Girgensohn, Thomas - Auf Epiphanias.

Girgensohn, Thomas - Auf Epiphanias.

Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.
(Jes. 60, 1.)

„Dein Licht kommt!“ so hat's der Prophet geschaut, da er von der hohen Warte seines prophetischen Berufes hinausschaute in die Ferne, noch vom Dämmerlicht umwobene Zukunft. Noch lagert Dunkel über allen Landen, aber über Jerusalem sieht er ein helles Licht anbrechen. Da ruft er in Freuden dem schlafenden Zion zu: dein Licht kommt! Aber er schaut noch mehr. Er schaut, wie dieses Licht hinausstrahlt in die Lande, und wie nun eine mächtige Bewegung anhebt in der Völkerwelt. In großen Zügen kommen sie herangezogen von allen Enden der Erde, aus der Wüste und von den Gestaden des Meeres, und alle eilen sie Zion zu. In ihren Händen prangen Opfergaben, von ihren Lippen ertönen Lobgesänge, denn über ihnen ist aufgegangen die Herrlichkeit des Herrn. Und was der Prophet also geschaut, es hat sich erfüllt in dem, der da spricht: ich bin das Licht der Welt. Nun ist die Herrlichkeit des Herrn erschienen, nicht als etwas, was neben Christo oder außer ihm vorhanden wäre, sondern, in Christo ist sie wahrhaftig erschienen, die Liebesherrlichkeit Gottes, als Gnade gegen die verlorene Sünderwelt, wie Johannes es bezeugt: wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Um die Krippe zu Bethlehem, da leuchtete das Licht, das Jesajas prophetisch schaute, es umstrahlte die Weisen aus dem Morgenlande, die als die Erstlinge der Heidenwelt seinem Scheine nachgezogen waren. Und hinter ihnen her sind sie alle gekommen, die Völker des Morgenlandes und des Abendlandes, um vor ihm, der das Licht der Welt ist, das Knie zu beugen. Und jedes Epiphanien fest, das wir feiern, jede Epiphanienzeit, die wir durchleben verkündigt es uns aufs Neue: das Licht ist erschienen, die Herrlichkeit des Herrn ist aufgegangen über uns. Jede neue Missionsstation, die an fernen Küsten aufgerichtet wird, sie bezeugt es uns, dass die Zeit der Erfüllung da ist.

Aber über der Freude ob solcher Botschaft darf die Mahnung nicht überhört werden, die der Prophet mit solcher Verkündigung begründet: „Mache dich auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt“ rc. Das ist ja die Heilsabsicht Gottes, dazu hat er das Licht aufgehen lassen über uns, damit wir selbst nicht länger im Finsternis einhergehen, sondern uns so vom Licht durchleuchten lassen, dass wir selbst ganz Licht werden. Denn das ist der Beruf der Jünger Christi. In diesem Sinne hat der Herr ihn bestimmt, wenn er spricht: ihr seid das Licht der Welt. So singen wir in unserem Weihnachtsliede:

Das ew'ge Licht geht da herein,
Gibt der Welt ein'n neuen Schein;
Es leucht't wohl mitten in der Nacht
Und uns des Lichtes Kinder macht.

Es ist freilich ein fast kühnes Wort: werde Licht! Wie darf ein Mensch, und sei er noch so vollkommen und noch so heilig, von sich sagen, dass er ein Licht sei in dem Herrn? Klebt ihm denn nicht noch immer die Sünde an? Empfindet er ihre lähmende und fesselnde Macht nicht um so stärker, je williger er sich vom Lichte Christi durchleuchten lässt und all' sein Tun in das Licht seines Angesichtes stellt? Übersehen wir's nicht! nicht in eigener Kraft soll Solches geschehen. Wir sollen und können licht werden, weil wir selbst über uns haben unsere Sonne der Gerechtigkeit, die da heißt Jesus Christus. Nicht aus uns selbst kommt das Licht, sondern aus ihm. Wohl haben wir immer an uns unseren alten Menschen mit seinen Gebrechen und Schwächen, der folgt uns wie unser Schatten überall hin. Aber je höher die Sonne steigt, um so kleiner wird der Schatten; je mehr unsere Sonne Christus uns ins Herz hineinscheint, je mehr wir in die Liebe unseres Herrn hineinwachsen und je mehr Er uns Alles wird, desto mehr schwindet auch unser Schatten; unser alter Mensch, desto mehr gewinnen wir die Herrschaft über ihn, so dass es zuletzt heißen kann: ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Wer das erreicht, wer durch den Glauben im hellen Lichte Jesu Christi wandelt, der ist ein Licht in dem Herrn geworden, über dem ist die Herrlichkeit Gottes aufgegangen. Denn: Christus in den Christen, das ist die Vollendung des Ratschlusses Gottes an uns: Möge auch die diesjährige Epiphanienzeit uns diesem Ziele näher führen.

R. K. 95. Nr. 1.

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autoren/g/girgensohn_thomas/zur_erbauung/girgensohn_-_auf_epiphanias.txt · Zuletzt geändert: von aj
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