Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Das siebente Capitel.

Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Das siebente Capitel.

Erinnerung, wie uns Alles der Sünden überführt.

Heiliger Gott, gerechter Richter, wenn ich gen Himmel blicke, so denke ich daran, daß du, mein Gott, vielfältig von mir beleidigt worden bist! Vater, ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir; ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße! Wenn ich zur Erde blicke, so denke ich daran, daß ich die Geschöpfe durch Sünden schändlich gemißbraucht habe. Nicht nur das Dunkel der Nacht, sondern auch das Licht des Tages habe ich öfters auf die schlechteste Weise zu Werken der Finsterniß gemißbraucht. Wenn ich die Beispiele von Sündern betrachte, die du nach gerechtem Gerichte gestraft hast, so finde ich, daß ich ihnen durch die Schwere meiner Missethaten gleich bin. Wenn ich die Beispiele der Heiligen betrachte, so finde ich, daß ich ihnen an heiligem Streben, dir zu dienen, weit nachstehe. Wenn ich an meinen Schutzengel denke, so finde ich, daß er öfters durch Sünden von mir vertrieben wurde. Wenn ich an die Teufel denke, so finde ich, daß ich ihren Eingebungen öfters Raum gegeben habe. Wenn ich die Strenge deines Gesetzes erwäge, so finde ich, daß mein Leben mannigfaltig von seiner Richtschnur abweicht. Wenn ich auf mich selbst blicke, so finde ich, daß mich die Gedanken meines Herzens vor deinem Richterstuhl verklagen. Wenn ich an meine zukünftige Todesstunde denke, so finde ich, daß der Tod der ganz gerechte Sold meiner Sünden ist, und daß er die Thüre und der Anfang des ewigen Lodes seyn wird, wenn du mich nicht aus lauterem Erbarmen um Christi willen angenommen hast. Wenn ich an das zukünftige Gericht denke, so finde ich, daß ich verdient habe, daß meine Sünden nach der äußersten Strenge desselben gerochen, und zur genauesten Rechenschaft von der göttlichen Gerechtigkeit gezogen werden. Wenn ich an die Hölle denke, so finde ich, daß ich durch meine Sünden ihre ganz gerechten Strafen verdient habe. Wenn ich an das ewige Leben denke, so finde ich, daß ich die Hoffnung, dasselbe zu erlangen, durch meine Sünden nach Recht und Billigkeit verloren habe. Alles überführt mich also von meinen Sünden; sey du mir nur nicht gräulich, o mein Gott! Zu Christo, deinem geliebten Sohne, meinem einigen Mittler, nehme ich meine Zuflucht, und glaube festiglich, daß mir durch ihn deine Gnade und Vergebung der Sünden zu Theil werde. Die Geschöpfe klagen mich an, das Gewissen klagt mich an, Gottes Gesetztafeln klagen mich an, Satan klagt mich an Tag und Nacht. Du aber, o gütigster Jesu, nimm mich in Schutz! Dir ist ein Armer überlassen, den du von allem Troste der Geschöpfe verlassen siehst; zu deiner Genugthuung für meine Sünden, zu deiner Fürsprache für mich zur Rechten des Vaters soll ich gänzlich meine Zuflucht nehmen. Nimm, meine Seele, Flügel der Morgenröthe, und verbirg dich wie eine Taube in den Felsenritzen, das ist, in den Wunden Christi, deines Erlösers; verbirg dich in diesem Felsen, bis der Zorn des Herrn vorübergehe, und du wirst in ihm Ruhe, Schutz und Befreiung finden! Amen.

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