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Godet, Frederic - Christus in uns

Godet, Frederic - Christus in uns

Wir haben mit dem Neuen Testament zwei Rechtfertigungen zu unterscheiden, eine vorläufige, die einzig auf den Glauben gegründet wird, und eine endgültige, die auf der vollen Ausbildung der Heiligkeit in der Seele des Gläubigen beruht. Die Heiligung oder das Werk Christi in uns steht in der Mitte zwischen beiden, als die Folge der ersten und als Bedingung der zweiten.

Viele Christen sind von einem anscheinenden, auffälligen Widerspruch in der Schrift betroffen: einerseits wird das Heil dem Glauben zugesprochen - dem Glauben allein. Paulus wiederholt es ohne Aufhören und dieser Gedanke kommt auch bei den andern apostolischen Schriftstellern zum Ausdruck. Andererseits reden uns doch auch wieder alle von einem Gericht, bei dem einem jeden vergolten werden wird nach seinen Werken. Paulus spricht sich auch über diesen Punkt nicht weniger klar aus als alle seine Gefährten. Wie sollen wir diese beiden Lehren zusammenbringen?

Die Lösung dieser Frage liegt gerade in der Unterscheidung, die wir soeben gemacht haben. Dieselbe ist, wie uns scheint, folgende: jede Gnadengabe verpflichtet zu einem sittlichen Fortschritt, derselbe ist aber nur möglich bei freier Mitwirkung des Menschen. Jede Gnadengabe Gottes führt so zu einer neuen Erprobung der menschlichen Treue. Was nun im Kleinen des Christenlebens gilt, das gilt auch vom Ganzen desselben. Die anfängliche Gnade, d. h. die Vergebung der Sünden, setzt keine andere Bedingung voraus als den Glauben. Aber kaum ist diese unendliche Gnade von Gott zugesichert und vom Menschen empfangen, so erwächst aus ihr sogleich eine neue Aufgabe mit einer neuen Verantwortlichkeit. Es ist die Arbeit der Heiligung, die Erneuerung des Lebens nach dem Bilde des Lebens Christi. Nach diesem Werk wird einst der Gläubige gerichtet werden. Die Frucht der Gnade wird von ihm gefordert werden. Wer müßte da nicht an den ungetreuen Knecht denken, bei dem das Erbarmen seines Herrn kein Erbarmen mit dem Mitknecht weckte, wie es hätte geschehen sollen? Die Schuldentilgung, die ihm schon zugesichert war, ward widerrufen, und der Sünder, der aus Gnaden gerecht gesprochen worden war, bei dem aber diese Begnadigung keine Frucht gebracht hatte, wurde wieder unter das Urteil des Gesetzes gestellt. Mit dem gleichen Los droht Paulus den Christen in Korinth und Galatien, die im Laster fortleben.

Die Rechtfertigung aus dem Glauben ist eben nur die Eingangspforte in den Zustand der Gnade, während die endgültige Rechtfertigung als eine einfache Anerkennung und Offenbarung der ausgestalteten Heiligkeit die Ausgangspforte ist, welche von der Gnade zur Verherrlichung führt.

So vereinen sich die biblischen Lehren von einer Rechtfertigung aus dem Glauben und einem Gericht nach den Werken. Obschon sie einander anscheinend widersprechen, sind sie doch beide gleich wahr, bloß beziehen sie sich auf zwei ganz verschiedene Zeiten im Leben des Christen.

Es scheint auch unter den Christen sehr wenig Verständnis vorhanden zu sein für die große und ernste Wahrheit, daß die Heiligkeit im Gläubigen das Ziel des göttlichen Tuns und die Sündenvergebung nur das Mittel dazu ist. Wie viele drücken sich so aus, als ob, wenn die Sündenvergebung mit ihrem Frieden einmal erlangt ist, alles abgeschlossen und die Erlösung vollendet wäre! Man scheint gar nichts zu ahnen davon, daß das Heil, das die Erlösung geben will, die Gesundheit der Seele, und daß diese Gesundheit ihre Heiligkeit ist. Die Vergebung ist noch nicht die Wiederherstellung der Gesundheit, sie ist erst die Krisis zur Genesung. Wenn es Gott gefällt, den Sünder gerecht zu erklären, so tut er es, um ihm damit die Heiligkeit zugänglich zu machen. Die Gerechtigkeit, die er ihm vorläufig zuspricht und anrechnet, muß sein wirkliches, persönliches Eigentum werden, sonst wird sie ihm ganz sicher wieder entzogen werden.

Die Sünde ist durch Jesus besiegt, das Gesetz entwaffnet, so wurden die beiden Grundlagen, auf denen der Thron des Todes stand, untergraben, und seine Macht brach zusammen.

In der Auferstehung Jesu Christi ist zum ersten Mal der Sieg zum Durchbruch gekommen, den er soeben über diese Feinde errungen hatte. Und diese erste Beute, die dem Tyrannen entrissen wurde, ist das Unterpfand für die künftige Befreiung und Auferstehung der ganzen gerechtfertigten Menschheit. Die Gemeinde der Verklärten wird die herrliche Ernte sein, auf die die Erstlingsgarbe des auferstandenen Jesus hoffen läßt. Völlige Unverweslichkeit des Leibes wie des Geistes wird das Werk krönen, welches die heldenmütige Liebe Jesu geplant und siegreich ausgeführt hat.

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