Gerok, Karl - Hirtenstimmen - Vorwort

Gerok, Karl - Hirtenstimmen - Vorwort

Seit Jahren wurde ich wiederholt aufgefordert, meinen früher veröffentlichten Epistelpredigten eine weitere Sammlung folgen zu lassen. Die epistolischen Perikopen, diese unerschöpfliche Fundgrube christlicher Glaubenswahrheit und Lebensweisheit, sind ja in der Predigtliteratur allerdings weit sparsamer vertreten und wohl auch schwerer zu behandeln als die evangelischen Schriftabschnitte. Dies zu einiger Entschuldigung dieses neuen Predigtbuchs, dessen Texte den Abendlektionen ersten und zweiten Jahrgangs aus dem württembergischen Kirchenbuch entnommen sind, mit Beifügung von zwei Aposteltags- und etlichen älteren und neueren Gelegenheits-Predigten.

Freilich musste ich bei Zusammenstellung dieses Jahrgangs auf ältere Manuskripte zurückgreifen, da ich seit siebzehn Jahren nur noch über die Evangelien zu predigen habe. Dass meine jetzige Art nicht mehr ganz die frühere ist; dass ich, wenn auch auf demselben Standpunkt evangelischer Glaubensüberzeugung stehend, im Aufbau und im Ausdruck der Predigt einfacher und schmuckloser geworden bin als in jungen Tagen, ist mir bei Durchsicht dieser Predigten aus den fünfzehn ersten Amtsjahren deutlich vor Augen getreten. Umarbeiten aber konnte und wollte ich nichts. Ist es ja doch gerade dieser mein früherer Ton, der mir zuerst Freunde gewonnen und über Hoffen und Erwarten bis heute erhalten hat. Und jenes jugendlich freudige Auftun des Mundes hat mir jetzt beim Wiederlesen zwar hier und da ein Lächeln oder Kopfschütteln entlockt, manchmal aber doch auch fast eine Art von Neid erregt, eine wehmütige Erinnerung an die frische und frohe Morgenzeit meiner Amtsführung - jetzt da es Abend wird-

„Hirtenstimmen“ glaubte ich diese Predigten überschreiben zu dürfen, nicht nur weil sie meistens das Wort der Apostel zur Grundlage haben, jener ersten Hirten, denen zunächst der Auftrag des Herrn galt: Weide meine Schafe, weide meine Lämmer; sondern auch weil der herrschende Ton derselben gemäß meiner persönlichen Richtung und Begabung weniger der entwickelnde Lehrton, oder der gesalbte Priesterton, oder der strafende Prophetenton ist, als der herzliche Hirtenton, der Ton der suchenden, einladenden, warnenden und tröstenden Liebe. Möchten sie wenigstens da oder dort eine Seele zu Dem weisen und bei Dem festalten helfen, der da spricht: Ich bin ein guter Hirte; meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.

Stuttgart, im Herbst 1879.

Karl Gerok.

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autoren/g/gerok_k/gerok_hirtenstimmen/gerok_hirtenstimmen_vorwort.txt · Zuletzt geändert: von aj
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