Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das neunte Capitel. Gebet um Verachtung des Irdischen.

Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das neunte Capitel. Gebet um Verachtung des Irdischen.

Heiliger Gott, himmlischer Vater, ich rufe dich an durch deinen geliebten Sohn, daß du mein Herz durch den heiligen Geist vom Irdischen abziehest, und es zum Verlangen nach dem Himmlischen erhebest! Wie das Feuer seiner Natur nach aufwärts fährt, so strebe das geistige Feuer der Liebe und Andacht, das in meinem Herzen entzündet ist, gen Himmel empor! Was ist doch dies Irdische Alles und wie ist es beschaffen? Es ist zerbrechlicher als Glas, beweglicher als die Meereswogen, flüchtiger als der Wind. Ein Thor wäre ich daher, wenn ich mit meinem Herzen ihm anhinge, und die wahre Seelenruhe darin suchte. Im Tode muß man endlich alles Irdische selbst wider Willen verlassen; o wirke in mir, ich bitte dich, daß ich dasselbe aus freiwilligem Triebe des Herzens früher verlasse! Tödte in mir die Liebe zur Welt, daß die heilige Liebe zu dir wachse! Bewahre mich durch die Hülfe des heiligen Geistes, daß ich nicht diese Welt liebe, daß mein Herz von ihr nicht verunreinigt werde! Die Gestalt dieser Welt vergeht, es vergeht ihre kurze Herrlichkeit, nahe ist der Untergang des Himmels und der Erde. Beuge daher mein Herz, daß ich das Leben liebe, das ewig dauert, nicht aber das Leben dieser Welt, das so gar schnell entflieht! Was in der Welt ist, ist Fleischeslust, Augenlust und Hoffart des Lebens. Aber wie eitel ist es, die Fleischeslust zu lieben, wie gefährlich, der Augenlust nachzuhängen, wie schädlich, die Hoffart des Lebens zu erwählen! Von dem kann Christus, das Brod des himmlischen Lebens, nicht wahrhaft geliebt werden, der voll ist von den irdischen Trebern der Säue. Der kann sich nicht frei zu Gott erheben, dessen Herz von der Liebe dieser Welt gefangen ist. Die Liebe zu Gott kann da nicht eindringen, wo das Gefäß des Herzens mit der Liebe zu der Welt erfüllt ist. Gott, meine Liebe, tilge daher in mir aus die Begierde nach dem Irdischen, nimm weg das Band der Weltliebe; gieße aus und reinige das Gefäß meines Herzens, daß ich mit reiner Liebe dich liebe und mit vollkommenem Herzen dir anhange! Ach, warum wollte ich das lieben, was in der Welt ist, da es das Verlangen meiner Seele, die für die Ewigkeit geschaffen ist, nicht stillt, und mir überhaupt keine Liebe vergilt? Jenen soll meine Seele lieben, bei dem sie ewig wohnen wird; dahin will ich meines Herzens Verlangen vorausschicken, wo mir eine ewige Herrlichkeit bereitet ist. Wo mein Schatz ist, da wird auch mein Herz seyn. Gib mir Glaubensflügel, daß ich empor zu dir fliege und mich in den Felslöchern verberge, daß mich nicht der höllische Jäger mit den Stricken der Weltliebe fange, und meine Seele wieder zum Irdischen ziehe. Die ganze Welt werde mir bitter, damit Christus allein meiner Seele süß werde! Amen.

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