Gerok, Karl - Der Heimat zu! - 1. nach Epiphaniä.

Gerok, Karl - Der Heimat zu! - 1. nach Epiphaniä.

1879.

(Luk. 2,41-52.)
(41) Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest. (42) Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem, nach Gewohnheit des Festes. (43) Und da die Tage vollendet waren und sie wieder zu Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem und seine Eltern wussten's nicht. (44) Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten und kamen eine Tagesreise und suchten ihn unter den Gefreundten und Bekannten. (45) Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn. (46) Und es begab sich nach drei Tagen, fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, dass er ihnen zuhörte und sie fragte. (47) Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort. (48) Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. (49) Und er sprach zu ihnen: Was ist's, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist? (50) Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. (51) Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. (52) Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Unter den Klagen über die Schäden unserer Zeit hört man gar oft auch die über den Verfall der alten guten Sitte, über das Verschwinden so manches ehrwürdigen und frommen Brauchs, den wir Ältere noch in unserer Jugend gesehen und von unseren Vätern überkommen haben, über den aber das nachwachsende Geschlecht sich leichten Sinns wegsetzt als über etwas Gleichgültiges, Veraltetes, wo nicht gar Lächerliches.

Es ist ja wohl wahr: „Andere Zeiten, andere Sitten.“ Die Menschheit schreitet fort in ihrer Bildung und nicht alles, was vor 100 und 300 Jahren Brauch war, passt noch in die heutige Welt. Aber es ist auch nicht zu leugnen: manche schöne alte Sitte in unserem kirchlichen Leben, in unserem Volksleben, in unserem Familienleben kann der besonnene Menschenfreund nur mit Wehmut mehr und mehr verschwinden sehen; mancher vielgerühmte Fortschritt unserer Zeit ist näher betrachtet ein beklagenswerter Rückschritt, weil heilsame Schranken, ehrwürdige Ordnungen, bewährte Grundsätze leichtfertig niedergerissen werden von einem pietätslosen Geschlecht, dem jedes Gesetz ein lästiges Joch ist und das nur in zügelloser Freiheit das Heil findet für den Einzelnen wie für das ganze Volk und die gesamte Menschheit.

Wundert euch nicht, liebe Freunde, wenn eine solche Klage laut wird auch an heiliger Stätte, denn es handelt sich dabei um etwas Wichtiges. Mit der äußeren Form der Sitte hängt auch das innere Wesen der Sittlichkeit eng zusammen und selbst das Köstlichste und Heiligste, was wir haben, die himmlischen Schätze göttlicher Wahrheit und christlichen Lebens - wir bewahren sie in den irdischen Gefäßen frommer Sitte und heiliger Bräuche, und wenn diese Gefäße eins nach dem anderen zerbrochen werden, so sehe man wohl zu, was zuletzt vom kostbaren Inhalt noch zurückbleibt.

Wundert euch auch nicht, meine Lieben, wenn ich gerade heute bei unserem lieblichen Evangelium vom zwölfjährigen Jesusknaben im Tempel einmal hierauf zu sprechen komme, denn schon die erste Zeile dieses Evangeliums, der erste Satz unserer Erzählung legt uns solche Gedanken nahe. Und so gebe denn Gott seine Gnade dazu, wenn wir diesmal reden:

Vom Segen frommer Sitte:

  1. Für die Pflege der Gottesfurcht;
  2. für das Gedeihen des Volkslebens;
  3. für die Wohlfahrt des Hausstands; und besonders
  4. für die Erziehung der Jugend.

Kehr, o Jesu, bei uns ein, komm in unsre Mitte;
Wollest unser Lehrer sein, hör der Sehnsucht Bitte:
Deines Wortes stille Kraft, sie die neue Menschen schafft,
Bilde Herz und Sitte! Amen.

Vom Segen frommer Sitte gibt unser Evangelium uns heute zu reden, von ihrem Segen vor allem:

1) Für die Pflege der Gottesfurcht.

„Jesu Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest.“ So beginnt die Erzählung unseres Evangeliums. So war es Sitte und Brauch in Israel. Auf eins der hohen Feste, ganz besonders aber auf das höchste, auf das Passahfest zum Gedächtnis der größten Gnadentat des Herrn an seinem Volk, der Erlösung aus der Knechtschaft Ägyptens, sollten alle Männer des Landes sich alljährlich zusammenfinden in Jerusalem, im Heiligtum auf Zion, zu den schönen Gottesdiensten des Herrn.

Nur Kranke und Gebrechliche, Alte und Betagte waren dieser Pflicht entbunden; auch die Frauen, auch die heranwachsende Jugend waren dabei willkommen, und gewiss, meine Lieben, es war für Alt und Jung, für Mann und Frau eine schöne und gesegnete Sitte.

Wohl war's nur ein äußerlicher Brauch. Wohl mochte mancher ihn mitmachen ohne inneren Herzensdrang, aus bloßer Gewohnheit; wohl mochte mancher über den Zerstreuungen der Reise, über den Merkwürdigkeiten der Hauptstadt nicht recht zur Hauptsache kommen, zur Sammlung des Herzens vor Gott; wohl konnte ein frommer Israelit auch daheim im stillen Kämmerlein selige Andachtsstunden feiern und die Opfer seines Herzens darbringen vor dem, von welchem sein Sohn verkündete: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Und doch ist nicht ihm selber, dem Sohne des Allerhöchsten, so innig wohl geworden in dem sichtbaren Haus seines himmlischen Vaters, dass er Welt und Zeit darüber vergaß? Hat nicht ihm selber dort in jenen heiligen Hallen zuerst das Herz gebrannt von frommer Begeisterung für seinen künftigen Beruf, des Vaters Namen zu verklären auf Erden?

Und wie mancher im Volk mag es in jener heiligen Festwoche dem Psalmisten nachgefühlt haben: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth, ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser, denn sonst tausend. Wie mancher Festgast mag im Anblick des Heiligtums auf Zion wieder durchschauert worden sein von dem Gefühl: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! und mag vor den lodernden Opferaltären die Opfer anbetender Ehrfurcht, demütigen Dankes, frommer Gelübde dargebracht haben vor dem Herrn. Wie mancher Pilger mag von den heiligen Höhen Zions wieder hinabgezogen sein in seine Hütte als ein Gesegneter des Herrn, das Herz voll des hohen Trostes: Wohl dem, welchem seine Übertretungen vergeben sind; voll der ernsten Mahnung: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig; voll der freudigen Zuversicht: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!

Das ist der Segen frommer Sitte für die Pflege der Gottesfurcht. Lasst auch uns ihn nicht verachten. Wohl sind wir als Christen entbunden vom Joch des alttestamentlichen Gesetzes; aber ohne heilige Ordnungen, ohne äußere Heilsanstalten will auch der Mittler des neuen Bundes sein Volk nicht lassen, sonst hätte er keine Taufe verordnet und kein Abendmahl eingesetzt. Wohl rühmen wir uns als evangelische Christen unserer Freiheit von menschlicher Satzung, unserer Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit. Aber in der Achtung vor den Gnadenmitteln der Kirche, in der gewissenhaften Übung frommer Pflichten könnten wir manches lernen von unseren katholischen Mitchristen. Wohl wird bei manchem solch fromme Sitte zu einer toten Gewohnheit, zu einem äußerlichen Werkdienst. Aber der Missbrauch hebt den Gebrauch nicht auf und auch hier gilt das Wort: Verderbe es nicht, es ist ein Segen darin!

Es ist eine ehrwürdige Sitte, am Tag des Herrn mit der Gemeinde sich zu versammeln in dem Haus, da Gottes Ehre wohnt. Nicht immer bist du dazu gleichmäßig aufgelegt. Es können dir äußere Unbequemlichkeiten entgegentreten; es können dir innere Einwendungen aufsteigen: kann ich nicht zu Haus meine Andacht ebenso gut halten? was werde ich in der Kirche hören, das ich mir nicht selber sagen könnte? und was alles die Wendungen sind für die Ausflucht: Entschuldige mich, ich kann nicht kommen! Und doch - ich frage jeden, der Gottes Haus lieb hat: Hast du nicht manchmal hier gefunden, was du daheim nicht ebenso gehabt hättest? Hast du's nicht oft dem Psalmensänger nachgefühlt: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth, und dem Jesusknaben nachgeschmeckt: Ich muss sein in dem, das meines Vaters ist? Bist du nicht oft aus dem Heiligtum heimgegangen als ein Gesegneter des Herrn? weiser, besser, glücklicher, als du hergekommen?

Es ist eine fromme Sitte, einen Jahreswechsel, einen Geburtstag feierlich auszuzeichnen und festlich zu begehen. Der nüchterne Verstand kann dagegen einwenden: Wozu soviel Lärm gerade an diesem Tag? Ist es nicht eine bloße Übereinkunft, so zu tun, als wäre hier ein Abschnitt im rastlosen Strome der Zeit? Kann ich nicht jeden Tag mich meiner Sterblichkeit erinnern, der Vergangenheit gedenken, neue Vorsätze fassen? Wohl, - aber willst du leugnen, dass ein solch ehrwürdiges verkommen, eine solche gemeinsame Feier, ein Abendgottesdienst am Jahresschluss, ein Morgenlied am Geburtstag kräftiger dir zum Herzen spricht, rührender dir's vor Augen stellt: Bis hierher hat der Herr geholfen, eindringlicher dich mahnt: Seele, Seele, es ist Zeit, Tod ist nah und Ewigkeit!

Es ist eine fromme Sitte, mit einem Morgensegen den Tag zu beginnen, mit einem Tischgebet sich zu Tisch zu setzen, mit einem Abendsegen sich zur Ruhe zu legen. In hundert Häusern mag's zur gedankenlosen Gewohnheit werden. Selbst ein redlicher Christ mag sich manchmal darüber ertappen: Diesmal hast du mit den Lippen gebetet, aber nicht mit dem Herzen. Auch zu ungewohnter Stunde mag die Seele sich oft noch andächtiger gerührt fühlen, sich in feurigerem Gebet aufschwingen zu Gott. Und doch - wer keine bestimmten Gebetszeiten mehr hat, der sehe wohl zu, dass er das Beten nicht allmählich ganz verlernt.

Gewiss ich kann immer und überall sein in dem, das meines Vaters ist. Denn die ganze Welt ist sein Haus und jede Stunde ist er mir nah. Aber so lang ich noch ein Bürger der Erde bin, bin ich auch noch abhängig von Raum und Zeit, brauch ich noch heilige Zeiten, heilige Orte, heilige Bräuche, mich an meinen Gott zu mahnen; darum gesegnet sei mir der Tag des Herrn, das Haus des Herrn, der Tisch des Herrn, das Wort des Herrn; ehrwürdig sei mir jede fromme Sitte der Christenheit: es liegt ein Segen darin, ein Segen für die Pflege der Gottesfurcht. Und ein Segen:

2) Für das Gedeihen des Volkslebens.

Jene Festreisen der Israeliten gen Jerusalem waren Volksfeste, edler, reiner, großartiger, gesegneter, als was man bei uns mit diesem Namen nennt, es waren Nationalfeste im großen Stil. Das Volk Davids war tief herabgekommen von seiner alten Herrlichkeit. Aber in diesen Tagen richtete man sich wieder auf in der Erinnerung an eine heilige Vorzeit, im Andenken an die Wunder alle, die der Gott Israels vor Alters an seinem Volk getan, an die großen Patriarchen, Könige und Propheten, durch die er sich seinem Volk kundgetan hatte.

Die Kinder Abrahams waren zertrennt und zerstreut, nicht nur zerspalten in zwei Reiche unter Salomos Sohn, sondern auch zerstreut seit der babylonischen Gefangenschaft schon in alle Länder der Welt. Aber an diesen Festen, da strömten sie wieder zusammen in den Vorhöfen des Einen Tempels; aus dem geringen Nazareth wie aus der Davidsstadt Bethlehem, von jenseits des Jordans und von den Grenzen von Tyrus und Sidon, von Dan bis Bersaba, von Rom und aus Mesopotamien und von Cyrene, aus drei Weltteilen strömten sie zusammen und fühlten sich wieder als Gastfreunde und Brüder, als Ein Volk unter Einem Gott.

Die Juden waren zur Zeit Jesu der Römer Knechte, sie waren der Spott der Griechen, sie waren das verachtetste unter den Völkern geworden. Und doch an diesen heiligen Festen, da erhoben sie sich wieder über den Druck der Gegenwart, da gedachten sie nicht nur ihrer großen Vergangenheit, sondern auch einer noch größeren Zukunft, des verheißenen Messias, der jetzt schon mitten unter ihnen stand, wenn sie ihn auch nicht erkannten in dem jungen Zimmermannssohn aus Nazareth; sie fühlten sich wieder als die erste Nation der Erde, als das auserwählte Volk Gottes. Und wenn sie so hartnäckig und oft so heldenmütig bis aufs Blut gegen die römische Übermacht ihre Nationalität verteidigten, wenn sie so treu und gewissenhaft auch draußen in der Zerstreuung festhielten an den Bräuchen ihrer Väter: gewiss, diese Nationalfeste haben nicht am wenigsten dazu beigetragen, ihr unverwüstliches Volksleben zu nähren und zu stärken.

Können wir nicht auch davon etwas lernen? Wohl gilt im Reich Christi nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht noch Freier, und ein gespreizter Nationalstolz, ein engherziger Nationalhass kann nicht bestehen vor dem Geist des Evangeliums, das uns alle Menschen betrachten lehrt und lieben heißt als Brüder, als eines Vaters Kinder, als eines Heilands Erlöste, als eines Himmelreichs Bürger.

Aber der Gott, der gemacht hat, dass von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, der hat auch, wie Paulus den Athenern predigt, Ziel gesetzt, zuvor versehen, wie lange und weit sie wohnen sollen. Der Schöpfer, der jedem Menschen sein Pfund von Gaben und Kräften mitgegeben hat ins Leben, dass er sie ausbilde und brauche zu Gottes Ehre, der hat auch ganzen Völkern auf Erden ihre besondere Art, ihre eigentümlichen Anlagen eingepflanzt, sie zu pflegen und in Ehren zu halten. Der Gott, der in jedes Einzelnen Leben sich die Denksteine seiner gnädigen Führungen setzt, der tut seine Großtaten und Gnadenwunder auch im Leben der Nationen.

Es ist nicht schön, wenn ein Volk aus seiner Art schlägt, dieser Gnaden seines Gottes vergisst, der Väter Brauch und Sitte verachtet und in eitler Neuerungssucht und charakterloser Nachäfferei den Götzen fremder Mode nachläuft. Um seine Kraft und Ehre, um seine Zucht und Sitte, um seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit ist es da bald getan, wie die Geschichte aller Zeiten beweist.

Aber schön ist's, wenn eine Nation ihr von Gott verliehenes Pfund in Ehren hält, wenn sie treulich dankbar gedenkt an das, was ihre großen Helden vollbracht, und an das, was der große Gott selber von Alters her an ihr getan, wenn sie fest zusammenhält eingedenk des gemeinsamen Bluts in den Adern aller ihrer Kinder, wenn sie ihres Namens, ihrer Sprache, ihrer Sitte und ihres Brauchs auch vor Fremden sich nicht schämt.

Schön ist's, wenn am Geburtsfest eines guten Regenten sich sein Volk um ihn schart im festlichen Schmuck und die Bande der Liebe und des Vertrauens wieder erneuert werden zwischen dem Land und seinem angestammten Regentenhaus, oder wenn an einem festlichen Gedenktag die ganze Nation in allen ihren Völkerstämmen sich vereinigt vor Gottes Angesicht in dem Bekenntnis: Der Herr hat Großes an uns getan, und mit dem Gelübde: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern.

So bleibt eine Nation gesund in ihrem Kern, stark in ihrer Eintracht, fest gegen die zersetzenden Einflüsse eines frivolen Zeitgeistes, der kein himmlisches und kein irdisches Vaterland mehr kennt. Möchte auch unser deutsches Volk es nicht vergessen: Fromme Sitte ist ein Segen für das Gedeihen des Volkslebens. Und:

3) Für die Wohlfahrt des Hausstandes.

„Seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest. Und da Jesus zwölf Jahre alt war, ging er mit an ihrer Hand.“ Ein liebliches Familienbild: Vater, Mutter und Kind in herzlicher Eintracht miteinander wallend zum Hause des Herrn; ein gesegneter Hausstand, wo Mann und Frau und Kind und Gesinde verbunden sind durch das Band frommer Sitte und gemeinsamer Andachtsübung.

Ach, es ist ja leider nicht immer so der Fall. Wird ja doch mancher Hausstand gegründet heutzutage ohne den Segen des Herrn, ohne dass Bräutigam und Braut sich gedrungen fühlen, ihren Bund weihen zu lassen vor dem Angesicht dessen, von dem allein der Segen kommt. Und auch von denen, die miteinander vor dem Traualtar gestanden sind, - bei wie vielen sucht man nachher vergebens nach einer christlichen Hausordnung und Lebensregel. Wie kommt die Hausandacht, wie kommt der sonntägliche Kirchenbesuch, wie kommt die alte fromme Sitte mehr und mehr in Abgang bei allen Ständen! Und auch wo eins von beiden Ehegatten noch festhält an der Väter Weise und am Glauben seiner Kindheit wie oft steht es damit allein, wie oft muss die Frau ihren Weg einsam gehen zum Haus des Herrn, zum Tisch des Herrn, muss sich vielleicht von ihrem Mann noch verspotten lassen mit ihrer Andacht im Gotteshaus oder im Kämmerlein, mit ihrer Ehrfurcht vor Gottes Wort und mit ihrem Anhalten am Gebet.

Und doch wieviel Frieden und Freude, wieviel Trost und Segen geht einem Haus verloren mit der christlichen Hausordnung! Wieviel schöner wäre das häusliche Zusammenleben, wieviel munterer ginge das Tagewerk von statten, wieviel sichtbarer wäre der Segen des Herrn, wieviel edler die Freude am frohen Tag, wieviel getroster die Stimmung in trüben Stunden, wieviel leichter wäre das Hauskreuz zu tragen, wieviel schneller würden auch die häuslichen Verstimmungen und Missverständnisse sich lösen, wenn man gewohnt wäre, nach frommer Christensitte sich zusammenzufinden vor Gott im gemeinsamen Gebet und aus dem eigenen Haus mit seinen Sorgen und Nöten fleißig miteinander zu wallen zum Haus des Herrn und sich zu erholen in dem, das des himmlischen Vaters ist! Wie recht hat der fromme Sänger in seinem Liede:

O selig Haus, wo Mann und Frau in einer,
In deiner Liebe eines Geistes sind,
Als beide eines Heils gewürdigt, keiner
Im Glaubensgrunde anders ist gesinnt,
Wo beide unzertrennbar an dir hangen
In Lieb und Leid, Gemach und Ungemach,
Und nur bei dir zu bleiben stets verlangen
An jedem guten wie am bösen Tag!

Fromme Sitte ist ein Segen für die Wohlfahrt des Hausstandes. Und darüber zum Schluss noch ein Wort insbesondere:

4) Für die Erziehung der Jugend.

Unser Evangelium vom zwölfjährigen Jesusknaben gehört ja ganz besonders der Jugend. Der hoffnungsvollste, liebenswürdigste, hochbegabteste, wohlgezogenste, Gott wohlgefälligste Knabe, der jemals seiner Eltern Stolz und seiner Lehrer Freude war, steht vor uns in dem Mariensohn. Und welches war der Boden, in dem diese köstliche Pflanze sich entwickelte und ihre ersten schönen Blüten entfaltete? Es war der Boden frommer Sitte, in dem er aufwuchs; es waren die Ordnungen der Kirche und des Hauses, in denen ihm wohl war.

Im Gotteshaus zu Jerusalem, in dem, was seines Vaters war, da ging ihm zum erstenmal das junge Herz auf für seinen künftigen hohen Beruf. Und im Elternhaus zu Nazareth, wo er Vater und Mutter untertan war als Kind und Knabe und Jüngling, da nahm er zu an Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen, bis er in bescheidener Stille herangereift war zu seinem göttlichen Lehramt und hervortrat wie die Sonne aus dem Morgengewölk, ihren segensreichen Tageslauf zu beginnen.

O welch erhebendes, aber auch welch beschämendes Vorbild für unsere Jugend! Wie allgemein, wie bitter und ach! wie gerecht sind heutzutage die Klagen über eine zuchtlose Jugend, die sich in keine Sitte mehr fügen, in keine Ordnung mehr schicken will. Nicht in die kirchlichen Ordnungen, denn es ist ihr nicht wohl in dem, das des himmlischen Vaters ist; sie hat keine Lust zu Gottes Haus und keine Freude an Gottes Wort. Nicht in die häuslichen Ordnungen, denn sie mag den Eltern nicht untertan sein; des Vaters Auge ist ihr ein lästiger Hüter, der Mutter Wort ist ihr ein unbequemer Mahner, des Hauses Sitte ist ihr eine beengende Schranke. Und was ist die Frucht davon bei so vielen? Leichtsinnig vergeudete Gaben, eine schmählich missbrauchte Jugendzeit, eine früh zerrüttete Gesundheit Leibs und der Seele, ein traurig verfehltes Leben. Lasst euch warnen, ihr lieben Söhne und Töchter, deren ja ein hoffnungsvolles Häuflein auch in diesem Gotteshause sich immer noch fleißig zusammenfindet. Seid gern in dem, das eures Vaters ist. Was ihr hier hört und lernt, fühlt und gelobt, das kann euch zum Segen werden fürs ganze Leben! Seid euern Eltern untertan daheim, solang ihr das Glück des Elternhauses genießen dürft. in den Schranken häuslicher Sitte und Ordnung wird sich jede schöne Anlage in euch am ungestörtesten und ungetrübtesten entfalten und werdet auch ihr wachsen wie an Alter so an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen. Und du, Herr Jesu, segne fernerhin dein Haus für Alt und Jung und erhalte unter uns deine Sitten und Rechte.

Zeige deines Wortes Kraft an uns armen Wesen:
Zeige, wie es neu uns schafft, Kranke macht genesen.
Jesu! dein allmächtig Wort fahr in uns zu siegen fort,
Bis wir ganz genesen!

Amen.

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