vergegenwärtigen uns seine äußere Lage. Jakob war nach zwanzigjähriger Dienstbarkeit auf Befehl Gottes den Laban verlassen, um wieder im Land der Verheißung zu wohnen. Aber auf dieser Rückkehr nach Kanaan ging er großer Gefahr entgegen. Sein Bruder Esau war sein Todfeind, wegen des erschlichenen Segens. Nun hatte zwar Jakob seinen Bruder durch eine demütige Gesandtschaft und lockende Anerbietungen zu versöhnen gesucht, aber dieser Versuch war fehlgeschlagen. Die Boten waren mit der drohenden Nachricht zurückgekehrt: Dein Bruder Esau zieht dir mit vierhundert Mann entgegen! Da fürchtete sich Jakob und war ihm sehr bange (V. 7). Indes verlässt ihn sein Gottvertrauen nicht, und seine Klugheit ersinnt ein neues Mittel, sich zu retten. Er teilt nämlich seine Herden in zwei Haufen, damit, wenn Esau den einen überfallen sollte, wenigstens der andere erhalten werde. Auch sondert er noch einen dritten Haufen aus zum Geschenk für den feindlichen Bruder. Nachdem diese äußeren Zurüstungen vollendet waren, wendet er sich im Gebet an seinen Gott, er beugt sich vor ihm in Demut, er bekennt seine Furcht, dankt für den Segen und klammert sich im Glauben an Befehl und Verheißung seines Gottes, der gesagt habe: Ziehe wieder in dein Land und zu deiner Freundschaft, ich will dir wohltun (V. 9). Darauf führt er in der Nacht seine Herden und seine Weiber und Kinder über den Fluss Jabok. Aber durch das Alles war seine Furcht noch nicht beschwichtigt. Er suchte die Einsamkeit, um die nötige Sammlung und Fassung in der gefährlichen Lage zu erringen. Er blieb allein, wie der Text sagt. Denken wir uns hinein in seine Lage. Es war Nacht; über ihm der Himmel mit seinen zahllosen Sternen, die an den Segen Abrahams und Isaaks erinnerten, um ihn Finsternis, ein Bild des Todes, mit dem ihn und die Seinen der Grimm Esaus bedrohte, in ihm die Angst und Pein des aufgeweckten Gewissens, das ihm die Verschuldung gegen den betrogenen Bruder unter die Augen stellte. Das war seine Lage und seine Stimmung. Da rang ein Mann mit ihm. Unerwartet, denn er glaubte allein zu sein, fühlte er sich von einem Feind angegriffen; ein Mann tritt von einer Seite her, von der er keine Gefahr vermutete, feindlich an ihn heran, fasst ihn und ringt mit ihm, um ihn zu Boden zu werfen, oder aus seiner Stellung zu bringen und von der Verbindung mit dem Lager der Seinen abzuschneiden. Jakob leistet tapfer Widerstand, und so entsteht ein Kampf zwischen beiden, der bis zur Morgenröte dauert. - Wer der Mann war, das wusste Jakob zuerst nicht, sondern es wird ihm im Verlauf des Kampfes nach und nach klar. Wir wissen, dass es der Engel des Herrn, der erscheinende Gott war, als welchen, wie wir sehen werden, auch Jakob ihn später erkannte. Es sollte mich nicht wundern, geliebte Zuhörer, wenn mancher unter euch an dieser Erzählung Anstoß nähme und voll Befremdung spräche: „Es ist unwürdig und darum undenkbar, dass Gott der Herr in Gestalt eines Mannes mit dem Erzvater Jakob wirklich körperlich gerungen haben soll. Das Erzählte ist gewiss ein bloßer Traum oder eine Vision gewesen!“ Dass aber der geschilderte Kampf keine Vision und kein Traum war, sondern eine wirkliche Begebenheit, geht einfach daraus hervor, dass Jakob aus diesem Kampf sein Leben lang eine lahme Hüfte davon trug; und wenn wir erst den Zweck und die Bedeutung des Kampfes kennen gelernt haben werden, wird uns der ganze Vorgang Gottes vollkommen würdig erscheinen. Wir fragen also: Was soll das Ringen bedeuten? Ringen ist eine Feindseligkeit, und wenn nicht ein tückischer Überfall beabsichtigt wird - was hier gewiss nicht der Fall war - so pflegt es von einer Herausforderung oder sonst einem angreifenden Wort begleitet zu sein, worin der Grund der Feindseligkeit angegeben wird. So können wir denn auch hier gewiss sein, dass der Kampf nicht lautlos und schweigend vor sich gegangen sei, sondern dem tätlichen Angriff scharfe, schneidende Worte zur Seite gegangen sind - und diese hinzuzudenkenden Reden müssen uns Licht geben über die Natur und Bedeutung des Kampfes. Den Stachel seiner Reden hat ohne Zweifel der Gegner Jakobs von dessen Versündigungen gegen seinen Bruder und Vater hergenommen. Seine Sünde hat der Gott-Engel dem Jakob vorgerückt: Bist du nicht ein Betrüger? Hast du nicht die beklagenswerte, hilflose Blindheit deines Vaters missbraucht, um seinen Segen zu erschleichen? Hast du nicht den sträflichen Leichtsinn deines Bruders für dich ausgebeutet? Statt den irrenden Bruder zurechtzuweisen, hast du ihn berückt und betört. Überhaupt ist unwürdige List und Verstellung deine Lieblingssünde, denn auch im Dienst Labans bist du durch List reich geworden. Jetzt kommt die Stunde der Vergeltung, es droht dir der Tod und der verhaltene Zorn Gottes kommt über dich. Wie hast du denken können, Gott habe zu dir gesagt: ich will dir wohltun? Du hast wohl geträumt! Gott soll dir wohltun?! Ja, da müsstest du ein anderer Mann sein. Du willst wohl gar Gott zu einem Sündendiener machen, da du meinst, Er werde solchen Leuten wie dir gnädig sein?! Du hast dir eingebildet, du seiest im Stand der Gnade und hast doch deine Sünde noch nicht wieder gut gemacht. - Solchen Inhalts waren ohne Zweifel die Vorwürfe, mit denen der ringende Gott-Engel den Jakob anfiel, und das Gewicht dieser Worte musste niederdrückender wirken, als die leibliche Wucht seines Gegners, dessen er sich zu erwehren hatte.

Sollten euch, Geliebte in dem Herrn, ähnliche Angriffe und Anfechtungen unbekannt sein? Dann kennt ihr die Buße noch nicht. Jakobs Kampf war nichts anderes als der Kampf der Buße. Wie Jakob äußerlich angegriffen wurde, so greift der Geist Gottes im Bußkampf die Seelen innerlich an, und rückt ihnen die Sünden ihres früheren Lebens vor, um sie zu züchtigen und in die Enge zu treiben. Wenn die Wucht der Schuld uns schier zu Boden drücken will, wenn sie uns vom Vaterherzen Gottes verdrängen und aus dem Gnadenstand hinauswerfen will, wenn der Herr die unerkannten Sünden einem unter die Augen stellt und mit Zorn, Gericht und Verwerfung droht; dann kommt man in Seelenzustände, die dem Kampf Jakobs innerlich verwandt sind.

II. Der Mann rang mit Jakob und bedrängt ihn gewaltig;

aber Jakob kämpft wacker gegen ihn an und weicht nicht und sinkt nicht und endlich kam es sogar soweit, dass sein Gegner sah, dass er ihn nicht übermochte (V. 25). Neues Rätsel! Was soll das heißen, dass der Gott-Engel den Jakob nicht zu besiegen vermochte, sondern ihm das Zeugnis geben musste, „er sei obgelegen“ (V. 28)? Wie kann gesagt werden, dass ein Mensch sich stärker erwies als Gott und den Sieg über Gott davon trug? Die Antwort ist eine zweifache. Erstens war dem Jakob der Sieg über Gott darum möglich, weil der Herr nur innerhalb der sich selbst gesetzten Schranken kämpfen wollte. Eine solche Beschränkung, die der treue Gott sich selbst setzt, besteht darin, „dass er Niemand versucht über Vermögen, sondern einen solchen Ausgang schafft, dass wir es können ertragen“2). Seiner Allmacht nach hätte freilich Gott den schwachen Jakob übermocht, aber gerade seiner Allmacht hatte Gott die Hände gebunden, sie beschränkt durch das Wort der Verheißung: „ich will dir wohltun“ (V. 12). Zweitens vermochte Gott den Jakob nicht, weil beim Ringen eine Berührung mit Gott stattfand und eine Kraft von Gott ausging, ähnlich wie von dem Herrn Jesu, als das blutflüssige Weib ihn anrührte. Die Kraft, die von dem göttlichen Ringer aus- und auf Jakob überging, bewirkte in Jakob den lebendigen Glauben und in diesem Glauben den Sieg über Gottes Versuchung. Die Waffen, die der Glaube dem Jakob in die Hände gab, macht der Prophet Hosea namhaft. Sie waren Gebet, Tränen und Ausharren bis zum Sieg3). Wollte der Engel den Jakob ängstigen durch Aufdeckung der ganzen Größe seiner Sündenschuld, so entwaffnete Jakob ihn durch ein freies, reuevolles Bekenntnis: Ja ich habe gesündigt - wird er etwa gesagt haben - vor dir und vor meinem Vater und Bruder; ich will nichts entschuldigen, beschönigen, oder gar in Abrede stellen. Aber ist meine Sünde mächtig, so ist deine Gnade noch viel mächtiger. Sind bei mir der Sünden viele, so ist bei dir viel Vergebung. Ich bitte dich, erbarme dich mein, ich stehe nicht um Gerechtigkeit, sondern um Barmherzigkeit. Bist du gerecht, so bist du zugleich auch gnädig und ich habe dein Wort: „ich will dir wohltun.“ Das ist meine Stütze und mein Halt. Drang sein Gegner auf Jakob ein mit den Anklagen des Gesetzes, so hielt Jakob ihm den Schild des Glaubens vor und barg sich unter dem Schirm der Gnade. - Seht, Geliebte, so hält der Glaube Stand und flieht nicht, und lässt sich durch Nichts aus dem Feld schlagen, oder von der eingenommenen Stellung verdrängen, auch nicht durch Vorhalten der Sünde in ihrer ganzen Abscheulichkeit. Solchen Glauben sollen auch wir beweisen unter den Schmerzen der Buße, denn nur dadurch können wir uns vor Verzweiflung bewahren. Es gilt, den Herrn mit seinen eigenen Waffen bekämpfen, also Gottes Gerechtigkeit mit seiner Barmherzigkeit überwinden und sein Zornesfeuer mit seiner Vergebung auslöschen. Rückt der Herr uns die Schuld vor, dann nur nicht geflohen, nur sich nicht verbergen, sondern dem Herrn Recht geben, aber ihn bei seinem Wort fassen.

So ritterlich kämpfte Jakob, aber seine Ritterschaft sollte noch kein Ende haben; denn als der Mann sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk seiner Hüfte ward über dem Ringen mit ihm verrenkt (V. 25). Nun schien es ganz vorbei zu sein mit Jakob. Die Hüfte ist das Hauptgelenk unseres Leibes. Ist die Hüfte auseinander, so kann der Mensch nicht mehr stehen, er muss zusammenbrechen und vom weiter kämpfen kann keine Rede sein. Die Verrenkung der Hüfte ist ein Bild davon, dass Gott uns alle eigenen Stützen zerbricht, dass er alles Vertrauen auf unsere eigene Kraft uns nimmt, uns völlig demütigt, alles Selbstgefühl zermalmt und die alte Natur gänzlich vernichtet. Jakob war stark gewesen in Hinterlist und Verstellungskunst, er hatte damit viel ausgerichtet, er hatte gemeint, die Erfüllung des verheißenen Segens damit eigenmächtig herbeiführen zu müssen. Er wollte dem lieben Gott zu Hilfe kommen, was ein sehr überflüssiger Zweck war, und geradezu zur Sünde führte durch die Wahl des schlechten Mittels. Diese natürliche Stärke musste zerbrochen werden, denn List und Glaube vertragen sich nicht zusammen. Nachdem ihm der Herr die Hüfte verrenkt hatte, sprach er: Lass mich gehen (V. 26). Wunderliches Wort aus dem Mund des Herrn; denn so sagt nur einer, der sich für besiegt erklärt und sich vom Ringen los machen möchte. Hätte Jakob diesem Ansinnen des Herrn Folge geleistet und ihn gehen lassen, so wäre er zusammengebrochen und elend und hilflos am Boden gelegen. Darum ließ ihn Jakob nicht, und konnte ihn nicht lassen. Da die Schenkel den Dienst versagten, so hielt er sich mit den Annen an dem Gegner, er umklammert ihn, hing sich ihm an den Hals und ließ sich schleppen.

Lass mich gehen! War das Ernst oder Verstellung? Es war keines von beiden, es war eine Prüfung. Jakob verstand sie und bestand sie, er ruft: Ich lasse dich nicht und hängt sich so an den, der ihm Leid zugefügt. Aber gerade dadurch siegte er. So siegte das kanaanäische Weiblein, als der Herr sie mit harten, schneidenden Worten angriff und sie mit den Hunden auf eine Linie stellte, durch die meisterhafte Erwiderung: Ja Herr, aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herrn Tisch fallen. Sie ließ den Herrn nicht gehen, sondern tat einen Fußfall und versperrt ihm dadurch den Weg. So siegten die Jünger in Emmaus, als der Herr sich stellte, als wollte er weiter gehen, indem sie ihn nötigten, zu bleiben. So siegte Assaph, wenn er sprach: Und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtete, so bist du dennoch Gott allzeit meines Herzens Trost und mein Teil4). So siegte Moses als des Herrn Zorn über das Volk wegen des goldenen Kalbes in die Worte ausbrach: Nun lass mich, dass mein Zorn über sie ergrimme. Aber Moses ließ den Herrn nicht, und nahm Vergebung für das Volk mit vom Berg herab. So sollen auch wir siegen. In Gottes Gnadenwerk wird jedem Begnadigten früher oder später die Hüfte verrenkt, dass ihm nichts übrig bleibt als mit den Armen des Glaubens den Sohn Gottes zu umfassen, sich von ihm heben und tragen zu lassen und zu sprechen: Ich lasse dich nicht! O Wunderwege des Herrn, der die Seinen so verwundet, dass nur Er sie heilen kann, dass er durch Schmerz und Hilflosigkeit sie an sich fesselt und ihnen keine Wahl lässt, als sich an ihn festzuklammern. Darum spricht Hosea zum Volk: Kommt zum Herrn! Er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. Er wird uns aufrichten, dass wir vor ihm lebend5).

=====III.=====.

Jakob sprach: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. - Und er segnete ihn daselbst (V. 26. 29). Aus diesen Worten ist völlig klar, dass Jakob die wahre Natur sowie die Absicht seines geheimnisvollen Gegners erkannt hatte. Er wusste, dass er mit Gott gerungen habe. Das geht aus seiner Bitte um Segen unwidersprechlich hervor; denn wie hätte er Einen, der ihn feindlich angefallen, der ihm die Hüfte verrenkt hatte, um Segen bitten können, wenn er ihn für einen bloßen Menschen hielt? Was wollte Jakob für einen Segen? Er hatte ja schon den Segen der Erstgeburt, der ihm Hab und Gut brachte und ihm die erste Stelle anwies in der Haushaltung Gottes. Der Segen, um den er jetzt flehte, war der Segen der Wiedergeburt, die Vergebung der Sünden, der Friede Gottes, die Ruhe des Gewissens, die Kreuzigung des alten Menschen. Dieser Segen wurde ihm zu Teil, denn es heißt V. 30: Und er segnete ihn daselbst. Dieser errungene Segen war des Kampfes Preis und das Unterpfand und Siegel, dass er ihn erlangt hatte, war der neue Name. Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen (V. 28). Mit Erteilung dieses neuen Namens war des Erzvaters Wiedergeburt versiegelt. Der Jakob, der Untertreter, - denn so ist sein Name zu verdolmetschen - war verwandelt in einen Israel, das bedeutet Gotteskämpfer. Die Schmerzen der Buße waren besiegt durch den Glauben. Die alte Untertreter-Natur war so völlig gebrochen und vernichtet, dass von da an der Erzvater Israel als das Musterbild eines Menschen ohne Falsch gilt, wie ja auch Jesus, um die Aufrichtigkeit des Nathanael vor Gott zu bezeichnen, ihm den neuen Namen des Erzvaters gibt, indem er ihn einen rechten Israeliten ohne Falsch nennt. Jakob war ein neuer Mensch, eine neue Kreatur geworden, darum gebührte ihm der neue Name. Wie aus Jakob ein Israel wurde, so aus Saulus ein Paulus, aus Simon ein Petrus; bei allen dreien war das Alte vergangen, siehe es war Alles neu geworden.

Zu dem neuen Namen kam als zweites Stück des Segens neues Licht. Israel war nicht mehr in der Nacht der Verblendung, dass der Zweck die Mittel heilige; er weilte nicht mehr in der bloßen Morgenröte des Kampfes, sondern es ging ihm die Sonne auf (V. 31). Er hatte nun Bekanntschaft gemacht mit dem Unbekannten, er wusste jetzt, dass er Gottes Angesicht gesehen. Er hatte den Herrn kennen gelernt im heißen Ringen, im gebrochenen Herzen, im Töten und im Lebendigmachen.

Und er hieß die Stätte Pniel: denn ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen (V. 30). Das dritte Stuck des Segens war Genesung der Seele. Genesen war er von der Furcht, genesen von aller Pein und Sorge, von aller Unklarheit und Verwirrung. Jakob bekennt also, dass er vorhin eine kränke, an mancherlei Fehlern und Gebrechen kranke Seele gehabt habe. Die Hüfte war verrenkt, aber die Seele dadurch gesund geworden. Das Mittel zu seiner Genesung war die Erkenntnis Gottes in seinem Zorn und in seiner Gnade, in dem Ernst seiner Heiligkeit und dem Übermaß seiner Güte und Treue.

Das vierte Stück des Segens ist enthalten in den Worten: Und er hinkte an seiner Hüfte (V. 31). Wie, war das Hinken auch ein Segen? Ja, Geliebte. Jeder Fußtritt erinnerte den Patriarchen Israel an die Macht und die Gnade des Herrn und an die eigene Ohnmacht. Jeder Tritt und Schritt erhob und demütigte ihn. Damit er die Gnade bewahre, wurde ihm eine leibliche Demütigung auferlegt, wie dem Apostel Paulus nach der Entzückung der Pfahl ins Fleisch gegeben wurde. Wie aber Paulus neben diesem Pfahl im Fleisch zugleich die Malzeichen des Herrn Jesu an seinem Leibe trug6), so war auch der Patriarch durch eben diese seine Lähmung gezeichnet als Gotteskämpfer.

O Geliebte, dass wir zu den Gesegneten des Herrn gehörten! Dass wir gesegnet wären mit einem zerschlagenen Geist und zerbrochenen Herzen, gesegnet mit einem gekreuzigten, verblutenden, verlähmten alten Menschen und einer neuen Kreatur; gesegnet mit den Gnadenkräften, die wir dem unsere Sünde richtenden Gott im Glauben abringen, gesegnet mit der aufgehenden Sonne der Gerechtigkeit: gesegnet mit einer genesenen Seele, die unter aller Schwachheit und Gebrechlichkeit doch in dem Kern ihres wiedergeborenen Lebens gesund ist.

Jakob, der Gesegnete des Herrn, fand an Esau einen versöhnten Bruder, wir, wenn wir Gesegnete des Herrn sind, werden finden, dass „so jemandes Wege dem Herrn Wohlgefallen, er selbst seine Feinde mit ihm zufrieden macht“7); und dass, wenn Gott für uns ist, Niemand wider uns sein kann. Dem gesegneten Jakob ging die Sonne auf und uns soll die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und Heil unter ihren Flügeln.

Wohne, herrsche, leuchte, heile!
Dir, dir räum' ich Herz und Mut.
Leuchte mir als Feuersäule.
Fülle mich mit Licht und Glut.
Eine Sonne wärmt die Welt,
Eine Sonne mir gefällt.
Ohne dieses Licht des Lebens
Lebt ich in der Welt vergebens. Amen.

1)
überwand
2)
1. Kor. 10,13
3)
Hosea 12,5
4)
Psalm 73,26
5)
Hosea 6,1
6)
Gal. 6,17
7)
Spr. 16,7
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