Geß, Wolfgang Friedrich - Der Stufengang in Jesu Unterweisung seiner Jünger

Geß, Wolfgang Friedrich - Der Stufengang in Jesu Unterweisung seiner Jünger

Manche Christen machen die Schrift in der Weise zu ihrer Nahrung, dass sie heute aus diesem, morgen aus jenem Zusammenhang ein Wort entnehmen. Die Erfahrung lehrt, dass auch dieses Verfahren mit Segen verknüpft sein kann. Das aber wäre sehr verfehlt, wenn der bruchstückartige Gebrauch der Schrift bei jemanden der einzige bliebe. So reiche Kraft in dem einzelnen Wort enthalten sein kann, so dass ein Christ, dem die Bibel und der Umgang mit andern Christen genommen würden, wenn er nur einen Schatz einzelner Worte im Gedächtnis trüge, vor dem geistlichen Hungertod gesichert wäre, so ist doch die göttliche Wahrheit ein Ganzes und wird und deshalb nur in dem Maß zu teil als wir das Wort im Zusammenhang fassen. Man kann eine Probe hievon leicht machen wenn man nur einmal z. B. die Bergpredigt im Zusammenhang zu betrachten sich bemüht, den Grundgedanken aufsucht, von diesem aus dem Einzelnen nachgeht: bald wird man finden, wie viel Licht vom Grundgedanken auf die einzelnen Worte fällt. Man wird sich dann ermutigt fühlen, die ganze Bergpredigt nun wieder als einzelnes einzureihen in das Ganze, von dem sie ihrerseits ein Glied bildet, also zu forschen nach dem Grundgedanken aus welchem alle Reden Jesu hervorgewachsen seien. Man geht von den Zweigen des Baumes zu den Ästen, von den Ästen zu Stamm und Wurzel.

Sehr gewöhnlich ist das bloß bruchstückartige Verfahren bei der Betrachtung der Geschichte unseres Herrn. Jedem ernstlichen Christen sind die Geschichten Christi bekannt und eine Quelle von Kraft. Aber ein anderes ist es diese Geschichten zu kennen, ein anderes, die Geschichte Christi, als Ganzes, in der Aufeinanderfolge, im Zusammenhang. So viel wissen wohl alle dass sein irdisches Leben etwa 33, sein öffentliches Leben zwei bis drei Jahre gewährt, dass letzteres mit der Taufe durch Johannes begonnen, dass er teils in Galiläa, teils in Jerusalem gewirkt. Wenn es aber gelten würde, was zwischen der Taufe und dem Tod sich zugetragen der Reihe nach zu erzählen, so dass der ursächliche Zusammenhang der einzelnen Ereignisse, der göttliche Plan in der Lenkung des Lebens Jesu deutlich gemacht, auch für die wichtigsten Begebenheiten der Zeitpunkt, wie lange nach der Taufe, wie lange vor dem Tod, angegeben würde, wie viele Mütter, Väter, Schullehrer könnten wohl ihren Kindern in solcher Weise die Geschichte des Herrn erzählen? Selbst bei den Predigern hat man nicht selten den Eindruck dass sie um einen derartigen Überblick nicht viele Sorge tragen. Und doch wäre das von Wichtigkeit. Welchem Sohne läge nicht nach dem Tode seines Vaters daran, von dem Lebensgang desselben ein richtiges Gesamtbild zu bekommen? Ein Christ weiß, dass in jeder Lebensführung die Weisheit des himmlischen Vaters waltet, dass diese bestimmt, nicht bloß was Alles, sondern auch wann und in welcher Aufeinanderfolge es geschehen soll, das Spiel dieser Weisheit zu sehen, gibt den Biographien von Knechten Gottes hohes Interesse. Es versteht sich aber von selbst dass vor allem im Leben des eingebornen Sohnes, durch welchen der Vater das Heil der Welt zu Stande brachte und der seinerseits jedem Wink des Vaters folgte, Alles bis in's Einzelnste von der Weisheit Gottes durchwaltet war.

Allerdings ist es nicht ganz leicht einen geordneten Überblick über das öffentliche Leben des Herrn zu erlangen. Die drei ersten Evangelisten erzählen uns, von der Passionswoche abgesehen, nur von Jesu Wirken außerhalb Jerusalems. Der Verlauf seines öffentlichen Lebens teilt sich bei ihnen in zwei Teile: vom Anfang des galiläischen Wirkens bis zur Verklärung auf dem Berg, sechs Tage nachdem Jesus begonnen hat, seinen Tod zu verkündigen; sodann von der Verklärung auf dem Berg bis zur ewigen Verklärung, nachdem er den Tod wirklich erlitten hatte. Dabei geben und diese drei über die Zeitdauer beider Abschnitte keinen Unterricht. Erst Johannes, welcher später als sie geschrieben hat fügt Angaben bei, aus welchen wir die Zeiten berechnen können. Von Johannes erfahren wir auch, dass dem galiläischen Wirken ein fast 3/8 jähriges in Judäa vorausgegangen ist und dass sich Jesus auch später noch drei Mal auf Festen in Jerusalem befand, ehe jenes Passa kam, da sein Volk ihn kreuzigte. Was uns die drei ersten Evangelisten geben ist die schriftliche Fixierung desjenigen Erzählungsstoffes, welchen man in der populären mündlichen Verkündigung mitzuteilen pflegte; Johannes dagegen hat aus der Gesamtheit seiner Erinnerungen Solches zum Niederschreiben ausgewählt, was ihm für die Erweisung, dass Jesus der Gesalbte und der Sohn Gottes sei, von besonderer Wichtigkeit schien, hierbei Sorge tragend, dass der Leser jede dieser Geschichten und Reden nach Ort und Zeit richtig in das Ganze einreihen könne. Wer zu einem geordneten Überblick über den ganzen Verlauf gelangen will muss deshalb den von den drei ersten gegebenen Stoff in die Maschen des von Johannes gegebenen Zeitnetzes an den richtigen Punkten einfügen, eine Aufgabe die zwar nicht für alle Teile des Stoffs aber doch für die Hauptpartien zu voller Befriedigung gelöst werden kann.

Meine Absicht für die Stunde unseres gegenwärtigen Zusammenseins ist, zuerst in aller Kürze den Grundriss für den Verlauf von Jesu öffentlichem Wirken zu zeichnen und dann bei einem Hauptgegenstand der Arbeit Jesu, seiner Unterweisung der Zwölf, dem Stufengang, den er einhielt, nachzugehen. Denn gerade der Blick auf diesen Stufengang ist in besonderer Weise geeignet zu zeigen wie fruchtbar, und zwar nicht bloß für die Erkenntnis sondern auch für das Leben, es werden kann, von dem bruchstückartigen zu dem zusammenhängenden Betrachten der Bibel fortzuschreiten.

Lukas sagt dass unser Herr, da er von der Verborgenheit in Nazareth an den Jordan kam, etwa 30 jährig war1). Es ist wohl ungefähr Februar gewesen da er sich taufen ließ. Auf die Taufe folgte der 6 wöchige Aufenthalt in der Wüste2), dann die Rückkehr in die Nähe des Täufers, die Sammlung der fünf ersten Jünger und ein kurzer Aufenthalt in Galiläa um der Hochzeit in Cana anzuwohnen und sich Kapernaum, welches später für längere Zeit sein Wohnort werden sollte, vorläufig anzusehen3). In der Mitte Aprils der Besuch des Osterfests in Jerusalem, die Tempelreinigung, das Gespräch mit Nikodemus4). Dann bis in den Dezember hinein ein Wirken im südlichen Teile des Landes, von welchem wir nur so viel wissen, dass Jesus damals durch seine Jünger die Johannestaufe fortführen ließ5). Nicht lange vor Dezember wird es gewesen sein dass der Täufer ins Gefängnis kam. Der Pharisäer steigendes Misstrauen hat nun Jesum veranlasst, den Süden zu verlassen, durch Samarien, wo er mit jener Frau redet, nach Galiläa zu gehen. Es war vier Monate vor der Ernte, also etwa Mitte Dezembers6). Jetzt ein Vierteljahr ruhigen, nur von kleineren Wanderungen unterbrochenen, Wohnens in Kapernaum. Am Anfang dieser Zeit die Bergpredigt, später die Aussendung der Zwölf zum ersten Missionsversuch, gegen Ende des Vierteljahrs die Botschaft des Täufers aus seinem Gefängnis und jener Tag der vielen Gleichnisse am Ufer des Sees7). Im März der Besuch des Purimfestes in Jerusalem, die Heilung des Lahmen am Bethesda Teich8). Jetzt fällt des Täufers Haupt. Gegen Mitte Aprils die Speisung der fünf tausend am galiläischen Meer und die große Krisis, dass so viele der galiläischen Anhänger ihn verließen. Das war ein Jahr nach dem Gespräch mit Nikodemus, wieder um die Passazeit9). Von jetzt an hatte Jesus keine bleibende Stätte mehr: sein Leben ward ein Wandern10). In den Anfang des Sommers wird das gute Bekenntnis des Petrus bei Cäsarea samt Jesu Beginnen seiner feierlichen Leidens- und Wiederkunftsverkündigungen zu setzen sein.11) Sechs Tage danach die Verklärung auf dem Berg12). im Oktober folgt auf die Wanderungen im Norden eine nach Süden, zum Laubhüttenfest, wo Jesus den blindgebornen Bettler heilt13). Im Dezember ein nochmaliges Wirken in Jerusalem, beim Kirchweihfest14). Etwa im März die Auferweckung des Lazarus und ein Abschiedsbesuch in Kapernaum15): in der Mitte April der Tod, nach einer reichlich zweijährigen Arbeitszeit. Andere Berechnungen führen allerdings zur Annahme einer längeren Zeit, der Widerlegung derselben muss ich mich der Zeitkürze wegen enthalten, nur so viel bemerkend, dass es sich hauptsächlich um die Frage handelt, ob das Fest in Joh. 5 wirklich, wie ich meinesteils annehme, das Purimfest sei.

Um nun die Methode die unser Herr in dieser Zeit bei der Unterweisung seiner Jünger einhielt, näher kennen zu lernen, müssen wir uns an die drei ersten Evangelisten halten. Bei Johannes tritt zwar Anfang und Ende trefflich einander gegenüber: der Anfang da Andreas und der Ungenannte, von dem Täufer veranlasst, um die zehnte Stunde des Tages Jesum in seiner Herberge aufsuchen und die Überzeugung hinwegnehmen dass ihr bisheriger Meister mit Recht diesen Nazarener als den Messias bezeichne16), das Ende, da sogar der zögernde Thomas vor dem Auferstandenen rufen muss: mein Herr und mein Gott17)! Auch wie weit es in der Mitte der Zeit mit der Glaubensentwicklung der Jünger gekommen war hebt Johannes hervor, denn jenes Wort des Petrus: Worte ewigen Lebens hast du und wir haben geglaubt und erkannt dass du bist der Heilige Gottes, fällt gerade in die Mitte18). Näheres aber ist aus dem Johannesevangelium nicht zu ersehen, denn fast ausschließlich zeichnet es uns von jener Tempelreinigung am ersten Passa bis zum Herbeikommen der ersten Griechen nach dem Königseinzug in Jerusalem Jesu Umgang mit dem Volk, erst bei der Erzählung des letzten Abends wendet es sich zu Reden, die nur den Zwölfen galten. Dagegen erhellt aus den drei ersten Evangelisten, dass sich Jesu Unterweisung seiner Jünger während der Fleischestage in zwei Hälften von ziemlich gleicher Dauer teilte. Den Scheidungspunkt bildet jene Frage die er bei Cäsarea Philippi eine Tagereise nördlich vom galiläischen Meer an die Jünger richtet: wer sagt denn ihr, dass des Menschensohn sei? samt dem guten Bekenntnis des Petrus auf diese Frage und den Erklärungen die der Herr an dieses Bekenntnis knüpft.

Man hat die Freude, welche Jesus über dieses Bekenntnis: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ ausgesprochen bisweilen dahin deuten wollen, als wäre der Glaube der Jünger, dass Jesus der von den Propheten verheißene König sei, damals ganz neu gewesen, so dass sie also bis kurz zuvor zwar wohl einen großen Propheten, aber noch nicht den von welchem die Propheten zeugten, den Messias, in Jesu gefunden hätten. Das stimmt aber weder mit den sonstigen Berichten der Evangelien noch mit der Antwort, welche der Herr dem Petrus gibt. Diese lautet: selig bist du, Simon Jonas Sohn, denn Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater der in den Himmeln ist, und ich aber sage dir, du bist ein Felsenmann und auf diesem Fels will ich erbauen meine Gemeinde rc. Nennt Jesus den Simon einen Felsenmann, so ist klar, dass der Glaube desselben, schon seit längerer Zeit bestehend, in der letzten Zeit, als die Wellen der Anfechtung an ihn schlugen, als einen Felsen sich bewährt und durch diese Bewährung sein Erwachsensein aus einer Offenbarung des Vaters erwiesen hat. Auch ist aus allen Evangelien deutlich, welche Anfechtungswellen damals an den Jüngerglauben schlugen. Der Täufer war vor wenigen Monaten von Herodes getötet, Jesus selbst im März in Jerusalem von der dort herrschenden Partei mit dem Tod bedroht, in Galiläa, wo zuvor eine Menge von Menschen sich um ihn scharten, war er jetzt von den Meisten verlassen, heimatlos zog er von Ort zu Ort. Das waren für israelitische Herzen schwere Fragezeichen gegen Jesu Königtum. Eben dieses Kritische seiner Lage hat Jesum veranlasst, gerade jetzt die Frage an die Jünger zu richten: wer sagt denn ihr, dass des Menschensohn sei; jetzt war die Probezeit für die Zwölfe da. Und dass Simon die Probe so gut bestand, darüber hat Jesus nicht bloß hoch sich gefreut sondern hat es auch belohnt erstlich durch die feierliche Versicherung, er sei in der Tat der Gesalbte Gottes, zweitens durch die Versicherung, er werde eine neue, ewig bleibende Gemeinde und zwar auf dem Felsenmanne bauen.

Vielleicht sind Manche unter uns, welche aus eigener Erfahrung wissen, wie epochemachend der Augenblick werden kann, in welchem in einem Kreis von Menschen eine zuvor schon allen bekannte Sache zum ersten Mal gegenseitig ausgesprochen und dadurch versiegelt wird. Dies war damals in Betreff des Königtums Jesu zwischen ihm und den Zwölfen der Fall. Jesus hatte in den bisherigen fünf viertel Jahren seiner Lehrtätigkeit oftmals so sich ausgesprochen, dass man taub sein musste um nicht zu merken, er wolle Israels von den Propheten verheißener König sein. Was anderes konnte man denken wenn er sich gegenüber von den Johannesjüngern bezeichnete als den Bräutigam19) oder den Abgesandten des Johannes jene Antwort mitgab deren Schlusswort war: „selig ist der sich nicht an mir ärgert“20) oder nach Weggang derselben auf den Täufer jenes Wort der Weissagung deutete: „Siehe ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, welcher deinen Weg vor dir bereiten soll“21) und von sich selbst beifügte: „Alles ist mir übergeben worden von meinem Vater,“22) oder wenn er an jenem Tag der Gleichnisse von sich, dem Menschensohn, sagte, er werde seine Engel senden, wenn das Ende der Welt gekommen sei?23) Auch hat Jesus es zugelassen, wenn die Leute ihn den Sohn Davids nannten: sogar das kanaanäische Weib hat ihn mit diesem Rufe begrüßt.24) Doch aber hat er in selbiger Zeit nie ausdrücklich sich den Christus genannt.

Jetzt erst, als Simon bei Cäsarea sein Bekenntnis getan, spricht er, und zwar in der stärksten Weise, sein Ja dazu, Gott selbst, sagt er, habe das dem Simon kundgetan. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort, das er dann vom Bauen seiner Gemeinde spricht. Schärfer Hörende konnten es schon aus seinen früheren Reden merken, dass Jesus nicht etwa bloß die alte Gemeinde reformieren, sondern eine neue begründen wolle, eine Gemeinde neuen Geistes, neuer Anbetungsweise, neuer Sitten; auch die Zwölfzahl der von ihm ernannten Apostel deutete auf ein neues Gottesvolk statt des durch leibliche Zeugung aus den zwölf Söhnen Jakobs entsprossenen; mit ausdrücklichen Worten aber hat er diesen Willen zum ersten Male bei Cäsarea bezeugt. Bis jetzt hatte es für die Zwölf gegolten, glauben zu lernen an das göttliche Erwähltsein Jesu zum ewigen Königtum über Israel und alle Völker und an das Nahen des verheißenen Heils in seiner Person trotz dem dass er der arme Nazarener war, trotz dem dass von Königsherrlichkeit Monat um Monat Nichts sich einstellen wollte, trotz dem dass auch seine Wundertaten über die eines Elias und Elisa wenig hinausgingen und hinter denen zu Mosis Zeit entschieden zurückblieben, trotz dem dass keines sich sehen ließ von den Werken, die der Täufer dem Messias zugeteilt hatte: „er wird taufen mit Geist und Feuer und seine Tenne fegen, den Weizen in die Scheune sammeln die Spreu mit ewigem Feuer verbrennen“25) diesen Glauben zu fassen und festzuhalten trotz des Widersprechens der hohen Obrigkeit auf welche mancher Untertan auch in religiöser Beziehung so respektvoll zu blicken pflegt, trotz der für fromm Gehaltenen, das will jetzt sagen der Pharisäer, trotz des Unglaubens der Majorität, welche jedem Menschenherzen so leicht imponiert, auch trotz dem, dass dieser Messias keine Anstalt machte, das gerechte Blut seines Vorläufers zu rächen, da eine nichtswürdige Tänzerin dessen Haupt auf einer Schüssel sich bringen ließ. Und in welcher Kraft sollte dieser Glaube von den Zwölfen gefasst und festgehalten werden? Das Entscheidende sollte liegen in den Worten des ewigen Lebens die Jesus sprach, wie denn Simon in Joh. 6 eben auf diese sich beruft. Oder, um mit Jesu selbst in seiner Antwort an den Täufer zu reden, darin dass den Armen das Evangelium verkündet ward. Dazu in dem heiligen Eindruck von Jesu ganzer Persönlichkeit. Eine vortreffliche, zur tiefsten Überzeugung führende Art der Beweisführung, aber so innerlich, so geistlich, dass selbst der Täufer sich in sie zu finden Mühe hatte. Jesum zu verwerfen wie es die Pharisäer taten, d. h. ihn nicht einmal für einen Propheten gelten zu lassen, dazu gehörte ein hoher Grad von Verschlossenheit des Herzens gegen die aus ihm hervorleuchtenden Gotteskräfte, aber den Glauben nicht bloß zu fassen sondern auch festzuhalten, dass er nicht bloß ein Prophet sondern der von den Propheten verheißene König sei, das war, zumal für die im damaligen Judentum aufgewachsenen Menschen, eine die bloß menschliche Kraft übersteigende Tat, so dass wir begreifen warum Jesus so innig sich freute als er nach fünfvierteljähriger Arbeit so weit mit den Zwölfen gekommen war.

Aber in hohen Grade merkwürdig ist nun, dass unser Herr unmittelbar nachdem er dieses erste Ziel seiner Unterweisung der Zwölfe, von seinem Königtum sie zu überzeugen, erreicht sieht, in das zweite Stadium seiner Arbeit an ihnen eintritt; man muss sagen in ein Thema, welches zu lernen für die Jünger noch schwerer war. Mancher Christ der Gegenwart verlangt - bald in Bezug auf sein Privatleben bald in Bezug auf seine Sorgen um das göttliche Reich - nach einer Ruhezeit, wo er von neuen Aufgaben des Glaubens und der Selbstverleugnung verschont wäre. Ferien sind auch im Geistlichen Jedermann erwünscht. Den Jüngern sind sie nicht verstattet worden. Denn in derselben Stunde, da Jesus auf Petri Bekenntnis der Messianität Jesu sein feierliches Sigel gedrückt hatte fing er an ihnen zu sagen, des Menschensohn müsse nach Jerusalem gehen. O ja freilich, werden die Zwölfe gedacht haben, muss er das tun, denn dort wird er seinen Königsthron aufrichten - aber Jesus fährt fort, um Vieles zu leiden von den Häuptern des Volkes und getötet und am dritten Tage auferweckt zu werden. Und als Simon hiergegen den bekannten Einspruch tut, schilt ihn Jesus einen Satan und sagt, nicht bloß für den Meister sondern auch für alle Jünger sei der Kreuzesweg der einzige zum Ziel. Dann macht er noch eine weitere Beifügung, nämlich dass der Menschensohn kommen werde in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, einem jeglichen zu vergelten nach seinem Tun. Und zwar sollen etliche derer, die jetzt um Jesum herstehen, den Tod nicht schmecken bis sie sehen den Menschensohn kommen in seinem Königreich.

Es wäre in Bezug auf manchen Tag von großem Interesse wenn wir wüssten wie es den Jüngern, wenn sie am Abend das Erlebte überdachten, zu Mut gewesen. Von diesem Tage bei Cäsarea würden sie uns wohl sagen, er habe zu den wundersamsten gehört, die ihnen im Umgang mit Jesu zu teil geworden. Denn zuerst habe sie Jesus zur höchsten Freude erhoben durch die feierliche Versiegelung, dass er wahrhaftig der sei, für welchen sie ihn seit einer Reihe von Monaten mit steigender Zuversicht gehalten, aber in demselben Augenblick, da sie nun meinten, der Berg sei erstiegen und nun führe sie Jesus hinein in das gelobte Land der messianischen Herrlichkeit, habe er ihnen alle ihre Gedanken durchkreuzt durch seine Reden vom Tod. Freilich sei dann das Wort vom Auferwecktwerden am dritten Tage gefolgt, aber das haben sie damals noch nicht zu beachten vermocht, weil ihr ganzes Gemüt von dem über den Tod erfüllt gewesen. Auch der Ausspruch über die Wiederkunft sei ihnen dunkel geblieben. Ähnliche Durchkreuzungen ihrer Gedanken hat die Christenheit seither manchmal erlebt. Als drei Jahrhunderte nach Jesu Kreuzigung das Kreuz von den Kaisern zum Bekenntnis des römischen Reiches erhoben wurde mochte wohl manches redliche Christenherz jubilieren als wäre nun das Reich der Welt wirklich geworden zu Gottes Reich, aber die Freude wurde zur Trauer, weil die Menschenmassen, die jetzt in die Kirche Christi als Bekenner des Gekreuzigten strömten, ihn in anderer Weise noch einmal kreuzigten. Welch selige Hoffnungen haben sich bei manchem Jünger Jesu im Mittelalter daran geknüpft, als das Heer der Kreuzfahrer ins heilige Land aufbrach, aber nach so vieler Mühsal endlich zum heiligen Grabe gekommen, empfing es, wie ein geistvoller Philosoph gesagt hat, nur diese Antwort: der Jesus, den ihr sucht ist nicht hier, denn er ist auferstanden. Auch aus der Geschichte der evangelischen Christenheit, vielleicht aus unserer eigenen, könnten derartige Durchkreuzungen der Gedanken angeführt werden. „Wer meint er hab den Vorsatz Gottes recht gefasst der wird am End ein anderes oft gewahr“ diese Erfahrung Gottfried Arnolds muss man immer wieder machen. Aber bei den Zwölfen war das Besondere, dass die Erregung der hohen Freude und Hoffnung und dann die Durchkreuzung des Hoffens in dieselbe Stunde fiel.

Zwar ist dieses Wort Jesu keineswegs das erste über sein Sterben gewesen. Schon ein volles Jahr zuvor sagt er zu jenen Gegnern in Jerusalem: Brecht diesen Tempel ab und ich will ihn nach drei Tagen wieder aufrichten26). Bald nach der Bergpredigt zu den Johannesjüngern, für seine Jünger werde das Fasten kommen wenn er, der Bräutigam, hinweggenommen sei27). Nicht lange darauf weist er eine Zeichenforderung zurück durch Hinweisung auf das ihm bevorstehende Gegenbild des Jonaszeichens28). Auch auf seine Wiederkunft hatte er schon einmal hingewiesen in der Instruktionsrede für die Zwölfe bei ihrer ersten Aussendung29). Allein wir werden aus eigener Erfahrung wissen wie schnell uns dunkle kurze Andeutungen in unserer Erinnerung zurücktreten können. Und wenn sie auch nicht vergessen werden, so weiß man doch vorerst, weil man sie nicht in das Ganze einreihen kann, Nichts damit anzufangen. Wir können deshalb leicht begreifen warum die Evangelisten erst diese Stunde bei Cäsarea als den Anfang von Jesu eigentlichem Verkündigen seines Leidens bezeichnen30), womit bereits gegeben ist dass auch das Reden vom Wiederkommen eigentlich erst jetzt begann, denn nur in dem Maß als das Scheiden in den Vordergrund gestellt wurde konnte das Wiederkommen den Hörern verständlich werden. Und dies blieb nun im speziellen Umgang Jesu mit den Zwölfen bis zum wirklichen Sterben das eigentliche Hauptthema und hiermit das Charakteristische dieser zweiten Stufe in Jesu Unterweisung der Jünger: sein Sterben und herrliches Wiederkommen. Sogleich beim Herabgehen vom Verklärungsberg, sechs Tage nach der Cäsareafrage, deutet er wieder auf den Tod31). Dann während der Wanderungen durch Galiläa deren Matthäus in 17,22 f. erwähnt. Dann im Oktober, in Jerusalem, am Laubhüttenfest. Man vergleiche den Bericht des Johannes über den Besuch Jerusalems im März, beim Purimfeste, Kap. 5, mit dem Bericht Kap. 7-10 über den Besuch des Laubhüttenfestes: in Kap. 5 redet Jesus noch nicht von seinem Tod, obwohl seine Gegner bereits Tötungsgedanken haben, dagegen in Kap. 7 ff. kommt er wiederholt auf sein baldiges Sterben. Das stimmt zu dem vorhin Bemerkten, dass die Cäsareareise, auf welcher er die Todesverkündigung begann im Anfang des Sommers stattgefunden habe. Genauer verhielt es sich nun aber mit dieser Todesverkündigung, so dass Jesus zuerst nur die Sache selbst und ihre Notwendigkeit und äußern Umstände wiederholt ankündigte, die Tötung welche geschehen müsse werde geschehen in Jerusalem, von Israels Volkshäuptern, und zwar so dass diese ihn, um ihr Todesurteil zu vollstrecken, den Heiden übergeben. Erst später, auf der Todesreise selbst, gibt Jesus den göttlichen Zweck seines Sterbens an, als Lösegeld an der Statt von Vielen gebe der Menschensohn sein Leben hin32). Beim Kommen der Griechen das Wort von Weizenkorn33). Zwei Tage vor Ostern die merkwürdige Gegenüberstellung des Passahlamms und Menschensohns: ihr wisst dass nach zwei Tagen das Passah stattfindet und der Menschensohn wird überantwortet zum Gekreuzigtwerden34). Bei der Einsetzung des Abendmahls das Wort vom Blut des Bundes zur Vergebung der Sünden und im priesterlichen Gebet, das von der Hingabe seiner selbst als eines heiligen Opfers an Gott35). Auch auf sein Wiederkommen hat Jesus seit Cäsarea immer von Zeit zu Zeit seine Rede gelenkt. Und auch hier können wir ein Fortschreiten von unbestimmteren zu bestimmteren Fassungen unterscheiden. In der ersten die uns Lukas im 12ten erzählt und zu welcher eine Warnung an die Jünger vor irdischem Sinn den Anlass gab heißt es nur, sie sollen unverdrossen mit brennenden Lichtern warten bis er komme weil daran so viel für sie liege wenn er sie werde wachend finden36).

Zu der zweiten die wir in Lukas 17 lesen veranlasst ihn seine Betrübnis über die Blindheit der Pharisäer für das Gekommensein des göttlichen Reiches; er sagt seinen Jüngern, jetzt schon, so lange er selber da ist, dem äußeren Auge verborgen werde das Königreich Gottes dereinst so sehr verhüllt sein dass die Jünger sich sehnen werden nur auch Einen Tag des Menschensohnes zu sehen, die Welt werde ihn verwerfen und vergessen, die Gemeinde einer bedrängten Witwe gleichen, aber eben dann wenn die Menschen wie zu Noahs und Lots Zeit ganz im Irdischen versunken seien geschehe plötzlich die Offenbarung des Menschensohns37). Auch in der dritten, bei der Abreise von Jericho nach Jerusalem gesprochenen, Wiederkunftsrede, von Lukas in Kap. 19 berichtet, ist der Grundgedanke dieser, vorerst gelte es auf des Messias herrliches Kommen geduldig und in unverdrossener Arbeit warten, denn zunächst gehe er hinweg in ein fernes Land38). Dagegen in Jerusalem selbst, als der Herr von dem Tempel feierlichen Abschied genommen, dessen bevorstehende Zerstörung verkündigt und sich nun auf dem Ölberg wo man den Tempel vor Augen hatte gesetzt hat39), redet er in bestimmterer Weise von dem was die Zukunft bringen soll. Zuerst gibt er auch dort den Grundcharakter an für die ganze Zeit bis zu dem Ende, Anfechtungen aller Art seien der Gemeinde beschieden und da könne Nichts helfen als das Beharren in Geduld, denn das Ende komme nicht ehe das Evangelium allen Völkern verkündigt sei40). Dann aber zeichnet er die zwei Hauptereignisse der Zukunft, die Zerstörung Jerusalems samt der Zertretung desselben während der Heidenzeiten und darauf sein sichtbares Kommen selbst wie es seinen Auserwählten die Sammlung zu ihm und allen Völkern das für ewig entscheidende Gericht zu Stande bringt41). Bei den Aussprüchen über sein Sterben besteht also der Fortschritt darin dass er zuerst nur die Notwendigkeit und die äußern Umstände, später auch den göttlichen Zweck bezeichnet, bei den Aussprüchen über die Wiederkunft darin, dass er zuerst nur die lange Einsamkeit der Gemeinde und die plötzliche Offenbarung des Menschensohnes einander gegenüberstellt, später aber was sich in der Zwischenzeit mit Israel und den Heiden zutragen und was bei der Wiederkunft selbst sich ereignen werde näher auseinanderlegt.

Allein der Herr hat dort bei Caesarea nicht bloß von Sterben und Wiederkommen geredet sondern auch vom Erbauen seiner Gemeinde und dass selbst die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen sollen. Man muss erwarten dass er auch hierüber den Jüngern noch weitere Aufschlüsse werde gegeben haben. Vorhin ward des Abschiedsbesuchs erwähnt welchen Jesus wenige Wochen vor seinem Sterben in Kapernaum machte. Es war ohne Zweifel im Monat März, denn man verlangte die Tempelsteuer von ihm und für deren Sammlung war der März die gesetzliche Zeit. Damals nun hat Jesus von einem Streit der sich zwischen den Zwölfen erhoben hatte Anlass genommen zu sagen dass in künftigen Streitfällen der Gemeinde die Entscheidung und dass derselben auch das Feststellen von Geboten und Verboten zustehen solle und „wenn zwei oder drei auf seinen Namen zum Gebet sich vereinigen werde ihr Gebet erhört werden, denn wo zwei oder drei versammelt sind auf meinen Namen, bin ich in ihrer Mitte.42)“ Dieses große Thema von seiner unsichtbaren aber persönlich wesenhaften, die Jüngerschaft mit seinem Geist durchdringenden Gegenwart wurde dann am Abend vor der Gefangennehmung, wie Johannes in Kap. 14 bis 16 erzählt, wieder aufgenommen und in immer neuen Wendungen durchgesprochen. Und das ist's wodurch Jesus seine Gemeinde baut und worin ihre Unzerstörlichkeit ruht: seine uns durchhauchende Gegenwart. Ohne sie sind alle Kirchenverfassungen tot, alle Vereinsversammlungen vorüberrauschende Agitationen, durch sie sind zwei und drei Jünger stärker als die tausende. Wir sehen auch hier wie Jesu Unterweisung je näher es zum Ende ging desto reicher und tiefer wurde. Denn erst in den letzten Wochen begann er diese Reden von seiner unsichtbaren Gegenwart. Eben deshalb konnte er auch jetzt erst seine Jünger in das tiefste Wesen des Gebets einführen. In der Bergpredigt gibt er das Vaterunser als Muster wie man ohne leeres Geplapper kurz und kindlich und um die rechten Güter beten soll43), als etliche Monate danach einer der Jünger, welcher den betenden Jesus beobachtet hatte, das Begehren stellt dass Jesus wie auch der Täufer getan habe seine Jünger möge beten lehren wiederholt er das Vaterunser44), von einem selbstständigen Erbitten aller möglichen Güter konnte Jesus seinen Jüngern erst reden im Zusammenhang mit den Unterweisungen über seine unsichtbare und sie durchhauchende Gegenwart. Denn zu selbstständigem und dabei doch dem Sinne Jesu entsprechenden, den Willen Gottes treffenden Beten kann erst dann und nur in dem Maß die Rede sein, wenn und wie der Geist Jesu die Betenden durchbringt. Wie denn Jesus am letzten Abend ausdrücklich sagt: „bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen.45)“ Zuerst Jesu Geist haben, dann in Jesu Namen bitten.

Also vor der Cäsareareise d. i. in den ersten fünf viertel Jahren bezweckte Jesu Unterweisung seiner Jünger insbesondere dies dass sie, und zwar durch das Erleben der aus ihm hervorleuchtenden Heiligkeit, glauben lernen an sein Königtum, zwischen der Cäsareareise und dem Sterben, dass sie glauben lernen an die Notwendigkeit und Heilsamkeit seines Sterbens, an seine unsichtbare aber wirkungsreiche Gegenwart wenn er einst von ihnen genommen sei, an sein glorreiches Wiederkommen zu Erlösung und Gericht. Mich dünkt es müsse schon hieraus deutlich sein, wie viel die Zwölfe voraus hatten vor Solchen welche Jesum zwar manchmal aber doch nicht zusammenhängend hörten. Zwar den Bewohnern Kapernaums war einige Monate hindurch die Möglichkeit gegeben über ein bloß bruchstückweises Lernen hinauszukommen. Auch wird wer die Bergpredigt einerseits, die Reden Jesu nach der Botschaft des Täufers Matth. 11 und am Gleichnistage Matth. 13 andrerseits sorgfältig vergleicht bemerken können, dass schon dort ein stufenmäßiges Aufsteigen war. Denn in der Bergpredigt bleibt seine eigene Person noch ziemlich im Hintergrund, weil es sich für den Anfang darum handelte dem Volk den verlorenen Schlüssel zu dem alten Gesetz wieder in die Hand zu geben, in Matth. 11 und 13 tritt sie gewaltig in den Vordergrund. Allein Jesu Wohnen in Kapernaum dauerte doch nur kurze Zeit. Das zweite Jahr war lauter Wanderzeit: jetzt war es gar nicht mehr möglich einen tieferen Einblick in sein Zeugnis zu gewinnen wenn man nicht mit ihm ging von Ort zu Ort. Manche haben sich gewundert, warum in manchen Reden Jesu so wenig von ihm selber die Rede sei, warum z. B. weder im Gleichnis vom verlorenen Sohn noch in dem vom Pharisäer und Zöllner die Begnadigung des Sünders geknüpft werde an Jesu Mittlerschaft: eine solche Verwunderung könnte nicht aufkommen wenn man erwägen würde dass diese beiden Gleichnisse von Jesu gesprochen sind während einer langen Reisezeit, wo er heute hier war und morgen dort, daher die Menschen für welche Jesus diese Gleichnisse ursprünglich sprach, unvorbereitet wie sie waren, gar nicht begriffen hätten, was Jesus wolle wenn er sofort von seiner Mittlerschaft geredet hätte. Weil Jesus ein Reiseprediger war mussten sich seine öffentlichen Reden meistens auf dem Umkreis halten. Nach Luk. 14,7. verschmähte er es nicht da er zu einem Gastmahl geladen war den Gästen zu sagen, sie sollen sich in solchen Fällen nicht oben an setzen: von solchen auf der Peripherie liegenden Punkten musste er ausgehen um den Hörern verständlich zu sein. In den Mittelpunkt konnte er nur diejenigen einführen welche immer bei ihm waren und auch diese nur nach und nach. Es gibt allerdings Fälle wo Jesus vor einem sehr gemischten, ihm noch fernen, sogar entschieden feindseligen Hörerkreis schnell zu der Bezeugung des Höchsten und Tiefsten vorschreitet, besonders in Jerusalem hat er dies getan, ohne Zweifel weil er wusste dass um der Feindschaft der hierarchischen Partei willen sein Bleiben in dieser Stadt immer nur kurz sein konnte. Wenn Johannes seine Mitteilungen vorzugsweise aus Jesu Besuchen in Jerusalem entnimmt so wird dies eben hiermit zusammenhängen, dass in dieser Hauptstadt meist der Mittelpunkt von Jesu Zeugnis, seine eigene Person, zur Besprechung kam. Die Regel blieb dennoch die dass wer in den Mittelpunkt der Wahrheit, zumal aber in den Zusammenhang der Wahrheiten eindringen wollte, bleibend bei Jesu sein und mit ihm von Ort zu Ort wandern musste. Von den Reden über seine Wiederkunft sind die zwei wichtigsten, die in Luk. 17 und in Matth. 24. 25, im Kreise der Jünger gesprochen, es ist möglich dass die Häupter des Volks erst aus jenem im Verhör vor Caiphas am Morgen des Todestages geredeten Worte: von nun an werdet ihr sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels46) inne wurden, der Nazarener wolle sogar in göttlicher Herrlichkeit wieder kommen. Auch die Aussprüche über die sühnende Kraft seines Sterbens und die über seine unsichtbare Gegenwart hat Jesus nicht öffentlich sondern im Kreise der Jünger getan. Ja er hat den Jüngern bei Cäsarea, als er ihnen die feierliche Versicherung gab, dass er wirklich der verheißene Messias sei, ausdrücklich verboten sie dürfen das Niemanden sagen47), erst am Palmtag und vom Palmtag an hat er vor allem Volk sein Königtum bekannt.

Um aber vollständig zu erkennen wie die Unterweisung Jesu Stufe um Stufe aufwärts ging und wie sehr es deshalb darauf ankam dass man nicht bloß dann und wann sondern fort und fort bei ihm war, müssen wir den Blick noch auf diejenigen Worte werfen welche der Auferstandene zu seinen Jüngern geredet hat. Auf den erlittenen Tod blickt er nur bei den Emmausjüngern und bei der ersten Erscheinung für die Zwölf am Abend des Auferstehungstages zurück und zwar nur um zu sagen dass dieses sie so tief befremdende Ereignis doch nur die Erfüllung der Schrift gewesen48). Von der Sühnkraft des Sterbens ist nicht wieder die Rede: was in den letzten Tagen vor dem Tode gesagt war konnte genügen. Auch die dereinstige Wiederkunft wird nur gestreift49). Besonders merkwürdig ist dass sich der Auferstandene nicht mehr den Menschensohn nennt, und zwar obwohl er bei seiner ersten Erscheinung für die Zwölfe so entschieden hervorhebt, er sei es selbst, ein Geist habe nicht Fleisch und Bein50). Von jenem Tage an da die ersten Jünger sich um Jesus sammelten und ihn Nathanael begrüßte als den Sohn Gottes, den König von Israel, bis zu seinem Todestage an dessen Morgen der Hohepriester ihn beschwört ob er der Sohn Gottes sei, war „Menschensohn“ der Name den Jesus am öftesten sich gab. Sowohl bei Nathanael als bei Caiphas lenkt er sogar von Sohn Gottes absichtlich hinüber zu Menschensohn51). Warum nennt sich nun der Auferstandene nimmer so? Ich antworte: der Name Menschensohn zeigte hin auf das wunderbare Zusammensein von Majestät und Niedrigkeit, so ganz ein Mensch, alles was zum Los der Menschen gehört mit seinen Brüdern teilend, und doch ein Mensch wie es keinen zweiten gibt, der Mensch ohne gleichen, des Weibes Same auf welchen die Menschenkinder als ihren Erretter verwiesen waren, der Mensch welchen der ewige Gott zum König Israels und aller Völker erhoben hat, der Mensch welcher wie der ewige Gott selbst einherfährt auf den Himmelswolken. Nach der Auferstehung war der Eindruck der Majestät so sehr der vorherrschende dass der Name in welchem die Einheit von Majestät und Niedrigkeit das charakteristische war nicht mehr geeignet schien. Nachdem Jesu Hingabe seiner selbst in die Erniedrigung in Gethsemane und auf Golgatha mit unauslöschlichen Zügen in das Gemüt der Jünger sich eingeprägt hatte, bedurften sie jetzt dass auch seine Herrlichkeit in gleicher Kräftigkeit ihnen anschaulich werde. Deshalb ist Jesus jetzt zu dem höchsten seiner Aussprüche über seine Gottessohnschaft vorgeschritten. An erhabenen Worten über dieselbe hat es freilich auch während der Fleischestage nicht gefehlt. Schon im Gespräch mit Nikodemus nennt er sich den Eingebornen Sohn52). In Galiläa hören wir, nachdem der Täufer seine Botschaft gesendet und Jesus seine Klage über den Stumpfsinn der galiläischen Hauptorte erhoben hat jenes gewaltige Wort: Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater und Niemand den Vater als nur der Sohn und wem der Sohn will offenbaren53). Bald danach in Jerusalem das nicht minder erhabene: alles Gericht hat der Vater dem Sohne gegeben auf dass sie alle den Sohn ehren wie sie den Vater ehren, und: die Toten werden hören die Stimme des Sohnes Gottes und die sie hören werden leben, denn gleichwie der Vater hat Leben in ihm selbst, also hat er auch dem Sohne gegeben Leben zu haben in sich selbst54). Die beiden letztgenannten Zeugnisse, das galiläische welches Matthäus und das in Jerusalem welches Johannes berichtet, enthalten teils ein dem Sohne zukommendes übermenschliches Wirten, wenn nicht bloß das Beleben der Toten sondern auch das Offenbaren ist nicht eines Menschen Sache, teils ein dem Sohne ausschließlich eignendes Verhältnis zu Gott, des Sohnes Wesen ist von derselben Tiefe, ist dieselbe unendliche Fülle von Kräften wie das des Vaters. Aber was der Auferstandene nach Matth. 28 auf jenem galiläischen Berge zu den Jüngern sagt geht noch höher. In Matth. 11,27. spricht sich der Sohn die Fürsorge für alle Menschenseelen und in Joh. 5 das Beleben und Richten der Menschen zu, in Matth. 28 aber sagt er dass ihm wie auf Erden so auch im Himmel alle Macht übergeben sei. Aus Matth. 11 und Joh. 5 konnte man schließen dass er sein Wesen für ein Gotteswesen erachte weil er ihm Gleichheit mit dem Wesen Gottes zuerkenne, in Matth. 28 stellt er sich mit direkten Worten in dieselbe Reihe mit dem Vater und Geist indem er auf diesen dreifachen Namen zu taufen befiehlt. Ja da er nicht sagt: Gottes und des Sohnes und des Geistes sondern des Vaters, des Sohnes und des Geistes behält er den Gottesnamen vor auch für den Sohn und Geist. Majestätischer konnte Jesus sein Zeugnis von sich selbst nicht schließen als mit diesem Wort.

Aber wir wollen die Aussprüche nach der Auferstehung nicht bloß mit denen während der Fleischestage sondern auch untereinander vergleichen. Die Offenbarungen des Auferstandenen werden von keinem Evangelisten vollständig erzählt. Man muss die Evangelien zusammennehmen wenn man etwas Vollständiges vernehmen will. Bringt man aber die verschiedenen Offenbarungen in ihre Zeitfolge welche sich teils mit großer Wahrscheinlichkeit teils mit Gewissheit feststellen lässt, so scheint sich mir deutlich genug ein planvolles Fortschreiten der bei diesen Offenbarungen gesprochenen Worte darzustellen, eine Beobachtung welche falls sie sich einer nüchternen Prüfung bewährt zugleich für die Geschichtlichkeit dieser Offenbarungen also für die Realität der Auferstehung selbst ein neuer und sehr schlagender Beweis ist, schlagend eben deshalb weil dieser planvolle Fortschritt erst aus den verschiedenen Evangelien zusammen sich ergibt, also nicht auf Rechnung der Erzähler gebracht werden kann. Die erste Erscheinung des Auferstandenen wurde am Morgen des Auferstehungstages der Maria Magdalena, die zweite gegen Abend desselben Tages den Emmausjüngern zu teil55). Die Worte die der Auferstandene hierbei redete trugen einen nur vorbereitenden Charakter. Maria wird in respektvoller Entfernung gehalten, die Stunde ihn zu umfassen sei noch nicht da weil er noch nicht aufgefahren, dann erhält sie eine Botschaft an die Jünger, ihnen zu verkünden dass er seiner Auffahrt, also der Erfüllung dessen was er in den Abschiedsreden verheißen hatte, entgegengehe. Bedeutungsvoll war hierbei dass Jesus die Jünger seine Brüder nennt, sie sollten daraus Hoffnung schöpfen, dass seine Liebe durch die Schwäche deren sie sich von seiner Gefangennehmung an schuldig gemacht nicht erschüttert sei. Auch was er den Emmausjüngern sagt darf man vorbereitend nennen, denn er räumt durch das Zurückgehen auf die alttestamentliche Weissagung den Anstoß an seinem Sterben hinweg. Als er nun aber an demselben Abend in den Kreis der Elf zu Jerusalem trat56), konnte jedes Wort die Jünger einen Schritt vorwärts führen. Sein erstes ist der Friedensgruß. Das zweite dass er ihnen die durchbohrten Hände, die durchbohrte Seite zeigt, also die Identität seiner Person erweist.

Nun wurden die Jünger froh, fügt Johannes bei. Hierauf zum dritten ein neuer Friedensgruß. Er ist die Einleitung zum vierten, zur Erneuerung des Apostelberufs durch das Wort: wie mich mein Vater gesendet hat also sende ich euch. Die Jünger welche wegen ihres Benehmens seit Gethsemane ein geschlagenes Gewissen hatten mochten wohl denken dass ihre Berufung hinfällig geworden sei. Dann zum fünften ein Anhauch derselben mit dem Worte: nehmet hin heiligen Geist. Zum Apostelberuf die Apostelkraft. Endlich wird als sechstes hinzugefügt: welchen ihr die Sünden vergebt, denen werden sie vergeben, welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Hiermit war gesagt was in der apostolischen Arbeit der Mittelpunkt sei. Die zweite Erscheinung bei den Aposteln welche acht Tage nach der ersten erfolgte57) hat keinen Fortschritt gebracht: sie ist nur um des Thomas willen geschehen der bei der ersten nicht zugegen war. Um so mehr die dritte, am galiläischen Meer58). Sie nimmt den Faden der ersten auf. Schloss die erste in dem Anhauch der Apostel mit dem für ihr Amt erforderlichen Geist, so beginnt die dritte mit dem gesegneten Fischzug als die Fischer auf Jesu Geheiß das Netz auswerfen: das soll die Apostel versichern dass ihr Amt als Menschenfischer wenn sie es nach Jesu Geheiß führen vom reichsten Erfolg werde begleitet sein. Auch das Mahl wozu sie Jesus einlädt als sie zu ihm ans Ufer gekommen sind, ist ein Sinnbild: das Meer das Symbol des Völkermeers, das Ufer wo Jesus steht das der ewigen Heimat, das Mahl bedeutet den seligen Genuss der beim Herrn ihrer wartet wenn sie heimgekommen sind. Dann jene dreimalige Frage an den Simon mit dem dreimaligen: weide meine Schafe. Auf die Restitution der Elf in das Apostelamt folgt hiermit die Restitution des dreimaligen Verleugners in die ein Jahr früher, bei Cäsarea, ihm übertragene Vorstandschaft. Ausdrücklich bemerkt Johannes, diese Erscheinung sei die dritte, nämlich unter denen für den Apostelkreis, gewesen: die auf dem galiläischen Berg von welcher Matthäus in seinen Schlussversen berichtet darf also jetzt erst eingefügt werden. Die bei ihr gesprochenen Worte reihen sich trefflich an die bei der dritten an. Ein dreifaches fügt Jesus in Betreff des Apostelberufes bei: erstlich das Gebiet, über welches die apostolische Arbeit sich zu erstrecken habe: „geht hin und macht zu Jüngern alle Völker;“ zweitens die Weise in welcher das zu Jüngern Machen geschehen muss: „sie taufend auf den Namen des Vaters, Sohnes, Geistes, sie lehrend zu halten Alles was ich euch befohlen habe;“ drittens den festen Grund der Zuversicht bei allen Mühen des Apostelberufs: „gegeben ist mir worden alle Macht im Himmel und auf Erden,“ und wieder: „siehe ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Nun fehlte nur noch Eines, die spezielle Instruktion, nämlich über die Zeit wann die Arbeit beginnen und die Reihenfolge der Orte an welchen sie geschehen soll. Diese wird uns von Lukas berichtet59): der Herr erteilte sie bei Jerusalem, auf dem Ölberg, unmittelbar vor der Himmelfahrt: die Zeit betreffend weist er die Jünger an, zu warten auf die Ausgießung des Geistes, die Orte betreffend heißt es: ihr werdet mir Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis zum Ende der Erde. Also Restitution der Elf ins Apostelamt am Tag der Auferstehung selbst und in Jerusalem, Verheißung des Arbeitesegens für die Elf und Restitution des Petrus in die Vorstandschaft am galiläischen Meer, Erteilung des Taufbefehls in Bezug auf alle Völker auf der Höhe des galiläischen Bergs, spezielle Instruktion über Beginn und Reihenfolge des apostolischen Wirkens auf dem Ölberg.

Ich bin am Schluss. Den praktischen Zweck welchen ich erreichen möchte habe ich am Anfang genannt. Um ihn tiefer ins Herz zu prägen soll mein letztes Wort eine Berufung auf Petrus sein. Als dieser die Gemeinde der Gläubigen aufforderte die vom Verräter in der Zwölfzahl der Apostel gemachte Lücke auszufüllen bezeichnete er als die Aufgabe des zu Wählenden die Bezeugung der Auferstehung Jesu, aber als Erfordernis für die Wählbarkeit auch dies, er müsse während des ganzen Wirkens Jesu von der Johannistaufe an bis zur Himmelfahrt mit dabei gewesen sein, Apg. 1,21 f. Der Stufengang in Jesu Unterweisung seiner Jünger war einer der Gründe um deren willen Petrus dieses Verlangen stellte, denn nur wer von Anfang an dabei war hatte alle Stufen der Unterweisung durchschritten. Was nun Petrus von den damaligen Zeugen Jesu verlangte das muss auch von den jetzigen gelten: unsere Aufgabe ist die Bezeugung der Auferstehung Jesu, deshalb unsere erste Sorge die eigene Wiedergeburt durch lebendige Gemeinschaft mit dem lebendigen Jesus, denn nur wenn unser Wiedergeburtsleben aus Jesus die Lebendigkeit unseres Herrn beweist, kann unser Zeugnis von seiner Auferstehung Eindruck machen, aber ein Erfordernis um unserer Aufgabe zu genügen ist auch dies dass wir im Geist bei Allem von der Johannistaufe an bis zur Himmelfahrt mit gewesen seien d. h. Jesu Wort und Geschichte nicht bloß bruchstückweise sondern im Zusammenhang und lebendigen Ineinandergreifen aller Teile kennen. Lasst uns auch in diesem Bezug nicht zu den Halben gehören!

1)
Luk. 3,23.
2)
Matth. 4,1. u. Par.
3)
Joh. 1,29-2,12
4)
Joh. 2,13-3,21
5)
Cap. 3,22-4,2
6)
Cap. 4,1 u. 35, vergl. mit Matth. 4,12
7)
Matth. 4,13-13,53
8)
Joh. 5
9)
Matth. 14,13 ff. Joh. 6,4 u. 6
10)
Joh. 7,1
11)
Matth. 16, 13 ff.
12)
Mat. 17, 1.
13)
Joh. 7, 1. bis 10, 21.
14)
Joh. 10, 22 ff.
15)
Matth. 17, 24. bis 18, 35.
16)
Joh. 1,40
17)
Joh. 20,28
18)
Joh. 6,68
19)
Matth. 9, 15.
20)
Kar. 11,6
21)
Kap. 11,10
22)
Kap. 11,27
23)
Kap. 13,41
24)
Kap. 15,22
25)
Matth. 3,11 f.
26)
Joh. 2,19
27)
Matth. 9,15
28)
Matth. 12,39
29)
Matth. 10,23
30)
Matth. 16,21
31)
Matth. 7,12
32)
Matth. 20,28
33)
Joh. 12,24
34)
Matth. 26,2
35)
Matth. 26,28. Joh. 17,19
36)
Vers 35 ff.
37)
Kap. 17,20 bis 18,8.
38)
V. 12 ff.
39)
Matth. 23,38-24,1
40)
V. 2-14
41)
Kap. 24,15-25,46. vergl. mit Luk. 21
42)
Matth 18,15 bis 20
43)
Matth. 6,9 ff.
44)
Luk. 11,1 ff.
45)
Joh. 16,24
46)
Matth. 26,64
47)
Kap. 16,20
48)
Luk. 24,25 ff. und 44 ff.
49)
Joh. 21,22
50)
Luk. 24,39
51)
Joh. 1,50.52. Matth. 26,63 f.
52)
Joh. 3,16.18
53)
Matth. 11,27
54)
Joh. 5,22 ff.
55)
Joh. 20,17. und Luk. 24,13 ff.
56)
Luk. 24,36 ff. Joh. 20,19 ff.
57)
Joh. 20,26 ff.
58)
Kap. 21
59)
Apg. 1,1 ff.
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