Geß, Wolfgang Friedrich - II. Der Zweifel und das Gewissen.

Geß, Wolfgang Friedrich - II. Der Zweifel und das Gewissen.

Wer nicht im Stande ist etwas Neues zu erfinden was für das praktische Leben oder für die Wissenschaft, die Kunst einen Fortschritt begründet, wer auch nicht vermag im öffentlichen Leben oder im geselligen Umgang etwas zu sagen was die Geister der Menschen trifft, erregt, in Bewegung setzt, einen solchen Mann pflegt man geistlos zu nennen. Und Viele werden freilich von der Eitelkeit getrieben, daß sie um Alles in der Welt möchten als geistreich anerkannt werden. Aber es können ja nicht Alle berufen sein etwas Neues unter die Menschen zu bringen; zu einem Leibe gehört nicht blos der Kopf sondern auch die Arme und Füße, zu einem Heere nicht blos der Stab sondern auch die Mannschaft; wer irgend in treuer Benutzung seiner Kraft, wenn auch nur in der gewöhnlichsten Weise, dem Ganzen zu dienen sucht, der ist ein werthvoller Mann. Geistlos zu sein und sich selbst als solchen bekennen ist keine Schande. Anders verhält es sich wenn man einen Menschen gewissenlos nennt. Das wird von Jedem als Kränkung seiner Ehre empfunden. Und wenn Jemand diesen Vorwurf, daß er gewissenlos sei mit kühlem Herzen hinnehmen, wenn er weder schmerzliche Beschämung über die Wahrheit desselben beweisen noch ihn mit Entrüstung als einen falschen zurückweisen würde, so würde er von seinen Mitbürgern verachtet werden, nicht blos wegen der Gewissenlosigkeit selbst sondern noch einmal darüber, daß er in dieser gleichgiltigen Weise sich gewissenlos nennen lasse. Wir sehen hieraus, daß nach dem allgemeinen Urtheil die Ehre eines Menschen darauf beruht, daß er gewissenhaft ist. Und dieß gilt so sehr, daß selbst die geistreichsten Menschen wenn sie gewissenlos sind der Verachtung verfallen.

Wer nun gewissenhaft zu nennen sei, das ist leicht zu sagen: der, welcher im Thun und Lassen seinem Gewissen folgt. Aber was ist das Gewissen selbst, welchem zu folgen oder nicht zu folgen dem Menschen den Werth gibt oder nimmt? Ich glaube das Gefühl von uns Allen auszusprechen wenn ich sage, das Gewissen sei ein unwillkührliches Wissen des Menschen um ein unbedingtes Gesetz, welches ihm vorschreibt wie er handeln soll und ein unwillkührliches Urtheilen des Menschen über sein Handeln ob es vor diesem Gesetze recht sei oder nicht. So oft der Gang unseres Lebens Aufgaben herbeiführt die von uns zu lösen sind, meldet sich eine Stimme in uns, welche Handlungsweise in unserem Falle die rechte sei; gehen wir dann diesen Weg so begleitet uns ein erhebendes Bewußtsein davon, daß unser Thun dem Gesetze entspreche; gehen wir einen andern Weg so begleitet uns ein drückendes Bewußtsein, daß unser Thun dem Gesetze zuwider sei.

Immanuel Kant, ein nüchterner, bis zur Trockenheit nüchterner Mann, der aber mit größtem Scharfsinn sein Inneres und eben damit das Innere des Menschen überhaupt zu beobachten wußte, Kant hat den Ausspruch gethan, er kenne nichts Erhabeneres als den Sternenhimmel über uns und das Gewissen in uns. Und gewiß, je mehr Jemand diese Stimme die wir in uns tragen erwägt, desto erhabener wird sie ihm erscheinen. In Beiden, ist sie erhaben, in ihrem Vorschreiben dessen was von uns geschehen soll und in ihrem Richten über das was von uns geschehen ist. In ihrem Vorschreiben ist das Erhabene, daß sich diese Stimme schlechterdings nichts bekümmert um unsere Neigung oder Abneigung. Wenn es dir noch so süß wäre an deinem Todfeind Rache zu nehmen, sie verbietet es dir. Wenn es dir noch so bitter wäre von Weib und Kind zu scheiden, in der Noth deines Vaterlandes verlangt sie dennoch von dir in die Gefahr des Todes zu gehen. Kant hat deßhalb dieser inneren Stimme den vortrefflichen Namen gegeben: kategorischer Imperativ. Ja sie redet im Imperativ, in der Sprache des Befehls. Sie bittet nicht, sie fordert. Und zwar nicht hypothetisch sondern kategorisch, nicht bedingt sondern unbedingt. Sie sagt nicht: wenn es dir nicht zu sauer wird so thue das; ob sauer oder nicht, das nimmt sie gar nicht in Betracht. Sie verbietet dir heute, durch Betrug einen Centime zu gewinnen; wolltest du ihr aber morgen sagen, daß es sich jetzt um eine Million handle die du durch Einen Betrug gewinnen könntest und, daß sie daraus möchte billige Rücksicht nehmen, sie nimmt keine Rücksicht darauf, schlechthin verwirft sie den Betrug. Ist das nicht merkwürdig, daß wir einen solchen Imperativ müssen in uns tragen? Zwar wir können ihm ungehorsam sein, aber hören müssen wir ihn doch. Wer ist denn der Befehlshaber der diese Stimme in uns erhebt? Sind wirs nicht selbst? Aber warum unterlassen wir dann nicht die Stimme zu erheben so oft ihr Inhalt uns widrig ist? Im Richten jener Stimme ist das Erhabene die unpartheiische Strenge womit sie ihr Urtheil spricht. Haben wir ihren Geboten entgegen gehandelt, so erfolgt, so widrig es uns sein mag, ihr Verurtheilungsspruch. War die Handlung ganz gesetzwidrig, so wird sie von der inneren Stimme ganz verworfen. War sie theilweise recht, theilweise unrecht, so weiß die innere Stimme den unrechten Theil herauszufinden und wie mit einem ausgestreckten Finger auf ihn hinzuweisen. Zwar machen wir dann oft den Versuch der Stimme zu beweisen, unsere Handlung sei ja recht, ganz recht gewesen. Aber selbst wenn dieser Beweis unserem Verstande als stattlich erscheinen mag, ist die innere Stimme im Stande ihn kurzweg abzuweisen, wie ein geistesklarer Richter die scheinbarsten Beweise eines schlauen Advokaten zu Gunsten einer schlechten Sache einfach bei Seite läßt. Und zwar greift dieser innere Richter mit seinem Urteilsspruch nicht blos die Handlung selber an sondern auch unsere Person. Wenn einem guten Maler ein Gemälde mißlingt, so sagt ihm sein Schönheitsgefühl, das Gemälde sei schlecht und er müsse es von Neuem malen, wenn aber eine Handlung schlecht ausgefallen ist, so sagt das Gewissen nicht blos die Handlung sei schlecht sondern auch uns selber wirft sie Schlechtigkeit vor; es sagt, du bist ein schlechter Mann, du hättest gut handeln sollen, gut handeln können und hast dennoch schlecht gehandelt. Und selbst wenn unsere Mitmenschen uns loben, ist die innere Stimme im Stande unsere Handlung und uns selbst zu verwerfen. Ja es kann geschehen, daß eben während dieses Lobes die Schamröthe in unser Angesicht steigt, indem die innere Stimme trotz des Lobes das von Außen kommt, ja gerade durch dieses Lob aufgeregt uns so stark verurtheilt, daß sofort auch unser Blut in Wallung geräth. Das ist ein Beweis wie von der Unparteilichkeit der Gewissensstimme so zugleich von ihrer Macht. Ja, welche Macht vermag die Stimme des Gewissens in dem Menschen zu offenbaren! Wer um einer guten Sache willen Schmach, Beraubung, Gefängniß, Tödtung erleidet, dem kann sie unter dem bittersten Leiden solche Heiterkeit geben, daß er nimmermehr mit seinen Verfolgern tauschen würde. Was für eine Pein kann sie im Gegentheil in dem bewirken, der sich mit einem Verbrechen belastet hat! Leset die innere Noth des Königs David als er das Doppelverbrechen des Ehebruchs und Mords begannen hatte (Psalm 51): er war ja doch ein König der unter keinem Richter stand, wer wollte ihn zur Rechenschaft ziehn? Aber auch auf heidnischem Gebiet treten uns die Zeugnisse der Gewissenspein entgegen. Die Griechen waren ein geistreich lebensfrohes, die Römer ein starkherziges Volk, dennoch haben beide die Qual der Gewissensverurtheilung wohl gekannt. Ihre Dichter erzählen uns von den Erinnyen oder Furien, das sind die Göttinnen der Rache, welche die Meineidigen, die Mörder, überhaupt die Missethäter verfolgen; darin sind die Qualen der Gewissensangst dichterisch dargestellt. Und wie die Völker des Alterthums, in gleicher Weise erfahren wir's. Schon mancher Mörder ist durch Nichts als durch die Macht seines Gewissens zum freiwilligen Geständniß seiner That getrieben worden. Man braucht jedoch kein Mörder zu sein um die Peinlichkeit der Gewissensvorwürfe erlebt zu haben: wir Alle werden davon zu sagen wissen. Wieder muß ich nun fragen, wer ist denn der Richter der diese richtende, verurtheilende, Pein bringende Stimme in uns erhebt? Sind wir es selbst? Aber wenn wir es selber sind, warum unterlassen wir nicht diese Verurteilung unserer eigenen Person? Ist es aber ein Anderer der in uns redet, warum verstopfen wir die Ohren nicht? Wohl Mancher hat es schon versucht diese Richterstimme zum Schweigen zu bringen und sie schwieg dennoch nicht. Ich kann mich auch hier wieder auf Kant berufen. Er sagt, der Mensch könne es etwa dahin bringen, sich an die furchtbare Stimme des Gewissens nicht mehr zu kehren, aber sie zu hören, das könne er doch nicht vermeiden. Kant hat deßhalb das Gewissen eine unausbleibliche Thatsache genannt. Zwar ist in dieser Beziehung immerhin ein großer Unterschied. Es gibt Menschen von scharfem und Menschen von stumpfem Gewissen, Menschen von solcher Stumpfheit, daß sie an einen Meineid, an einen Mord mit kaltem Herzen sich erinnern können. Aber schon die Sprache deutet uns an, daß diese Gewissensstumpfheit von dem allgemeinen Bewußtsein als etwas unnatürliches aufgefaßt wird. Denn die Sprache bezeichnet den Zustand solcher Leute mit dem Ausdruck, ihr Gewissen sei abgestumpft. Von Natur war es also schärfer als jetzt. Noch tiefsinniger ist der gangbare Ausdruck, solche Menschen haben ihr Gewissen eingeschläfert. Das Gewissen ist also da, aber es schläft. Und nicht schlief es von Anfang an, es wachte, aber es wurde in Schlaf gebracht. Der Mensch hat ihm Opium eingegeben. Wie aber ein Mensch selbst aus der tiefsten Ohnmacht dennoch wieder erwachen kann, so kann es auch beim Gewissen gehn. Gewissen die Jahrzehnte lang geschlafen sind endlich wieder aufgewacht und haben mit ungeahnter Gewalt ihren Richterspruch gegen den Menschen erhoben. Vielleicht hat das Gewissen eine Art von Donnerschlag gehört, vielleicht hat es eine Art von hellem Licht gesehen und ist hiedurch aus dem Schlafe aufgeweckt worden, wie ja auch im leiblichen Schlafe die Reizbarkeit des Gehör- und Gesichtsinns nicht ganz erloschen ist, in andern Fällen will sich die Ursache durch, welche das Gewissen geweckt wurde von einem menschlichen Beobachter nicht erkennen lassen. Das ist ein Hauptgrund um deßwillen Kant die Stimme des Gewissens eine furchtbare Stimme nennt, dieses Vermögen desselben trotz aller Bemühung des Menschen um Verewigung seines Schlafs dennoch plötzlich aufzuwachen und mit Macht seinen Urteilsspruch zu thun.

Aber ich wollte ja von der Ueberwindung des Zweifels reden, von dem Wege, auf welchem Jedermann zur Ueberwindung desselben, zur Gewißheit des Christenglaubens, zur völligen Gewißheit desselben gelangen könne. Vielleicht werdet ihr fragen wann ich denn zur Sache kommen wolle. Ich darf antworten, daß ich bereits in der Sache sei. Viele unter den Gegnern der christlichen Wahrheit sind in unserer Zeit wieder bis zu dem Satze fortgeschritten, was man nicht mit den Sinnen wahrnehmen, also nicht hören, sehen, riechen, schmecken, tasten könne, das könne man auch nicht als etwas Wirkliches anerkennen. Die Christen reden von einem unsichtbaren Gott, ein solcher wäre also schon deßhalb leere Einbildung. Die Christen reden von einer unsichtbaren Welt und hoffen sie nach dem Tode zu finden, auch das ist leeres Gerede, wenn nur was sinnlich wahrnehmbar ist Wirklichkeit hat. Die Christen reden von einer Seele des Menschen und erklären die Sorge um das Heil der Seele für die unvergleichlich wichtigste Sorge, die Seele müsse geheiliget werden und was es dem Menschen helfen solle wenn er die ganze Welt gewänne und darüber an seiner Seele Schaden nähme, aber wer hat die Seele mit den Sinnen wahrgenommen? Wie mag man also von ihr reden? Die Seele ist nichts wirkliches, denn wirklich ist nur was sich der sinnlichen Wahrnehmung beweist. Was man als Lebensäußerungen einer unsichtbaren Seele darzustellen pflegte, das Denken, Wollen, Fühlen, das ist Alles Wirkung des leiblichen Lebens, insbesondere des Gehirns. Bekanntlich nennt man diese Anschauungsweise, weil ihr nur das sinnlich Wahrnehmbare, also das Materielle für wirklich gilt und weil sie auch das Seelenleben aus der Leiblichkeit des Menschen, also aus dem Materiellen ableiten will, Materialismus. Möglicherweise kann diese materialistische Meinung bei einem Menschen das Erzeugnis materieller Herzensneigungen, fleischlichen Sinnes sein. Jedenfalls werden Menschen deren Lebenslust im sinnlichen Genuß besteht das materialistische System willkommen heißen, denn es liefert ihnen die Rechtfertigung ihrer Praxis, es läßt den praktischen Materialismus, die Richtung des Menschen auf Sinnenlust erscheinen als das Vernünftige. Doch wäre es ungerecht wenn wir behaupten wollten, daß wer irgend zu materialistischen Lehren gelange, dazu gelange weil die Sinnenlust sein Höchstes sei. Vielmehr müssen wir hier jene ganze Macht in Anschlag bringen, welche die Sichtbarkeit auf das menschliche Gemüth ausübt und auf die der erste Vortrag als auf eine Hauptquelle des Zweifels hingewiesen hat. Jeder der sich selbst beobachtet kann leicht inne werden wie sehr sein Seelenleben in jedem Momente bedingt ist durch das leibliche. Frischer Blutumlauf erzeugt frohen Muth, leibliche Krankheit drückt auf das Gemüth. Nur wenn der Kopf frei ist geht das Denken wohl von statten. Auch das Vermögen frisch und kräftig sich zu entschließen und bei dem gefaßten Beschlusse zu beharren ist durch leibliche Kräftigkeit mit bedingt. Die Irrenärzte sind durch ihre Erfahrung auf den Satz geführt worden, daß die Geisteskrankheiten immer durch leibliche Krankheit mitverursacht sind. Auch in der Sprache wird dieses Bedingtsein des seelischen und geistigen Lebens durch das leibliche reichlich anerkannt. Die deutsche Sprache redet von einem guten Kopf und verwirrten Kopf und meint damit die gute oder verwirrte Beschaffenheit des Denkvermögens, von einem guten Herzen, bösen Herzen, kranken Herzen, und meint bei dem ersten und zweiten Ausdruck das Gutsein und Bösesein des Willens und hei dem dritten die Krankheit des Gefühls. Aehnliches findet sich in anderen Sprachen. Wer nun etwa durch seinen Lebensberuf darauf hingewiesen ist, die Macht, welche das leibliche Leben auf das seelisch-geistige übt täglich zu beobachten, dem kann es, wie wir Menschen einmal sind, leicht geschehen, daß er, von diesem Anblick völlig hingenommen, zu dem Schlusse fortgerissen wird, das Leibesleben sei die Quelle des geistigen. Bei einigem Nachdenken wäre freilich leicht einzusehen, wie übereilt dieser Schluß ist: weil sich das seelisch-geistige Leben in jedem Momente bedingt zeigt durch das leibliche Leben, so ist das leibliche Leben die Quelle des seelisch-geistigen Lebens und eine Seele brauchen wir nicht ferner anzunehmen.

Mit demselben Rechte könnte ein Landmann schließen: weil das Wachstum des Waizens durchaus bedingt ist durch Sonnenschein, durch Regen, durch Fruchtbarkeit des Bodens, so ist Sonnenschein, Regen, Fruchtbarkeit des Bodens die Ursache der vollen Halme die in guten Jahren auf guten Aeckern stehen, mit dem Ausstreuen von Samen brauche ich mich künftig nicht mehr zu bemühen. Diese Logik würde bald in schmerzlicher Weise ihre Berichtigung erfahren. Dennoch ist es eben diese Logik, welche in unserer Zeit nicht Wenige dem jetzt so verbreiteten Systeme des Materialismus in die Arme führt, so, daß sie zu dem Satze schwören: Geist ist nicht, Nichts ist wirklich was nicht mit den Sinnen wahrzunehmen ist. Aber nun - einem Jeden der, auf, welchem Wege immer, zum Materialismus gekommen ist, dürfen wir zurufen: o Freund du trägst ja die Widerlegung deines Systems in dir selbst! Dein Gewissen ist der Zeuge dagegen. Nur Einmal dürftest du dich über dein Gewissen besinnen so wäre dir die Falschheit deines Systems aufgedeckt. Alles Denken, Fühlen, Wollen soll nur das Erzeugnis des Leibeslebens sein? Nun, woher kommt es denn dann, daß eine innere Stimme dir verbietet deiner körperlichen Lust zu stöhnen wie das Thier ihr stöhnt? Wäre nicht ein vom Leibe unterschiedener, zur Herrschaft über das Leibesleben berufener Geist in dir, wie könnte dir die innere Stimme befehlen, daß du die leiblichen Triebe meistern sollest? Wie könnte sie gar, wenn etwa dein Vaterland in Gefahr ist, dir vorschreiben, dein leibliches Leben für dasselbe aufzuopfern? Sind es etwa leibliche Triebe gewesen, welche Winkelried getrieben haben, die Lanzen der Feinde in seine Brust zu bohren? Wie schmählich müßte ein Materialist reden über diese große That, wenn er sie von seinem Systeme aus folgerichtig erklären wollte! Der edle Held wäre ihm - ich schäme mich es auszusprechen - einem Thiere gleich das im Drange seines Grimms dem Todesstreiche entgegengeht. Vor zwei Jahrtausenden haben die Karthager den gefangenen Römer Regulus heimgesandt, ihnen Frieden zu erbitten, zugleich aber ihn eidlich verpflichtet, wenn der Friedensschluß nicht gelinge, wieder in die Gefangenschaft sich zu stellen, Regulus aber hat dem römischen Senate den Frieden abgerathen und ist seinem Eide getreu in die Stadt der Feinde zurückgekehrt, wohl wissend, welche Rache ihn dort treffen werde, und auf die flehentlichen Bitten der Seinigen, daß er in Rom bleiben möge zur. Antwort gebend: meine Seele gehört Euch, mein Leib den Karthagern. Sind das leibliche Triebe gewesen, welche den Mann nach Karthago zurückgeführt haben? Nicht minder wird der Materialismus an der Thatsache zu Schanden, daß eine richtende und, wenn eine That schlecht war, verurtheilende Stimme in uns spricht. Thiers kann man durch Dressur dahin bringen, daß sie sich fürchten wenn sie etwas gethan haben für dessen Thun sie früher geschlagen wurden; Menschen werden nach einer Missethat nicht etwa blos durch Furcht vor Strafe geängstigt; sie werden, auch wenn keinerlei Bestrafung in Aussicht steht, gepeinigt durch den Richter in ihrem Innern, welcher ihnen vorwirft sich entwürdigt zu haben. Kann doch dieser Richter dermaßen verfolgen, daß der Mensch sich sehnt, sein Verbrechen durch Erleiden der Strafe zu sühnen, hoffend, daß die innere Qual durch Tragen des äußeren Gerichts erleichtert werde. Gesetzt aber ein Mörder wolle im Anblicke des Leichnams den er hingestreckt hat den Materialisten spielen, indem er spricht: das hat mein aufgeregtes Blut gethan, was antwortet die Stimme die in seinem Innern ist? Mit völliger Klarheit weiß sie zu scheiden zwischen des Mannes aufgeregtem Blut und zwischen dem Manne selbst: du hast es gethan, ruft sie ihm zu: du, die persönliche, die unsichtbare Seele, auf dir liegt der Fluch, denn von dir war die That. Ist doch schon darin, daß der Mörder sagt: „mein Blut hat es gethan“ der Materialismus von ihm selber widerlegt: „mein“ Blut, nun wer ist denn der, welcher spricht „mein“ Blut? Zu „mein“ gehört ja ein „Ich“. So bricht es in dem eigenen Reden eines Materialisten sofort hervor, daß nicht dieser sichtbare Leib der Mensch ist, sondern die unsichtbare Seele, welche diesen Leib durchdringt, das ist der Mensch.

Also sein Gewissen verbürgt Jedem der auf die innere Stimme achten will, daß ein unbedingt giltiges Gesetz über ihm waltet, verbürgt ihm das Dasein einer unbedingten obwohl unsichtbaren Macht, verbürgt ihm, daß auch in ihm selbst das Unsichtbare ist die wahre Wirklichkeit. Aber die Anerkennung dieses Unsichtbaren macht uns freilich noch nicht zu Christen. Ein Christ ist ein Mensch, welcher sein Leben führt im Glauben an den lebendigen Gott, an den ewig in sich vollendeten Geist, welcher heilige Liebe ist. Unsere zweite Frage muß deßhalb sein, ob denn auch dieses Gottes, seines Lebens, seiner Gegenwart der Mensch gewiß werden könne. Und zwar jeder Mensch. Und zwar völlig gewiß. Denn das ist es ja wovon wir reden, ob es einen Weg gebe, darauf Alle zur Gewißheit, zur völligen Gewißheit des christlichen Glaubens gelangen können. Ich sage: ja, zu solcher Gewißheit von Gottes Lebendigkeit gibt es einen Weg und er läßt sich mit wenigen Worten beschreiben: bete zu Gott, so wird er dir antworten, wandle vor Gott so wirst du seines Lebens inne werden.

Zweiflern darf man nicht zumuthen, die Bibel anzuerkennen als ein heiliges, die Wahrheit redendes Buch: das gehört ja eben mit zu ihrem Zweifeln, ob die Männer von, welchen die Bibel geschrieben wurde aus dem Geiste Gottes geschrieben haben. Wer aber die Bibel noch nicht lesen kann als heiliges Buch, der könnte sie doch lesen als ehrwürdiges Buch, welches gründlich kennen zu lernen der Mühe werth sein muß. Kann man einem Manne wirkliche Geistesbildung zuschreiben, welcher (wie in unserer Zeit bei Tausenden der sogenannten Gebildeten der Fall zu sein scheint), nachdem er aus Schule und Unterweisung getreten, mit der Bibel sich nicht mehr weiter beschäftigt hat? Ich glaube es nicht. Denn die Bibel ist ja doch die Urkunde der Religion, welche die unvergleichlich größte Frucht für die geistige Entwicklung der Menschheit getragen hat. Und wären nun die Zweifler nur zu bewegen, daß sie, statt so vieler Lektüre, welche dem Geist keine Nahrung gibt, die Bibel, zunächst blos als menschliches Buch, mit Ernst wollten vor sich nehmen, wie Vieles würden sie darin finden wovon sie keine Ahnung hatten! Sie würden z. B., während sie selbst eben nur Zweifler sind, in der Bibel eine lange Reihe von Menschen kennen lernen, welche ihrer Sache, ihres Zieles, Weges, Sieges gewiß gewesen sind. Und, daß dieß etwas Großes ist, seiner Sache gewiß zu sein, das wenigstens sollte kein Zweifler bezweifeln können. Die Ungewißheit, in welcher sich der Zweifler befindet, erzeugt ja nothwendig in seinem Geiste ein Gefühl der Nichtbefriedigung. Wenn ich die Männer der Bibel noch gar nicht als Träger göttlicher Erleuchtung sondern nur nach ihrem Wirken in Mitten ihres Volkes ins Auge fasse, so erfüllt mich mit tiefer Bewunderung, zu sehen, in, welcher Einsamkeit, in welch hoffnungslosen Lagen diese Menschen arbeiten mußten und damit zu vergleichen diese Sicherheit des Geistes, diesen Heldenmuth. Sehet z. B. den Moses an! Menschlich betrachtet konnte Nichts weniger wahrscheinlich sein als, daß es gelingen werde, eine Horde von Sklaven, welche unter schwerem Druck der Egypter seufzten zu einem Volke zu machen, Palästina, das Land der Kanaaniter, dieser Sklavenhorde zu verschaffen als ihr eigentümliches Land, vollends aber, während ringsum nur heidnische Völker waren, die frühere Sklavenhorde zu erheben zu einem Volk, welches den Einen und unsichtbaren Gott anbeten würde. Dennoch hat Moses unerschütterlich seine Arbeit gethan. Und er war ein achtzigjähriger Mann da er begonnen hat: die Achtzigjährigen haben sonst die Begeisterung, den Hoffnungsmuth der Jugend hinter sich. Später wurde Israel dermaßen vom Heidentum angesteckt, daß zeitweise nur noch ein geringer Rest an Jehovah hielt; dennoch bleiben die Propheten fest dabei, daß Israels Gott einst sogar von allen Völkern werde anerkannt werden. Aber nun Jesus! Mit Thränen zieht er ein in Jerusalem, reitend auf einem Thiere das er sich von Freunden erbitten muß, dennoch erklärt er sich eben durch diese Weise seines Einzugs für den von der Weissagung verkündigten König Israels. Und indem er weiß, daß die nächsten Tage, die nächsten Stunden ihm den Tod eines Verbrechers bringen, spricht er dennoch aus, die frohe Botschaft von seinem Königreich müsse auf der ganzen Erde verkündigt werden, eben das Blut das er nun vergieße diene zur Stiftung des neuen Bundes Gottes mit den Menschen, ja er sagt voraus, wo nur verkündigt werde seine frohe Botschaft in der ganzen Welt, da werde auch die Liebesthat jener Frau erzählt werden, welche eine Woche vor seinem Tode die kostbare Salbe über sein Haupt ausgoß. Jesu Jünger sind zuerst ganz entmuthigt durch Jesu Tod, aber bald gehen sie ans Werk, nicht ihrem Volke allein sondern den Griechen, den Römern, allen Völkerschaften die sie erreichen können, in Christi Kreuz das ewige Leben anzubieten. Was will dieser Lotterbube sagen? rufen in dem Mittelpunkte des griechischen Geistes die Vertreter der Bildung dem Paulus zu, dieser aber bleibt in Athen, in Korinth, in Ephesus, er bleibt auch in der Gefangenschaft und im Blick auf das Blutgerüste des Sieges seiner Sache gewiß. Und sie hat gesiegt. Worauf hat es denn nun beruht, daß diese Männer in den hoffnungslosesten Lagen ihrer Sache gewiß gewesen? Darauf, daß sie ihres Gottes gewiß gewesen sind, seines Lebens, seines Willens, seiner Liebe, seiner allmächtigen Gegenwart. Das eben ist das Zweite was jeden Beschauer mächtig ergreifen muß und was insbesondere einen Zweifler ergreifen sollte, der Anblick dieser Gewißheit Gottes in, welcher diese Männer stehen. Man kann der Existenz dieser sichtbaren Welt nicht sicherer sein als sie des unsichtbaren Gottes waren. Leset z. B. das priesterliche Gebet Jesu, Johannes cp. 17: welch eine Ruhe des Geistes, welcher Friede, und hiedurch, welche Majestät! Freilich war dieß das Beten des eingeborenen Sohnes zu seinem Vater, deßhalb ein Beten von einziger Art, welche auch bei den Aposteln und Propheten nicht wiederkehrt. Das Gebet von Sündern kann nie dem Gebete des Heiligen gleichen. Aber die völlige Gewißheit ihres Gottes athmet auch in den Gebeten, welche uns z.B. von Jesajas, von Paulus überliefert sind. Wie sind die Männer der Bibel ihres Gottes so gewiß geworden? Wer die Bibel liest der wird bald finden: es waren nicht Schlußfolgerungen des Verstandes, worauf ihre Gewißheit ruhte. Auf Verstandesschlüsse verweisen sie nur die, welche noch ferne stehen. Sie selber giengen einen andern Weg. Und welcher Weg war dieß? Ich habe ihn vorhin genannt: sie haben zu Gott gebetet und Gott hat ihnen geantwortet, sie haben vor Gott gelebt und Gott hat in ihnen gelebt: dieses Erleben Gottes hat sie seines Lebens, seiner Gegenwart so sicher gemacht, wie ein Mensch sicher ist der lebendigen Gegenwart seines Freundes mit dem er redet und der mit ihm redet. Und eben dieß ist der Weg den auch, seitdem der letzte der Apostel gestorben ist, Tausende von Christen gegangen und auf, welchem sie zur zweifellosen Sicherheit des Gottes-Glaubens gekommen sind.

Wenn ich von dem Beten des Menschen zu Gott und von dem Antworten Gottes rede, so möget ihr hiebei immerhin zuerst denken an ein Bitten um Wohlthaten für das äußere Leben und an ein Antworten Gottes durch Eingreifen in unsern auswendigen Lebensgang. Denn es gibt in der That Menschen in deren äußeres Leben die Hand Gottes auf ihr Bitten hin so augenscheinlich eingegriffen hat, daß denselben schon auf diesem Wege eine unerschütterliche Ueberzeugung von dem Walten eines lebendigen und unsere Bitten erhörenden Gottes hat entstehen müssen. Zu diesen Menschen hat z. B. Francke gehört, der Erbauer des Halleschen Waisenhauses, einer der edelsten Menschenfreunde, welche Deutschland gesehen hat. Ein Geschenk von vier Thalern das er im Jahre 1695 für die Armen erhielt, weckte in ihm den Gedanken eine Armenschule zu gründen: noch an demselben Tag schritt er auf Grund dieses Kapitals zur Ausführung. Beim Tode des Mannes, im Jahre 1727, stand ein Gebäude da in welchem 130 Waisen erzogen, gegen 200 andere Schüler und 250 Studenten gespeist worden sind. Francke hatte über keinen Fond zu verfügen, auch war seine Zeit noch nicht wie die unsrige eine Zeit der Vereine: Alles hieng an seiner Person. Nur Einen Verein hat Francke gehabt, den seiner selbst mit dem lebendigen Gott durch gläubiges Gebet. Es ist der Mühe werth die einfache Erzählung des Mannes zu lesen über die immer neuen Fälle äußerster Entblösung von Mitteln während die Bauleute bezahlt, die Kinder versorgt sein wollten, und wie ihm doch jedesmal wieder auf sein Gebet das Nöthige zugekommen ist, sei es nun, daß er mit ausdrücklichem Bitten sich an Gott gewendet, sei es, daß er nur in aller Ruhe die Gewißheit ausgesprochen hat, die Hilfe Gottes werde auch dießmal nicht ferne sein. Man kann, wenn von solchen Gebetserhörungen die Rede ist, die Einwendung machen, wenn nach dem Gebete die Hilfe gekommen, so beweise dieß noch nicht, daß sie durch das Gebet gekommen; zufälliger Weise sei Gebet und Hilfe zusammengetroffen. Nun wohl, vereinzelte Fälle würden hier Nichts beweisen. Wenn auf ein A ein B folgt, so darf ich allerdings nicht sofort schließen, A sei die Ursache von B, B die Wirkung von A gewesen. Wenn es sich aber in einer langen Reihe von Erlebnissen immer wiederholt, daß auf ein A das B folgt, dann pflegt doch jeder besonnene Mann so zu urtheilen, das A sei die Ursache des B. Ich kann nur sagen, wer sich dafür interessire, der möge selbst den Bericht von Francke lesen; er werde dann wohl den Eindruck bekommen: entweder hat in diesem Leben der Zufall eine ganz erstaunliche, eine unglaubliche Rolle gespielt, oder es sind Gebetserhörungen des lebendigen Gottes gewesen, welche dieser Francke erfahren hat.

Die Bitten um Wohlthaten für unser äußeres Leben sind aber nicht die einzigen die wir Gott vortragen sollen. Und das Eingreifen in unsern äußeren Lebensgang ist nicht die einzige Weise in, welcher Gott uns antworten kann. Ja es liegt hier ein Abweg nahe, welchen betretend die Zweifler statt zur Gewißheit von Gott, nur noch tiefer in den Zweifel gerathen. Niemand soll wähnen, was irgend für Bitten er vor Gott bringen möge, diese müssen ihm gewährt werden, und er wolle die Gewährung derselben zum Prüfstein machen ob Gott lebe oder nicht. Wir Menschen haben gar vielerlei und oft sehr thörichte Wünsche. Und doch gibt es nicht Ein irdisches Gut, welches dem Menschen durchaus nöthig wäre, nur Gott selbst ist für den Menschen schlechterdings eine Notwendigkeit. Die Verheißungen, welche Gott den Bittenden gegeben hat sind nicht so gemeint, daß Gott Alles was ihnen gut dünke vollbringen werde. Wer sagen würde: diese meine Wünsche sind es, welche ich von Gott erbitten will; gewährt er sie, dann weiß ich, daß er lebt; gewährt er sie nicht, dann weiß ich, daß er nicht lebt; das Ware nicht Gott suchen sondern versuchen, Gott versuchen aber ist ein Frevel an Gottes Majestät und es ist nur wohlverdiente Vergeltung, wenn, wer Gott versucht, ihm nur um so ferner kommt. Will ein Zweifler Gottes gewiß werden, so muß es ihm wirklich zu thun sein um Gott, um Gott selbst, um Nichts als um Gott. Ob dann Gott, wenn du ihn suchst, ihn anrufst, daß er sich dir bezeugen wolle, durch Eingreifen in deinen äußeren oder in deinen inneren Lebensgang dir antworten wird, das mußt du ihm überlassen. Denn Gott kann dir auch antworten durch Bezeugung seiner selbst in deinem inneren Lebensgang. Ja das erst ist die rechte Offenbarung Gottes, da erst geht die Offenbarung vom Geist zum Geist, da erst wird dir der Weg gebahnt nicht blos von Gott zu wissen sondern den Gott, der Geist ist, im Geiste anzubeten. Ohne vorher diese innere Offenbarung Gottes erlebt zu haben, wäre Francke auch nie zu jener Gemeinschaft mit Gott gelangt der er die äußeren Hilfen verdankte. Wie geht es denn bei dieser inwendigen Offenbarung Gottes zu? Ich rede zu Zweiflern, zu Solchen die ferne stehen: diesen muß ich die Anfänge der Gottesoffenbarung beschreiben, die Weise wie Gott den noch Fernen sich bezeugt. Magst du aber noch so ferne von Gott sein, du trägst dennoch einen Zeugen für Gott in dir selbst. So gewiß du ein vernünftiger Mensch bist, so gewiß muß in dir anklopfen das Bedürfniß, zu verstehen den Ursprung der Welt die vor dir steht, den Ursprung dieses Ungeheuern Seins, dieser weisheitsvollen Ordnung. Dieses Bedürfniß zu verstehen ist aber nichts Anderes als das Bedürfniß, zu finden den ewigen Verstand, durch dessen That diese Welt gesetzt worden ist. Denn diese Gewißheit ist dem Menschen tief eingegraben, daß nicht das Verstandlose sondern nur der Verstand, nicht der Stoff sondern nur der Geist der Urheber alles Seins sein könne. Alles Nachdenken über die Welt, alles Philosophiren geht aus dieser unserem Geiste eingewobenen Voraussetzung hervor. Ferner: so gewiß du ein vernünftiger Mensch bist, so gewiß vernimmst du in dir jene Stimme, welche zu dir redet von einem ewigen Gesetze dem du selber verpflichtet seiest und, daß du um dieses Gesetzes willen deine Triebe beherrschen müssest wie ein starker Reiter sein bäumendes Roß beherrscht: nun woher bist denn du selber entsprungen, daß du ein solches Gesetz und, daß du die Freiheit ihm zu gehorchen in dir trägst? Erzeugniß des Naturlebens kannst du nicht sein, denn wie sollte das Naturleben die freie Geistigkeit aus sich erzeugen können, da doch in der Wirkung nicht mehr sein kann als was in der Ursache war? Wie kannst du also dein eigenes Dasein verstehen, außer wenn ein heiliger Urgeist dein Schöpfer ist? Endlich: wenn du inne wirst, daß du das Gewissensgesetz übertreten hast, kannst du leugnen, daß du dich dann verantwortlich fühlst? Und zwar auch in dem Fall, daß du keinen Menschen beschädigt hast, also kein Mensch berechtigt ist dich zur Rede zu stellen. Bei allen geistig entwickelten Völkern finden wir dieß, daß ihnen das Gewissen das Böse das sie thun vorwirft nicht blos als eine Beschmutzung, welche sie dem Adel der menschlichen Seele angethan, sondern als eine Rechtsverletzung für, welche sie Antwort zu geben haben. Aber wer ist es denn der die Antwort von uns fordern wird? Wo ein Richterstuhl ist, da muß auch ein Richter sein. Ihr sehet: der Mensch kann auch wenn er Gott ferne geworden ist dennoch nicht los von ihm werden. Er müßte erst seine Vernünftigkeit umbringen, um die Zeugen für Gott die in ihm sind umzubringen. Darum eben haben unsere Väter den Menschen vernünftig genannt weil es zu seinem Wesen gehört Gott zu vernehmen. Und zwar sind die von mir angedeuteten Schlußfolgerungen gar nicht blos Philosophen bekannt: sie vollziehen sich auch in dem einfachsten Gemüth wenn dasselbe nur zu ernster Sammlung in sich geht. Aber nun, wenn der Mensch solche Zeugen für den ewigen Schöpfer, Gesetzgeber, Richter in sich trägt, sollte er dann nicht herzutreten zu dem von dem er doch nicht los kommen kann? Sollte er ihn nicht lobpreisen? Sollte er nicht seine Gemeinschaft suchen? Die Zeugnisse von seinem Leben die Gott in deine Vernunft hineingewoben hat sind Boten Gottes, welche dich einladen ihn zu suchen. Wenn wir nun sonst Gemeinschaft suchen, welchen Weg schlagen wir ein? Wir reden zu dem dessen Gemeinschaft wir begehren, wir rufen ihn an. Das ist es was die Zweifler thun sollten gegenüber von Gott. Sie sollten ihn anrufen. Und zwar anrufen um seiner selbst willen, nehmlich, daß er sich, sein Leben, sein Wesen ihnen möge offenbaren. Und wer das mit Ernst thut, dem antwortet Gott. Hundertfache Erfahrung ist hiefür Zeuge. Was antwortet er ihm denn? Zunächst nicht Solches das der Mensch noch gar nicht gewußt, aber er macht ihn von Oben her, durch innere Versigelung dessen gewiß, worauf schon die ernste Sammlung seines Gemüths den Menschen hingeführt hat. Zwei Menschen können ungefähr dieselben Erkenntnisse haben, aber der eine hat sie nur aus sich selbst, vielleicht nur durch Schlußfolgerung, der andere hat sie auch von Oben her, durch Gottes Geist: im religiösen Gebiete ist erst das die volle Gewißheit, wenn diese Versicherung von Oben geschehen ist. Wenn Gott ist, so muß er uns nahe sein, muß sich unserer Seele bezeugen, sein Leben muß von unserer Seele zu erleben sein, denn es liegt im Begriffe Gottes, lebendiger und allgegenwärtiger Geist zu sein; wird die Seele nicht vom Hauche seiner Gegenwart berührt, so muß gerade ein tiefer denkender Mensch immer wieder und trotz seiner Verstandesüberzeugung an dem Sein Gottes zu zweifeln beginnen. Gehst du aber dem Bedürfnisse deiner Vernunft nach, Antwort zu finden, woher diese Welt, woher allermeist du selber seiest, du der Selbstbewußte, der Freie, der die Stimme eines unverbrüchlichen Gesetzes in sich vernimmt, das er vollbringen soll, rufst du dann den ewigen Geist, durch, welchen allein gesetzt sein kann die Welt und du selbst, betend an ob er lebe; dann wird es auch dir gehen, wie es den Tausenden vor dir gegangen ist: ein Hauch seines Geistes wird dir die Seele durchdringen so, daß mit voller Klarheit, Gewißheit, Lebendigkeit die Erkenntniß in dir aufflammt, das Leben des ewig durch sich selbst seienden und in sich vollendeten Geistes, das und das allein sei alles Lebens Grund. Kein Axiom der Mathematik kann dem Verstande des Menschen mit größerer Gewißheit einleuchten, als mit, welcher den Geist des Menschen, wenn der Hauch des ewigen Geistes ihn durchdringt, diese Erkenntniß durchleuchtet, daß nur ein ewig sich selbst wissender Gott der Brunnquell alles Lebens sein könne. Würdest du dann ferner den dessen Gesetz du in dir vernimmst durch Gehorsam gegen dieses Gesetz zu lobpreisen suchen, so würdest du in steigender Klarheit auch diese Erfahrung machen, du habest es nicht blos mit einem durch deine Natur dir vorgeschriebenen Gesetze sondern mit einem über dir waltenden ewigen Willen zu thun. Menschen die vor Gott leben sind mit derselben Klarheit mit, welcher sie die Befehle des Gewissens vernehmen, zugleich dessen sich bewußt, daß die Vorschrift ihres Gewissens zugleich der Wille des persönlichen Gottes sei. Endlich, bei allem deinem Thun, zumal nach deinen Uebertretungen, würdest du mit immer vollerer Gewißheit innerlich erleben, es walte eine Majestät über dir die von dir wisse, nicht blos du wägest dein Thun sondern du selber werdest gewogen. Wer schon in ernstem Gewissensgerichte gestanden so, daß er ohne Umhüllung seine Missethat angeschaut hat, den frage ich, ob er in jenem Augenblick das Bewußtsein hatte, allein zu sein, ob ihn nicht vielmehr die Erkenntniß durchdrang, daß ein Alles durchblickendes Auge auf ihn geheftet sei. Auch den der es nicht will kann die Gewißheit überkommen, daß dieses Auge ihn anblicke - wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? bettete ich mir in die Hölle, siehe so bist du da! - der aber, welcher den ewigen Geist nicht ignorirt, nicht meidet, sondern ihn sucht, ihn anruft, der erlebt was David nach seinem Fall erlebt hat; sein Inneres ruft: an dir allein, o Gott, habe ich gesündigt und übel vor dir gethan! (Psalm 51.) Nicht als wollte er leugnen, daß er sich auch an Menschen versündigt hat, aber die Versündigung an Gott, das ist doch alles Sündigens Kern und Quell, und so klar, so gewiß ist dem der Gott anruft nach einer Missethat Gottes richterliche Gegenwart, daß er über dem Einen alles Andere nicht mehr beachten kann. Das sind Bezeugungen Gottes in dem inneren Lebensgang.

Ich weiß nun freilich wohl was mir die Zweifler an Gott, die Leugner Gottes auf diese Rede erwiedern werden. Sie werden sagen, daß sie nun eben dieses Antworten Gottes nicht vernommen haben, ihnen sei von einer solchen Offenbarung eines persönlichen Gottes in ihrem Innern Nichts bewußt; daraus wollen sie schließen, daß was wir ihnen von unseren Erlebnissen erzählen nur Selbsttäuschung sei. Aber ich weiß auch, daß diese Gegenrede Keinen der Gott innerlich erlebt hat irre machen kann. Die Zweifler haben ihn freilich nicht erlebt, aber warum nicht? Weil ihr ihn nicht suchet so findet ihr ihn nicht, weil ihr ihn nicht anrufet so antwortet er nicht. Ihr wisset eben nicht was beten ist. Und noch ein Punkt. Wenn ihr uns der Selbsttäuschung zeihet, weil das Erlebniß des lebendigen Gottes wovon wir reden euch unbekannt ist, so muß euch folgerichtiger Weise auch das Gewissen zweifelhaft werden. Denn wie ihr uns saget: ihr habet Gott nicht erlebt, so werden Andere euch sagen, sie haben das Gewissen nicht erlebt. Man kann ja jetzt manche Menschen treffen, welche leugnen, daß die Gewissensstimme etwas Reelles sei. Sich selbst innerlich anklagen, innere Pein empfinden sei Nichts als Schwächlichkeit, Hypochondrie, eine Art von Geisteskrankheit. Nichts habe der Mensch zu bereuen als wenn er zu einfältig gewesen seines Vortheils wahrzunehmen. Nicht minder thöricht sei die Rede von Verpflichtungen: frisch zugreifen, wo etwas zu erhaschen ist, das sei die einzige Regel die einem gescheidten Menschen gegeben sei. Was man von Gewissen rede sei nur kluge Erfindung durch, welche die Schwächlinge schlauer Weise die Starken im Zaume halten wollen. Man dürfe sich nur unter den Menschen umsehen so werde man gewahr, daß verschiedene Völker, verschiedene Zeitalter über das was recht und unrecht sei verschieden geurtheilt haben. Z. B. bei den Muhammedanern gelte die Vielweiberei für recht und gut. Auch die Israeliten haben sie für erlaubt erachtet. Bei anderen Völkern sei sogar die Ehe zwischen Geschwistern unanstößig gewesen. Im Abendlande halte man diese Sitten nicht für nützlich und nun habe man vorgegeben, das Gewissen verbiete sie. Umgekehrt sei in Indien dem Volke vorgespiegelt worden, Fleisch essen, Thiere tödten sei wider das Gewissen, die Wittwen habe man überredet, sie seien verpflichtet sich mit den Leichnamen ihrer Männer verbrennen lassen, in unseren Landern wisse Niemand davon, daß dieß Gewissenspflicht sei. Also sei das Gewissen Nichts als Sache willkürlicher Uebereinkunft: ähnlich wie es kraft Uebereinkunft in Europa für höflich gilt den Kopf zu entblößen, während in Indien die Höflichkeit das Bedecken des Kopfes verlangt. Und wenn deren vielleicht noch nicht sehr Viele sind, welche alles Reden von Gewissenspflichten und Gewissensvorwürfen für Thorheit achten, so gibt es um so mehr Solche die wenigstens einen Theil der Gewissenssprüche kurzweg bei Seite werfen. Keusch sein soll man? warum? Die natürlichen Triebe verlangen ihre Befriedigung. Nicht lügen? warum? wie wollt ihr uns beweisen, daß wir verpflichtet seien die Wahrheit zu sagen? Machen nun wohl diese Leugnungen des Gewissens Eindruck auf einen gewissenhaften Mann? Werdet ihr an der ewigen Willigkeit der Gewissensaussprüche dadurch irre werden? Nimmermehr. Aber warum denn nicht? Ihr habt - so viele unter euch ein lebendiges Gewissen haben - mit solcher Klarheit, solcher Macht sowohl die Befehlsworte des Gewissens als seine Richtersprüche in der Tiefe eures Innern vernommen, daß solche Gegenreden kraftlos an Euch vorübergehen. Und dieß um so mehr weil ihr wohl wisset was ihr den Leugnern des Gewissens zu antworten habt. Den Einen werdet ihr mit aller Bestimmtheit erklären, daß sie wider ihr besseres Wissen, lügnerischer Weise, das Gewissen leugnen, denn ihr seht es ihnen an, daß sie, eben indem sie das Gewissen leugnen, ein böses Gewissen in sich tragen, sie wollen nicht, daß ein Gewissen sei. Anderen werdet ihr sagen, ihr sehet freilich Wohl, daß sie noch wenig Rufen des Gewissens in ihrem Innern vernommen haben, aber ihr wisset auch den Grund hievon. Zum Hören werde erfordert nicht blos das Erschallen einer Stimme sondern auch ein Ohr das die Stimme vernimmt. Nun habet ihr an euch selbst erfahren, daß das innere Ohr womit man die innere Stimme vernehme willig, achtsam, auf das Hören geübt sein müsse: mit der Willigkeit des Ohres zum Hören wachse die Kraft der Stimme. Ja so verhält es sich. So gewiß der Mensch Mensch ist und nicht Thier, so gewiß meldet sich in ihm die Stimme, welche von Recht und Unrecht spricht. Unwillkührlich vernimmt der Mensch die Gewissensstimme. Daher wir auch voraussetzen, daß wie in uns so auch in den Andern die Gewissensstimme sei. Jeder Erzieher setzt in den Kindern Gewissen voraus, sonst könnte von Erziehung keine Rede sein. Aller Verkehr der Menschen ist darauf begründet, daß sie Gewissen in einander voraussetzen: sonst könnte kein Herr einen Knecht in sein Haus aufnehmen, kein Kranker könnte sich einem Arzte anvertrauen. Was aber dann aus dem uns angeborenen Gewissen im Verlaufe des Lebens wird, ob der Mensch auf die innere Stimme hören, ihr gehorchen, ob er ein gewissenhafter oder ein gewissenloser Mensch werden wird, das kommt auf seinen Willen, auf die eigene Entscheidung an. Und durch Nichtbeachten, durch Unterdrücken der inneren Stimme kann der Mensch es dahin bringen, daß sie schwächer und immer schwächer wird: vielleicht wacht sie dann während dieses irdischen Lebens gar nicht mehr auf, auch nicht im Zuchthause, auch nicht auf dem Gang zum Blutgerüst. Und wie einzelne Menschen die Gewissensstimme stumm machen können so können es auch Völker thun. Haben ganze Nationen die Sklaverei, die Vielweiberei für erlaubt ansehen, haben sie die Vielmännerei, die Ermordung der Kinder, die Menschenfresserei, diese unmenschlichsten, widernatürlichsten Dinge ohne Schauder üben können, so ist dieß ein schrecklicher Beweis, bis zu, welchem Grade die Menschheit im Laufe der Generationen durch Mißachtung des Gewissens dessen Stimme ersticken kann. Die Väter haben diese traurige Arbeit begonnen, die Söhne, die Enkel haben dieselbe fortgeführt: jedem nachfolgenden Geschlechte wird es noch leichter als dem zunächst vorhergegangenen, ungestraft das Aergste zu thun. Leicht mag es dann geschehen, daß ein Volk den Verlust des Gewissensgesetzes durch Aufstellung eines selbstgemachten Gesetzes zu ersetzen sucht, so, daß an die Stelle des wahren Gewissens sich mit der Zeit ein falsches drängt, denn es liegt in der Natur des Menschen, daß er einen unnatürlichen Verlust sich zu ersetzen sucht. An Menschen die schwer krank da liegen kann ein indischer Brahmane kaltherzig vorübergehen, damit er sich nicht durch Berührung eines kastenlosen, unreinen beflecke. Vielleicht ist aber derselbe Mann bereit für kranke Thiere einen Spital zu bauen. Hier sehet ihr das wahre Gewissen durch ein falsches verdrängt. Nimmermehr aber geht hieraus hervor, daß die Hindus nun eben gar kein solches Gewissen haben wie wir, daß also das Gewissensgesetz nach Zeit und Ort verschieden sei und der allgemeinen Giltigkeit entbehre. Wird jenem Brahmanen, ja wird einem Kannibalen der Südsee das wahre Gesetz vor die Augen gestellt, so kann plötzlich das Gewissen erwachen, so, daß ihn ein Schauder über sein bisheriges Thun ergreift; daraus erhellt, daß unter allen Völkern von Natur das Gewissen dasselbe ist. Wie aber der Mensch durch Verachtung des Gewissens dasselbe in Erstarrung bringen und verfälschen kann, so kann er es andererseits durch treue Beachtung zur kräftigen und gesunden Entwicklung bringen. Und auch dieß in der doppelten Weise, daß die innere Stimme mit jedem Jahre lauter, unwiderstehlicher redet und, daß sie mit jedem Jahre klarer, vollständiger in jedem einzelnen Falle den das Leben herbeiführt dem Menschen sagt was er thun und was er fliehen muß. O es ist bewundernswerth, mit, welcher Raschheit, Feinheit, Sicherheit bei den einfachsten und im verstandesmäßigen Denken ungeübtesten Menschen, wenn sie Jahre hindurch in treuem Gehorsam den sittlichen Takt zur Entwicklung gebracht haben, das Gewissen, was in jedem Augenblicke Pflicht ist, inne wird; wo die scharfsinnigsten Denker sich abmühen müssen, verstandesmäßig zu beweisen, daß dieses recht und jenes unrecht sei, da kann ein schlichter Ackerknecht mit Einem Blicke das Rechte finden; ja die Obersten in Israel können noch lange darüber disputiren wer ihr Nächster sei, während die barmherzigen Samariter ihn bereits in der Herberge verpflegen lassen.

Dieß Alles nun wendet an auf die Religion. Wie dem Menschen angeboren ist ein Innewerden des Gesetzes, so ist ihm angeboren ein Innewerden des lebendigen Gottes. Wie aber der Mensch durch Ueberhören die Gewissensstimme in Schlaf, ja in Erstarrung bringen kann, gerade so kann er die von Gott redende Stimme durch Mißachten zum Schlafen, ja in einen Zustand der Erstarrung bringen. Und wie dieses traurige Werk der Gewissenseinschläferung nicht blos von Einzelnen für sich sondern von ganzen Völkern gemeinsam geübt werden kann, wodurch dann die Volkspersönlichkeiten in einen Stand der Gewissenserstarrung versinken, so können auch nicht blos Einzelne sondern die Volkspersönlichkeiten durch eigene Schuld den lebendigen Gott verlieren. Denn auch die Gesammtheit eines Volks bildet in gewisser Weise eine Persönlichkeit. Wie ferner die Unnatur das Gewissen verloren zu haben die Völker treiben kann, daß sie sich das wahre Gewissen durch ein falsches ersetzen, so hat die Unnatur, den lebendigen Gott verloren zu haben, die Völker getrieben, sich selbst neue Götter zu dichten. Und weil das Gedicht nothwendiger Weise dem Dichter gleicht so sind diese erdichteten Götter je den Völkern gleich von denen sie erdichtet sind. War z. B. ein Volk, nachdem es den lebendigen Gott verloren hatte, in Wollust oder Grausamkeit versunken, so hat es sich auch wollüstige grausame Götter gedichtet und hat gemeint, daß diese Götter durch wollüstige, durch grausame Dienste verehrt sein wollen. Das hat dann wieder dahin gewirkt, daß die Wollust, die Grausamkeit gar vollends zur Gewissensforderung wurde, nehmlich zur Forderung jenes falschen Gewissens das die Völker sich selber machten. Wir sehen hier den Ursprung der Religionen die man unter dem Namen des Heidentums zusammenfaßt. Ein furchtbarer Strom falscher Ueberlieferungen ist auf diesem Wege entstanden, dessen Wogen eine Generation nach der andern mit sich treiben. Dennoch bleibt es wahr, daß die Menschen den lebendigen Gott nicht blos verlieren sondern auch finden können. Freilich nicht als vermöchte ein Volk oder gar ein Einzelner aus einem Volke zu irgend einer Zeit, so bald er nur sich zum Suchen entschließen wollte, sofort den lebendigen Gott so zu erkennen, wie derselbe in der Zeit vor Einschläferung der von Gott redenden Stimme den Menschen erkennbar war. Als die Menschen, welche Gott in der Urzeit erkannt hatten, ihn nicht als Gott geehrt, ihm nicht gedankt, ihn nicht in rechtem Gebetsumgang und Gehorsam angerufen (Römer 1,21), als ferner ihr geistiges Vermögen dem Suchen nach materiellem Genuß und Besitz sich zum Dienst ergeben hatte, da legte sich nach dem vortrefflichen Ausdruck des Propheten Jesajas über ihr Auge „ein dichter Schleier, der alle Völker umschleiert, ein Gewebe das über alle Völker gewoben ist„; nur als durch den Schleier hindurch konnten sie von nun an blicken in den Spiegel der äußeren und inneren Welt, daraus uns Gottes Wesen entgegenblickt. So stellt es sich uns in der Geschichte dar. Zumal in der Geschichte der zwei geistvollsten Völker des Alterthums, der Inder und Griechen. Als der Geist der Inder - wohl schon ein Jahrtausend vor Christi Geburt - im Dschumna- und Ganges-Thale zu tieferer Besinnung sich sammelte, so erkannte er wohl, daß die Götter des Blitzes, der Stürme, der Morgenröthe, des Tageslichtes, zu denen die Väter gerufen, nicht die Höchsten, daß nur in Einem der Ursprung des Lebens sein könne; ihre Denker haben sich nun von der Vergötterung der vielen Naturerscheinungen zur Beugung vor dem Einen, von der Vielgötterei zu einer Art von Monotheismus erhoben. Aber was wußten sie von dem Einen zu sagen? War es der Eine den wir jetzt Vater nennen? Nicht der Eine, nicht der Lebendige, nicht ein liebreicher Schöpfer des All, sondern das Eine, von, welchem nur zu sagen sei, daß es sei, nicht aber was es sei. Jede Bestimmung was es sei galt ihnen für Entwürdigung, nur als völlig bestimmungslos sei es ein vollkommenes Sein. Vertrauen zu ihm, Gebetsumgang mit ihm, Ueberzeugung von ihm geliebt zu sein, war dann eine Unmöglichkeit. Nicht einmal das Entsprungensein der Welt aus ihm blieb denkbar - wie soll der bunte Reichthum des Weltlebens aus dem bestimmungslosen Sein entsprungen sein? Darum sagten sie auch, daß die Meinung des Menschen von der Existenz der Welt zulezt nur eine seltsame Täuschung (das Spiel der Maja) sei. So war dieser Monotheismus mit Darangabe der Lebendigkeit Gottes, man kann sagen: mit Darangabe der Religion, erkauft. Zwar bisweilen blitzt die Ahnung auf, nicht Eines sondern Einer sei es, ein sich selbst Wissender, ein uns Wissender, ein Zeuge unseres Thuns. So findet sich in dem alten Gesetzbuch der Inder, welches sie das Gesetz des Manu nennen und dessen Sammlung unsere Gelehrten ungefähr sechs Jahrhunderte vor Christus setzen, diese Stelle: „die Sünder sagen in ihrem Herzen, Niemand sieht uns, aber die Götter beobachten sie, ebenso der Geist der in ihnen wohnt, die Schutzgötter des Himmels kennen die Handlungen aller Wesen. Wenn du sagst: ich bin allein mit mir, so wohnt in deinem Wesen immerdar jenes höchste Wesen als aufmerksamer und schweigender Beobachter von allem Guten und allem Bösen, dieser Richter, welcher in deiner Seele wohnt ist ein strenger Richter, ein unbeugsamer Vergelter.“ Das Gewissen hat gezeugt von dem Zeugen der bei uns gegenwärtig sei. Aber das sind Sonnenblicke, vor, welche schnell wieder das Gewölke tritt. Gemeinhin wissen die indischen Denker nur von dem unpersönlichen Einen zu reden. Das Volk freilich blieb den vielen Göttern getreu: es blieb religiös, aber indem es eben in der Vielgötterei verblieb. Also in dieser Weise gieng es den Indern bei ihrem Blicken durch den Schleier der sie umschleierte: entweder Preisgebung der Einheit Gottes, um an lebendige Mächte sich halten zu dürfen, oder Preisgebung der Lebendigkeit Gottes, um die Einheit des Urquells zu retten, in beiden Fällen Verkehrung des Gottesbegriffs, Verkehrung der Religion. Etliche Jahrhunderte später begannen die Griechen einen ähnlichen Gang. Der Zeus des Homer und Hesiod sieht das Schicksal über sich, einen Kreis von Göttern unter, in gewisser Weise neben sich, im eigenen Herzen wohnen ihm bei der Liebe des Rechts die Stürme sinnlicher Leidenschaft. Später treten Philosophen auf und zeigen die Ungöttlichkeit dieser Götterwelt. Daher der Glaube überhaupt zu verwerfen sei. Sokrates dagegen kommt zu der Ueberzeugung, die Welt könne nur das Werk eines allmächtigen, allgütigen, allweisen, allwissenden Wesens sein, eines Wesens dessen Vernunft die unsrige um eben so viel übertreffe, als die Größe der Welt, der sie inwohnt, die unseres Leibes übertrifft, eines Wesens dessen Auge Alles durchschaue, dessen Fürsorge Alles, das Größte wie das Kleinste umfasse. Seinem Schüler Plato gilt als die wesentlichste Eigenschaft der Gottheit die Güte; aus Güte habe sie die Welt gebildet, mit Güte und Weisheit lenke sie die menschlichen Schicksale, im Kleinen wie im Großen; nicht sei sie eifersüchtig auf das menschliche Glück weil die Güte neidlos sei. Bei Aristoteles ist noch scharfer als bei Plato die Einheit Gottes ausgeprägt und tritt noch ausdrücklicher die Bestimmung hervor, daß die Gottheit ein persönliches Wesen sein müsse. Wieder sehen wir hier: die Menschen können Gott finden (Apg. 17, 24-28). Aber der Schleier der alle Völker umschleiert hat doch auch diesen Männern den Blick umhüllt. So große Wahrheiten über das Wesen Gottes sie erkannten, „der Begriff schlechthiniger Schöpfung der Welt ist dem ganzen griechisch-römischen Alterthum verborgen geblieben“ Daß die Welt einst gar nicht gewesen, daß sie schlechthin nur dem lebenschaffenden Rufe dieser hohen, gütigen, persönlichen Vernunft ihr Sein verdanke, diese Erkenntniß, in, welcher Gottes Unbedingtheit, Freiheit, Selbstständigkeit, also Gottes Gottheit, doch erst zur wirklichen Anerkennung gelangt, blieb ihnen zu hoch. Nicht Weltschöpfer sondern nur Bildner eines uranfänglichen Stoffs ist ihnen Gott. Alle Ordnung, Zweckmäßigkeit, Schönheit gehöre nicht dem Stoffe an sondern nur dem Geist, sei die That des Geistes an dem Stoff. Aber was hätte der Geist zu formiren wenn ihm der Stoff nicht gegeben wäre? Der Geist sei machtvoll genug den Stoff zu gestalten, aber die absolute Macht ist er nicht, weil ihm der Stoff gegeben sein muß. Daß der ewige Geist schlechthin mächtig sei und deßhalb schlechthin frei, dieses Vertrauen haben ihm also auch die geistvollsten der Griechen nicht zu schenken vermocht. Wie überaus schwer dieses Vertrauen zum Geist dem menschlichen Geiste geworden ist, wird in der merkwürdigsten Weise an jenen Männern klar, welche ein Jahrhundert nach Christi Tod in Syrien und Egypten aufstanden und sich für die „Männer der Erkenntniß“ (Gnostiker) und zugleich für die wahren Christen hielten, weil sie ihre Kunde von Christo als Schlüssel gebrauchen wollten um das Räthsel der Welt sich aufzuschließen. Sie nahmen vom Evangelium an, daß die Menschheit eine Erlösung von dem Bösen bedürfe, daß die Erlösung der Zweck der Weltgeschichte und, daß in Christo die Erlösung gekommen sei. Während sie aber so gerade den Kern des Evangeliums sich aneignen wollten, blieben sie doch noch ganz von der heidnischen Voraussetzung beherrscht, daß die Materie nicht von der Gottheit geschaffen sei sondern von Uran ihr gegenüberstehe. Und sie waren dann folgerichtig genug, zu behaupten, daß die Materie auch nicht von dem Geiste zu überwinden, nicht von ihm zu bemeistern, zu verklären sei. Warum wohl konnte der menschliche Geist das Vertrauen nicht fassen, daß der ewige Geist die unbedingte Macht sei von, welcher auch die Materie geschaffen worden? Darum weil der Mensch sich unfähig fand, an ihm selber die materielle Leiblichkeit zu überwinden. Seine, des endlichen Geistes Unmacht trug er über auf den ewigen Geist. Dieß war der Schleier der auch diesen Griechen noch den Blick umhüllte. Wie völlig anders war es bei den Männern Israels! Längst ehe sich in Griechenland ein Plato und Aristoteles am Verhältniß der ewigen Vernunft zur uranfänglichen Materie abmüht, haben sie im Glauben erkannt, daß die Welt die vor ihren Augen steht - nicht etwa aus einem uranfänglichen Stoffe gebildet sondern - schlechthin und unbedingt durch Gottes Geisteswillen ins Dasein gerufen sei (vgl. Hebr. 11, 3); „ich der Erste und ich der Letzte, ich rief den Himmeln, da standen sie allzumal“ (Jesaias 48,12.13). So redeten die Männer des kleinen Volks, dessen Nachbarn, dessen Stammverwandte der wollüstigsten, grausamsten Abgötterei ergeben waren. Israel war die einzige Ration von, welcher die Welt als geschaffen erkannt worden ist. Also die einzige, welche die unbedingte Selbstständigkeit Gottes erkannte. Und Gott ist ja nicht wirklich Gott, wenn er nicht schlechthin selbstständig ist. Gott wurde also freilich erst von dem Volke wahrhaft gefunden, welchem er sich durch besondere Offenbarung zu finden gab. Und nicht blos hat erst Israel den rechten Begriff Gottes erlangt. Sokrates, Plato, Aristoteles haben Gott geahnt, aber als einen der ihnen ferne blieb; Moses, David, Jesajas haben Gott erfahren als einen ihnen gegenwärtigen Gott. Jene reden von ihm in scharfsinniger Schlußfolgerung; diese erleben ihn als ihren Hirten der ihre Seele liebt, daß sie auch im Todesschattenthale wandelnd nichts Böses fürchten, weil Er bei ihnen ist; „wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet so bist doch du Gott allezeit meines Herzens Trost und mein Theil“ (Psalm 23 und 73). Die Weite dieses Unterschieds kann freilich nur ermessen, wer aus seinem eigenen Lebensgang von einer Zeit weiß, da er Gott nur durch Schlußfolgerungen kannte und von einer anderen in, welcher er ihn zu erleben begonnen hat. Bei wem dieß nicht der Fall ist, der stellt sich etwa nur diesen Unterschied vor, ein Aristoteles habe Gott mit dem Verstand, ein Jesajas habe ihn mit der Phantasie erfaßt. Es ist eben dieser Mangel an Erleben Gottes, aus, welchem sich erklärt, daß es nach jenem herrlichen Aufschwung des griechischen Geistes zur Erkenntniß Gottes, welcher durch die Namen des Sokrates, Plato, Aristoteles bezeichnet wird schnell wieder abwärts gieng. Während Plato auf das Gutsein, Aristoteles auf das Persönlichsein Gottes dringt, sinkt die stoische Philosophie, die bedeutendste der letzten Jahrhunderte vor Christo, dazu herab, in Gott nur die unpersönliche Seele der Welt, in der Welt den Leib der Gottheit zu sehen, und zwar so, daß ihnen diese Seele sogar selbst nur ein körperliches, ein Feuer, war. Wo kein Erleben des persönlichen Gottes ist, da erblaßt selbst der einmal als Persönlichkeit erfaßte Gott - der Blick auf unsere Zeitgenossen kann uns dieß hundertfach bestätigen - leicht wieder zur „Gottheit“, zur „Vorsehung“, sogar zum „Himmel“, oder wird gar vertauscht mit der “ Natur“. Das Ende aber der griechischen Gotteslehre war merkwürdiger Weise derselbe Begriff von Gott, welchen die Inder schon so viele Jahrhunderte zuvor aufgestellt haben: die neuplatonischen Philosophen haben seit dem dritten Jahrhundert nach Christus in Rom und Athen verkündigt, daß Gott das Eine und Einfache sei, welches durch jede Bestimmung entwürdigt würde, weder Denken noch Wollen, weder Energie noch Leben komme ihm zu. An der so gefaßten Gottheit kann dann in der That weder die Frömmigkeit noch das Gewissen noch das Denken eine Befriedigung finden; die Frömmigkeit nicht, denn diese Gottheit kann zu dem Menschen nicht reden noch sein Gebet hören; das Gewissen nicht, denn sie kann weder Gesetzgeber noch Zeuge noch Richter sein; das Denken nicht, denn das Räthsel der Welt ist nicht zu verstehen durch den Rückgang zu einem solchen Gott. Also freilich, wie über das der Seele angeborene Wissen vom Gesetz so hat sich auch über das ihr eingepflanzte Wissen von dem lebendigen Gott durch die Einschläferung der inneren Stimme im Laufe der Jahrhunderte ein dichter Nebel gelagert. Aber das innere Weisen der Stimme zu dem „höchsten Wesen, welches ein schweigender aber aufmerksamer Beobachter unseres Thuns und ein Richter sei,“ zu dem weisen, gütigen, persönlichen Gott hat dennoch auch im Heidentum nicht aufgehört. So tief ist das Wissen von ihm in die Seele des Menschen eingewoben. Der Nebel war zu dicht um die volle Wahrheit über den lebendigen Gott, den Weltschöpfer, zu finden; das Herz war ihm zu ferne geworden um den Gefundenen unabläßig anzurufen; auch wird der Lebendige nur dann der Seele völlig gewiß wenn sie sein Leben, seine Gegenwart, den Hauch seines Geistes innerlich verspürt; so lange die Seele nicht in sich erleben darf die Lebendigkeit und Gegenwart dessen, welcher, wenn er ist, der Urlebendige, der Innig-gegenwärtige sein muß, so lange tritt naturgemäß bald wieder der Zweifel ein, ob er denn wirklich sei; dennoch hat auch im Heidentum die Magnetnadel ihren Pol, der Geist des Menschen den lebendigen Gott nicht vergeblich gesucht. Nun aber die Weissagung des israelitischen Sehers, daß auf dem Berge Zion einst der über die Augen der Völker gewobene Schleier werde zerrissen werden (Jes. 25, 7), längst ihre Erfüllung begonnen hat, weil Christus gekommen ist, das Licht der Welt, nun wollt ihr noch immer sagen, daß alles vermeintliche Wissen und Erleben des persönlichen Gottes nur Selbsttäuschung sei? Man kann freilich Niemanden nöthigen dem Bedürfnisse der menschlichen Seele nach Verständniß von Welt und Gewissen gründlich nachzugehen und dann mit dem, aus, welchem allein Welt und Gewissen sich verstehen läßt, in ernsten Gebets^ Umgang einzutreten. Eben wie man Niemanden zum Gehorsam gegen das innere Gesetz nöthigen kann. Jeder hat die Freiheit, gedankenlos, gewissenlos durch die Welt zu gehen. Aber Keiner darf, weil er selbst Gott nicht gesucht hat wie man ihn suchen soll, sagen, daß Gott nicht oder nicht mit Gewißheit zu finden sei. Auf geheimnißvollen Wegen geht die Kunde von der äußeren Welt in die menschliche Seele ein; wir sehen, wir hören die Welt; Niemand kann uns recht erklären, wie dieses Sehen, dieses Hören geschieht, wie der Rapport zwischen der Welt draußen und zwischen der Seele des Menschen zu Stande kommt; gleichwohl sind wir gewiß, daß wir nicht einsam sondern von einem unermeßlichen Reichthum des Lebens umfluthet sind. Und der ewige Geist, der Urheber alles Lebens, dieser sollte keinen Weg wissen, darauf er sein Leben mit zweifelloser Sicherheit unserer Seele kundthun könnte? Ja er weiß diesen Weg und wir wissen ihn auch, die Frage ist nur ob wir Willens sind den Weg zu gehen; wer will, erlebt an sich das Wort: der Geist wehet wo er will und du hörest seine Stimme wohl (Joh. 3,8).

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