Gerok, Carl - Der Heimat zu! - Estomihi.

Gerok, Carl - Der Heimat zu! - Estomihi.

1877.

(Matth. 16,21-23.)
(21) Von der Zeit an fing Jesus an und zeigte seinen Jüngern, wie er müsste hin gen Jerusalem gehen und viel leiden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen. (22) und Petrus nahm ihn zu sich, fuhr ihn an und sprach: Herr, schone dein selbst, das widerfahre dir nur nicht. (23) Aber er wandte sich um und sprach zu Petrus: Heb dich, Satan, von mir! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist.

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir! Dieses Gebot des Herrn folgt im Evangelium unmittelbar auf unseren heutigen Textabschnitt.

Eine ernste Aufgabe, ein schweres Gebot! Ihn selber, den großen Meister, sehen wir auf seiner letzten Reise nach Jerusalem, auf seinem Wege zum Leiden und Sterben, und was Furchtbares auf ihn wartet, das sieht sein Auge voraus mit festem Blick, das sagt sein Mund voraus mit dürren Worten.

Und wenn nun schon davor seine Jünger erschrecken, was er für sich selber voraussieht und voraussagt; wenn schon dagegen ihr Herz sich sträubt, den geliebten Herrn und Meister einem so schrecklichen Geschick entgegengehen zu sehen. wie schwer hatten sie erst zu kämpfen, wieviel mussten sie noch lernen und verlernen, bis sie auch das verstanden: Auch für euch, wenn ihr meine Jünger heißen wollt, und für jeden, der mir nachfolgen will, gibt's nur einen Weg, denselben, den ich gehe, den Weg des Kreuzes, der Selbstverleugnung, des Gehorsams bis in den Tod.

Da ist es recht aus der menschlichen Natur herausgesprochen, wenn Petrus, diese ehrliche Seele, dem Meister in die Rede fiel mit der Bitte: Herr, schone deiner selbst, das widerfahre dir nur nicht! Und es will uns fast wehe tun, dass der Herr dieses wohlgemeinte Wort herzlicher Liebe so schroff zurückweist und so streng verurteilt mit dem harten Spruch: Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist!

Es handelt sich dabei um unsere eigene Sache. Was Petrus dort sprach, das ist uns aus dem Herzen gesprochen. Was der Herr ihm antwortet, das fällt auch uns auf unser Herz und Gewissen. So lassts uns heute etwas näher ansehen:

Das Petruswort: Schone dein selbst!

  1. nach seinem Recht und
  2. nach seinem Unrecht.

Herr Jesu, du unser großer Vorgänger auf dem Leidensweg:

Soll's uns hart ergehn, uns feste stehn
Und auch in den schwersten Tagen niemals über Lasten klagen;
Denn durch Trübsal hier geht der Weg zu dir! Amen.

Das Petruswort: Schone dein selbst!

1) Bis auf einen gewissen Grad hat es sein Recht.

„Du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist,“ spricht der Herr selbst. Also es war doch ein menschliches Gefühl, das der rasche Jünger damit aussprach. Und wer wollte nicht zugestehen, dass es eine herzlich wohlgemeinte Warnung war aus dem Mund dieses Getreuen; wer wollte nicht zugeben, dass es Fälle gibt im Menschenleben, wo weise Vorsicht raten muss, wo treue Liebe bitten darf: Schone dein selbst!

Als eine Pflicht weiser Vorsicht vor allem erschien es auch dem Petrus, den Herrn zu warnen: Renne doch nicht geflissentlich dem Tod in die Arme, setze nicht vorzeitig dein Leben aufs Spiel, denn was soll aus deinem Werk werden, wenn du es unvollendet zurücklässt; an deiner Person hängt ja das Schicksal deines Reichs. Und wenn der gute Petrus fehlgriff mit solcher Vorsicht: ist sie nicht sonst wohl am Platz? Dürfen nicht einen kühnen Feldherrn, der sich zu weit vorwagt im Feuer der Schlacht und seine Person aussetzt ohne dringende Not, seine Begleiter mahnen: Schone dein selbst, an dir hängt das Geschick des Tages, wenn du fällst, so fällt deinem ganzen Heer das leitende Haupt und die lenkende Hand?

Und nicht nur im Feuer der Schlacht, auch im friedlichen Beruf, wenn unbedachter Eifer einen Menschen fortreißt über die Grenzen dessen, was er zu leisten imstande und zu leisten berufen ist, ist ja ein Warnungswort weiser Vorsicht keineswegs zu schelten. Wenn ein Jüngling, vom Wissensdurst getrieben, vom Ehrgeiz gestachelt, sich überarbeitet bei Tag und Nacht und hinter seinen Büchern sitzt und seine Gesundheit untergräbt; oder wenn ein Mann, hingerissen von seinem Temperament, bei jeder Widerwärtigkeit in Feuer und Flammen gerät und jede Kränkung, die ihm begegnet, zu Herzen nimmt wie ein fressendes Gift; oder wenn ein Greis, uneingedenk dessen, was die Jahre ihm genommen, noch erzwingen will in Arbeiten des Kopfs oder der Hand, was er als Mann geleistet, - da ist es ein weiser Rat, eine heilsame Warnung: Schone dein selbst, mute dir nicht zu, was über deine Kräfte geht; strebe nicht höher hinaus, als dir gegeben ist.

Oder, meine Freunde, wenn gar frevelhafter Leichtsinn mutwillig die Gefahr herausfordert, wenn ein Mensch in eitler Prahlerei sein Leben aufs Spiel setzt, oder um einer schnöden Kleinigkeit willen zu blutiger Entscheidung greift, oder im Dienste schnöder Lust, wilder Völlerei, schlechter Kameradschaft auf seine Gesundheit hineinstürmt, - o da ist's ja gewiss eine wohlangebrachte Warnung: Schone dein selbst und dessen, was dir Gott verliehen hat, um es weise zu gebrauchen und nicht um es frevelhaft zu vergeuden, deines Leibs und deines Lebens, deiner Körperkräfte und deiner Geistesgaben.

Wollte Gott, es fehlte nicht zumal unserer Jugend an solch warnenden Stimmen und an Ohren, darauf zu hören! Spricht ja daraus nicht bloß weise Vorsicht, sondern auch treue Liebe.

Treubesorgte Liebe war's gewiss, die auch unseren Petrus trieb, seinem angebeteten Herrn in den Weg zu treten und in den Arm zu fallen mit der angstvollen Bitte: Schone dein selbst, das widerfahre dir nur nicht! Den geliebten Meister leiden zu sehen in den Händen seiner erbitterten Feinde, sterben zu sehen eines frühzeitigen, gewaltsamen, blutigen Todes - nein das konnte seine treue Seele nicht ertragen, bei diesem Gedanken empörte sich sein liebendes Herz. Allein zurückzubleiben, verlassen von ihm, der selbst zu den Seinen sprach: Ohne mich könnt ihr nichts tun; ratlos, hilflos, trostlos, wie eine verwaiste Kinderschar, wie eine Herde ohne Hirten, - nein das schien ihm unerträglich für sich und seine Brüder.

Und, meine Lieben, ob sich's auch nicht um einen so unersetzlichen Freund, um einen so unvergleichlichen Meister handelt wie dort, - wir können's ja einem liebenden Menschenherzen nicht verdenken, wenn es bei drohender Gefahr zittert für seine Lieben und zittert für sich selber.

Wenn eine besorgte Mutter dem Sohn, der auf die Wanderschaft geht oder zum Kriegsdienst einrückt, beim Abschied auf die Seele bindet: Schone dein selbst, soweit du kannst und darfst, und sorge, dass du mir gesund in meine Arme zurückkehrst; wenn eine zärtliche Gattin dem geliebten Mann anliegt beim anstrengenden Beruf: Reibe dich nicht auf, denk auch an Weib und Kind, oder wenn sie am Krankenlager des Mannes in die Seele hinein erschrickt bei dem Gedanken an die drohende Trennung und angstvoll spricht: Das widerfahre dir nur nicht, davon rede mir nicht, daran denke mir nicht! und den allmächtigen, barmherzigen Gott im Himmel anfleht: Herr, schone mein und der Meinen und lass diesen Kelch vorübergehen! das alles, meine Freunde, ist menschlich natürlich und menschlich verzeihlich, und der Vater im Himmel, der die Liebe ist, wird über solche Bitten der Liebe nicht zürnen, und der Menschenfreund Jesus Christus, dem selber an einen Grab die Augen übergingen, wird solche Tränen nicht schelten.

Und doch spricht er zu seinem Petrus das strenge Wort: Hebe dich, Versucher, von mir, du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist. Doch gibt es eine Grenze, wo auch das menschlich natürliche, menschlich verzeihliche, menschlich löbliche Meinen und Fühlen und Wollen demütig schweigen und unbedingt zurücktreten muss vor einem höheren Rat, vor einem göttlichen Willen. Und da erscheint uns Petrus mit seinem Wort: Schone dein! in einem anderen Licht:

2) In seinem Unrecht vor Gott, dessen Rat er nicht versteht und gegen dessen Willen er sich sträubt.

Ein grobes Missverständnis des göttlichen Rats war es ja freilich, welches den Jüngern die Ohren verstopfte gegen die Leidensverkündigung des Herrn diesmal und so oft er davon sprach. In ihrem Unverstand konnten sie sich nicht losreißen von den süßen Hoffnungen eines irdischen Messiasreichs, das ihrem Herrn und ihnen mit ihm weltlichen Glanz und zeitliches Glück mitbringen sollte. Mit ihrem oberflächlichem Sinn konnten sie sich nicht finden in den göttlichen Ratschluss eines leidenden Messias, eines gekreuzigten Heilands, eines geistigen Gottesreichs, eines Heilswegs, der durchs Kreuz erst zur Krone, durch Tod erst zum Leben, durch Leiden erst zur Herrlichkeit führt. Daher der beharrliche Missverstand der Reden ihres Meisters; daher der heftige Widerspruch: Das widerfahre dir nur nicht und das widerfahre uns nur nicht! Daher das strafende Urteil des Herrn: Du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist!

Wie oft, meine Freunde, gilt dieses Urteil auch uns! Wie schwer wird es auch uns, unser menschliches Meinen, Wünschen und Hoffen dranzugeben gegen Gottes heiligen und allmächtigen Rat! Wie hartnäckig klammern auch wir uns oft an unsere voreiligen Hoffnungen, an unsere eigensinnigen Gedanken, wenn etwas gegen unsere Berechnung geht, sei's in unserem eigenen Lebenslauf oder im Gang des Reichs Gottes im großen!

Es ist ja freilich ein strenges Wort: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege. Es sind ja freilich oft sehr dunkle Wege, die der unerforschliche Gott mit der Menschheit im ganzen geht und mit seinen Menschenkindern im einzelnen. Es sind oft herbe Ratschlüsse, die er über uns und die Unsrigen verhängt, wenn mit einem Schlag die Hoffnungen eines ganzen Lebens zernichtet werden, wenn in einer Stunde unsere Zukunft eine andere Gestalt bekommt.

Aber wer bist du, Mensch, dass du mit Gott hadern willst? Bist du so stark, dass du dem Allmächtigen darfst in den Weg treten und in den Arm fallen mit dem Ruf: Das darf nicht sein, das widerfahre mir nicht? Bist du so klug, dass du dem Alleinweisen vorschreiben darfst, auf welchem Weg er die Welt leiten, sein Reich fördern und dich zu deinem Heil führen soll? Bist du so rein, dass du von dem heiligen Gott etwas fordern und gegen seine züchtigende Hand dich wehren darfst mit dem Vorwurf: Schone mein, du tust mir zuviel?

Nein, da gilt es demütig sich unterwerfen unter die gewaltige Hand dessen, dem niemand zu widerstehen vermag, und vertrauensvoll sich zu ergeben in den gnadenreichen Rat dessen, der Friedensgedanken über die Seinigen hat bei allem, was er tut, und hat darum seinen auserwählten Sohn hingegeben, in den martervollsten Tod, damit sein Kreuz ein Zeichen des Heils und Panier des Trostes werde für die ganze Welt.

Denkt einmal, meine Lieben, um welche Fülle von Trost und Frieden, von Heil und Segen wäre die Menschheit gekommen, wenn Petrus Recht behalten hätte mit seinem „Herr, schone dein selbst, das widerfahre dir nur nicht!“ Und der gute Apostel selber, wie ganz anders hat er den Martergang seines Herrn und Meisters nachmals verstanden, als er in seinem ersten Brief schrieb: Christus hat gelitten für uns und hat uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen.

Aber freilich das ist's eben weiter, wogegen unser leidensscheues und kreuzflüchtiges Herz sich sträubt, nachfolgen seinen Fußstapfen auch auf der Dornenbahn der Selbstverleugnung. Nicht nur dass wir Gottes Rat nicht verstehen, sondern auch dass wir gegen seinen Willen uns sträuben, darin liegt der Fehler unserer menschlichen Natur.

Wie mutig und fest, wie still und gelassen tritt Jesus seinen Leidensweg an, obgleich er alles voraussieht und voraussagt, was Bitteres auf ihn wartet. Meinst du, er habe ihn nicht auch etwas gekostet, dieser Gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz? Meinst du, Fleisch und Blut habe nicht auch in ihm leise gesprochen: Schone dein selbst? Warum schon sterben, da du noch leben und wirken kannst? Warum dich deinen Feinden in die Hände liefern, statt der Liebe deiner Getreuen dich zu freuen und unter den Schutz deiner Anhänger dich zu flüchten? Warum die verhängnisvolle Straße nach Jerusalem einschlagen, da noch hundert Rettungswege dir offen stehen in der weiten Welt, sei's unter Juden oder unter Heiden? So hätte ein anderer an seiner Stelle gedacht.

Ja er selbst hat offen bekannt, dass ihm bange sei auf die schwere Stunde, und als sie kam, hat er den Vater auf den Knien gebeten, dass, so es möglich wäre, der bittere Kelch möchte vorübergehen.

Aber nicht mein Wille, setzte er hinzu, sondern der deine geschehe, und ging aufrecht seinen Feinden entgegen. Nein, wenn es des Vaters Willen galt, wenn es das Werk fordert, dazu er berufen war, dann wusste er von keinem: Schone dein selbst. Und ob seine Feinde sich ihm in den Weg stellten mit drohenden Blicken des Hasses, und ob seine Freunde sich ihm ans Kleid hängten mit flehenden Bitten der Liebe, und ob sein eigenes Fleisch und Blut schauerte vor dem, was sein wartete: geradeaus geht seine Straße, denn er weiß: Also ist's des Vaters Wille!

Welch erhabenes, aber auch welch beschämendes Vorbild für die Seinen! Wie schwer wird's unserem Fleisch und Blut, diesem großen Vorgänger zu folgen auf solchem Weg der Selbstverleugnung und des unbedingten Gehorsams!

Wenn es gilt, in der Nachfolge Jesu Christi sich selbst zu verleugnen, lieben Neigungen zu entsagen, oder der Welt Spott und Hass auf sich zu nehmen; wenn es gilt, in der Arbeit des Berufs Schwierigkeiten zu überwinden und Widerwärtigkeiten zu erdulden; wenn es gilt, nach dem unerforschlichen Rat Gottes einen dunklen Trübsalsweg zu gehen, ein teures Opfer zu bringen, einen bitteren Verlust zu verschmerzen - 0, meine Freunde, wie oft spricht da das kreuzflüchtige, leidensscheue Menschenherz zu sich selber: Schone dein selbst, das widerfahre dir nur nicht! Wie gern gehen wir da dem Kreuz aus dem Weg, oder wofern wir nicht ausweichen können: wie verzagt ist unser Mut, wie bitter sind unsere Klagen!

Und doch, sagt selbst, wo wäre je eine große Tat geschehen und ein edles Werk zustande gekommen, sei's auf blutigem Schlachtfeld oder auf friedlichen Gebieten menschlichen Schaffens und Wirkens, wenn es nach dem Grundsatz ginge: Schone dein selbst; wenn es nicht noch Herzen gäbe, bereit, Gut und Blut, Leib und Leben dran zu setzen, wo es den Ruf der Pflicht, wo es den Willen Gottes, wo es das Heil der Menschheit gilt?

Wo wäre je ein echter Jünger Jesu gewesen, ein tüchtiger Christ zustande gekommen, der es nicht gelernt hätte, sein Fleisch und Blut zu überwinden, sein menschliches Wünschen und Meinen unterzuordnen Gottes heiligen Ratschlüssen und Gedanken? Der Herr segne uns dazu auch die ernste Fastenzeit, in die wir jetzt wieder eintreten, dass wir sein Gebot immer besser verstehen und immer williger befolgen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir! Er segne uns dazu die frohen und ernsten Führungen des Lebens, dass wir in Leid und Freud immer getroster sprechen: Nicht was ich mir ersehe, dein Wille, Herr, geschehe! Amen.

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