Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Das fünfte Capitel.

Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Das fünfte Capitel.

Betrachtung des Lebens nach der Regel der zweiten Gesetztafel.

Heiliger Gott, gerechter Richter, ewig und unbeweglich fest steht dein Wille, daß ich meine Eltern und Obrigkeiten wahrhaft ehren soll. Aber wie oft denke ich allzu gering von ihrem Ansehen, verweigere ihnen den wahren Gehorsam des Herzens, decke ihre Schwächen auf, und bete nicht ernstlich für ihre Erhaltung, hege öfters Zorn gegen diejenigen, denen ich mich in Geduld ganz unterwerfen soll. Dein heiliger Wille fordert, daß ich dem Nächsten in allen Stücken, so viel ich kann, dienen soll; aber wie oft werde ich des Wohlthuns überdrüssig und zur brüderlichen Vergebung verdrossen! Wie oft werde ich von meinem Fleische zum Zorn, Haß, Neid und Zank gereizt! Wie oft brennt innerlich das Feuer des Zornes im Herzen, wenn auch äußerlich streitsüchtige Worte nicht gehört werden! – Dein heiliger Wille fordert, daß ich keusch, sittsam und mäßig leben soll; aber wie oft nimmt die Liebe zur Unmäßigkeit und Wollust meine Seele in der Sünde gefangen! Wie oft brennt im Innern das Feuer der Begierden, wenn auch äußerlich die Glieder im Zaume gehalten werden! Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe mit ihr gebrochen in seinem Herzen, spricht die Wahrheit. Wie oft begehen wir. also vor Gottes Gericht Ehebruch! Der unordentliche und unmäßige Gebrauch der Speise, des Tranks (und der Ehe) beschleicht uns unversehens, und macht uns vor dir schuldig, wenn du mit uns in's Gericht geben willst. Dein heiliger Wille fordert, daß ich meinen Nächsten auf keine Weise im Verkehr betrüge; sondern daß ich vielmehr seinen Vortheil fördere; seine Fehler nicht offenbare, sondern mit dem Mantel der Liebe zudecket und ihn nicht durch ein unzeitiges und unbesonnenes Urtheil beschuldige. Aber wie oft suche ich meinen Vortheil mit Unrecht! - Wie oft urtheile ich über meinen Nächsten uns besonnen ab! Dein heiliger Wille fordert, daß mein Geist, mein Gemüth, meine Seele von aller bösen Begierde frei sen. Aber wie oft reizt mich, mein Fleisch zur Sünde, und befleckt auch den Geist mit bösen Begierden! Wie ein Born beständig sein Wasser quillet, so wallet mein Herz beständig von bösen Begierden auf. Für diese und alle meine Sünden und Mängel biete ich dir, heiligster Vater, den vollkommensten Gehorsam deines Sohnes dar, der alle Menschen mit vollkommener Liebe geliebt hat, und in dessen Munde kein Betrug erfunden ist, noch in seinen Worten oder Thaten ein Irrthum, noch in seiner Natur eine Verderbniß! Zu diesem Gnadenstuhl fliehe ich in wahrem Glauben, und schöpfe durch den Glauben aus seinen Wunden, so viel mir zur Gerechtigkeit und zum Heile genügt. Erbarme dich meiner, mein Gott und mein Vater! Amen.

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