Gerok, Carl - Der Heimat zu! - Septuagesimä.

Gerok, Carl - Der Heimat zu! - Septuagesimä.

1889.

(Matth. 11,16-24.)
(16) Wem soll ich aber dies Geschlecht vergleichen? Es ist den Kindlein gleich, die am Markt sitzen und rufen gegen ihre Gesellen, (17) Und sprechen: Wir haben euch gepfiffen und ihr wolltet nicht tanzen; wir haben euch geklagt und ihr wolltet nicht weinen. (18) Johannes ist gekommen, aß nicht und trank nicht, so sagen sie: Er hat den Teufel. (19) Des Menschen Sohn ist gekommen, isst und trinkt, so sagen sie: Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Gesell! Und die Weisheit muss sich rechtfertigen lassen von ihren Kindern. (20) Da fing er an die Städte zu schelten, in welchen am meisten seiner Taten geschehen waren, und hatten sich doch nicht gebessert. (21) Wehe dir, Chorazin! wehe dir, Bethsaida! wären solche Taten zu Tyro und Sidon geschehen, als bei euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten im Sack und in der Asche Buße getan. (22) Doch ich sage euch, es wird Tyro und Sidon träglicher ergehen am jüngsten Gericht, denn euch. (23) Und du, Kapernaum, die du bist erhoben bis an den Himmel, du wirst bis in die Hölle hinuntergestoßen werden. Denn so zu Sodom die Taten geschehen wären, die bei dir geschehen sind, sie stünde noch heutiges Tages. (24) Doch ich sage euch: Es wird der Sodomer Lande träglicher ergehen am jüngsten Gericht, denn dir.

Wenn wir in unserem heutigen Evangelium lesen, „wie Jesus anfing, die Städte zu schelten, in welchen am meisten seiner Taten geschehen waren, und hatten sich doch nicht gebessert“; und wenn wir dann das Wehe vernehmen, das er ausruft über die Städte seines Landes, welche seine Taten gesehen, sein Wort vernommen und doch so wenig Früchte einer rechtschaffenen Buße gebracht hatten, Chorazin, Bethsaida, Kapernaum, und denken dabei an das letzte und schwerste Wehe, das er am Ende seines Lehramts ausrief über die größte und stolzeste Stadt seines Landes, Jerusalem, die hochgebaute und hochbegnadigte Stadt, so bekommt das eine eigentümliche Bedeutung gerade für unsere Zeit.

Die Städte, die großen Städte insbesondere, mit ihrer riesenhaften Ausdehnung, ihren unübersehbaren Menschenmassen, ihrem fabelhaften Luxus neben bodenlosem Elend, ihrer furchtbaren Sittenverderbnis bei glänzender Bildung - wieviel geben sie dem Menschenfreund zu denken und zu sorgen! Welch erschütternde Unglücksbotschaften erschallen bald da, bald dorther aus so einer gepriesenen Hauptstadt, und welche schwere Wetterwolken drohender Gefahren hängen gleich einer schwülen Schichte von Rauch und Dunst über jenen Häusermeeren!

Und wenn wir da zunächst an jene Millionenstädte denken in der Ferne, an jenen Feuerherd der Revolutionen im Westen, wo es eben jetzt wieder so unheimlich gärt und kocht, oder an jenes Tyrus an der Themse, wo der größte Reichtum und das größte Elend so nah zusammengedrängt ist, wie nirgends auf Erden, oder an jene stolze Kaiserstadt im deutschen Norden, die seit einem Menschenalter bis zum Himmel gestiegen ist in Ruhm und Glanz, oder an jene andere Kaiserstadt im deutschen Osten, sonst gepriesen ob ihrer heitern Lebenslust und nun trauernd im Sack und in der Asche, so haben wir, meine Freunde, alle Ursache, auch an unsere eigene Brust zu schlagen im Blick auf unsere Stadt, die, so klein auch in ihrem Umfang, von Jahr zu Jahr wächst und den Großstädten in Sitten und Unsitten auf allerlei Weise nacheifert. So möge denn Jesu Wehe über seine Städte eine Bußpredigt werden auch für unsere Städte, sie zu mahnen:

  1. An große Gottestaten, die darin geschehen sind.
  2. An große Sündenschulden, die darin angewachsen sind.

Herr Jesu, du großer Völkerhirte und Menschenhüter:
Du rufest auch noch heutzutage,
Dass jedermann erscheinen soll;
Doch hört man stets auch deine Klage:
Noch immer ist mein Haus nicht voll;
Zwar viele sind von dir geladen,
Doch wenige sind auserwählt,
Sie wandeln auf des Weltsinns Pfaden,
Und mancher, den du rufest, fehlt.

Amen.

Jesu Wehe über seine Städte soll uns heute eine Bußpredigt werden auch für unsere Städte, sie zu mahnen:

1) An große Gottestaten, die darin geschehen sind, sei es in Gnadenerweisungen oder in Gerichtsheimsuchungen Gottes.

Gnadenerweisungen waren es zunächst, deren jene Städte Galiläas sich zu erfreuen hatten, in deren Straßen Jesu heiliger Fuß wandelte, in deren Schulen er sein Evangelium verkündete, in deren Häusern er ihre Kranken heilte; jenes Chorazin, von dem wir nichts mehr kennen als den Namen; jenes Bethsaida, aus dem er drei seiner Jünger berief, Petrus, Philippus und Andreas; jenes Kapernaum, in dem er des römischen Hauptmanns Knecht gesund machte und das er mit Vorliebe seine Stadt nannte. Fürwahr ein seltenes Heil, das jenen sonst unscheinbaren Städten beschieden war durch die Gegenwart des Herrn.

Und doch darf es uns, meine Lieben, wohl mahnen an große Gnadenerweisungen Gottes, deren wir in unseren Städten uns erfreuen.

Schon in leiblichen Bequemlichkeiten und weltlichen Vorteilen haben wir alle Ursache, dankbar zu schätzen, was wir voraus haben vor unseren Brüdern auf dem Land. Das tägliche Brot auf unseren Tisch und nicht nur das Brot, sondern alles, was das Herz gelüstet; den Arzt und die Arznei für unsere Kranken; die Schulen und Unterrichtsanstalten für unsere Kinder; den Schutz der Obrigkeit und die Hilfe des Richters für unser Eigentum und unsere Person, das alles haben wir sozusagen vor der Tür und brauchen's nicht erst mühsam über Feld zu suchen. Die Wege zu unserer Berufsarbeit sind uns geebnet und erleichtert im Schneesturm des Winters wie in der Sonnenglut des Sommers; Gelegenheit zur Arbeit bietet sich dem, der arbeiten kann und will, hundertfach dar in einer großen Stadt und verhungern darf niemand in unserem wohlgeordneten Gemeinwesen.

Und zum Guten gesellt sich das Schöne, neben der Notdurft des Leibes bieten unsere Städte so manches zur Bildung des Geistes und Erhebung des Herzens. Ehrwürdige Denkmale der Vorzeit, die uns an die großen Taten Gottes erinnern; die Standbilder berühmter Männer, die sich um Volk und Land verdient gemacht haben; was in den Hallen der Kunst Schönes zu sehen und zu hören ist bei Tag und Nacht; was in den Hörsälen zu vernehmen ist von nützlichen und anregenden Vorträgen aus allen Gebieten menschlichen Wissens; was auf dem Rathaus und im Ständesaal vor unseren Augen und Ohren verhandelt wird zum Wohl von Stadt und Land, das alles hat seinen Wert, das alles dient, recht benützt, zur Bildung und Gesittung, zur Pflege von edlem Bürgersinn und echter Vaterlandsliebe.

Und dass wir zum Guten das Beste nicht vergessen: unter den Gnadenerweisungen, deren wir in unseren Städten uns erfreuen, steht oben an das Wort Gottes, das wir so reichlich haben, mit all den Anstalten zur christlichen Erbauung, mit all den Vereinen christlicher Liebe und Barmherzigkeit, die in unseren Städten blühen und sich mühen zur Versorgung der Armen, zur Pflege der Kranken, zur Bewahrung der Jugend, zur Rettung der Verlorenen.

Persönlich geht der Heiland nicht in unseren Straßen, um das Evangelium zu predigen und Kranke zu heilen, wie einst zu Bethsaida und Kapernaum, zu Jericho und Jerusalem; aber seine Knechte und Mägde gehen zahlreich umher, das Werk der rettenden Liebe fortzusetzen in seinem Namen. Und soviel Schlimmes unserer Zeit nachgesagt wird, das Lob wenigstens muss man ihr lassen, dass sie in Werken der Barmherzigkeit Großes leistet. Und soviel Unerfreuliches unsere großen Städte dem Menschenfreund darbieten, darüber wenigstens darf er sich freuen, was da mit gesammelten Mitteln und vereinten Kräften die christliche Liebe tut im Kampf gegen Not und Sünde.

Und auch unsere liebe Stadt, wenn sie in Größe und Pracht, in Kunst und Wissenschaft weit zurücksteht hinter anderen; wenn sie weder solch ehrwürdige Denkmale der Vergangenheit aufweisen kann, noch solche großartige Ereignisse der Gegenwart erlebt, wie manch andere Stadt, - in geistlichen Dingen wenigstens ist sie mitnichten die kleinste unter den Städten Juda, ihren christlichen Anstalten und ihrem kirchlichen Leben geben auch größere und glänzendere Städte immer noch gerne die Ehre.

Das soll auch in einer Bußpredigt ihr zugestanden sein, nicht Menschen zum Ruhm, sondern Gott zum Lob, der große Taten an uns getan hat im Geistlichen wie im Leiblichen.

Aber zu den Gottestaten in einer Stadt gehören nicht nur die Gnadenerweisungen, sondern auch die Gerichtsheimsuchungen des Herrn.

Sodom und Gomorrha mit ihrem Gottesgericht, Tyrus und Sidon mit ihrem jähen Sturz, Jerusalem mit seinem Schreckensende - welche Gerichtsstätten des allmächtigen Gottes!

Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern; je höher die Stellung, um so tiefer der Fall. Die Gipfel der Berge und die Spitzen der Türme trifft der Blitz des Himmels am leichtesten. Furchtbare Heimsuchungen von Städten, Heimsuchungen, die wie Feuerzeichen über den ganzen Erdkreis leuchteten, die wie Donnerschläge durch ganze Generationen hinhalten, kennt ja die Weltgeschichte aller Völker und aller Zeiten.

Die Verschüttung von Pompeji und Herculanum, die Pest zu Florenz, die Zerstörung Magdeburgs, das Erdbeben zu Lissabon, die Schreckensherrschaft der Guillotine zu Paris, der Brand von Moskau, die Cholera zu Neapel - das sind Gerichtsheimsuchungen, welche die Weltgeschichte in ihre Tafeln eingegraben hat. Auch heute noch ergehen solche Bußpredigten Gottes an stolze Städte.

Jene zwei kaiserlichen Leichenzüge, die im vorigen Jahr durch die umflorten Straßen der deutschen Reichshauptstadt sich hinbewegten; jener furchtbare Trauerschlag, der soeben die lebenslustige Kaiserstadt an der Donau erschüttert hat, dem Christen sind es Heimsuchungen Gottes, Bußpredigten, die einer ganzen Stadt, einem ganzen Land, einer ganzen Generation zurufen: Heute, so ihr seine Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht!

Unsere liebe Stadt hat Gott vor solch schweren Heimsuchungen seit Menschengedenken in Gnaden bewahrt. Aber was dort geschehen, das ist auch uns zur Nachachtung gesagt. Und an Unglücksfällen, welche die ganze Stadt erschütterten, an Trauerschlägen, welche unsere große Glocke weit hinaus ins Land und tief hinein in die Herzen trug; an ernsten Mahnungen zur Buße, sei es durch die kräftige Predigt seines Worts, sei es durch die ernsten Schickungen seiner Hand - hat es der heilige und barmherzige Gott auch unserer Stadt und unserem Land niemals fehlen lassen.

Und was der heilige Menschenfreund vom Ölberg dort weinend herabrief auf sein Jerusalem, das klingt als eine Stimme aus der Höhe auch von unseren Bergen hernieder auf unsere Stadt: Ach, dass du bedächtest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient! - Nun aber ist es vor deinen Augen verborgen! Sollte diese Klage auch bei uns zutreffen, meine lieben Mitbürger und Mitchristen? - Nicht nur an große Gottestaten, die bei uns geschehen, auch

2) An große Sündenschulden, die bei uns angewachsen sind, mahnt uns das Wehe des Herrn; an schwere Städtesünden und ihre drohenden schweren Folgen.

„Wem soll ich dies Geschlecht vergleichen?“ fragt der Herr über das Volk in seinen Städten. Und er vergleicht es mit launischen, eigensinnigen, unartigen und unverträglichen Kindern, die am Markt sitzen und spielen und beim Spiel sich streiten. Die einen wollen Hochzeit spielen, aber den anderen ist's nicht recht; diese wollen Begräbnis spielen, aber jene tun nicht mit, und so kommt es zu nichts, als zu Zank und Streit. Damit zeichnet Jesus den kindischen, verkehrten und halsstarrigen Sinn seines Volks, an dem alle Gnadentaten Gottes verloren waren, bei dem weder der Gottesmann Johannes mit seiner ernsten Bußpredigt, noch der Menschensohn Jesus mit seinem holdseligen Evangelium etwas Dauerndes ausrichten konnte, weil sie eben nicht wollten, weil sie ins Irdische versunken, sein Ohr und sein Herz hatten fürs Göttliche und Himmlische, in welcher Tonart mahnenden Ernstes und lockender Liebe es ihnen angeboten ward. Und damit zeichnet er, dürfen wir wohl sagen, auch den Geist unseres Geschlechts, wie er insbesondere in unseren Städten sich ausprägt und von da ins Land hinauswirft.

Wir können und wollen jetzt nicht allen den Sündenschmutz aufdecken, der in unseren Städten, zumal in den großen sich anhäuft, nicht nur in dunklen Lasterwinkeln, sondern auch in glänzenden Wohngebäuden hinter seidenen Gardinen. Aber das Grundübel und die Hauptsünde ist eben bei uns wie in jenen Städten Galiläas und Judäas der ungöttliche und verkehrte Sinn, der ins Irdische versunken, kein Ohr und kein Herz hat fürs Göttliche und Himmlische, in welcher Tonart des Ernstes und der Liebe es ihm angeboten wird.

In allerlei Formen und Farben prägt dieser ungöttliche Sinn sich aus je nach dem Charakter eines Volks und nach der Physiognomie seiner Hauptstadt.

Da gibt's vielleicht eine Stadt, wo er besonders hervortritt als geistiger Hochmut, als Stolz auf die eigene Intelligenz und Bildung, wobei man seine Stärke im Räsonieren und Opponieren, im Tadeln und Verneinen sucht, bis zum leichtfertigen Spott und blasierten Hohn auf alles Hohe und Heilige.

In einer anderen Stadt trägt dieser irdische Sinn mehr das Gepräge gutmütigen Leichtsinns, üppiger Genusssucht, wobei unter der Losung: Leben und Leben Lassen die Grundsätze wanken, die Sitten sich lockern und die Tatkraft erschlafft.

Wieder eine andere Weltstadt gleicht mit ihrem eitlen, launischen, wetterwendischen Temperament jenen Kindern am Markt, denen es niemand recht machen kann, die immer ein neues Spiel haben wollen, jedes Führers sogleich wieder überdrüssig sind und sich und den Nachbar nie zur Ruhe kommen lassen.

Eine andere dagegen trägt in ihrer steifen und stolzen Sitte, in ihrer strengen Kirchlichkeit und äußerlichen Gesetzlichkeit neben einem Hang zum Eigennutz und zur Selbstgerechtigkeit etwas von pharisäischem Wesen an sich - während wieder anderswo ein wilder Pöbel bereit ist, bei jeder Gelegenheit den rohen Leidenschaften die Zügel schießen zu lassen und Gesetz und Ordnung über den Haufen zu werfen!

Doch, meine Lieben, dass wir nur nicht andere richten und selbst verwerflich werden!

Unsere liebe Vaterstadt erfreut sich ja noch eines guten Lobs neben ihren größeren und kleineren Schwestern; aber zehrt sie nicht dabei vielleicht vom Ruhm vergangener Zeiten, die vorüber sind?

Unser Stuttgart gilt als eine ehrbare Stadt; aber greift nicht unter der Decke äußerer Ehrbarkeit großstädtische Sittenverderbnis auch bei uns um sich in allen Ständen?

Unser Stuttgart gilt als eine gemütliche Stadt; aber geht es nicht oft recht ungemütlich unter uns zu bei soviel kleinlicher Klatscherei, boshafter Lästersucht, ja bei so manch frechem Angriff auf Person und Eigentum in Häusern und auf Straßen?

Unsere Stadt gilt als eine christliche und kirchliche Stadt und wir wollen's zur Ehre unserer Gemeinden und zum Lobe unseres Gottes dankbar bekennen: ja, der Herr hat noch ein großes Volk in dieser Stadt. Aber ist unsere Kirchlichkeit eine allgemeine im Verhältnis zu unserer wachsenden Bevölkerung? Steht nicht unseren vollen Kirchen von Jahr zu Jahr eine immer wachsende Anzahl solcher gegenüber, die von seiner Kirche und keinem Sonntag, keiner Bibel und keiner Religion, keinem Gott und keinem Heiland etwas wissen und wollen? Und auch wo noch Christentum bei uns ist, ist es immer ein gesundes, ein lebendiges, ein erquickliches und tatkräftiges Christentum, gegründet in der Schrift, durchgearbeitet im Herzen, fruchtbar im Leben? Oder müsste der Herzenskündiger und Menschenkenner, der einst die Städte Galiläas schalt und über die Kinder von Jerusalem klagte, vielleicht auch über viele von uns ausrufen: Dieses Volk nahet sich zu mir mit seinem Munde und ehret mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir, darum vergeblich dienen sie mir?

Darum auch wir, meine Lieben, nicht in die weite Ferne wollen wir blicken, sondern in der nächsten Nähe, in unserer Stadt, in unserem Haus, in unserem Herzen und Leben wollen wir uns umsehen nach den Sündenschulden, die in den Städten sich häufen, und wohl bedenken, was auch uns dabei Schweres droht.

„Und du Kapernaum, die du bist erhaben bis an den Himmel, du wirst in die Hölle hinuntergestoßen werden. Ich sage euch: Es wird der Sodomer Lande träglicher gehen am jüngsten Gerichte, denn dir!“ Mit dieser furchtbaren Drohung schließt der Herr den Weheruf über seine Städte. Und das Wehe ging an ihnen in Erfüllung noch vor dem jüngsten Tag. Siebenunddreißig Jahre, nachdem der Herr seinen schmerzlichen Abschied genommen von den Fluren Galiläas und von den Bergen Jerusalems, was war aus Jerusalem geworden, der hochgebauten Stadt? - Ein Trümmerhaufen! Was war aus Galiläa worden mit seinen blühenden Gefilden? Eine Wüste!

Und nun, meine Lieben, wie wird's in einem Menschenalter, wie wird's in einem Jahrhundert in unserer Stadt, in unserem Land, in unserem christlichen Weltteil aussehen? Wird da vielleicht auch manche stolze Stadt herabgestürzt sein von ihrer Höhe, manches blühende Volk daniederliegen für immer?

Wir wollen keine Unglückspropheten sein. Wir wollen nicht verzweifeln, sondern hoffen, hoffen auf den guten Kern in unserem Volk, hoffen auf die unverwüstliche Lebenskraft des Christentums, hoffen auf die unerschöpfliche Gnade dessen, der gekommen ist, nicht dass er die Welt richte, sondern dass er sie selig mache.

Aber damit diese Hoffnung nicht eitel sei, wollen wir auch bitten: Rettet, was zu retten ist! Rettet vor allem eure eigenen Seelen aus den Banden des Weltsinns und der Eitelkeit durch eine rechtschaffene Buße und Bekehrung, und dann seht, wen ihr um euch her retten mögt durch Fürbitte und Vorbild, durch Wort und Tat der barmherzigen Liebe. Sucht der Stadt Bestes, in der ihr wohnt, und steht zusammen zum Kampf wider das Böse, wer's redlich meint mit Gott und Welt. Am Beistand von oben wird's nicht fehlen. Derselbe Heiland, der so drohend dort seinen Finger aufhebt zum Wehe über die undankbaren Städte, breitet gleich darauf liebend seine Arme aus für die ganze leidende Menschheit mit dem Gnadenruf: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken; nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ So schließt unser Textkapitel. So soll auch unsere Bußpredigt heute schließen. Ja, Herr!

Du wirst dein herrlich Werk vollenden,
Der du der Welten Heil und Richter bist;
Du wirst der Menschheit Jammer wenden,
So dunkel jetzt dein Weg, o Heilger, ist.
Drum hört der Glaub nie auf zu dir zu flehn,
Du tust doch über Bitten und Verstehn!

Amen.

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